Es wird einmal... - Romantische Zeitstufen in Michael Endes "Momo"


Dossier / Travail de Séminaire, 2007

18 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhalt

1. Einführung

2.1. Philosophische Romantik
2.2. Schellings Geschichtsphilosophie

3.1. Literarische Romantik
3.2. Novalis' Märchenkonzeption

4. Die Wiedergeburt der Romantik

5. 1. Der Märchen-Roman Momo
5.2. Aufbau des Romans

6. Zeitstruktur des Märchen-Romans Momo
6.1. Die Kinder
6.2. Gigi Fremdenführer
6.3. Beppo Straßenkehrer
6.4. Momo
6.5. Die grauen Herren
6.6. Meister Hora

7. Fazit

8. Bibliographie

1. Einführung

Michael Endes 1973 erschienener Märchen-Roman Momo thematisiert das Thema Zeit, er ist heute so aktuell wie er es gestern war und morgen sein wird. Das liegt daran, dass sich die Erzählung in nahezu zeitlosen Raum bewegt und das zyklische, triadische Geschichtsmodell der Romantiker übernimmt.

Diese innere Verwandtschaft Endes mit der Romantik, die der Autor in zahlreichen Interviews betont hat, äußert sich in der Wahl seiner Themen, den phantastischen Motiven sowie dem Aufbau seiner Werke nach dem frühromantischen Drei-Phasen-Modell. Um also Endes Roman Momo und dessen Zeit-Verständnis analysieren zu können, ist es notwendig, sich zuvor mit den Literaturtheorien und vor allem mit den philosophischen Hintergründen der Romantiker zu beschäftigen.

Momo knüpft also im Aufbau seiner Zeitstruktur an ein Grundkonzept der Romantiker an, die in der Neuzeit die Zerstörung der Einheit des Menschen mit der Natur sahen. Um diese Spaltung zu überwinden, dient die Vergangenheit als Muster, um die bedürftige Gegenwart zu überwinden und zu einer besseren Zukunft zu führen.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich zuerst mit den notwendigen philosophischen und literatur- historischen Grundlagen der Romantiker beschäftigen, um deren Zeitstufen-Modell im zweiten Teil der Arbeit am Beispiel der verschiedenen Figuren des Momo Romans zu verdeutlichen.

2.1. Philosophische Romantik

Die frühe literarische Romantik ist untrennbar mit der philosophischen Romantik verbunden, dem deutschen Idealismus, der sich in den 1790er Jahren zu entwickeln beginnt.[1]

„Es ist charakteristisch, daß man die Deutschen damals das Volk der Dichter und Denker taufte. Denn beides gehört in diesem Zeitraum so eng zusammen, daß es hier weder ein Denken gibt, das kein Dichten wäre, noch ein Dichten, das nicht die Farbe des Denkens trüge.“[2]

Endes romantisches Weltbild wird besonders deutlich, wenn man die drei Kerngedanken der Romantiker untersucht: Sie finden sich Punkt für Punkt in Zitaten Michael Endes wieder:

1. In der Romantik wird der Mensch als grundlegend schöpferisch und produktiv betrachtet, wobei Kunst und Phantasie eine herausragende Stellung einnehmen.

Ende greift diese theoretische Konzeption der Romantiker in seinem Gespräch mit Eppler und Tächl direkt auf, indem er in der Phantasie die akausale schöpferische Fähigkeit des Menschen zur Konstruktion einer ganz neuen Welt begründet sieht:[3]

„Für mich besteht gerade die Würde des Menschen in erster Linie darin, daß der Mensch die Kausalitätskette durchbrechen und aus sich selbst heraus schöpferisch werden kann.“[4]

2. Die Wirklichkeit wird als Ganzheit verstanden.

Auch dieser Gedanke der Romantiker und die Warnung vor Gefährdung jener Ganzheitsvorstellung durch das rein rationale Denken finden sich bei Ende.

