Eine vergleichende Framing-Analyse der Berichterstattung über vier Ereignisse des Nordirlandkonflikts in Zeitungen des Vereinigten Königreiches und Irlands


Masterarbeit, 2007

126 Seiten, Note: 1.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Erkenntnisinteresse
1.2 Fragestellung
1.3 Aufbau der Arbeit

2. Nordirland
2.1 Nordirland seit 1921 bis zur Eskalation des Konflikts
2.2 Der Konflikt
2.3 Die zweigeteilte nordirische Gesellschaft
2.4 Die Konfliktparteien
2.4.1 Nationalismus
2.4.2 Republikanismus
2.4.3 Unionismus
2.4.4 Loyalismus
2.4.5 Die Parteien
2.4.5.1 Nationalistische Parteien
2.4.5.2 Unionistische Parteien
2.4.6 Die paramilitärischen Organisationen
2.4.6.1 Republikanische paramilitärische Organisationen
2.4.6.2 Loyalistische paramilitärische Organisationen
2.4.6.3 Der unterschiedliche Charakter der Kriegsführung

3. Medien
3.1. Mediensysteme des Vereinigten Königreichs und Irlands
3.2 Nordirische Zeitungen
3.2.1 Belfast Telegraph
3.2.2 Irish News
3.2.3 News Letter
3.3 Zeitungen ausserhalb Nordirlands – Irish Times (Dublin) und The Times (London)
3.4 Interessen geleitete Berichterstattung über den Nordirlandkonflikt

4. Frames und Framing
4.1 Nachrichtenwerttheorie
4.2 Framing und die Gatekeeper-Perspektive
4.3 Der Framing-Ansatz und seine Ähnlichkeiten zur Nachrichten-Bias-Forschung
4.4 Die Verbindungen von Framing zu Agenda-Setting
4.5 Framing und Priming
4.6 Die unterschiedlichen Frame-Ebenen

5. Framing in der Konfliktkommunikation
5.1 Induktiv-qualitative Frame-Identifikation
5.2 Deduktiv-quantitative Frame-Identifikation
5.2.1 Framing der Partizipation des deutschen Militärs am Kosovo-Krieg (Eilders/Lüter 2000)
5.2.2 Framing der Nato Luftangriffe im Kosovo (Yang 2003)
5.2.3 Framing des Krieges gegen den Terrorismus – nach dem 11. September (Ryan 2004)
5.2.4 Framing des Irakkriegs I (Dimitrova/Strömbäck 2005)
5.2.5 Framing des Irakkriegs II (Dimitrova/Kaid/Williams/Trammell 2005)
5.2.6 Framing von Konflikten – lokal und international (Kim/Lee/Maslog 2006)
5.3 Induktiv-quantitative Frame-Identifikation
5.4 Probleme der Vergleichbarkeit

6. Methode
6.1 Untersuchte Ereignisse
6.1.1 „Miami Showband Killings“ und „Bayardo Bar Bombing“
6.1.2 „Shankhill Road Bombing“ und „Greysteel Murders“
6.2 Sample
6.3 Codebuch
6.4 Operationalisierung

7. Auswertung
7.1 Die identifizierten Frames
7.2 Die Zusammenhänge zwischen Frames, Zeitungen und Ereignissen
7.2.1 Hypothese 1
7.2.2 Hypothese 2
7.2.3 Hypothesen 3a und 3b
7.2.4 Hypothesen 4a und 4b
7.2.5 Hypothesen 5a und 5b
7.2.6 Hypothese 6
7.2.7 Hypothese 7
7.2.8 Hypothese 8

8. Interpretation

9. Fazit

10. Glossar

11. Bibliographie

12. Anhang
12.1 Abbildungsverzeichnis
12.2 Tabellenverzeichnis
12.3 Beispielartikel
12.3.1 Terrorismus
12.3.2 Gemeinschaft
12.3.3 Staatsframe
12.3.4 Verursacher
12.3.5 Stoizismus
12.3.6 Aktivismus
News Letter, 3. November 1993, S. 8
12.3.7 Repression
12.3.8 Einsicht
12.3.9 Opfer
12.3.10 Zivile De-Eskalation
12.3.11 Staatliche De-Eskalation
12.3.12 Auto De-Eskalation
News Letter, 25. Oktober 1993, S. 15
12.3.13 Eigenleben
12.3.14 schwach inszenierter Artikel

Abstract

Der Nordirlandkonflikt, ein Krieg zwischen republikanischen und loyalistischen paramilitärischen Organisationen mit vornehmlich zivilen Opfern, forderte über 3000 Menschenleben und konnte im Laufe der Zeit – je länger der Konflikt dauerte, desto stärker - durch eine dynamische Spirale von Mord und Vergeltung charakterisiert werden. Die Berichterstattung über vier der grösseren Anschläge – je zwei mit der republikanischen und der loyalistischen Seite als Aggressor - wurden in der vorliegenden Arbeit untersucht: Es sollten die Frames, der Berichterstattung zugrunde liegende Denkmuster, die sich zusammensetzen aus definierten Problemen, Problemlösungen und Bewertungen der Artikel, identifiziert werden; dabei interessierte insbesondere der Ideologie-Vergleich zwischen den untersuchten Zeitungen „Belfast Telegraph“, „Irish News“, „News Letter“, „Irish Times“ sowie „The Times“: Es wurde vermutet, dass sich die Frames in der Berichterstattung über dieselben Ereignisse unterscheidet; die Auswertung zeigte, dass sich die Frames in den verschiedenen Zeitungen tatsächlich unterscheiden und auch der Anteil der Artikel ohne Frame divergierte, jedoch keinesfalls in allen Fällen wie dies vom Autor vermutet worden war.

The Northern Ireland Conflict, a war between republican and loyalist paramilitaries that claimed primarily civil victims, killed about 3000 people in total and could – the longer the conflict lasted, the more – best be characterised as a series of tit-for-tat murders. The coverage of four of the bloodiest incidents of the conflict – with both paramilitary sides twice being the aggresssor – was the subject of this study. More specifically, the author was analysing which frames underlying the articles. Frames were defined as the composition of a problem, the solution of the problem and an appraisal. Of most interest was the comparison between the journals of different countries and especially of different ideologies and readership. The media sample was: „Belfast Telegraph“, „Irish News“ and „News Letter“ of Northern Ireland, „Irish Times“ of Ireland and „The Times“ of England. The hypothesis was that the frames in the coverage would differ between the newspapers. The analysis of the results showed different frames and a different proportion of articles without frame, but not at all in every case were the results as expected.

1. Einleitung

Der Nordirlandkonflikt, ein Krieg zwischen den Ethnien, der 1969 eskalierte und fast 30 Jahre dauerte[1], ist aufgrund des gewaltsamen Widerstands eines Teils der katholischen Bevölkerung Nordirlands entbrannt, und hat mehr als 3000 Personen das Leben gekostet. Der Konflikt war geprägt durch die Gewalt der paramilitärischen Organisationen beider Seiten und von unterschiedlichen Ansichten über die Zugehörigkeit Nordirlands zum Vereinigten Königreich. Als Folge des Konflikts gab und gibt es in Nordirland wenige gemischt-konfessionelle Wohngebiete; die Mitglieder der verschiedenen Konfessionen (Protestanten, Katholiken) lesen im Regelfall ihre (nationale) Zeitung, welche das Geschehen im Sinne der eigenen Gemeinschaft abbildet. Daneben gibt es eine dritte nationale Zeitung, der „Belfast Telegraph“, welche sich bemüht, neutraler zu berichten und deshalb auch (eher) eine Leserschaft hat, welche sich aus Katholiken und Protestanten zusammensetzt.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der (Zeitungs-)Berichterstattung über den Nordirlandkonflikt in den drei nationalen Zeitungen Nordirlands („Irish News“, „News Letter“, „Belfast Telegraph“) sowie in der irischen „Irish Times“ und der englischen „The Times“ im Allgemeinen und den der Berichterstattung zugrunde liegenden Frames[2] über ausgewählte Ereignisse im Speziellen. Nach Kenntnis des Autors gibt es bisher keine Arbeit, welche Frames der Berichterstattung über den Nordirlandkonflikt untersucht hätte. Bei den untersuchten Ereignissen handelt es sich um zwei Racheaktionen – 4 Ereignisse – mit jeweils vertauschten Rollen der am Konflikt beteiligten Seiten des paramilitärischen Kampfes (siehe Kapitel 2.4). Die ersten beiden Ereignisse stammen aus dem Jahr 1975, die zweiten zwei aus dem Jahr 1993. Aufgrund der unterschiedlichen Blattlinien der verschiedenen Zeitungen – insbesondere den nordirischen Zeitungen – wird erwartet, dass dieselben Ereignisse sehr unterschiedlich inszeniert wurden und zwar jeweils in Übereinstimmung mit ihrer Sicht und Ideologie, respektive jener Ihrer Leserschaft.

