Diese Arbeit will der Frage nachgehen, welchen Stellenwert und welche Funktion die langen, zermürbenden Verhöre im prozessualen Kontext des 18. Jahrhunderts hatten und wie die Verschriftlichung derselben zu denken ist. Es soll aufgezeigt werden, dass bereits das Frageschema intendiert war und die Verschriftlichung mehr Mittel zum Zweck als Wort-Protokoll war.
Martinimorgen 1746. Zwei Glaubenswelten prallen an diesem Tag, einem Freitag, im Luzerner Hinterland aufeinander. Zwei Welten, die beide Christus als ihre Mitte sehen und die doch unversöhnlich, unversöhnbar sind. Zwei Welten, von der die eine die geballte Kraft von Kirche und Staat hinter sich weiss, die andere die blosse Überzeugung, das Richtige zu glauben und zu tun. Es sind zwei Glaubenswelten, die an diesem Morgen durch zwei Persönlichkeiten aufscheinen. Da ist Moritz Benninger, Pfarrer von Wolhusen und damit Vertreter des rechten, des einzigen Glaubens – aus Sicht der katholischen Kirche. Und dort ist Jakob Schmidlin, Knecht, Kleinbauer, Küfer und Fuhrmann, der sich auf seinem Heimetli, der Sulzig ob Werthenstein, mit pietistischen Glaubensgenossen traf. Wie weit die beiden Männer an diesem Morgen ahnten, dass ihre beiden Welten in den nächsten Stunden aufeinanderprallen werden, unversöhnlich und mit ungleichen Kräften, ist nicht überliefert.
Zumindest einer wusste es: Fridolin Disler, Wundarzt, der Schmidlin an diesem Morgen bei Benninger denunzierte. Er setzte damit eine Maschinerie in Bewegung, die zu Prozessen und Urteilen gegen 90 Personen führte, eine Maschinerie, die noch einmal – trotz bereits aufflackernder Aufklärung – die Doppelwirkmacht von Staat und Kirche wuchtig unter Beweis stellte, eine Maschinerie auch, die für Jakob Schmidlin am 27. Mai 1747, einem Samstag, mit dem Tod durch Erwürgen und anschliessendem Verbrennen auf der Richtstätte Galgenwäldli endete.
Zwischen Festnahme und Tötung durch Scharfrichter Mathias Mengis lagen für Schmidlin 28 Wochen Untersuchungshaft im Rosengartenturm, lange Wochen, in denen er fünfmal von Ulrich Antoni Göldin verhört wurde, einmal unter Folter.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die rechtlichen Grundlagen
- 2.1 Der Wandel des Prozesssystems als Ermöglichungsbedingung für die Hexen- und Ketzerprozesse
- 2.2 Das Ineinander von Staat und Kirche
- 2.3 Das Recht als basales Prinzip der Gesellschaft...
- 3. Das Verhör
- 3.1 Die Ketzer als Objekt der Verhörtätigkeit
- 3.2 Die Konditionierung
- 3.3 Die Erstbefragung
- 3.4 Eine Frage der Taktik
- 3.5 Die Weichenstellung
- 3.6 Das peinliche Verhör
- 4. Beobachtungen am Fall Jakob Schmidlin
- 5. Die Verschriftlichung
- 5.1 Die Verschriftlichung im mündlichen Kontext
- 5.2 Die Stimmen im Geständnis
- 6. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit untersucht den Stellenwert von Verhören und deren Verschriftlichung in Prozessen des 18. Jahrhunderts, speziell im Fall Jakob Schmidlin. Ziel ist es aufzuzeigen, dass das Frageschema der Verhöre absichtlich gestaltet war und die Verschriftlichung mehr als bloße Dokumentation diente.
- Die rechtlichen Grundlagen der Hexen- und Ketzerprozesse im 18. Jahrhundert
- Die Rolle des inquisitorischen Verfahrens und die Legitimation der Folter
- Die Interaktion von Staat und Kirche in der Verfolgung von Ketzerei
- Analyse der Verhöre im Fall Jakob Schmidlin
- Die Funktion der Verschriftlichung der Verhöre als Mittel der Machtausübung
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung beschreibt den Konflikt zwischen Pfarrer Moritz Benninger und Jakob Schmidlin im Jahr 1746, der eine Prozessmaschinerie in Gang setzte, die 90 Personen betraf und mit der Hinrichtung Schmidlins endete. Die Arbeit untersucht die Funktion der Verhöre und deren Verschriftlichung in diesem Kontext.
2. Die rechtlichen Grundlagen: Dieses Kapitel analysiert den Wandel des Strafprozessrechts vom Akkusations- zum inquisitorischen Verfahren und die Rolle der Folter als Instrument zur "Wahrheitsfindung". Es wird die enge Verknüpfung von Kirche und Staat bei der Verfolgung von Ketzerei hervorgehoben, sowie die regionale Variation der Folterpraxis und die problembehaftete Anwendung der Foltervorschriften beschrieben. Der Text verdeutlicht, wie die Folter die Verbreitung des Konzepts von Ketzerei, die Aussicht auf Verurteilung und die Ermittlung weiterer Verbündeter steigerte. Die Wechselwirkung von religiöser Spaltung und Hexenjagd wird ebenfalls beleuchtet.