„Die Ganzheitsvorstellung fehlt überhaupt in unserer Zivilisation – ich mag gar nicht von Kultur sprechen. Und fehlt eine solche Ganzheitsvorstellung, kann auch keine Lebensgebärde entstehen! Sie ist nämlich die grundlegende Voraussetzung dafür.“[5]

3. Diese Ganzheit ist hervorgegangen aus einem organischen geschichtlichen Prozess, womit für die Frühromantiker der Geschichtsbegriff eine zentrale Bedeutung bekommt.

Der prozesshafte Charakter von Geschichte, der in Schellings Geschichtsphilosophie (Vgl 2.2.) besonders deutlich wird, wird auch von Ende propagiert. In seinem Momo -Roman kritisiert er zwar die konkrete ökonomische Realität unserer fortschritts- und leistungsorientieren Gesellschaft, aber stellt sie als notwendige Stufe im historischen Prozess dar.

„Das heißt aber nicht, daß ich die stattgefundene Entwicklung des nur quantifizierenden Denkens für etwas halte, das rückgängig gemacht werden sollte oder könnte, oder das es besser nie gegeben hätte.“[6]

Wie schon vor ihm die Romantiker kritisiert Ende so das eindimensionale Denken in der modernen, rein wirtschaftlich orientierten Welt,[7] stellt diese Gegenwart aber als notwendige, nicht umkehrbare Phase im Prozesscharakter der Geschichte dar, indem er ergänzt: „Es dreht sich darum, darüber hinauszukommen, nicht dabei stehenzubleiben, sondern in eine neue Vieldimensionalität durchzustoßen.“[8]

Als Ziel der historischen Entwicklung betrachten die jungen Idealisten eine Versöhnung von Natur und Mensch, Objekt und Subjekt. Hinter der Geschichte nehmen sie eine ursprüngliche Einheit, das Absolute, an – darin, diese wieder herzustellen, liegt die Möglichkeit zur Versöhnung der Gegensätze begründet. Fichte, der unmittelbare Vordenker der philosophischen Romantik, zog als Mittel die Dialektik heran, die als synthetisches Verfahren die Vereinigung zweier anithetischer Prinzipien zu einem dritten zum Zweck hat.[9]

Schelling baut diese Methode von These-Antithese-Synthese aus und überträgt sie auf die geschichtliche Entwicklung. Dieses Schelling'sche Modell der Geschichtsbetrachtung werde ich im Folgenden genauer betrachten, da es als Grundlage für die Interpretation von Michael Endes Roman Momo gesehen werden kann.

2.2. Schellings Geschichtsphilosophie

Schellings Geschichtsphilosophie ist gekennzeichnet durch ein starkes Sehnen nach der Wiederherstellung vergangener Zeiten, „Rekonstruktion des Ursprungs ist Konstruktion des Heils.“[10] Geschichte soll also auf ihren Ursprung zurückgeführt werden. Dies stellt die Lösung dar, welche die Möglichkeit zur Versöhnung der Gegensätze bietet und zur Einheit – dem Absoluten – führt. Vor dem Hintergrund der rückwärts gewandten Utopie, erscheint die Moderne als zerrissenes Zeitalter.

Doch ist dieser gegenwärtige Punkt der Entzweiung für Schelling die Voraussetzung für die zukünftige Rückkehr zum Ursprung: „der Punkt der äußersten Entfernung von Gott [wird] auch wieder der Moment der Rückkehr zum Absoluten, der Wiederaufnahme ins Ideale.“[11]

Das neue Zeitalter, das an die goldene Vergangenheit anknüpft, „beginnt mit einem allgemeinen Sündenfall“[12], welcher notwendig ist, um die vollendete Harmonie der Zukunft zu erreichen. Somit ist Schellings Geschichtsphilosophie „eine verfallstheoretische Fortschrittskonzeption, denn unter den Bedingungen des Absoluten degeneriert die endliche Geschichte des Menschen zu einem notwendigen Medium der Seinsgeschichte, notwendig in ihrer Depraviertheit.“[13]

Die defizitäre Gegenwart, die durch eine Hinwendung zur verklärten Vergangenheit überwunden werden muss, stellt an sich also eine notwendige Voraussetzung dar, um das Absolute, die Einheit, in der Zukunft erreichen zu können. Dieses Goldene Zeitalter kann „nicht durch ein endloses und unruhiges Fortschreiten und Wirken nach außen, vielmehr durch eine Rückkehr zu dem Punkt, von dem jeder ausgegangen ist, zu der inneren Identität mit dem Absoluten“[14] gefunden werden.