1.1 Problemstellung und Erkenntnisinteresse

Ähnlich wie dies Entman (1991) für zwei Flugzeugabschüsse der Iran Air und der Korean Air untersuchte, soll in dieser Arbeit die Berichterstattung über möglichst ähnliche Ereignisse in verschiedenen Medien verschiedener Länder, respektive verschiedener ideologischer Hintergründe, untersucht werden. Wenn dasselbe Ereignis vollkommen anders dargestellt wird, werden strategische und/oder politische Überlegungen sichtbar, welche dem Text zugrunde liegen. Die Berichterstattung über den Nordirlandkonflikt muss deshalb von besonderem Interesse sein, da sich zwei Gruppen (Nationalisten und Unionisten) mit sehr unterschiedlichen Interessen gegenüber stehen, die ihre Sicht der Dinge tendenziös, in einer nationalen Publikation, darlegen können. Unterschiedliche, einseitige Frames über dieselben Ereignisse wären von speziellem Interesse, denn Leser „ihrer“ Zeitung würden in ihren Ansichten stets bestärkt und werden nicht mit divergierenden Ansichten konfrontiert. Folglich werden diese Leser auch weniger reflektieren, ob die Argumente der Gegenseite oder neutralere Argumente auch zutreffen könnten.

1.2 Fragestellung

Die Fragestellung, welche in der vorliegenden Arbeit beantwortet werden soll, lautet: Wie lassen sich die Frames der Berichterstattung über Anschläge während des Nordirlandkonflikts und ihre Vergeltung in verschiedenen Zeitungen Irlands und des Vereinigten Königreiches beschreiben und wie unterscheiden sich die verschiedenen Medien bezüglich der Frames ihrer Berichterstattung über dieselben Ereignisse? Die Hypothesen, welche die Forschungsfrage beantworten sollen, finden sich im Kapitel der Operationalisierung (Kapitel 6.3), ihre Auswertung in den Unterkapiteln von 7.2.

Vor allem aufgrund des Wissens über die Geschichte Nordirlands und über die untersuchten Zeitungen (und ihres Profils), wird davon ausgegangen, dass sich die Artikel über dieselben Ereignisse bezüglich der Frames unterscheiden.

1.3 Aufbau der Arbeit

In dieser Arbeit wird zu Beginn die Geschichte Nordirlands und im Speziellen des Konflikts besprochen. In der Folge sind die Konfliktparteien beschrieben: Ihre Ansichten, ihre Aktivitäten und die Verbindungen zwischen paramilitärischen Organisationen und der Politik. Danach wird auf die vier erwähnten Ereignisse eingegangen, bevor die miteinbezogenen Medien diskutiert werden. Es interessieren die Ideologien der Zeitungen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, welche Frames denkbar wären. Im 4. Kapitel wird auf die Framing-Theorie, die Abgrenzung und/oder Gemeinsamkeiten zu verwandten Theorien eingegangen werden, bevor in Kapitel 5 Studien besprochen werden, welche aufgrund ihrer thematischen oder methodischen Gemeinsamkeiten für diese Arbeit von Interesse sind. Nach dieser ausführlichen Theorie folgen ein Methoden- und Codebuchbeschrieb. In den letzten Kapiteln werden die Resultate der Frame-Analyse beschrieben, zusammengefasst und im Kontext der Thematik diskutiert sowie ein Fazit gezogen.

2. Nordirland

1169 wurde das keltische Irland von den Normannen besetzt. Diese Besatzer arrangierten sich mit den alteingesessenen gälischen Stämmen und pflegten lediglich schwache Beziehungen zu ihrer englischen Heimat. Erst unter Elisabeth I. (1533-1603) unterwarf die englische Krone fast ganz Irland (vgl. Neumann 2003: 9). Die Saat des nordirischen Konflikts ist zum grössten Teil im Verlauf des 17. Jahrhunderts aufgegangen: England wollte in Irland den protestantischen Glauben durchsetzen, unterdrückte die Bevölkerung, enteignete nordirische Grundherren und verteilte deren Land neu. Nach Elisabeths Tod begannen verstärkte Wanderbewegungen, wobei schottische und englische Siedler mit Versprechungen für Grundbesitz in den Nordosten Irlands gelockt wurden. Das besiedelte Gebiet, Ulster[3], sollte sich nach dem Willen Englands mit Hilfe der Besiedlungen nicht erneut zu einem Widerstandszentrum entwickeln. Diese Hoffnung sollte sich als trügerisch erweisen, denn von Spannungen und Zusammenstössen blieb die Region nicht verschont.

Im Gegenteil: Durch die Besiedlung wurden zwei komplett verschiedene Gemeinschaften geschaffen (vgl. Neumann 2003: 10). Die alteingesessenen Siedler lieferten sich mit den neuen Siedlern eine Reihe von erbitterten Schlachten mit vielen Todesopfern. In den späten 80er Jahren des 17. Jahrhunderts stand das Land am Rand eines grossflächigen Krieges (vgl. McCavitt 1994: 28-41). Als Folge ihres Sieges im sogenannten „War of the three Kings“ (1688-1691), konnte die protestantische Seite ihre Stellung behaupten. An den Sieg bei der Schlacht von Boyne (1690), bei welcher der Protestant Wilhelm von Oranien gegen den Katholiken James VII. den Sieg davon trug, wird jährlich während den Oraniermärschen[4] der „Marching Season“ erinnert.

Gegen die unterdrückte irische Mehrheit der Bevölkerung, die Katholiken, wurden 1695 strenge Strafgesetze, die so genannten „Penal Laws“, erlassen. Diese verboten es Katholiken, Land zu erwerben, ihre Kinder katholisch zu erziehen, der Armee beizutreten oder juristische Berufe auszuüben. Jegliche irische Kultur, Musik und Erziehung war untersagt. Irische Religion und Kultur konnten nur durch geheime Freiluftmessen und illegale Freiluftschulen am Leben erhalten werden. Starb ein Katholik, so ging sein Land zu gleichen Teilen an seine Kinder; war eines seiner Kinder zum Protestantismus übergetreten, gehörte ihm der grösste Teil (vgl. Kee 1980: 15 f.).

Das Resultat dieser Gesetze war, dass 1778 die Katholiken noch knapp 5% von Irlands Boden besassen. Die katholische Kirche in Irland starb nicht aus: Vor allem, weil die Strafgesetze in der Praxis nicht so strikt angewandt wurden, wie dies die Theorie forderte. Eine Wirkung der Repression war stattdessen, dass die grosse Mehrheit der irischen Bevölkerung sich noch stärker an die katholische Kirche - die einzige Organisation, welche sie repräsentierte – band (vgl. Kee 1980: 55).

Im 18. Jahrhundert herrschte relative Ruhe in Irland. Sie wurde 1790 gestört durch eine republikanische Rebellion, welcher die Aufstände in Nordamerika und Frankreich als Vorbild dienten. Sie änderte jedoch nichts an den bestehenden Machtverhältnissen. Neben oder auch und gerade wegen den Benachteiligungen in rechtlicher und politischer Hinsicht litt die katholische Bevölkerung besonders unter der erdrückenden Armut. Für sie war keine Besserung in Aussicht: Der „Act of Union“ von 1801 besiegelte die Vereinigung von England, Schottland, Wales und neu Irland im Vereinigten Königreich von Grossbritannien. Die Spannungen in Irland blieben bestehen und ebenso die Unterteilung in herrschende Klasse sowie Bürger zweiter Klasse, die alteingesessenen Iren (vgl. Neumann 2003: 11-13).

Im August 1845 trat eine Kartoffelfäule auf, die schwerwiegende Auswirkungen auf die irische Bevölkerung hatte. Es war der Anfang der grossen irischen Hungersnot, welche bis 1849 dauern sollte. Die britische Besatzungsmacht betrieb eine „Laissez-faire“-Politik: Die Entwicklung der irischen Wirtschaft wie auch ihrer Bevölkerung wurde so weit als möglich den Marktkräften überlassen, anstatt ihr aus ihrer Misere zu helfen. Auch jenem Teil der irisch-katholischen Bevölkerung, welcher der Union nicht negativ gegenüber gestanden hatte, stiess die Vernachlässigung durch die Besatzer sauer auf. Der britischen Regierung wurde Desinteresse für die irische Not vorgeworfen. Der Tenor lautete: Die Katastrophe wäre vermeidbar gewesen (vgl. Neumann 2003: 12-14).

