Der Mythos Bhagat Singh im Hindifilm


Epreuve d'examen, 2008

58 Pages, Note: 1,5


Extrait


Inhalt

Einleitung

1 Filmanalyse: Der Mythos Bhagat Singh in The Legend of Bhagat Singh
1.1 Inhaltliche Struktur und Formaler Aufbau
1.2 Film und Historische Vorlage
1.2.1 Figuren
1.2.2 Ereignisse
1.3 Genrekonventionen und Besonderheiten des Erzählstils
1.3.1 Der Vorspann und der Abspann
1.3.2 Lieder und Emotionalität
1.3.3 Realitätsbezug und Historischer Anspruch
1.4 Der Mythos: Legendäre Elemente im Film
1.4.1 Die Frau in Bhagats Leben
1.4.2 Die Flucht in Verkleidung
1.4.3 Die Rolle Gandhis

2 Bhagat Singh in anderen Hindifilmen
2.1 Gemeinsamkeiten der Filme
2.2 Unterschiede der Filme

3 Zusammenfassung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anhang A

Bibliographie

Einleitung

Bhagat Singh’s fearlessness and sacrifice electrified the political atmosphere at a time lethargy had set in. The cry ‚Long Live Revolution’ was popularised by him. He raised it in a British court of law, and the echoes are heard today, everyday in every Indian street. Though Bhagat Singh is dead, when people cry or hear ‚Long Live revolution’, the other cry, ‚Long Live Bhagat Singh’ is ever implied therein. (Yadav 2006: 110)

Noch heute, über 75 Jahre später, assoziieren die Menschen in Indien mit dem Schlachtruf

„Inquilab Zindabad – Lang lebe die Revolution!“ diesen jungen Mann, der bereits im Alter von 23 Jahren von den Briten gehängt wurde, weil er im Kampf um die indische Unabhängigkeit 1928 einen britischen Polizisten erschossen hatte. Die Epoche zwischen den zwei Weltkriegen sah in Indien viele opferbereite Inder, die bereit waren, für ihr Land und dessen Unabhängigkeit zu sterben1. So wie eben auch im März des Jahres 1931 in Lahore, als Bhagat Singh zusammen mit Sukhdev und Rajguru, zwei weiteren Revolutionären, am Galgen starb.

In ihrem Streben nach Unabhängigkeit vom britischen Empire mögen sie Mahatma Gandhi oder Subhash Chandra Bose geähnelt haben, ihre Methoden jedoch waren höchst unterschiedlich, ebenso wie ihre politischen Ansichten und Pläne für ein freies Indien. Gandhis Propaganda der Gewaltlosigkeit und der Non-cooperation zielte auf einen friedlichen, aber auch langjährigen Prozess, ab, während Bose vor allem auf Hilfe aus dem Ausland hoffte und dessen Staatsvorstellungen durchaus faschistische Züge trugen. Bhagat Singh dagegen war durch und durch Kommunist, der von einer klassenlosen Gesellschaft träumte und sich auch nicht davor scheute, seine Ansichten gewaltsam durchsetzen zu wollen. Er erlangte jedoch niemals die indienweite Popularität eines Gandhi und ist in unseren Breiten nahezu unbekannt geblieben. In Indien dagegen kennt beinahe jedes Kind die heldenhafte Geschichte von Bhagat Singh und seinen zwei Freunden Rajguru und Sukhdev, die mit ihm kämpften und schließlich mit ihm starben.

Große Heldenerzählungen bilden dabei oft die Grundlage für die Ausbildung von Mythen und Legenden und so ist es nicht verwunderlich, dass viele Inder Bhagat Singh heute glorifizieren und ihm gern eine größere Rolle beimessen möchten, als er tatsächlich spielen konnte. Da er bereits im Alter von 23 Jahren als Märtyrer in die Geschichte des indischen Subkontinents einging, ranken sich auch heute noch allerlei Legenden und Verschwörungstheorien um die revolutionären Bestrebungen und schließlich die Hinrichtung dieses jungen Mannes. Es ist daher wohl nicht besonders überraschend, dass sich neben der Literatur, vor allem auch die indische Filmindustrie in der Interpretation und Darstellung eines so kurzen, aber ereignisreichen Lebens versucht hat. Korrekterweise muss hinzugefügt werden, dass es sich hierbei um Filmproduktionen aus Mumbai handelt, also sogenannte Bollywoodfilme, die nur einen Teil der Indischen Filmindustrie darstellen, wenn auch den größten.

