Die Determinationshypothese

Barbara Baerns’ Studie und ihr Einfluss auf die Determinationsforschung


Term Paper, 2008

22 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Leitgedanken, Rahmenbedingungen und Methodik
2.1 Forschungsidee und Forschungsansatz
2.2 Voraussetzungen des Mediensystems
2.3 Forschungsdesign

3. Präsentation und Zusammenfassung der Befunde
3.1 Agenturdienste – „was offen zutage liegt, wird aufgelesen“
3.2 Tageszeitungen – ein breites Wirkungsfeld für PR
3.3 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – (Regional-) Berichterstattung als unbezahlte Öffentlichkeitsarbeit
3.4 Die Makroebene – Leistungen des Mediensystems
3.5 Zusammenfassung der Befunde

4. Die Determinationsthese „auf dem Prüfstand“
4.1 Fortschritt durch Perspektivenwechsel
4.2 Generelle Probleme

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Ohne Zweifel kann der Weg an die Öffentlichkeit heutzutage an den publizistischen Medien nicht vorbeiführen. Selbst wenn Öffentlichkeitsarbeit schon längst nicht mehr auf Presse- oder Medienarbeit reduziert werden darf, so besitzen doch die Medien (und damit die Journalisten als eine wichtige anzusprechende Gruppe) in der PR-Arbeit einen ganz elementaren Stellenwert.“[1]

Erste Untersuchungen zum Einfluss der Öffentlichkeitsarbeit auf die Medienberichterstattung lassen sich bereits in den 1970er Jahren finden.[2] Eine der ersten empirischen Untersuchungen ist die Arbeit von Sigal (1973). Auf der Suche nach den Routinen der journalistischen Informationsbeschaffung wurden dabei im fünfjährigen Turnus jeweils eine zweiwöchige Inhaltsanalyse zwei großer amerikanischer Tageszeitungen (der New York Times und der Washington Post) durchgeführt, bei der ausschließlich die erste Seite untersucht wurde. Das Ergebnis dieser Output-Analyse: rund 70 Prozent der Inhalte beruhen auf standardisierten Informationsquellen bei nur spärlicher Eigenrecherche seitens der Journalisten. Mit der Input-Output-Analyse von Nissen und Menningen (1977) über die Nutzung von Pressemitteilungen verschiedener politischer Institutionen durch drei regionale Tageszeitungen hielt dieses Forschungsgebiet auch in den deutschsprachigen Raum Einzug. Auch hier fanden sich hohe Abdruckquoten und geringe Bearbeitung des Pressematerials sowie erstmals der Begriff „Determination“.

Barbara Baerns beschäftigt sich schließlich 1979 mit der „Frage nach den Determinanten medienvermittelter Aussagen“[3], wobei sie anhand eines Vergleichs der relevanten Untersuchungen auf die Erkenntnismängel bezüglich der Genese von publizistischen Aussagen hinweist und daraufhin ihre Ergebnisse einer Fallstudie zur Öffentlichkeitsarbeit in einem großen deutschen Industrieunternehmen präsentiert. Hier konnte unter anderem eine durchschnittliche wörtlich oder inhaltlich vollständige oder gekürzte Übernahmequote von Pressemitteilungen von 42 Prozent festgestellt werden.[4] Mit Blick auf die Ergebnisse eigener Untersuchungen sowie derer von Sigal (1973) und Nissen/Menningen (1977) konstatiert Baerns, „[...] daß es sich lohnt, der These weiter nachzugehen, daß Öffentlichkeitsarbeit publizistische Aussagen tagesaktueller Medien determiniert und für das eingangs diskutierte Phänomen Konsonanz [in der Medienberichterstattung; Anm. d. Verf.] mitverantwortlich ist.“[5] Diese Überlegung resultierte schließlich in der 1981 abgeschlossenen Arbeit, deren Kurzfassung 1985 unter dem TitelÖffentlichkeitsarbeit oder Journalismus? Zum Einfluß im Mediensystemveröffentlicht wurde. Raupp bezeichnet Baerns’ Studie als „eine Initialzündung“ für die „kommunikationswissenschaftliche Erforschung des Einflusses der Öffentlichkeitsarbeit auf die Medienberichterstattung“[6]. Seit nunmehr bald 30 Jahren beschäftigt sich die Forschung mit diesem Fachgebiet. Dies führte zu einer recht differenzierten theoretischen und empirischen Forschungstradition im deutschsprachigen Raum, die in dieser Form wohl einzigartig in der Welt ist.[7]

Barbara Baerns’ Studie soll die Grundlage für die Ausführungen dieser Hausarbeit bilden. Es sollen zunächst die theoretischen und methodischen Grundlagen der Untersuchung und die daraus erwachsenden Ergebnisse und Schlussfolgerungen zusammenfassend dargestellt werden. Im Anschluss soll die Frage beantwortet werden, wie der Ansatz von Baerns in der Forschung aufgegriffen und erweitert bzw. kritisiert wurde.

