Silbenmodelle

Ein Vergleich zwischen Konstituenten-, CV- und Spiralmodell


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Beschreibung der Silbenmodelle
2.1 Das Konstituentenmodell
2.2 Das CV-Modell
2.3 Das Spiralmodell
2.4 Verbreitung der Modelle in Einführungswerken

3 Vergleich der Modelle
3.1 Phonotaktik und Quantitätsstrukturen
3.2 Die Auslautverhärtung
3.3 Die kompensatorische Längung
3.4 Der Wortakzent
3.5 Abbildung der Empirie
3.6 Didaktische Relevanz
3.7 Die Modelle auf anderen Ebenen der Sprache

4 Fazit

Literaturverzeichnis

Erklärung

1 Einleitung

In der frühen generativen Phonologie, als deren Begründer Noam Chomsky und Morris Halle mit ihrem Werk „The Sound Pattern of English“ (1968) gelten, spielte die Silbe lediglich eine marginale Rolle. Chomsky & Halle sahen Morpheme und Wörter als die für die Phonologie zentralen Einheiten und verbanden phonologische Regeln und phonotaktische Restriktionen somit ausschließlich mit Morphemund Wortgrenzen. Ab Anfang der 70er Jahre wurde dieser Aspekt hinterfragt; die Bedeutung der Silbe für die Phonologie wurde zunehmend diskutiert und schließlich auch überzeugend begründet. Autoren wie zum Beispiel Pike & Pike (1947) oder Hockett (1955) operierten bereits vor der Begründung der generativen Phonologie mit der Silbe, doch erst seit Linguisten wie Vennemann (1972), Kahn (1976) oder Selkirk (1982) phonotakische Muster, phonologische Regeln und auch prosodische Aspekte auf die Silbe bezogen, gilt diese auch in der generativen Phonologie als zentrale Domäne.

Zwar besteht seit den 70er Jahren also überwiegend Einigkeit über die wichtige Rolle der Silbe für die Phonologie, doch in Bezug auf die adäquate Darstellung der Struktur der Silbe gehen die Meinungen auseinander. Chomsky & Halle, als Vertreter der linearen Phonologie, betrachteten Äußerungen als Aneinanderreihung von Segmenten, welche wiederum Merkmalsbündel verkörpern. Sogenannte Merkmalsmatrizen dienten zur Darstellung aller Eigenschaften eines bestimmten Lautes; innerhalb dieser Matrizen galten die einzelnen Merkmale als simultan und gleichwertig. Diese Darstellungweise erwies sich jedoch beispielsweise in Bezug auf folgenden Aspekt als defizitär: „Lautliche Eigenschaften, die sich über mehr als ein Segment erstrecken, werden unter dieser Betrachtungsweise so behandelt, als seien sie Eigenschaften von einzelnen Segmenten und nicht von größeren Einheiten wie z. B. Silben“ (Willi 21994: 434).

Im Zuge der Intensivierung der Tonund Intonationsforschung wurde immer deutlicher, dass die lineare Darstellung besonders für suprasegmentale Aspekte ungeeignet ist. Der Ansatz der linearen Phonologie, prosodische Einheiten wie Akzent oder Ton mit binären, auf einzelne Segmente bezogene Merkmale wie [+/-betont] oder [+/- Hochton] darzustellen, erwies sich als unzureichend. Die neuere, nicht-lineare Phonologie, deren wichtigste Strömungen die autosegmentale und die metrische Phono logie sind, erweiterte also die phonologische Repräsentation: Statt eine Äußerung als lineare Kette von Segmenten auf einer einzigen Ebene zu betrachten, wurden die relevanten Informationen nun auf mehrere Repräsentationsschichten verteilt. So können beispielsweise auch „nicht-simultane“, suprasegmentale Eigenschaften dargestellt werden. Eine Frage, die jedoch nach wie vor diskutiert wird, ist, ob für die Silbe selbst eine hierarchische Struktur anzunehmen ist, d.h. ob weitere subsilbische Konstituenten existieren. Ramers definiert Konstituenten wie folgt und integriert in seine Definition bereits eine Voraussetzung für die Annahme ihrer Existenz: „Konstituenten bilden Teile der Silbe, die in der Regel ein oder mehrere Segmente enthalten, aber auch leer sein können, und die für die Beschreibung phonologischer Regu laritäten relevant sind“ (Ramers 22001: 100).