Es gibt Elemente in den Filmen, die ein starkes Wiedererkennungspotential haben, sei es, weil sie Teil der indischen Geschichte sind oder weil sie besonders spektakulär erscheinen, die das Grundgerüst für den Mythos Bhagat Singh bilden. Besonders anschaulich und chronologisch erfolgt deren Darstellung im Hindifilm The Legend of Bhagat Singh von Rajkumar Santoshi, weswegen hier auch der Hauptschwerpunkt auf diesem Film liegen soll. Die Grundlage bildet dafür eine DVD Neuveröffentlichung von Madhu Entertainment, deren Bildqualität leider deutlich schlechter ist, als die der Original DVD von TIPS Films von 2002, die jedoch im Handel vergriffen ist. Das Verständnis des Films, sowie etwaige Zitate aus diesem, beziehen sich ausschließlich auf die englischen Untertitel und nicht auf die Originaldialoge in Hindi.

Die Sekundärliteratur zu Bhagat Singh stammt zum Großteil aus Indien und ist mit Bedacht zu behandeln, weil sich gezeigt hat, dass viele der Erläuterungen und Anekdoten zu Bhagat Singh oftmals der Glorifizierung und propagandistischer Schönfärbung unterlagen. Um die Wirkung des Films in Indien einschätzen zu können, stützt sich diese Arbeit auch zu einem nicht unerheblichen Teil auf Filmbesprechungen und Nachrichten diverser deutscher, amerikanischer und indischer Onlineplattformen und Onlinezeitungen. Ausgehend davon soll untersucht werden, wie und ob The Legend of Bhagat Singh es schafft, den Mythos Bhagat Singh den historischen Überlieferungen gemäß darzustellen und dabei dennoch eigene Ansätze zu finden. Es soll deutlich werden, was den zum Tode verurteilten Revolutionär so einzigartig macht und wie dies im Medium Film seine Umsetzung findet.

Die Filmanalyse selbst gliedert sich in vier größere Unterpunkte. Im ersten Teil erfolgt zunächst eine inhaltliche Analyse des Films, um seine narrative Strukturen zu durchleuchten und einen Überblick über den Handlungsverlauf zu geben. Mit Hilfe eines Sequenzprotokolls werden außerdem wichtige Gliederungsmomente, wie etwa Plotpoints,

Midpoints oder Höhepunkte innerhalb des Films festgehalten. Die Arbeit orientiert sich dabei an den Einführungen zur Drehbuchstruktur von Syd Field2. Für die systematische Analyse des Films wurden außerdem Theorien von Helmut Korte3 und Nils Borstnar et al.4 zu Rate gezogen. Anschließend erfolgt eine Analyse der Figuren und wichtiger Ereignisse im Hinblick auf die historischen Vorlagen, um zu sehen, wie der Film diese einsetzt, um den Mythos zu konstruieren und eventuell weiterzuentwickeln. Des Weiteren kommen Besonderheiten des Erzählstils zur Sprache, wie etwa der Einsatz von Liedsequenzen, die spezielle Umsetzung des Vor- und Abspanns, sowie diverse Mittel zur Erzeugung von Authentizität. Zuletzt werden legendäre Elemente im Film untersucht, die entweder zum allgemeinen Kanon um Bhagat Singh zählen, die speziell in diesem Film Ausdruck finden oder hier besonders behandelt werden. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, was den Begriff Mythos heutzutage überhaupt charakterisiert und wie man mangels einer einheitlichen Definition die Legende von Bhagat Singh in das bestehende Mythenkonzept einordnen kann.

Das letzte Kapitel gibt schließlich einen Überblick über weitere Hindifilme, die sich thematisch mit Bhagat Singh beschäftigen und konzentriert sich dabei hauptsächlich auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu The Legend of Bhagat Singh. Zu den Vergleichsfilmen gehören Guddu Dhanoas 3 1st March 1931: Shaheed, der 2002 zeitgleich mit Legend in Indien erschien, sowie Sukumar Nairs Shaheed-E-Azam aus demselben Jahr. Es ist immerhin, selbst für indische Filmverhältnisse, eher außergewöhnlich, dass in einem Jahr gleich fünf Filme zu ein und demselben Thema produziert werden sollten.