Ende des 19. Jahrhunderts berieten englische Politiker über die Irlandfrage und hatten zwei mögliche Lösungsansätze für die grüne Insel: Erstens dachten sie an „Home Rule“, was zumindest in den wichtigsten Punkten irische Unabhängigkeit bedeutet hätte, freilich ohne die Verbindung zu Grossbritannien zu lösen. Zweitens stand eine Direktverwaltung Irlands von London aus zur Debatte. Vorerst wurde der zweite Weg gewählt, aber als die Machtverhältnisse in England 1912 änderten, - die „Liberalen“ waren zurück an der Macht - stand „Home Rule“ wieder auf der politischen Agenda. Die Ankündigung der Einführung einer moderaten Version von „Home Rule“ führte zur Formierung sowohl unionistischer als auch nationalistischer paramilitärischer Organisationen (vergleiche dazu Kapitel 2.4.6), um die eigenen Anliegen durchzusetzen. Die Aufrüstung der rivalisierenden Parteien radikalisierte und militarisierte den Konflikt. Es konnte kein gemeinsamer Nenner gefunden werden und ein Bürgerkrieg wurde lediglich durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhindert. Der irische Osteraufstand (1916) wurde brutal niedergeschlagen.

1919 begann der irische Unabhängigkeitskrieg, den die Irish Republican Army (IRA) in einem Guerilla-Krieg gegen die britische Besatzung führte und welcher 1921 mit einem Waffenstillstand endete. Die Friedensgespräche mündeten im Englisch-Irischen-Vertrag (Anglo-Irish-Treaty), welcher einen irischen Freistaat beschloss, bestehend aus den 26 Grafschaften (Counties) Irlands mit einer katholischen Mehrheit. Sechs nordöstliche Grafschaften mit protestantischer Mehrheit verblieben beim Vereinigten Königreich und bilden das heutige Nordirland (vgl. Hennessey 1997: 19-21).

2.1 Nordirland seit 1921 bis zur Eskalation des Konflikts

Den irischen Nationalisten stiess die Abspaltung der 6 Grafschaften des irischen Nordens sauer auf. Sie boykottierten Güter aus Belfast und versuchten alle wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Norden und Süden zu unterbinden. Die IRA führte eine gewaltsame Offensive durch, um den Norden zu brechen. Die Unionisten Nordirlands reagierten darauf mit der Etablierung einer Spezialeinheit, den B-Specials. Die neu gebildeten Polizeieinheiten wurden dazu eingesetzt, die konfessionelle Trennung und die mit diesen Umständen einher gehende Diskriminierung der katholischen Bevölkerung durchzusetzen. Alleine im August 1922 wurden infolge anhaltender Gewalttätigkeiten in Nordirland 8000 katholische Arbeiter aus ihren angestammten Berufen gedrängt. Zu dieser Zeit lebten in Nordirland ungefähr 820`000 Protestanten sowie 430`000 Katholiken (vgl. Kennedy-Pipe 1997: 20/21). Die unionistische Partei (Unionist Party) sorgte für eine nordirische Politik, welche die katholische Minderheit systematisch von höheren Positionen in Wirtschaft und Politik ausschloss. Die britische Regierung wusste von der Diskriminierung, beschloss jedoch, die irischen Probleme bei den Iren zu belassen. Es sollte so wenig Einfluss wie möglich genommen werden. Die Nordirlandfrage verlor danach in der englischen Politik kontinuierlich an Bedeutung (Bew/Gibbon/Patterson 2002: 20-22).

Nordirlands strategisch wichtige Stellung als Basis für Amerikaner und Kanadier während dem Zweiten Weltkrieg begünstigte die nordirische Situation und brachte das Thema zumindest zeitweilig auf die politische Agenda Westminsters[5]. Dies vereinfachte die Verabschiedung des „Ireland Act“ von 1948, welcher Nordirland den Verbleib im Vereinigten Königreich garantierte, so lange dies vom nordirischen Volk gewünscht werde. Um 1960 war Nordirland für die britische Regierung wieder einigermassen irrelevant geworden, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Nordirland wurde seitens der britischen Regierung wenig bis keine Beachtung geschenkt: Der Nordirlandkonflikt kam deshalb für Westminster ziemlich überraschend (vgl. Neumann 2003: 14 f.).

Als sich Mitte der 70er Jahre die Demonstrationen der katholischen Bevölkerung Nordirlands für gleiche Rechte und die Bürgerunruhen häuften, war Westminsters Reaktion Ungläubigkeit, Unsicherheit und vor allem Zurückhaltung (vgl. Neumann 2003: 16). Zwischen 1968 und 1972 bildete sich in der katholischen Bevölkerung eine geeinte Gemeinschaft, welche politisch aktiv war und bereit, wenn nötig gewaltsam für ihre Anliegen einzutreten. 1972, während einer weiteren unbewilligten Bürgerrechtsdemonstration gegen durchgeführte Internierungen („Internments“[6] ) von Katholiken, tötete eine Spezialeinheit der britischen Armee 13 unbewaffnete Katholiken, was zu Racheaktionen der IRA führte, und als eigentlicher Beginn des (gewaltsamen) (Nordirland-)Konflikts angesehen wird. Dieses Ereignis ging in die Geschichte ein unter der Bezeichnung „Bloody Sunday“ (vgl. Bew/Gibbon/Patterson 2002: 138 f.).

Nach dem „Bloody Sunday“ gab die Provisional Irish Republican Army (PIRA[7] ), ihren Mitgliedern die Direktive mit, auf jeden britischen Soldaten schiessen zu dürfen. „Bloody Sunday“ hatte auch international hohe Wellen geworfen. Die britische Regierung sah sich vor allem aus der irischen Republik sowie aus den USA unter Druck gesetzt und musste zusehen, wie die nordirische, unionistische Regierung in Stormont (bei Belfast) die Sicherheitssituation in Nordirland nicht in den Griff bekam. Ihre Reaktion war die per 1. April 1972 eingeführte „Direct Rule“, die Direktverwaltung Nordirlands durch Westminster (vgl. Wichert 1999: 126).

2.2 Der Konflikt

1969 und 1970 standen sich während den Unruhen katholische und protestantische Zivilisten gegenüber. Dies änderte sich mit der verstärkten Kampagne der paramilitärischen PIRA, die mit ihrer Bombenkampagne den Charakter der Zusammenstösse grundlegend veränderte. In den Anfängen des Konflikts war die PIRA besonders aktiv und terrorisierte die protestantische Bevölkerung durch Anschläge in Nordirland und in England. Das Blutvergiessen sollte die britische Regierung zermürben und sie zu einem Rückzug zwingen (vgl. Kennedy-Pipe 1997: 76).

Der Kampf der PIRA richtete sich gegen die britische Armee, die aus republikanischer Sicht nicht erwünschte Besatzerin Nordirlands. Allerdings hatte die blutige Kampagne der PIRA auch viele zivile Opfer zu verantworten. In Folge der blutigen Anschläge und dem wachsenden Unmut unter der unionistischen Bevölkerung war es für loyalistische paramilitärische Organisationen ein leichtes Spiel, ihrerseits Freiwillige für den bewaffneten Kampf zu finden. Die loyalistischen paramilitärischen Organisationen waren der PIRA bezüglich jeglicher Ressourcen (v.a. Information, Geld, Waffen) unterlegen, kompensierten diese Unterlegenheit allerdings, indem sie äusserst skrupellos vorgingen. Während des Konflikts reihten sich Vergeltungsschläge an Vergeltungsschläge, bei welchen meist Zivilisten die Opfer waren (vgl. Dunn 1995: 17-19).

Zur Lösung des Sicherheitsproblems Nordirlands beschlossen 1971 unionistische Politiker Internierungen (vgl. Definition Seite 7); die letzten Internierten wurden Ende 1975 frei gelassen. Viele der Verhaftenen, nur ein Bruchteil davon waren Mitglieder der PIRA, mussten Folter und Verhör über sich ergehen lassen. Dieses Vorgehen der Ordnungskräfte konnte das Sicherheitsproblem nicht lösen. Im Gegenteil: Es provozierte noch mehr Gewalttaten und verschaffte der PIRA einen immensen Zulauf an Freiwilligen. Die britische Armee reagierte ihrerseits auf die zunehmende Gewalt und schickte zusätzliche Truppen nach Nordirland. Die gegenseitige Wut wuchs auf nationalistischer wie auch auf unionistischer Seite. Besorgt beobachteten die Unionisten die wankenden politischen Strukturen und die labile Sicherheitssituation. Als Folge davon wurde die Ulster Defense Association (UDA) gegründet, welche bald zu einer der bedeutendsten paramilitärischen Gruppierungen Nordirlands werden sollte (vgl. Kennedy-Pipe 1997: 57-60).

Die PIRA liess Mitte der 80er Jahre die Waffen für Wochen schweigen, damit die britische Regierung Zeit hatte, über Forderungen der Republikaner zu beraten. Ein britischer Abzug aus Nordirland war zu diesem Zeitpunkt ein mögliches Szenario. Nach dem Nichteintreten seitens der britischen Regierung hatte das Land weiter unter der republikanischen Gewalt zu leiden. Ein Jahr darauf, 1976, wurde beschlossen, dass jene Personen, welche aufgrund terroristischer Aktivitäten in Nordirland inhaftiert wurden, nicht länger einen Kriegsgefangenenstatus bekleiden durften, sondern fortan wie „normale“ Kriminelle behandelt würden. Viele der republikanischen Gefangenen protestierten gegen diesen Beschluss und bekleideten sich anstatt mit der Gefängnisuniform mit ihren Bettdecken („Blanket Protest“). Die Protestbewegung erreichte 1981 ihren Höhepunkt, als sich während eines Hungerstreiks, welcher von März bis Oktober dauerte, zehn Gefangene zu Tode hungerten. Bobby Sands, damaliger inhaftierter Anführer der PIRA, wurde während seines Hungerstreiks im Gefängnis Maze ins Parlament gewählt und starb kurz darauf (vgl. Bew/Gibbon/Patterson 2002: 190-201).