Im Folgenden soll der Fokus auf drei Modelle zur Darstellung der Silbenstruktur gerichtet werden, die die Frage nach subsilbischen Konstituenten unterschiedlich beantworten. Zunächst wird mit dem Konstituentenmodell das Modell eingeführt, dessen Ursprünge zeitlich am frühesten liegen. An eine Vorstellung der beiden weiteren Modelle, dem CV- und dem Spiralmodell, wird sich eine kurze Übersicht dar- über anschließen, welche dieser Modelle in repräsentativen Einführungswerken zur Linguistik beziehungsweise speziell zur Phonologie angesprochen werden und damit am gängigsten sind. Die darauf folgenden Kapitel der vorliegenden Arbeit werden sich einem ausführlichen Vergleich der drei Modelle widmen. Anhand verschiedener Aspekte, wie zum Beispiel phonotaktische Beschränkungen, phonologische Prozesse oder didaktische Relevanz, soll die Funktionalität der jeweiligen Modelle analysiert und verglichen werden. Dabei wird es stets darum gehen, in welchen Bereichen welches Silbenmodell Vorteile bietet und für welche Aspekte eine bestimmte Darstellungsform nicht ausreicht. Damit aufs Engste verbunden ist die Frage, ob die Annahme von einer silbeninternen Hierarchie überflüssig, hilfreich oder gar notwendig ist. So wird am Ende eine systematische Gegenüberstellung der Vorzüge und Defizite, die die Analyse für jedes der drei Modelle ergab, möglich sein.

2 Beschreibung der Silbenmodelle

2.1 Das Konstituentenmodell

Die Ursprünge des Konstituentenmodells liegen bei Pike & Pike (1947), die als Ausgangspunkt für ihre Studie die verbreitete Ansicht wählen, dass Sätze sich durch eine interne hierarchische Struktur auszeichnen. Dies wird – zunächst nur für die mexikanische Sprache Mazateco – auf die Domäne der Silbe übertragen: „It is well known that sentences have an internal structure which can be analysed in terms of successive layers of immediate constituents. […] It is convenient to describe syllables of Mazateco in a similar fashion” (Pike & Pike 1947: 78). Den Autoren zufolge handelt es sich bei Mazateco um eine Tonsprache, also eine Sprache, in der Töne zur Bedeutungsdifferenzierung verwendet werden. Daran schließt sich folgende Beobachtung an: „The constrastive tone in the language is a characteristic of the nucleus of the syllable“ (Pike & Pike 1947: 78). Damit begründen Pike & Pike die Unterteilung der Silbe in einen „nucleus“, der aus ein bis drei Vokalen besteht und Träger des Tons ist, und in den „syllable margin“, also den Silbenrand (vgl. Pike & Pike 1947: 78). Abgesehen von dieser grundlegenden Einteilung in Silbenkern und –rand legen Pike & Pike mit folgender Beobachtung den Grundstein für das Konstituentenmodell:

Sounds in syllables (or morphemes) may occur in structural layers, or in series of ‚immediate constituents’; an inner core comprised of a sequence of phonemes may, in larger structural sequences, on a higher layer of distribution, act as a single unit“ (Pike & Pike 1947: 91).

Pike & Pike gehen also von einer hierarchischen Struktur mit verschiedenen Konstituenten aus und sprechen von einer “subordination of one constituent to another” (Pike & Pike 1947: 90).