1 Filmanalyse: Der Mythos Bhagat Singh in The Legend of Bhagat Singh

1.1 Inhaltliche Struktur und Formaler Aufbau

Mit einer Länge von 155 Minuten übersteigt dieser Film sicherlich das normale Limit für europäische Filmproduktionen, liegt aber für indische Verhältnisse durchaus im guten Mittelfeld. Gemessen am Inhalt bewegt er sich damit aber sicherlich auch in der Tradition anderer Historienfilme und sogenannter Biopics, die das Leben berühmter Persönlichkeiten nachzeichnen, wie etwa Ben Hur (1959), Lawrence of Arabia (1962) oder Richard Attenboroughs Gandhi (1982). Trotz seiner Überlänge und einer Vielzahl von Charakteren und Handlungselementen, lässt sich die Handlung dennoch relativ klar in zwölf größere Sinnabschnitte oder Sequenzen gliedern. Dem untergeordnet, finden sich bis zu acht kleinere Einheiten. Die folgende Sequenzgrafik (Abb.1 ) veranschaulicht die Abfolge und zeitliche Struktur auch visuell.

The Legend of Bhagat Singh zeichnet das Leben des indischen Freiheitskämpfers Bhagat Singh nach, der vor allem in den 1920er Jahren aktiv war und 1931 schließlich von den Briten gehängt wurde. Auf drei wesentliche Besonderheiten des Films sei vorab bereits hingewiesen, nämlich erstens: Der gesamte Film ist als eine Art Rückblende konzipiert, so dass der Zuschauer bereits zu Beginn das Ende der Geschichte kennt. Zweitens: Die teils fiktionalisierte Lebensgeschichte Bhagat Singhs ist durchzogen von real historischen Ereignissen, die in jedem Lexikon nachgeschlagen werden können, wodurch ein gewisses Maß an Authenzität erreicht wird. Und drittens: Einige besonders emotionale Momente werden, wie im kommerziellen Hindifilm üblich, durch Lieder porträtiert, welche in der Grafik kursiv markiert sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Sequenzgrafik THE LEGEND OF BHAGAT SINGH

Der Film beginnt mit einem stakkatoartigen Zusammenschnitt verschiedener Szenen aus dem Film, der im angedeuteten Tod Bhagat Singhs kulminiert (1.1.). Anschließend werden drei Leichname aus dem Zentralgefängnis in Lahore heimlich abtransportiert, während parallel dazu vor den Mauern, Anhänger Bhagat Singhs für dessen Freilassung demonstrieren. Nachdem bestätigt wurde, dass es sich um die Körper von Bhagat Singh, Sukhdev und Rajguru handelt (1.2.), erfolgt eine Rückblende auf Gandhi wenige Tage zuvor in Lahore, der beschuldigt wird, die drei nicht vor dem Tod gerettet zu haben. Dort erinnert sich Kishan Singh, Bhagats Vater, in einer weiteren Rückblende an das Leben seines Sohnes (1.3.).

Bereits in jungen Jahren war dieser Zeuge der Brutalität der Briten geworden, was neben den Ausschreitungen zur Veröffentlichung der Rowland Acts (2.1.), vor allem am Massaker im Jallianwallah Bagh (2.2.) eindrücklich deutlich gemacht wird. Schon als kleiner Junge wird Bhagat deshalb zum begeisterten Anhänger Gandhis und dessen Non-Cooperation Movement und ist nach dessen plötzlicher Beendigung am Boden zerstört (2.3.).