Am 15. November 1985 unterzeichneten Verteter Grossbritanniens, Nordirlands sowie Irlands das Englisch-Irische Abkommen („English-Irish Agreement“), welches bestimmte, den Willen des nordirischen Volkes über die Zugehörigkeit Nordirlands zu respektieren, was auch immer es beschliessen möge. Dies hätte ein vereinigtes Irland ermöglicht, sofern eine Mehrheit Nordirlands sich eines Tages dafür entschliessen würde. Währenddem Nationalisten das Vertragswerk mit Wohlwollen zur Kenntnis nahmen, kam es von unionistischer Seite her zu wütenden Protesten und Demonstrationen; 15 unionistische Parlamentsmitglieder traten aus Protest gegen das Abkommen zurück (vgl. Patterson 2006: 258-260).

In den Folgejahren zeichnete sich keine Entspannung ab. Loyalistische und republikanische Paramilitärs mordeten weiter und weder Sicherheitskräfte noch Armee brachten die Situation unter Kontrolle. Währenddem die loyalistischen paramilitärischen Organisationen in den Anfängen des Konflikts verglichen mit der PIRA relativ wenige Morde zu verantworten hatten, töteten sie im Jahr 1991 erstmals mehr Menschen als die PIRA. Die katholische Bevölkerung hatte mit dem Englisch-Irischen Abkommen eine Perspektive; sie waren jedoch noch immer in wichtigen Positionen unterrepräsentiert, und viele unter ihnen hatten weiterhin unter schlechten Wohnverhältnissen zu leiden. Es konnte nicht davon gesprochen werden, dass sich die Situation für die katholische Bevölkerung verbessert hätte (vgl. Patterson 2006: 312 f.).

Im August 1994 kündigen zuerst die PIRA und knappe zwei Monate später die wichtigsten loyalistischen paramilitärischen Organisationen (Ulster Defence Assosiation (UDA), Ulster Volunteer Force (UVF), Red Hand Commando (RHC)) einen Waffenstillstand an. Dieser wird 18 Monate später beendet, als die PIRA 1996 zwei Protestanten durch eine Bombe tötet. Auch während der relativ ruhigen Zeit des Waffenstillstands kam es im Disput um die Oraniermärsche, welche traditionell und nach dem Willen vieler Unionisten auch durch katholische Wohngegenden führen sollen, zu Zusammenstössen. Im Juli 1997 vermeldet die PIRA einen neuerlichen Waffenstillstand; im September darauf beginnen Verhandlungsgespräche über einen dauerhaften Frieden und am 10. April 1998 kommt das Karfreitagsabkommen („Good Friday Agreement“) zustande. Dieses wird in der irischen Republik mit 94 Prozent und in Nordirland mit 71 Prozent der Stimmen angenommen. Der Vertrag hielt folgende Punkte fest:

- Die Regierung der Republik (Irlands) verzichtet auf ihre Forderung nach einer Wiedervereinigung mit Nordirland.
- Irische und nordirische Behörden arbeiten zusammen.
- Die paramilitärischen Organisationen IRA, UDA und UVF erklären ihre Bereitschaft zur Entwaffnung.
- Inhaftierten Untergrundkämpfern wird eine Freilassung in Aussicht gestellt.
- Sollte sich eine Mehrheit der nordirischen Bevölkerung für eine vereinte irische Republik aussprechen, so ist diesem Wunsch Folge zu leisten.
- Grossbritannien verringert seine Truppenpräsenz in Nordirland (vgl. Wichert 1999: 206-217).

Trotz weiterer Gewalt nach Abschluss des Karfreitagsabkommens – zu erwähnen ist vor allem das „Omagh Bombing“ der Real Irish Republican Army (RIRA) vom August 1998, das 29 Menschen das Leben kostete – wurde am Fahrplan, welcher das Abkommen vorgesehen hatte, festgehalten. So wurden beispielsweise viele ehemalige Aktivisten paramilitärischer Organisationen vorzeitig aus der Haft entlassen. 2003 gab die PIRA ihr gesamtes Waffenarsenal ab (vgl. Patterson 2006: 346). Die RIRA ist eine weitere Splittergruppe der PIRA, die sich nach dem angekündigten Friedensprozess abspaltete, da ihre Gründer gegen den Friedensprozess waren. Die RIRA soll noch immer operieren. Infolge einer Reihe von Verhaftungen und freiwilligen Abgängen, wurde die RIRA geschwächt und sorgt heute kaum mehr für Schlagzeilen (vgl. Coakley 2004: 200).

2.3 Die zweigeteilte nordirische Gesellschaft

Die Ansicht, dass die Bewohner der irischen Insel stets eine einheitliche Nation gebildet haben, ist in der irischen Geschichte sehr umstritten. Es existieren keine Hinweise darauf, dass die Bewohner der Insel jemals eine gemeinsame nationale Identität besessen hätten. Das Phänomen Nationalismus scheint neueren Ursprungs zu sein. Dies, obwohl der Nationalismus durch ältere Traditionen wie Religion, Rasse oder Sprache definiert ist (vgl. Girvin 1994: 72-79). Nach dem Abschluss des Englisch-Irischen Vertrages 1921 waren beide konfessionellen Gemeinschaften darum bemüht, ihre Kinder nach den Werten „ihrer“ Religion zu erziehen. Der „Education Act“ von 1923 wollte gemeinsame, gemischt-konfessionelle Schulen, aber insbesondere die katholische Gemeinschaft war damit nicht einverstanden. In Erziehungskommissionen sassen fast ausschliesslich Protestanten ein, so dass die katholische Gemeinschaft keinen Einfluss, beispielsweise auf den Religionsunterricht, nehmen konnte (vgl. Hennessey 1997: 40-43). Ausserdem war die nationalistische Zeitung „Sinn Féin“, welche erst, von 1899 bis 1906, unter dem Namen „The United Irishman“ erschienen war, 1914 von der britischen Regierung verboten worden (vgl. Lee 1980: 142).

Die Teilung Irlands von 1921 erlaubte es der jeweils dominierenden Religionsgemeinschaft der Republik Irlands sowie Nordirlands, ihre kulturelle Kontrolle auf dem eigenen Staatsgebiet auszubauen. Dies betraf Werte, Ethos, Symbolik und die Interpretation der Geschichte. Nordirische Unionisten waren bemüht, eine Abgrenzung ihrer Kultur von jener Irlands zu erreichen. Die Repressalien gegen die katholische Bevölkerung sowie die katholische Protestbewegung für den Erhalt ihrer Werte wurden weiter oben bereits diskutiert (vgl. Kapitel 2).

Unionisten fühlen sich britisch und pflegen britische Werte, währenddessen sich Nationalisten mit Irland identifizieren. Dazu gehört unter anderem, dass sich sportinteressierte Unionisten Fussballspiele anschauen, währenddem sich Nationalisten für irische Sportarten wie Hurling oder Gaelic Football interessieren. In Nordirland gibt es nur (noch) sehr wenige konfessionell gemischte Wohngebiete: Wo Bürger der verschiedenen Konfessionen nebeneinander lebten, wurde meist die eine oder andere Gruppe gewaltsam zur Aufgabe ihrer Wohnungen gezwungen. Die 30 Jahre konfessionellen Bürgerkriegs und der Terror haben in der nordirischen Gesellschaft Wunden hinterlassen, die nur langsam heilen werden (vgl. Ruane/Todd 1996: 178-203).

2.4 Die Konfliktparteien

In den folgenden Kapiteln werden die wichtigsten Akteure des Konflikts beschrieben. Grosse Bedeutung im Hinblick auf die Fragestellung und die zu untersuchenden Frames der Berichterstattung haben insbesondere Ideologien, Ansichten und Einstellungen der Organisationen. Die dokumentierten Positionen der Parteien dienen zur möglichst schlüssigen Frame-Identifikation des zu untersuchenden Samples und ihrer Interpretation.