Hockett (1955) erweitert die Einteilung in Nukleus und Silbenrand und geht von insgesamt drei Konstituenten aus. Statt nur vom Silbenrand zu sprechen, unterteilt er diesen in die Segmente vor dem Nukleus und die Segmente, die auf den Nukleus folgen. Anhand des englischen Wortes hot (‚heiß’) benennt er die drei Silbenbestandteile wie folgt: „This is a single syllable, and consists of three constituents: an onset,/h/; a peak, /a/; and a coda, /t/” (Hockett 1955: 52). Diese drei Begriffe, für die im Deutschen auch die Bezeichnungen „Anfangsrand“, „Kern/Nukleus“ und „Endrand/Koda“ üblich sind, werden bis heute in der Silbenphonologie verwendet. Zwar geht Hockett (1955) von einer (vom Silbenknoten aus gesehen) dreifach verzweigenden Darstellung aus, bei der alle drei Konstituenten auf einer Ebene sind, doch mit der Frage, ob diese drei Konstituenten gleichwertig sind oder ob zwei von ihnen eventuell enger miteinander verbunden sind (vgl. Hockett 1955: 52), weist er genau auf den Aspekt der silbeninternen Struktur bzw. Hierarchie hin.

In seinem Aufsatz „Syllables“ (1969) baut Fudge die Überlegungen Pike & Pikes (1947) und Hocketts (1955) aus und verwendet (bezogen auf das Englische) ein Silbenmodell, das der heute als Konstituentenmodell geläufigen Darstellungsweise äußerst ähnelt, jedoch noch etwas komplexer ist. Fudge lässt den Silbenknoten nicht nur in Onset und Rhyme und den Rhyme wiederum in Peak und Coda verzweigen, sondern nimmt bei einigen wortfinalen Silben noch eine dritte Konstituente auf der Ebene von Onset und Rhyme an, die Termination1 (1). Der Autor präferiert für die englische Silbe zwar Modell (1), diskutiert aber eine Reihe von alternativen Darstellungsformen, unter denen sich auch das Konstituentenmodell, wie es heute überwiegend verwendet wird, befindet (2) (nach Fudge 1969: 268 bzw. 273):

(1) Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (2) Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dabei nimmt der Autor an, dass im Onset zwei, im Peak eine und in der Coda zwei bzw. bei wortfinalen Silben bis zu drei Positionen besetzt werden können. Fudges (1969) fasst also Peak und Coda zum Rhyme zusammen und sieht vor allem einen Aspekt als grundsätzliches Argument für eine interne Silbenhierarchie und gegen ein flaches Modell: „[C]ertain Peaks do not co-occur with certain Codas […], while there is no such constraint between Onset and Peak” (Fudge 1969: 272f.).

Selkirk, die mit ihrer Studie „The Syllable“ (1982) einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, die Silbe als für die Phonologie relevante Einheit zu etablieren, verwendet ebenfalls das Konstituentenmodell. Zunächst schlägt sie, hier für das einsilbige englische Wort flounce (‚Volant’, ‚Rüsche’), folgende Darstellung (3) vor, in der die Konstituenten-Bezeichnungen nicht in die Baumstruktur integriert sind:2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(3) (vgl. Selkirk 1982: 338)

Die Zusammenfassung von Nukleus und Coda rechtfertigt die Autorin ebenfalls mit dem Argument, dass es im Englischen viele Kookkurrenz-Restriktionen bezüglich dieser beiden Konstituenten gäbe, allerdings keine für Onset und Nukleus (vgl. Selkirk 1982: 338).3Aufgrund ihrer Beobachtung, dass bei einer zweifachen Verzweigung immer ein Element ‚schwächer’ sei als das andere, schlägt Selkirk (1982) eine alternative Darstellung (4) vor, in der das ‚schwächere’ Element mit w und das ‚stärkere’ mit s assoziiert wird. Die ‚Stärke’ bzw. ‚Schwäche’ beurteilt die Autorin anhand der Sonorität des entsprechenden Lautes: „The peak is of course strong (s), i.e., more sonorous, than the onset. And within each of the other constituents, the s has been assigned to the more sonorant element” (Selkirk 1982: 343).