Einige Jahre später sieht man nun eine Gruppe junger Männer, u.a. Sukhdev und Yashpal, wie sie am National College in Lahore ihre Mitstudenten für ihre Abhängigkeit von den Briten kritisieren (3.1.). Bhagat Singh ist inzwischen selbst ein stattlicher junger Mann geworden, der vor allem durch Theateraufführungen des Colleges bekannt ist und ebenso wird er nun auch im zweiten Lied eingeführt: Singend und tanzend für einen hochrangigen britischen Gast (3.2.), wobei er aber die britische Regierung kritisiert und damit Sukhdevs Freundschaft gewinnt. Im Laufe der Handlung kommt es zu einem Konflikt zwischen Bhagat und seinen neuen Freunden und einer Gruppe britischer Cricketspieler (3.3.). Letztere schlagen in einem Kino, dass streng nach Indern und Briten getrennt ist, einen Moslem zusammen (3.4.) und werden später dafür von Bhagat und Sukhdev in der Nacht verprügelt (3.5. und 3.6.). Ein Professor des Colleges, Professor Vidyalankar, kritisiert diese brutalen Methoden und schlägt den Jugendlichen vor, der HRA beizutreten (3.7.). Als Bhagat zwischenzeitlich zur Farm seiner Familie heimkehrt, erfährt er von seiner, durch seine Eltern arrangierten, Hochzeit mit Mannewali (4.1.). Er lehnt dies jedoch vehement ab und flüchtet schließlich aus seinem Elternhaus, einen Abschiedsbrief hinterlassend (4.2.).

Entsendet von Professor Vidyalankar, begibt sich Bhagat nach Kanpur, um sich dort bei einem Treffen der HRA einzufinden. Diese plant just in diesem Moment einen Zugüberfall in Kakori, um Geld für ihre Tätigkeiten von der britischen Regierung zu erbeuten. Bhagat hält eine eindrucksvolle Rede und Ram Prasad Bismil heißt ihn im Kreis der HRA willkommen (5.1.). Nach dem Kakori Zugüberfall (5.2.) werden sämtliche Verantwortliche festgenommen, gefoltert und verurteilt. Man wähnt sich am Ende, doch Bhagat Singh spricht allen Mut zu und kann selbst den Kopf der Organisation, Chandrashekhar Azad, davon überzeugen, weiterzumachen (5.3.). Die Protestaktionen der neu gegründeten Naujawan Bharat Sabha in Lahore leiten schließlich zum 3. Lied über (5.4.). Zum ersten Mal sieht man einen Briten Stellung nehmen: Emerson befiehlt die Festnahme Bhagats, was nach einem fingierten Bombenanschlag auch geschieht (5.5.). Nur dank einer großzügigen Kaution durch Kishan Singh kommt er danach wieder frei (5.6.). Erneut kehrt Bhagat daraufhin nach Hause zurück, um bei der Farmarbeit zu helfen. Er verspricht seiner Familie, nicht mehr fortzugehen und plant von dort aus weitere Aktionen mit seinen Kameraden (6.1.). In einem 4. Lied träumt Mannewali von ihrer unerwiderten Liebe zu Bhagat (6.2.).

Um sämtliche Protestaktionen noch besser koordinieren zu können, wird ein Treffen mehrerer Untergrundorganisationen geplant. Rajguru überbringt mitten in den Vorbereitungen eine Nachricht Azads und gehört von nun an zum engeren Kreis Bhagat Singhs (7.1.). Das Treffen im Ferozshah Kotla in Delhi besiegelt den weiteren Weg der HRA: Sie benennt sich um in HSRA und folgt fortan Bhagats Zukunftsvision eines sozialistischen Staates (7.2.). Als erstes möchten sie die Simon Commission zum Scheitern bringen. Bei einer friedlichen Demonstration wird Bhagats Vorbild Lala Lajpat Rai von britischen Polizisten niedergeschlagen (7.3.) und stirbt schließlich an den Folgen seiner Verletzungen. In einer großen Trauerfeier bekunden Bhagat und Sukhdev ihren Respekt (7.4.).

Aufgewühlt durch den Tod Lajpats verurteilen Azad und Sukhdev die britische Polizei und die Handlungsunfähigkeit des indischen Kongresses. Bhagat fasst daraufhin den Entschluss, den Polizeichef Scott aus Rache zu töten (8.1.). Ein genauer Plan wird ausgearbeitet und schließlich ist der Tag der Tat gekommen. Ein Irrtum Jaigopals führt schließlich zum Mord an Saunders anstelle Scotts (8.2.). Die drei (Bhagat, Rajguru und Azad) müssen nun versuchen, unerkannt die Stadt zu verlassen, nachdem Emerson diese hat abriegeln lassen (8.3.). Bhagat entkommt als Gentleman verkleidet mit Rajguru als seinem Diener; Azad spielt die Rolle eines asketischen Wanderpredigers (8.5.).