2.4.1 Nationalismus

Der irische Nationalismus nahm seine moderne Form im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss des kontinentaleuropäischen Nationalismus an. Starke Impulse für die nationalistische Bewegung kamen von Protestanten, welche die alteingesessenen Katholiken und die Neuankömmlinge, die Protestanten, aussöhnen wollten. Das nationalistische Ziel ist ein vereinigtes Irland sowie die Eigenständigkeit der irischen Republik, jedoch nicht ihre komplette Unabhängikeit. Für die irischen Katholiken, welche Jahrzehnte der Unterdrückung und der Armut durchlitten hatten, war ein souveränes, vereinigtes Irland das einzige akzeptable Ziel, welches sie mit voller Überzeugung anstrebten. Nationalisten sind ausserdem für den Erhalt der eigenen Kultur, Sprache und Religion. Nordirische katholische Nationalisten fühlen sich irisch, nicht britisch (vgl. Bruce 1991: 2). Der nationalistische Groll gegen alles Britische ist auf das englische Verhalten in Irlands Vergangenheit zurückzuführen. Es begann mit dem Einfall der Anglo-Normannen in Irland (siehe Kapitel 2). Der nationalistische Willen, Widerstand zu leisten wuchs mit der Hoffnung, dass politische und wirtschaftliche Freiheit endlich Wohlstand bringe und der Verlust der irischen Sprache und Kultur gestoppt werden könne (vgl. Ruane/Todd 1996: 87 f.).

Viele Nationalisten hegen auch Hassgefühle gegenüber den protestantischen Unionisten: Einerseits aufgrund der Enteignungen ansässiger Katholiken im Rahmen der Besiedlungen („Ulster Plantations“) vor vier Jahrhunderten und andererseits wegen der protestantischen Monopolisierung wirtschaftlicher sowie politischer Macht in Nordirland. Das Vereinigte Königreich machen sie für die Vergangenheit und den Status Quo, die Unterdrückung und Benachteiligung der katholischen Bevölkerung, verantwortlich (vgl. Bruce 1991: 3-6).

2.4.2 Republikanismus

Republikaner und Nationalisten sind zu unterscheiden. Im Gegensatz zu Nationalisten fordern Republikaner die komplette nationalstaatliche Unabhängigkeit Nordirlands von England unter einer irisch-republikanischen Regierung. Die Republikaner können als eine Teilgruppe der Nationalisten bezeichnet werden, die (wie in Kapitel 2.2 bereits erwähnt) als radikaler gilt und eine Lösung der Nordirlandfrage mit gewaltsamen Mitteln anstrebt(e)[8]. Die republikanische Ideologie versucht, eine historische Kontinuität des bewaffneten Widerstands gegen die britische Okkupation herzustellen. Die Home-Rule-Initiativen im ausgehenden 19. Jahrhundert liessen die Stimmung unter den irischen Nationalisten zugunsten einer politischen Lösung der Irlandfrage umschwenken. Erst die Radikalisierung des irischen Unionismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der gescheiterte Osteraufstand von 1916 sowie (und vor allem) die unachgiebige Haltung der britischen Sicherheitskräfte gegenüber den Aufständischen, verschafften den militanten Nationalisten neuen Zulauf.

In den folgenden 60 Jahren versank die IRA in der Bedeutungslosigkeit, bevor sie nach Übergriffen radikaler Protestanten auf katholische Bürgerrechtler, Ende der 60er Jahre, neuen Zulauf erhielt. Wenn heute von der IRA die Rede ist, dann ist die Provisional Irish Republican Army (PIRA) gemeint (zur ihrer Gründung: siehe Kapitel 2.4.6.1). Der politische Arm der PIRA, (Provisional) Sinn Féin unter Gerry Adams, versuchte seit den 70er Jahren den eigenen Einfluss auf das Geschehen in Nordirland über eine aktive Teilnahme an der Kommunal- und Regionalpolitik zu vergrössern und konnte ansehnliche Abstimmungserfolge verzeichnen[9] (vgl. Patterson 1994: 398-420).

2.4.3 Unionismus

Nordirischer Unionismus ist der Wunsch nach einer konstitutionellen und institutionellen Verbindung Nordirlands mit Grossbritannien. Die unionistische Bewegung entstand in Folge der nationalistischen Forderungen für ein vereintes Irland und für mehr Rechte für die katholische Bevölkerung. Wie Aughey (1994: 363) bemerkte, wäre der nordirische Unionismus ohne eine Union Nordirlands mit Grossbritannien ohne Sinn und Zweck und ebenso ohne die katholischen Forderungen für ein vereinigtes Irland. Die unionistische Bewegung hat und hatte zwei Hauptziele, respektive -interessen: Die Verteidigung der protestantischen Interessen sowie den Erhalt der Union Nordirlands mit Grossbritannien.

Unionismus steht allerdings für mehr als den Erhalt der Union mit Grossbritannien; der Unionismus will auch die traditionellen britischen Werte erhalten. Dazu gehören die Monarchie, das britische Reich sowie die Privilegien der Bevölkerungsmehrheit (vgl. Coakley 2002: 10). Für Unionisten war das katholische, ländliche, rückständige Irland ein Beispiel für das, was sie nicht wollten. Sie wollten lieber eine Union bilden mit dem dynamischen, progressiven England, weshalb sie sich mit aller Vehemenz gegen Home Rule stemmten, auch deshalb, weil sie sich vor katholischer Dominanz, vor Benachteiligung und mangelnder Sicherheit fürchteten (vgl. Ruane/Todd 1996: 88 f.).

2.4.4 Loyalismus

Die Wurzeln des Loyalismus liegen im 17. Jahrhundert und den damaligen religiösen Konflikten zwischen Protestanten und Katholiken. Loyalismus bedeutet, sich loyal der englischen Krone gegenüber zu verhalten, was wiederum die Voraussetzung für die Unterstützung der Union mit dem Vereinigten Königreich war (vgl. Ruane/Todd 1996: 84/85). Nordirischer Loyalismus bezeichnet die populistischere, die radikalere Form von Unionismus. Nach Coakley (2002: 12 f.) kann Loyalismus gegenüber Unionismus in dreierlei Dimensionen abgegrenzt werden: Loyalismus ist politisch radikaler, religiös fundamentalistisch und eher zur Unterstützung gewaltsamer Aktionen bereit. Der Pfarrer Ian Paisley, auch heute noch die radikale Stimme des nordirischen Loyalismus, vereinte 1971 Fundamentalismus mit einer radikalen politischen Meinung in der Democratic Unionist Party (DUP). Die wichtigsten loyalistischen, paramilitärischen Organisationen sind die UDA, die UVF sowie die Loyalist Volunteer Force (LVF) (vgl. Coakley 2002: 11-13).

2.4.5 Die Parteien

Mit der Einführung von „Direct Rule“ 1972 wurden die Nordirischen Parteien von staatstragenden Parteien zu Protestparteien degradiert. Ihr Einfluss blieb dennoch respektabel und vereinzelte Parteien können als Stimmen gewisser Gemeinschaften bezeichnet werden. Die wichtigsten Parteien und ihre Standpunkte werden in der Folge beschrieben.

2.4.5.1 Nationalistische Parteien

Sinn Féin wurde 1905 in Dublin gegründet und ist der politische Arm der IRA (seit der Teilung der IRA in OIRA und PIRA, 1969, ist Sinn Féin der politische Arm der PIRA, vgl. Kapitel 2.2 und 2.4.6.1 ) – dies gilt heute als gesichert. Sinn Féin ist neben der Social Democratic and Labour Party (SDLP) die zweite grosse Partei für die nationalistische Wählerschaft Nordirlands. Die PIRA hatte dabei den Gewalteinsatz stets als gerechtfertigt erachtet, währenddem die SDLP den Einsatz von Gewalt ablehnte. Sinn Féin setzt sich für ein vereinigtes Irland ein und gilt als radikaler als die SDLP; Sinn Féin wird dem Republikanismus zugeordnet (vgl. Coakley 2002: 16-18).

Die SDLP wurde 1970 von John Hume gegründet und war die gewaltlose Reaktion der katholischen Bürgerrechtsbewegung in den späten 60er Jahren auf die Diskriminierungen durch die herrschende Klasse. Die Vereinigung mit der irischen Republik soll ihrer Ansicht nach gewaltlos geschehen. Die SDLP vereinte während dem Nordirlandkonflikt stets mehr Wähler auf sich als Sinn Féin. Dieses Wählerverhältnis hat sich nach dem Ende des Konflikts langsam zugunsten von Sinn Féin verändert (vgl. Maginess 2002: 33).

2.4.5.2 Unionistische Parteien

Die Democratic Unionist Party (DUP), 1971 gegründet, ist die wichtigste unionistische Partei. Sie hat das Überleben der unionistischen Identität zum Ziel. Unter der Parteiführung von Pfarrer Ian Paisley betreibt sie eine radikale und katholikenfeindliche Politik. Die Partei warnt davor, dass die eine Million starke, protestantische Gemeinschaft in einem vereinigten Irland von der katholischen Gemeinschaft dominiert würde (vgl. Bruce 1991: 2-4). Die Partei befindet sich am rechten Rand des Parteienspektrums, kann als konservativ beschrieben werden, und ist ein entschiedener Gegner des Karfreitagsabkommens (vgl. Coakley 2002: 18) .