So ergibt sich folgendes Modell (4), dem die Annahme zugrunde liegt „that the assignment of w (= ‘subordinate’ status) vs. s can be made, at least partly, on the basis of the relative ranking of the two segments (or constituents) on a universally defined sonority hierarchy” (Selkirk 1982: 343):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Basierend auf den Überlegungen, die von Pike & Pike (1947) angeregt und von Hockett (1955), Fudge (1969), Selkirk (1982) und anderen aufgenommen und weiterentwickelt wurden, wird das Konstituentenmodell heute meist wie in (5) dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Ramers 2002: 113)

Grundsätzlich werden zwischen der Silbenund der Segmentschicht weitere Zwischenebenen angenommen, die größere Teile der Silbe, also Konstituenten, enthalten. Während Onset und Koda leer sein können, sind der Reim und dessen Subkonstituente Nukleus obligatorisch. Außerdem wird zwischen der Segmentschicht und den Segmenten meist eine weitere Schicht, die sogenannte X-Schicht4 angenommen, die abstrakte Zeiteinheiten repräsentiert. Anders als im CV-Modell (siehe Kapitel 2.2), wird auf der X-Schicht nicht zwischen funktionalen Positionen wie beispielsweise Silbengipfel und Nicht-Gipfel-Elementen unterschieden. Stattdessen wird angenommen, dass „die Position des Silbengipfels (peak) auf der Grundlage der Kon stituentenstruktur und der Sonorität der Segmente voraussagbar ist [...]. Eine zusätzliche Markierung auf der Skelettschicht ist somit redundant“ (Ramers 22001: 99).

Vater bringt die Frage nach den subsilbischen Konstituenten auf den Punkt, indem er schreibt, dass „sich Silben-Konstituenten dadurch rechtfertigen [lassen], daß bestimmte phonologische Regeln sie als ‚Operationsbasis’ benötigen“ (Vater 1992: 103). Auch Ramers weist auf die Komplexität des Konstituentenmodells hin und stellt fest, dass dieses „nach dem Kriterium der Einfachheit nur dann vorzuziehen [ist], wenn die Konstituenten zur adäquaten Repräsentation silbentruktureller Regula ritäten erforderlich sind“ (Ramers 22001: 99). Genau diesem Aspekt wird sich die vorliegende Arbeit in Kapitel 3 widmen.

2.2 Das CV-Modell

Den Grundstein für das sogenannte CV-Modell legte die autosegmentale Phonologie, die ihren Namen John A. Goldsmiths Dissertation „Autosegmental Phonology“ (1976) verdankt, und deren Ziel es war, ein Modell zur adäquaten Repräsentation von Tönen zu entwerfen.

[...]


1 Die hier verwendete Terminologie entspricht Fudge (1969). Die Bezeichnungen für die entsprechenden Konstituenten variieren je nach Autor, so schreibt Fudge selbst: „The labels applied to the nodes have varied from one approach to another, but the structure has not” (Fudge 1987: 359).

2 Anders als Fudge (1969) lässt Selkirk (1982) zwei Positionen im Nukleus zu.

3 Eine Zusammenfassung möglicher Argumente für die Zusammenfassung von Nukleus und Coda zum Reim bietet beispielsweise Fudge (1987: 361-376). In Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit wird auf einige dieser Argumente noch genauer eingegangen.

4 Auch hier variiert die Terminologie: Im Deutschen wird auch von Skelettschicht gesprochen, während im Englischen neben „X tier“ oder „skeletal tier“ auch oft der Begriff „timing tier“ verwendet

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Silbenmodelle
Untertitel
Ein Vergleich zwischen Konstituenten-, CV- und Spiralmodell
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Deutsches Seminar I)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
30
Katalognummer
V121792
ISBN (eBook)
9783640264704
ISBN (Buch)
9783640264964
Dateigröße
594 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
CV-Modell, Konstituentenmodell, Spiralmodell, Silbenphonologie
Arbeit zitieren
Dipl.-Bibl. Regina Männle (Autor:in), 2009, Silbenmodelle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121792

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