Um die Bestrebungen der HSRA indienweit bekannt zu machen, beschließen Bhagat und Azad einen Bombenanschlag. Hierzu holen sie sich professionelle Hilfe des Chemikers Jatin Das in Calcutta (9.1.). Die, nach dem gewaltsam niedergeschlagenen Streik in der Bombay Textile Mill vorgeschlagene Public Safety Bill (9.2.), wird zum Auslöser, den Plan wirklich in die Tat umzusetzen (9.3.). Als das Gesetz von Lord Irwin in Delhi angenommen wird, zünden Bhagat und Dutt eine Bombe und skandieren „Inquilab Zindabad – Lang lebe die Revolution!“. Sie lassen sich verhaften und werden vor Gericht geführt (9.4. und 9.6.). Parallel dazu werden immer wieder die Meinungen indischer Politiker, v.a. die Ghandis, und britischer Regierungsbeamter eingespielt (9.5.). Auch Bhagats Anhänger fliegen schließlich auf und treffen nach längerer Folter im Gefängnis wieder auf Bhagat (9.7.). Doch unter ihnen befinden sich Verräter, die sich durch ihre Aussagen zum Saunders Mordfall freigekauft haben. Die Mordakte wird wieder geöffnet; Bhagat und Rajguru sind die Hauptverdächtigen (9.8.).

Im Zentralgefängnis von Lahore herrschen sehr schlechte Bedingungen, so dass Bhagat einen Hungerstreik beginnt (10.1.). Jegliche Zwangsernährungsversuche und Foltern sind zwecklos. Zur gleichen Zeit gehen die Gerichtsverhandlungen weiter, die die Angeklagten gekonnt dazu verwenden, um die Aufmerksamkeit der Presse und damit des Volkes zu erwecken. Schließlich treten auch die anderen in den Hungerstreik und widerstehen allen Zwangsernährungsversuchen. Ihr gemeinsames Leid schweißt sie noch enger zusammen, was auch im 5. Lied zum Ausdruck kommt (10.2.). Währenddessen veranstalten die Briten einen Ball (10.3.). Aber selbst dort ist der Hungerstreik Thema Nummer Eins, so dass sich Emerson und Irwin gezwungen sehen, den Forderungen nachzugeben. Doch für Jatin Das kommt diese Einsicht zu spät; er stirbt nach 63 Tagen ohne Nahrung (10.4.). Seinem Trauerzug folgen Tausende Menschen und Anhänger und er wird zu den Klängen des 6. Liedes schließlich verbrannt (10.5.).

Gandhi ist mittlerweile damit beschäftigt, für ein gewaltfreies Vorgehen zu werben und fordert den Dominionstatus für Indien (11.1.). Bhagat dagegen behauptet weiterhin seine Position für ein total unabhängiges Land. Dieser Meinung schließt sich auch Jawaharlal Nehru an und für Emerson und Irwin ist dies Anlass genug, um Bhagat endgültig als gefährlich einzustufen. Dank eines Befehls von Irwin werden die Verhandlungen vor einem extra eingerichteten Tribunal fortgesetzt ohne ein Recht darauf zu haben, in Berufung zu gehen (11.2.). Azad verurteilt dieses Vorgehen als ungesetzlich; Bhagat lehnt jedoch jegliche Befreiungsversuche ab (11.3. und 11.4.). Auch ein Gnadengesuch des Vaters wird abgelehnt (11.5.).