Die Progressive Unionist Party (PUP) entstand 1979 und bezeichnet sich selbst als „intensely Unionist, but avowedly socialist in its ideology“. Ihr wird eine Verbindung zur paramilitärischen Ulster Volunteer Force (UVF) nachgesagt. Die Partei steht politisch links und setzt sich vor allem für die Rechte der protestantischen Arbeiterklasse ein, welche auf protestantischer Seite am stärksten unter dem Konflikt litt (vgl. McAuley 2002: 106-109).

Die Ulster Unionist Party (UUP) kann als Partei bezeichnet werden, die einen moderat unionistischen Kurs fährt. Während dem Nordirlandkonflikt wurde die Partei von einer Mehrheit der nordirischen Unionisten unterstützt, hat aber in den letzten Jahren viele Stimmen an die radikalere DUP von Pfarrer Paisley verloren. Die Partei unterstützt eine mit nationalistischen Parteien geteilte Regierung und möchte – wie alle Unionisten – die Union mit Grossbritannien weiter stärken (vgl. Walker 2004: 212-217).

2.4.6 Die paramilitärischen Organisationen

Während dem Konflikt gab es zwei Traditionen unter den paramilitärischen Organisationen: eine republikanische und eine loyalistische (vgl. Coakley 2002: 12). Die wichtigsten republikanischen sowie loyalistischen paramilitärischen Organisationen, deren Kampf über die 30 Jahre des Konflikts ungefähr 3000 Todesopfer forderte, werden nachfolgend beschrieben.

2.4.6.1 Republikanische paramilitärische Organisationen

Die IRA wurde 1916 gegründet und führte im Rahmen ihres Unabhängigkeitskampfes einen Guerilla-Krieg gegen den britischen Besatzer. Sie bekämpfte in den frühen 20er Jahren den Englisch-Irischen Vertrag, welcher 1921 die Teilung Irlands beschloss. Mittels „Bombenkampagnen“ in den 1930er und dann später in den 50er und 60er Jahren sollte ein britischer Rückzug aus Nordirland erzwungen und somit ein geeintes, unabhängiges Irland erreicht werden.

Dies wollte nicht gelingen. In den späten 60er Jahren blieb das Ziel dasselbe, allerdings fand ein Strategiewechsel statt. Die IRA reduzierte ihre gewaltsamen Aktionen und konzentrierte sich stärker auf politische und wirtschaftliche Aufgaben. Der Strategiewechsel gefiel nicht allen Mitgliedern, und 1969 kam es zum Bruch unter den führenden Köpfen innerhalb der IRA. Auslöser war, dass in Belfast konfessionelle Unruhen ausbrachen und die IRA, nun vor allem politisch aktiv, „ihre“ Bevölkerung nicht beschützte. Aus diesem Disput entsprangen die Original Irish Republican Army (OIRA), die ihre Ziele politisch verfolgen wollte sowie die Provisional Irish Republican Army (PIRA), die eine Rückkehr zur Gewalt beschloss. Die PIRA war im Glauben, mit Gewalt und Terror den britischen Besatzer zum Rückzug zwingen zu können (vgl. Bruce 1991: 6).

Galten für die IRA vor 1970 einzig strategische Ziele als legitime Ziele, kam es mit dem Ausbruch des Nordirlandkonfliktes von Seiten aller paramilitärischen Organisationen zu Attentaten auf die Zivilbevölkerung als Vergeltung für Morde an der „eigenen“ Bevölkerung: Wie du mir so ich dir („tit-for-tat“)-Attentate. Die PIRA wurde im Laufe der Jahre und bis zum Ausbruch des Konflikts zu einer der gefährlichsten Terrororganisationen Europas, die über einflussreiche Kontakte, sprudelnde Geldquellen, Waffenlieferanten und ein weites Netz von Sympathisanten in- und ausserhalb des Vereinigten Königreiches verfügte (vgl. Bruce 1991: 20).

Einen Monat nach dem beschlossenen Alleingang gründete die PIRA ihren eigenen politischen Arm: Die Provisional Sinn Féin. Die PIRA war straff organisiert, operierte mit einem Armeerat, dem „PIRA Army Council“, und unterteilte seine Truppen in Bataillone und Brigaden. Die Provisional Sinn Féin politisierte mit unterschiedlichem politischen Erfolg. Ihre enge Verbindung zur PIRA sorgte immer wieder für Unruhe und– nach Anschlägen der PIRA etwa – auch dafür, dass viele Wählerstimmen verloren gingen (vgl. Bruce 1991: 7 f.).

Die PIRA war die bei Weitem wichtigste republikanische, paramilitärische Organisation Nordirlands. Daneben gab es allerdings noch weitere, kleine wie die Irish National Liberation Army (INLA) oder die Irish People`s Liberation Organization (IPLO). Die INLA war eine Splittergruppe aus ehemaligen Mitgliedern der OIRA; die IPLO war eine Splittergruppe aus ehemaligen Mitgliedern der INLA. Die INLA wie auch die IPLO waren bekannt für ihre unbarmherzigen Anschläge, oftmals gegen die Zivilbevölkerung (vgl. Bruce 1991: 19).

2.4.6.2 Loyalistische paramilitärische Organisationen

Die Geburt, respektive das Erstarken der unionistischen paramilitärischen Organisationen, welche sich auf die Fahne schrieben, die Rechte der protestantischen Bevölkerung zu verteidigen, fiel auf die Zeit um 1970. Die wichtigsten heissen Ulster Defence Assiociation (UDA) und Ulster Volunteer Force (UVF). Unter dem Titel Ulster Freedom Fighters (UFF) trat die UDA bei Anschlägen und Morden auf. Diese Organisationen werden in der Folge beschrieben.

Die UVF wurde 1913 mit dem Zweck des gewaltsamen Widerstandes gegen „Home Rule“, die Initiative für ein eigenständiges, unabhängiges Irland, gegründet und verschwand, nachdem „Home Rule“ verhindert werden konnte, von der Bildfläche. Die UVF trat erst mit den zunehmenden Spannungen im Vorfeld des Konflikts in Form einer neuen, grösseren, paramilitärischen Untergrundorganisation wieder in Erscheinung. Sie erklärte der IRA 1966 den Krieg. Nordirische Nationalisten waren das deklarierte Feindbild, welches die UVF bekämpfen wollte. Die Organisation trat ab dem Beginn des Konflikts vor allem durch Ermordungen katholischer Zivilisten in Erscheinung, galt seit der Wiederaufnahme ihrer Aktivitäten ab 1966 mit Ausnahme des ersten Jahres immer als illegal, und engagierte sich ab 1979, in Form der neu gegründeten Progressive Unionist Party (PUP), auch auf dem politischen Parkett (vgl. Coakley 2002: 13 f.).

Die Ulster Defense Association (UDA) ist eine der grössten paramilitärischen Organisation in der westlichen Welt. 1974 zählte sie 50`000 Mitglieder, nachdem sie 1971 aus dem Zusammenschluss verschiedener kleiner loyalistischer Verteidigungsverbände gebildet wurde. Das selbsternannte Ziel der UDA ist es, den Schutz der protestantischen Bevölkerung vor republikanischer Gewalt zu gewährleisten. Ihr wurden Verbindungen zu den staatlichen Sicherheitskräften wie der nordirischen Polizei, der Royal Ulster Constabulary (RUC) nachgesagt, was gerade bei Anschlägen zu Kontroversen führte: In der RUC dienten fast ausschliesslich Protestanten; Nationalisten warfen der RUC immer wieder vor, parteiisch zu sein, nicht zuletzt, weil verschiedentlich Mitglieder loyalistischer paramilitärischer Organisationen auch für die nordirischen Polizei arbeiteten (vgl. Melaugh 2006: 1).

Im Gegensatz zur UVF operierte die UDA lange Zeit gesamtstaatlich und legal. Sie konnte vor allem in ihren Anfängen zeitweise den Anspruch auf eine soziale und politische Massenbewegung erheben, bevor ihre Aktionen, vergleichbar mit jenen der UVF, sich fast ausschliesslich auf Vergeltungsschläge konzentrierten (vgl. Bruce 1994: 382-393). Infolge ihrer anhaltenden Gewalt gegen (katholische) Zivilisten wurde sie 1991 verboten. Ihr politischer Arm war die Ulster Democratic Party (UDP), die von 1989 bis 2001 existierte und weitgehend erfolglos blieb. Die meisten ihrer Morde vollstreckte die Organisation unter dem Decknamen Ulster Freedom Fighters (UFF), um unter anderem zu verhindern, dass die Organisation verboten werde. Die UFF ihrerseits war hierarchisch strukturiert und kannte militärische Dienstgrade und Truppengattungen (vgl. Crawford 2003: 20-28).