2.2 Das Ineinander von Staat und Kirche: Dieses Kapitel vertieft die enge Zusammenarbeit von Staat und Kirche bei der Verfolgung von Ketzerei. Es wird die wechselseitige Nutzung der Verfolgung durch beide Instanzen – die Kirche, um missliebige Andersdenker loszuwerden, und der Staat, um Unruhen zu verhindern – detailliert erklärt. Die häufige Durchführung von Ketzerprozessen in Gebieten mit religiöser Nähe von Reformierten und Katholiken wird analysiert, und der Text verdeutlicht die Rollenaufteilung zwischen weltlicher Gerichtsbarkeit und Kirche (Gutachten, Moral, Betreuung, Belehrung). Die Verfolgungsbereitschaft von oben und der Verfolgungswille von unten werden als wichtig für das Ausmass der Verfolgungen genannt.
Schlüsselwörter
Jakob Schmidlin, Ketzerprozesse, 18. Jahrhundert, inquisitorisches Verfahren, Folter, Verschriftlichung von Verhören, Staat und Kirche, Machtmittel, rechtliche Grundlagen, Prozessualität.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu "Seminararbeit: Verhöre und Verschriftlichung in Prozessen des 18. Jahrhunderts am Beispiel Jakob Schmidlin"
Was ist der Gegenstand dieser Seminararbeit?
Die Seminararbeit untersucht den Stellenwert von Verhören und deren Verschriftlichung in Prozessen des 18. Jahrhunderts, speziell anhand des Falls Jakob Schmidlin. Im Fokus steht die gezielte Gestaltung des Frageschemas der Verhöre und die Funktion der Verschriftlichung über die reine Dokumentation hinaus.
Welche Themen werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt die rechtlichen Grundlagen der Hexen- und Ketzerprozesse im 18. Jahrhundert, die Rolle des inquisitorischen Verfahrens und die Legitimation der Folter, die Interaktion von Staat und Kirche bei der Verfolgung von Ketzerei, eine detaillierte Analyse der Verhöre im Fall Jakob Schmidlin und die Funktion der Verschriftlichung der Verhöre als Mittel der Machtausübung.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in jedem Kapitel?
Die Arbeit gliedert sich in mehrere Kapitel: Kapitel 1 (Einleitung) beschreibt den Konflikt zwischen Pfarrer Benninger und Jakob Schmidlin als Auslöser eines Prozesses, der 90 Personen betraf. Kapitel 2 (Die rechtlichen Grundlagen) analysiert den Wandel des Strafprozessrechts und die Rolle der Folter. Kapitel 2.2 (Das Ineinander von Staat und Kirche) vertieft die Zusammenarbeit von Staat und Kirche bei der Ketzerei-Verfolgung. Kapitel 3 (Das Verhör) untersucht die Methodik der Verhöre. Kapitel 4 (Beobachtungen am Fall Jakob Schmidlin) konzentriert sich auf den konkreten Fall. Kapitel 5 (Die Verschriftlichung) analysiert die Verschriftlichung der Verhöre. Kapitel 6 (Schluss) fasst die Ergebnisse zusammen.
Welche Rolle spielte die Folter in den Prozessen?
Die Arbeit beleuchtet die Rolle der Folter als Instrument der "Wahrheitsfindung" im inquisitorischen Verfahren. Sie untersucht, wie die Folter die Verbreitung des Konzepts von Ketzerei, die Aussicht auf Verurteilung und die Ermittlung weiterer Verbündeter steigerte. Die regionale Variation der Folterpraxis und die problembehaftete Anwendung der Foltervorschriften werden ebenfalls thematisiert.
Wie beschreibt die Arbeit das Zusammenspiel von Staat und Kirche?
Die Arbeit betont die enge Zusammenarbeit von Staat und Kirche bei der Verfolgung von Ketzerei. Sie analysiert die wechselseitige Nutzung der Verfolgung durch beide Instanzen und die Rollenaufteilung zwischen weltlicher Gerichtsbarkeit und Kirche. Die Verfolgungsbereitschaft von oben und der Verfolgungswille von unten werden als wichtige Faktoren für das Ausmaß der Verfolgungen genannt.
Welche Bedeutung hatte die Verschriftlichung der Verhöre?
Die Arbeit argumentiert, dass die Verschriftlichung der Verhöre mehr war als bloße Dokumentation. Sie diente als Mittel der Machtausübung und wird im Kontext des mündlichen Geschehens analysiert, wobei auch die "Stimmen" im Geständnis untersucht werden.
Um wen geht es im Fallbeispiel?
Der Fall Jakob Schmidlin dient als Fallbeispiel. Der Konflikt zwischen ihm und Pfarrer Moritz Benninger im Jahr 1746 löste eine Prozessmaschinerie aus, die 90 Personen betraf und mit der Hinrichtung Schmidlins endete.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Jakob Schmidlin, Ketzerprozesse, 18. Jahrhundert, inquisitorisches Verfahren, Folter, Verschriftlichung von Verhören, Staat und Kirche, Machtmittel, rechtliche Grundlagen, Prozessualität.
- Arbeit zitieren
- Thomas Wehrli (Autor:in), 2021, Die Bemächtigung des Wortes als Machtmittel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1217451