Die Urteile werden schließlich in einem leeren Gerichtssaal verlesen und danach im Gefängnis vor den Angeklagten wiederholt: Rajguru, Sukhdev und Bhagat werden zum Tod durch den Strang verurteilt. Die anderen erhalten das Urteil ‚Transportation for life’ (12.1.). Zur gleichen Zeit gerät Chandrashekhar Azad in Allahabad in einen Hinterhalt und erschießt sich schließlich selbst, um einer Gefangennahme zu entgehen (12.2.). In Lahore nimmt Bhagat im Gefängnis Abschied von seiner Familie und von Mannewali (12.3.). Überall im Land gibt es Proteste gegen die bevorstehende Exekution. Man bittet sogar Gandhi bei seinen Verhandlungen mit Irwin eine Begnadigung herauszuschlagen. Diese wird jedoch abgelehnt und Gandhi unterzeichnet trotzdem den Vertrag (12.4.). Um einem Aufstand vorzubeugen, wird das Datum der Vollstreckung vorgezogen und die Gefangenen gehen, das 7. Lied singend, zum Schafott. Selbst kurz vor seinem Tod schwört Bhagat jeglichem Glauben ab und verlangt als letzten Wunsch eine Umarmung mit seinen zwei Mitstreitern. Sie skandieren ein letztes Mal „Inquilab Zindabad“, küssen den Strang, ihnen werden schwarze Säcke über den Kopf gezogen, das Geräusch der weggezogenen Planken ertönt und die Leinwand wird schwarz (12.5.). Begleitet von zwei weiteren Liedern erscheinen ein Nachwort, sowie der Abspann (12.6.).

Diese sehr sachliche Beschreibung des Handlungsablaufs dient natürlich zunächst einmal als Bestandsaufnahme oder Überblick und kann sicherlich nicht die emotionale Intensität widerspiegeln, die der Zuschauer beim Sehen des Films verspürt. Vielmehr bildet sie die Grundlage für detailliertere Analysen des Films und der Zusammensetzung einzelner Sequenzen und lässt bestimmte Strukturen des Plots deutlich werden. Auch Legend lässt sich in drei Akte einteilen und folgt damit dem aristotelischen Drehbuchschema, welches u.a. von Syd Field5 beschrieben wurde. Der erste Akt – die Exposition – führt den Zuschauer in die Situation ein und stellt in der sogenannten Establishing Phase die Hauptcharaktere vor. Im Film geschieht dies in den ersten beiden Sequenzen. Bhagat Singh wurde gehängt. Die geheime Verbrennung unweit des Gefängnisses wird entdeckt und gestört, die Eltern von Bhagat identifizieren seine Leiche. Der Vater erinnert sich nun an Bhagats Leben und löst damit den folgenden Plot aus (Inciting Incident). Der erste Plotpoint findet sich bei 27:35 als es zu einer Konfrontation mit britischen Cricketspielern kommt. Der Protagonist gelangt an einen Punkt, an dem sich ihm ein gewisses Ziel offenbart. In Bhagats Fall besteht dies darin, die Briten nicht nur vom Sportplatz zu vertreiben, sondern auch aus seinem Land. Besonders hervorgehoben wird diese Mission nicht nur durch den Dialog, sondern auch durch sehr subtile Symbole innerhalb der Szene. So beenden die Briten beispielsweise ihr Training, in dem sie selbst die Wickets zum Einsturz bringen, was im Cricket normalerweise das Ausscheiden für den Schlagmann bedeutet. Eventuell soll diese Einstellung bereits darauf hinweisen, dass die Briten sich letztendlich durch ihre Art selbst zu Fall bringen werden.

Die erste Klammer des Hauptteils (Bracket 1) bildet die Entwicklung des Plots hin zum Populärwerden der HRA und zum Beitritt durch Bhagat und seine Freunde in eben jener Partei und kulminiert schließlich in der Ermordung des Polizisten J.P. Saunders (Midpoint Climax). Nach dessen Ermordung kennt die HSRA kein Halten mehr. Es folgen Bombenanschläge und den restlichen Film über sieht man Bhagat nur noch aus dem Gefängnis heraus agieren oder im Gerichtssaal. Die zweite Klammer des Hauptteils bildet hier bei der Hungerstreik, der durch Bhagat in Sequenz 10.1. initiiert wird und schließlich im Tod Jatin Das' gipfelt, was gleichzeitig den zweiten Plotpoint des Films markiert. Durch dessen Tod müssen sich die Inhaftierten endgültig der Ernsthaftigkeit ihrer Lage bewusst werden und erkennen, dass auch für sie am Ende des Kampfes nur noch der Tod wartet. Den Höhepunkt (Climax) kurz vor Ende des Films bildet daher das Unterzeichnen des Gandhi-Irwin-Paktes durch Gandhi, der damit, so scheint es zumindest, endgültig das Todesurteil für die drei Verurteilten spricht. Die letzte Songsequenz wirkt daher regelrecht antiklimaktisch, denn der Zuschauer weiß bereits, dass der Gang der drei mit dem Tod enden wird. Entgegen aller Hoffnung, die sich im Laufe der Handlung widersprüchlicherweise aufgebaut hat, sterben Rajguru, Sukhdev und Bhagat am Ende durch den Strang. Ganz so, wie es der Zuschauer bereits seit der ersten Sequenz weiß.