Weitere loyalistische paramilitärische Organisationen wie das Red Hand Commando (RHC) und die Loyalist Volunteer Force (LVF) hatten ebenfalls eine Reihe von Morden zu verantworten, spielten allerdings eine vergleichsweise unbedeutende Rolle (vgl. Bruce 1991: 4). Bruce (1992: 1) beschrieb die präferierten Ziele loyalistischer Gewalt folgendermassen: Katholiken, welche sich in protestantischen Gegenden bewegen oder dort wohnen, folglich also am einfachsten „verfügbar“ sind.

2.4.6.3 Der unterschiedliche Charakter der Kriegsführung

Terroristische Organisationen wollen durch ihre Aktionen oftmals, wie die PIRA, öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen (vgl. Ryan 2004: 364). Die Art wie die PIRA zumeist mordete, mittels Bombenanschlägen, war nicht bloss skrupellos, sondern sorgte für starkes mediales Interesse und eine (internationale) Bekanntmachung ihrer Ziele. Die protestantischen paramilitärischen Organisationen ihrerseits mordeten (und vergalten) grösstenteils mittels Feuerwaffen. Dies mag auch aufgrund der weniger versierten Kenntnisse über den Bau von Bomben der Fall gewesen sein, vermutlich aber nicht nur.

Wie erwähnt wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit Medienframes der Berichterstattung über den Nordirlandkonflikt von zwei vergleichbaren Anschlägen und ihrer Vergeltung untersucht. Die folgenden Abschnitte fassen aus diesem Grund die betrachteten Ereignisse kurz zusammen.

3. Medien

In den folgenden Kapiteln sollen die Mediensysteme des Vereinigten Königreiches und Irlands – insbesondere die für den Zeitungsmarkt, respektive für die in dieser Arbeit relevanten Aspekte - sowie die untersuchten Medien beschrieben werden. Das Ziel ist es, wichtige Elemente zu beschreiben, welche die im Laufe der Untersuchung identifizierten Frames und insbesondere die Unterschiede, welche möglicherweise bestehen, erklären helfen.

3.1 Mediensysteme des Vereinigten Königreichs und Irlands

Die britischen Medien haben sich, insbesondere im Vergleich mit anderen westeuropäischen Ländern im 20. Jahrhundert, sehr langsam aber kontinuierlich verändert. Das britische Mediensystem war charakterisiert durch einen Kompromiss zwischen öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Elementen: Währenddem die Mehrzahl der Medienunternehmen profitorientierte, private Unternehmen darstellten, verfolgte unter Anderem „The Times“ vorerst eine „non-profit“-Strategie. Nach dem Verkauf des Medienunternehmens „Northcliffe“ an die Astor Familie 1967 änderte sich dies auch bei „The Times.“

Britische Zeitungen schauten lange Zeit nach Nordamerika, um sich durch neue Ideen und Innovationen aller Art inspirieren zu lassen (vgl. Tunstall 1997: 244 f.). Währenddem in Nordirland die Berichterstattung (vor allem von „Irish News“ und „News Letter“) sehr stark von den Ideologien der verschiedenen Gruppierungen geprägt ist, hat sich in Grossbritannien eine starke Beziehung mit gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen dem Staat und Medien etabliert (vgl. Hallin/Mancini 2004: 233 f.).

Sämtliche Zeitungen des qualitativ höher stehenden „up-market“ des Vereinigten Königreiches werden in englischer Sprache veröffentlicht (vg. Tunstall 1997: 258). Im Vereinigten Königreich ist die Presse, verglichen mit jener in vielen anderen europäischen Ländern, erfolgreich und geniesst ausserdem günstige Rahmenbedingungen. Beispielsweise ist sie befreit von der Mehrwertsteuer und an sehr wenige Gesetze gebunden. Die für sie wichtigsten Gesetze sind Wettbewerbs- und Monopolgesetze (vgl. Tunstall 1997: 250). Die Auflage britischer Zeitungen blieb zwischen 1975 und 1995 stabil, währenddem sich der durchschnittliche Umfang der Zeitungen verdoppelte. Im Gegensatz zu Boulevardzeitungen, die sich vor allem durch Zeitungsverkäufe finanzieren, werden Qualitätszeitungen wie „The Times“ mehrheitlich durch Werbung finanziert (Tunstall 1997: 249).

In Irland werden zwei offizielle Landessprachen gesprochen: Englisch und Irisch. Jedoch leben lediglich 2 % der Bevölkerung in “Gaeltacht“, dem irisch-sprachigen Teil im Westen der Insel (vgl. Kelly/Truetzschler 1997: 110). Die irische Verfassung deklarierte Irland 1937 als unabhängigen, souveränen, demokratischen Staat. Die politische Kultur des Landes ist traditionell eher katholisch, denn konservativ (vgl. Kelly/Truetzschler 1997: 111). Die drei grossen Tageszeitungen sind „Irish Times“, „Irish Independent“ sowie „Irish Press“. Bei der Gründung waren alle drei mit einer gewissen politischen Tradition verbunden: Die „Irish Times“ mit den Unionisten, „Irish Independent“ mit den Nationalisten, „Irish Press“ mit Sinn Féin und dem Republikanismus. Seit 30 Jahren haben sich die Zeitungen, ihre Verbindungen und der Zeitungsmarkt jedoch stark verändert: Die Zeitungen haben sich immer mehr von ihren Parteienbindungen entfernt, um die Auflage zu erhöhen; die Leserschaft der verschiedenen Zeitungen konnte immer genauer nach Einkommensschicht und Region ausdifferenziert werden (vgl. Kelly/Truetzschler 1997: 112).

Irlands Presse untersteht keinem spezifischen Pressegesetz. Die Pressefreiheit wurde abgeleitet aus der Meinungsfreiheit, welche in der irischen Verfassung festgehalten ist. Ausländern ist es nicht verboten, Anteile an irischen Zeitungen zu besitzen. Jedoch sind Anteile an Medienunternehmen durch ausländische Investoren limitiert (vgl. Kelly/Truetzschler 1997: 114). Auf dem irischen Zeitungsmarkt konkurrenzieren in erster Linie die zahlreiche Titel veröffentlichende „Independent Newspaper Group“, „Irish Times Trust“, „Irish Press“ sowie der „Cork Examiner“ (vgl. Kelly/Truetzschler 1997: 115).

Von Journalisten nordirischer Zeitungen wird in der Regel erwartet, dass sie Stellung beziehen. Dies beginnt mit der Bezeichnung Nordirlands: Nationalisten sprechen von Nordirland als „the North of Ireland“, Unionisten bezeichnen es als „Ulster“. „Northern Ireland“ ist die von britischen Journalisten und Politikern bevorzugte Bezeichnung für Nordirland, währenddem in der irischen Republik der Begriff „the North“ am gebräuchlisten ist. Zeitungen in- und ausserhalb Nordirlands wenden bei ihrer Berichterstattung über den Nordirlandkonflikt einen unterschiedlichen „fairness“-Massstab an, der von der Leserschaft sowie von Restriktionen seitens der Regierungen abhängt (vgl. O`Farrell 1998: 97). Die Zeitungen ausserhalb Nordirlands – je weiter entfernt, desto stärker – berichten objektiver und weniger tendenziös über den Konflikt, als nordirische Zeitungen. Dies hängt damit zusammen, dass, in weltweiten Massstäben gemessen, der Nordirlandkonflikt nur ein Krieg unter Dutzenden ist (vgl. O`Farrell 1998: 98 f.).

3.2 Nordirische Zeitungen

Die drei nationalen Zeitungen Nordirlands, welche in den folgenden Kapiteln vorgestellt werden, unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. Neben thematischen und ideologischen Unterschieden driften auch die Auflagen zumindest zwischen „Belfast Telegraph“ und den beiden kleineren Zeitungen „Irish News“ und „News Letter“ stark auseinander.

3.2.1 Belfast Telegraph

Der „Belfast Telegraph“ nimmt eine liberale, gemässigt unionistische Position ein. Er bemüht sich so zu berichten, dass die Berichterstattung von Mitgliedern beider Konfessionen akzeptiert wird (vgl. Wolfsfeld 2001: 1): Die Zeitung bietet allen politischen Parteien des Konflikts die Möglichkeit, ihre politischen Standpunkte zu vertreten (vgl. O`Farrell 1998: 97). Rolston (1991: 57) schrieb, dass sich die Leserschaft des „Belfast Telegraph“ durch Mitglieder beider Konfessionen in etwa so zusammensetzt, wie dies in der Gesamtbevölkerung Nordirlands auch der Fall ist. Um ihrem Anspruch gerecht zu werden, für Leser beider Konfessionen attraktiv zu sein, werden vor allem Nachrichten mit relativ kleinem Konfliktpotential publiziert oder es wird über Ereignisse möglichst neutral berichtet. Im Gegensatz zu den anderen beiden nationalen Zeitungen Nordirlands, der „Irish News“ und dem „News Letter“, legt der „Belfast Telegraph“ den Fokus auf finanziellen Erfolg und nicht auf die Verbreitung einer Ideologie (vgl. Bairner 1996: 178). Der „Belfast Telegraph“ ist die grösste nordirischen Zeitung und verzeichnete in den Jahren des Konflikts eine Auflage von etwa 140`000 Exemplaren (vgl. Wilson 2007: 1).