3.1. Literarische Romantik

Dieses dreistufige Geschichtsmodell wird vor allem in der frühen Romantik von vielen Literaten aufgenommen, als Projektionsfläche für die rückwärts gewandte Utopie dienen die Antike und das Mittelalter, die Gegenwart erscheint vor diesem Hintergrund als Verfallszeit.

In seinem Aufsatz Die Christenheit oder Europa von 1799 stellt Novalis als Programmpunkt zur Überwindung des gespaltenen Europas die Gründung einer neuen, einheitlichen Christenheit auf – als Vorbild dient das verklärte Mittelalter: „Es waren schöne, glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte.“[15]

Die früh romantischen Literaten wenden sich dem Phantastischen zu, sie gehen davon aus, dass die bloß verstandesmäßige Deutung der Sinneswelt ein völlig unzulängliches Weltbild ergibt. Nicht die Wissenschaft, sondern die Dichtung bildet den Eingang zu ihrem Verständnis der Welt. Charakteristisch ist Novalis' Nachspruch von 1802:[16]

„Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die, so singen oder küssen

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben,

Und in die Welt wird zurückbegeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

Zu echter Klarheit wieder gatten

Und man in Märchen und Gedichten

Erkennt die wahren Weltgeschichten,

Dann fliegt vor einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.“

Zum einen wird in Novalis' Gedicht der verklärende Rückbezug auf vergangene Zeiten sehr deutlich, die Verwendung der Verbzusammensetzung „zurück-begeben“ (V. 6) sowie der mehrfache Gebrauch von „wieder“ (V.7, 8) implizieren diese Rückbesinnung auf alte Werte. Zum anderen wird nahe gelegt, dass die Überwindung von rationalen, kausallogischen Denkschemata und das Erreichen des Absoluten, „echter Klarheit“ (V. 8), durch die Wiederbelebung von Märchen möglich seien. „Das Märchen ist gleichsam der Kanon der Poesie. Alles Poetische muß märchenhaft sein.“[17]

3.2. Novalis' Märchenkonzeption

Nimmt man als Beispiel Novalis' Märchen von Hyazinth und Rosenblüt[18], so kann man darin deutlich Schellings dreistufiges Geschichtsmodell literarisch verarbeitet wieder erkennen:

Die beiden Protagonisten werden durchweg positiv eingeführt: „Er war bildschön, sah aus wie gemalt, tanzte wie ein Schatz..“, sie ist „ein köstliches, bildschönes Kind, sah aus wie Wachs, Haare wie goldne Seide, kirschrote Lippen, wie ein Püppchen gewachsen“. Begleitet von adverbialen Bestimmungen wie „vor langen Zeiten“ und „damals“ wird die Beziehung als ein anfänglich harmonischer Zustand dargestellt: „Damals war Rosenblüten, so hieß sie, dem bildschönen Hyazinth, so hieß er, von Herzen gut und er hatte sie lieb zum Sterben.“

Doch diese anfängliche Harmonie wird durch die Ankunft eines fremden Mannes unterbrochen: „Ach! Wie bald war die Herrlichkeit vorbei.“ An Schellings Geschichtsbegriff orientiert, beginnt somit die zweite Phase des dreistufigen Modells, die defizitäre Gegenwart: Hyazinths Lebenswandel ändert sich, er interessiert sich nicht mehr für seine ehemalige Geliebte und „grämte sich unaufhörlich um nichts und wieder nichts“.[19]

Diese bedürftige Gegenwart wird in Novalis' Märchen direkt mit der Vergangenheit kontrastiert: „wenn ich an die alten Zeiten zurückdenken will, so kommen gleich mächtigere Gedanken dazwischen, die Ruhe ist fort, Herz und Liebe mit, ich muß sie suchen gehen.“[20] Der Protagonist des romantischen Kunstmärchens orientiert sich also an vergangenen Zeiten, um den Weg in die Zukunft und damit Liebe und Gefühl wiederzufinden. Dieser harte Weg – per aspera ad astra – führt ihn schließlich im Traum in eine neue Dimension: „Es dünkte ihm alles so bekannt und doch in niegesehner Herrlichkeit.“