1.2 Film und Historische Vorlage

Schon kurz nach Singhs Tod erschienen erste Biographien und kurze Texte über sein Leben, die jedoch von der britischen Regierung verboten wurden. So zum Beispiel das Werk von Jitendra Nath Sanyal, der für die Veröffentlichung sogar ins Gefängnis ging (Yadav 2006: 9). Bereits seit den 1950er Jahren ist das Thema Bhagat Singh sehr beliebt in der Hindifilmindustrie, wie man in der IMDB sehen kann. Es ist nicht genau bekannt, an welchen Texten sich Drehbuchautor Anjam Rambali und Regisseur Rajkumar Santoshi orientiert haben (Lalwani, Mai 2002); beim Lesen verschiedener biographischer Texte wird jedoch deutlich, dass sie dabei sehr gründlich vorgegangen sind6. In mehreren Filmkritiken wurde außerdem darauf hingewiesen, dass Bhagats jüngerer Bruder, Kultar Singh, eine Woche bei den Dreharbeiten in Pune anwesend war und wesentlich auf die Handlungselemente Einfluss nehmen konnte (Lalwani, Juni 2002).

Zusätzlich zu den bekannten Personen rund um Bhagat Singh wurden historische Ereignisse in den Film eingebracht, die eine Einordnung des Films in den geschichtlichen Kontext erleichtern sollen und die außerdem den Rahmen für Bhagats Handeln bilden. Interessant zu sehen, ist hier natürlich, wie diese Ereignisse für den Film adaptiert wurden und ob es gelingt, Bhagats persönliches Schicksal mit ihnen zu verknüpfen.

1.2.1 Figuren

Dreh- und Angelpunkt des Films ist Bhagat Singh, ein junger Mann aus dem Punjab im Nordwesten Indiens, dessen Lebensgeschichte dem Zuschauer hier präsentiert werden soll. Die Darstellung durch Ajay Devgan erinnert dabei oft an einen der zahlreichen Amitabh Bachchan Filme aus den späten 1970ern Jahren7. Kein Wunder also, dass auch einige Filmkritiken sein Spiel mit dem Label „angry young man“ versehen haben8. Diese zornigen jungen Männer gelten als charakteristisch für eine ganz bestimmte Epoche des Hindifilms, die 1970er und -80er Jahre:

Im Brennpunkt des Interesses stand dabei ein neuer Typ von Held: der ‚angry young man’, der ‚zornige junge Mann’ oder ‚industrial hero’, wie er auch genannt wurde. Dabei handelte es sich durchweg um Protagonisten, deren Hauptantriebsmotiv Rache oder zumindest die einsame Suche nach Gerechtigkeit war. (Uhl und Kumar 2004: 49)