3.2.2 Irish News

Die Positon der „Irish News“, die 1855 gegründet wurde und heute über eine Auflage von ca. 43`000 Exemplaren verfügt (vgl. Bairner 1996: 178), beschreibt O`Farrell (1998: 97) als „nonviolent nationalist“. Folglich bilden Nationalisten ohne Republikaner das Zielpublikum der Zeitung. Die „Irish News“ vertritt eine kritische Haltung gegenüber der republikanischen Gewalt, tendiert jedoch dazu, Grossbritannien und Unionisten die Schuld für das Leid des Nordirlandkonflikts zu geben (vgl. O`Farrell 1998: 97). Die „Irish News“ ist das Gegenstück zum „News Letter“ und wird fast ausschliesslich von Katholiken gekauft (vgl. Bairner 1996: 177): Katholische Persönlichkeiten werden vermehrt thematisiert; gälische Sportarten finden stärkere Beachtung als englische; wird über schottischen Fussball berichtet, dann ist Celtic Glasgow, ein Fussballklub, welcher von irischen Katholiken gegründet wurde, das Hauptthema; irische Kultur und die katholische Kirche sind wichtige Bestandteile der Zeitung (vgl. Bairner 1996: 178). Die „Irish News“ sind vollständig im privaten Besitz der Familie Fitzpatrick (vgl. Gosling 2005: 1).

3.2.3 News Letter

Der „News Letter“, 1737 gegründet, kann gemäss O`Farrell (1998: 97) als unionstische Zeitung bezeichnet werden, die politisch rechts der Mitte positioniert werden kann. Die Zeitung identifiziert sich nicht mit den loyalistischen paramilitärischen Organisationen, ergreift jedoch offen Partei gegen irischen Nationalismus generell sowie gegen die PIRA und Sinn Féin im Speziellen. Sie wird fast ausschliesslich von Protestanten gekauft (vgl. Bairner 1996: 177).

Die Zeitung verwendet für die irische Republik den Begriff „Eire“ und nennt den irischen „Prime Minister“ „taoiseach“: Die beiden gälischen Begriffe werden verwendet, um die Unterschiede zwischen Grossbritannien und Irland aufzuzeigen und zu betonen (vgl. O`Farrell 1998: 97). Weitere Facetten, welche Unterschiede betonen sollen, sind regelmässige Berichte über „Ulster traditions“, oder über den Oranierorden. Dass ausschliesslich Protestanten zur Zielgruppe des „News Letters“ gehören, kann mit weiteren Beispielen untermauert werden: Publizierte Todes- oder Geburtsanzeigen betreffen grösstenteils Protestanten Nordirlands; nur Veranstaltungen der protestantischen Kirchen werden in der Zeitung angekündigt; die Sportberichterstattung konzentriert sich auf Sportarten, die von Protestanten – d.h. keine gälischen Sportarten wie hurling oder gaelic football - dominiert werden (vgl. Bairner 1996: 177 f.). Der „News Letter“ hatte in den Jahren des Konflikts eine Auflage von ungefähr 37`000 Exemplaren (vgl. Wilson 2007: 1).

3.3 Zeitungen ausserhalb Nordirlands – Irish Times (Dublin) und The Times (London)

Nachfolgend werden die beiden in der Untersuchung berücksichtigten Zeitungen „Irish Times“ aus Irland sowie „The Times“ aus England vorgestellt:

Die „Irish Times“, eine nationale Tageszeitung, ist politisch auf gemässigtem, nationalistischem Kurs („soft nationalist“) und vertritt die Ansicht, dass ein vereintes Irland nur mit dem Einverständnis der Unionisten zustande kommen sollte (vgl. O`Farrell 1998: 99). Die Leser der „Irish Times“ kommen grösstenteils aus der Ober- und Mittelschicht (vgl. Kelly/Truetzschler 1997: 115); die Auflage in der Republik Irland beläuft sich auf etwa 100`000 Exemplare (vgl. Kelly/Truetzschler 1997: 124).

Die als Qualitätszeitung geltende Londoner „The Times“ wurde 1785 gegründet und nimmt eine pro unionistische Haltung ein (vgl. O`Farrell 1998: 99). Die Zeitung ist seit 1980 im Besitz des Australiers Rupert Murdoch, der über ein Drittel des britischen Zeitungsmarktes kontrolliert und hat eine Auflage von ungefähr 700`000 Exemplaren (vgl. Hübner/Münch 1998: 110). Zuvor war die Zeitung 1967 von der Astor Familie and dem kanadischen Verleger Roy Thomson verkauft worden (vgl. Tunstall 1997: 245). Heute gilt sie noch immer als Zeitung, die rechts der Mitte politisiert sowie als Unterstützerin der „Conservative Party“[10] des Vereinigten Königreiches (vgl. Tunstall 1997: 246 f.).

[...]


[1] Der Konflikt zwischen den Katholiken und Protestanten Nordirlands hat eine lange Vorgeschichte; als Nordirlandkoflikt bezeichnet wird jedoch nur die Phase ab der gewaltsamen Eskalation („Bloody Sunday“, 1972) bis zum Abschluss des Karfreitagsabkommens (1998).

[2] Es soll in dieser Arbeit dem Vorschlag von Leonarz (2004: 160) gefolgt werden, nach dem für Framing die Begriffe (Framing-)Ansatz oder (Framing-)Konzept gebraucht werden, währenddessen das aktive „framen“, da es nicht in als „geframt“ verdeutscht werden soll, als Inszenieren bezeichnet wird.

[3] Ulster, welches ursprünglich aus 9 Grafschaften (Counties) im Norden Irlands bestand, wird heute von der unionistischen Gemeinschaft oft als Synonym für Nordirland verwendet. Nordirland besteht aus 6 Grafschaften; 3 verblieben nach der Gründung des Freistaates (1922) bei der Republik Irland.

[4] Die jährlichen Oraniermärsche (des Orange Order) zelebrieren den Sieg von William of Orange von 1693 gegen die Katholiken. Die Oranier sind ein Zusammenschluss von Protestanten, der seit 1795 existiert und unter Anderem Sozialwohnungen und Arbeitsplätze an Protestanten vermittelt. Dem Orden wird anti-Katholizismus vorgeworfen.

[5] In Westminster, einer Region im Grossraum Londons, befinden sich der Sitz des englischen Parlaments sowie der Regierung, wofür „Westminster“ steht.

[6] Beschlossene Verhaftungen (von Katholiken) ohne Anklage oder konkreten Verdacht.

[7] Die IRA teilte sich 1969 nach internem Disput über die Aufgabe und vor allem den Gewalteinsatz zur Erreichung ihrer Ziele in die Original Irish Republican Army (OIRA), welche die angestrebten Ziele auf politischem Weg erreichen wollte, und die Provisional Irish Republican Army (PIRA), die sich für ein gewaltsames (militärisches) Erreichen eines von Briten gesäuberten Irland und vor allem für gleiche Rechte für Katholiken aussprach. In Erzählungen nach 1969, welche die IRA erwähnen, meinen stets die PIRA.

[8] Wie man heute (im März 2007) weiss, haben die Republikaner mittlerweile der Gewalt abgeschworen und den Willen des nordirischen Volkes akzeptiert, was eine gemeinsame Regierung mit den pro-britischen Unionisten zu ermöglichen scheint. Die folgenden Monate werden zeigen, ob es zu einer nordirischen Selbstverwaltung kommt, die nächsten Jahre, ob die Normalisierung anhält und die Wunden heilen können.

[9] Der politische Arm der OIRA ist heute die „Workers Party of Ireland.“

[10] Die Mitglieder der „Conservative Party“ werden (oftmals) „Tories“ genannt, da die Partei aus der „Tory Party“ entstanden ist.

Ende der Leseprobe aus 126 Seiten

Details

Titel
Eine vergleichende Framing-Analyse der Berichterstattung über vier Ereignisse des Nordirlandkonflikts in Zeitungen des Vereinigten Königreiches und Irlands
Hochschule
Universität Zürich  (Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich)
Veranstaltung
Abschlussdiplomarbeit
Note
1.5
Autor
Jahr
2007
Seiten
126
Katalognummer
V121810
ISBN (eBook)
9783640268764
ISBN (Buch)
9783640268108
Dateigröße
2760 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nordirland, Framing, IRA, UDA, UK, Irland, Zeitungen, Konflikt, Troubles, Northern Ireland, INLA, Irish Republican Army, United Kingdom, Belfast Telegraph, Irish Times, Irish News, News Letter, Frames
Arbeit zitieren
Master of Arts UZH Stefan Heini (Autor:in), 2007, Eine vergleichende Framing-Analyse der Berichterstattung über vier Ereignisse des Nordirlandkonflikts in Zeitungen des Vereinigten Königreiches und Irlands, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121810

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