Die zukünftige Utopie, das Absolute, wird also erreicht; sie orientiert sich an der verklärten Vergangenheit, übertrifft diese jedoch in ihrer Perfektion. Angetrieben durch seine Sehnsucht erreicht Hyazinth das Idyll, den Wohnsitz der Göttin Isis, die Szene ist durch eine Häufung von Begriffen aus dem Bereich des sphärischen aus der alltäglichen Welt herausgehoben.

Der Übergang ins Absolute ist gekennzeichnet durch den Rückgriff auf das Vergangene: Die gefundene Göttin ist gleichzeitig die verlorene Geliebte. „Eine ferne Musik umgab die Geheimnisse des liebenden Wiedersehens.“[21]

Mit dem Betreten des heiligen Tempels und Wiederfinden der alten Liebe wird der defizitäre Zustand der Gegenwart überwunden, an seine Stelle tritt – ganz nach dem triadischen Geschichtsbild der philosophischen Romantik – die vollendete Utopie, das Absolute.

4. Die Wiedergeburt der Romantik

Michael Ende orientiert sich am Vorbild der frühen Romantiker: Sein Ziel ist die Befreiung des Menschen vom rein kausallogischen Denken. Mit seiner phantastischen Literatur versucht er, die schöpferische Kraft der Poesie in die Konsum orientierte, moderne Welt zurückzuführen, dieser so eine positive Utopie zurückzugeben und sie auf eine höhere Stufe des Seins zu heben.

In den 70er Jahren steht Ende mit seiner Position nicht allein: „Waren die sechziger Jahre eine Zeit der Renaissance und Fortführung aufklärerisch-rationalistischer Traditionen, so ist das letzte Jahrzehnt gekennzeichnet durch eine Wiederentdeckung und (...) Rehabilitierung der Romantik.“[22]

Eine mögliche Erklärung dafür, dass die Wiederentdeckung der Romantik ausgerechnet in diese Epoche fällt, liefert Hannelore Schlaffer in einem zeitgenössischen Artikel in der FAZ:

[...]


[1] Vgl.: Hügli / Lübcke („Philosophische Romantik“)

[2] Korff in: Prang, S. 205.

[3] Vgl.: Eppler / Ende / Tächl, S. 64

[4] Ebd.

[5] Ende in: Eppler / Ende / Tächl, S. 103.

[6] Ende in : Eppler / Ende / Tächl, S. 35.

[7] Vgl. Wernsdorff, S. 22 ff.

[8] Ende in : Eppler / Ende / Tächl, S. 35.

[9] Vgl.: Hügli / Lübcke (Philosophische Romantik“)

[10] Sandkühler, S.165.

[11] Schelling in: Sandkühler, S. 168.

[12] Sandkühler, S. 166.

[13] Ebd.

[14] Schelling in: Sandkühler, S.176.

[15] Novalis in: Wernsdorff, S. 23.

[16] Novalis in: Kluckhohn / Samuel, S. 360.

[17] Novalis in: Prang, S. 201.

[18] Novalis in: Damm, S. 45 ff.

[19] Alle ebd., S. 45.

[20] Ebd., S.46.

[21] Beide ebd., S. 48.

[22] Lützeler, S. 8.

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Es wird einmal... - Romantische Zeitstufen in Michael Endes "Momo"
Université
University of Trier
Cours
Poetik der "Zeit"
Note
1,3
Auteur
Année
2007
Pages
18
N° de catalogue
V122099
ISBN (ebook)
9783640266142
ISBN (Livre)
9783640266234
Taille d'un fichier
487 KB
Langue
allemand
Mots clés
Romantische, Zeitstufen, Michael, Endes, Momo, Poetik, Zeit
Citation du texte
Lena Otter (Auteur), 2007, Es wird einmal... - Romantische Zeitstufen in Michael Endes "Momo", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122099

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