Wie in vielen dieser Filme sieht sich auch hier der Protagonist als Kind betrogen oder verraten von einer Vaterfigur, die im Fall von The Legend of Bhagat Singh von Gandhi eingenommen wird. Im Alter von nur zwölf Jahren wird Bhagat Zeuge der Umsetzung der Rowlatt Acts9 auf offener Straße in Lahore und wähnt sich schließlich in einer surrealen Montage als hilfloser Zuschauer des Massakers im Jallianwala Bagh in Amritsar. Traumatisiert von den grausamen Briten wendet er sich Gandhi zu und kämpft in dessen Kampagne der Nichtzusammenarbeit. Als diese aufgrund eines gewaltsamen Übergriffs auf eine britische Polizeistation 1921 beendet wird, ist Klein-Bhagat am Boden zerstört und wandelt sich. Ganz der Tradition eines Bachchan Filmes folgend, wird der inzwischen erwachsen gewordene Protagonist erst wieder in einer Songsequenz eingeführt (Sequenz 2.2.). Er nimmt an der Aufführung eines vermeintlich harmlosen Theaterstückes zur Unterhaltung einiger britischer Gäste teil, dass sich später als Verurteilung der britischen Kolonialmacht entpuppt. Aus dem verzweifelten Jungen ist nun ein selbstbewusster, kritischer Mann geworden, der sich von den einstigen Maximen der Gewaltlosigkeit und der Nichtzusammenarbeit abgewendet hat. Im gleichen Atemzug wird einer seiner wichtigsten Mitstreiter und enger Freund vorgestellt. Sukhdev, gespielt von Sushant Singh, ist der idealistische und smarte Partner Bhagats, der ebenfalls das National College in Lahore besucht und dadurch auffällt, dass er seinen englandtreuen Mitstudenten patriotische Fragen stellt (Sequenz 2.1.). Dritter im Bunde ist Hari Shivaram Rajguru (D. Santosh), der erst später dazustößt und durch sein aufbrausendes und teilweise unbeholfenes Auftreten zum komischen Sidekick Bhagat Singhs wird. Ein wenig naiv aber dennoch immer charmant, sorgt er für die Auflockerung oftmals angespannter Situationen, beispielsweise als er das Codewort zur Übermittlung von geheimen Nachrichten zwischen Azad und Bhagat vergisst und kurzzeitig für einen Spion gehalten wird (Sequenz 7.1.). Andere Sympathisanten bleiben sowohl zu Bhagats Collegezeit, als auch später in der Handlung, weitestgehend anonym, so dass es nach nur einmaliger Betrachtung des Films sehr schwer fallen dürfte, die im Abspann gelisteten Schauspieler der Masse an Mitstreitern zu zu ordnen.

[...]


1 Katar Singh Sarabha, Ashfaqullah Khan, Ram Prasad Bismil, gehören zu den bekanntesten Freiheitskämpfern, die in dieser Zeit von den Briten zum Tod durch den Strang verurteilt worden sind.

2 Das Handbuch zum Drehbuch. 8. Auflage. Frankfurt a. M.: Zweitausendeins, 1996

3 Einführung in die Systematische Filmanalyse. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2004.

4 Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2002.

5 Ausführliche Erläuterungen dazu bei Field, Syd 1996.

6 cf. Yadav und Singh 2006; Nayar 2000; Saigal 2002 oder auch Rao 1997.

7 Amitabh Bachchan gilt als lebende Legende des Hindifilms, der einige seiner größten Erfolge in den 1970er Jahren feierte, wie zum Beispiel Sholay (1975), Deewar (1975), Don (1978) oder Amar Akbar Anthony (1977).

8 cf. Gujadhur 2002, Movie Review auf <http://www.indianinfo.com> oder Lutgendorf 2004. Der Ausdruck „angry young man“ wird im Hindifilm vor allem zur Beschreibung Amitabh Bachchans früherer Rollen verwendet. Detailliertere Informationen über den Schauspieler u.a. bei Mishra 2002: 125-156.

9 Die Rowlatt Acts, auch bekannt als Black Act, folgten der Rowlatt Commission 1919, um umstürzlerischem Treiben vorzubeugen. Mit diesen Ermächtigungsgesetzen sollten die Pressefreiheit eingeschränkt, Verdächtigte ohne jegliche Beweise festgehalten und politische Gegner ohne Verfahren eingesperrt werden. Siehe auch Rothermund 2003: 40f. bzw. Rothermund 2002: 74f.

Fin de l'extrait de 58 pages

Résumé des informations

Titre
Der Mythos Bhagat Singh im Hindifilm
Université
Dresden Technical University
Note
1,5
Auteur
Année
2008
Pages
58
N° de catalogue
V121817
ISBN (ebook)
9783640263639
ISBN (Livre)
9783640263738
Taille d'un fichier
1522 KB
Langue
allemand
Mots clés
Bhagat Singh, Mythos, Hindifilm, Bollywood, Ajay Devgan, Rajkumar Santoshi, The Legend of Bhagat Singh, Shaheed, Amritsar Massacre, Jallianwala Bagh
Citation du texte
Julia Paternoster (Auteur), 2008, Der Mythos Bhagat Singh im Hindifilm, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121817

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