2. Leitgedanken, Rahmenbedingungen und Methodik

2.1 Forschungsidee und Forschungsansatz

„Die Forschungsidee entstammt der Berufspraxis. Jahrelange verantwortliche Tätigkeiten als politische Redakteurin mittlerer Tageszeitungen sowie in der Öffentlichkeitsarbeit einer amerikanischen zwischenstaatlichen Behörde und eines internationalen Wirtschaftsunternehmens gingen der Untersuchung voraus und haben sie angeregt.“[8] Besonders das Verhältnis zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus rückte dabei in den Mittelpunkt des Interesses, verbunden mit der Hypothese, dass Öffentlichkeitsarbeit einen entscheidenden Einfluss auf die Meinungs- und Themenstruktur der täglichen Medienberichterstattung ausübt. Durch die Einbeziehung der Öffentlichkeitsarbeit als hypothetische Determinante möchte Baerns den verschiedenen Ansätzen, die die Darstellung und Konstruktion von Realität in den Nachrichten untersuchen, einen neuen Aspekt gegenüber stellen, der weniger die klassischen Nachrichtenmerkmale betrachtet, sondern eher den dynamischen Prozess des Journalismus beleuchtet. Es soll vornehmlich nicht darum gehen, zu ergründen, was eine Nachricht charakterisiert; vielmehr soll die Frage im Mittelpunkt stehen, wie „Informationen in Agenturdienste, Hörfunksendungen, Fernsehsendungen, Tageszeitungen [kommen], um dort als Nachrichten zu gelten.“[9]

Baerns betrachtet dies als methodologischen Rückschritt, der jedoch erkenntnistheoretisch einen Gewinn mit sich bringt, da es so möglich sei, „zu untersuchen, auf welche Art und Weise die Informationen in den öffentlichen Medien präsent sind.“[10] Es geht ihr also um die Herausarbeitung „der chronologischen Ordnung der zu analysierenden Vorgänge. Sie sind als Abläufe der Informationsbeschaffung und -bearbeitung (das ist Informationsverarbeitung) über mehrere Etappen in der Zeit darzustellen.“[11]

Darüber hinaus geht es Baerns auch darum, den Prozess der Nachrichtenentstehung vom Urheber bis zur Verwertung durch die Medien aufzudecken und dabei auch die Phasen der Informationssammlung und -aufnahme mit einzubeziehen, um damit der mangelnden Transparenz im publizistischen Geschehen entgegenzuwirken.[12]

Anschließend werden die beiden Grundbegriffe Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus definitorisch voneinander abgegrenzt und als „zwei[kursiv im Original; Anm. d. Verf.] syntaktisch gleichartige, semantisch nicht äquivalente Informationssysteme [betrachtet], [die] weniger als ‚Partner’ denn als ‚Kontrahenten’ [gelten].“[13] MitÖffentlichkeitsarbeitmeint Baerns die „‚Selbstdarstellung partikularer Interessen durch Information’ [...], wobei als Mittel ‚alle Techniken und Formen schriftlicher, mündlicher, fotografischer, filmischer und audiovisueller Publizistik sowie interpersonaler Kommunikation denkbar’ sind.“

Journalismusmeint demgegenüber „Fremddarstellung“ und stellt eine „Funktion des Gesamtinteresses“ dar. Die Aufgabe des Journalismus sei es, durch seine Arbeit in Primär- und Sekundärmedien die unterschiedlichen und kontroversen Meinungen und Auffassungen aufzugreifen und zu publizieren, und sich dadurch überparteilich, unabhängig und kritisch mit den Zielen und Anforderungen aus Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Entscheidungsprozesse in Organisationen sollen transparent gemacht werden und Orientierung gegeben werden. All dies entspreche gleichsam dem Selbstverständnis und der Berufsethik der beiden Berufsgruppen.[14]

Die Beziehung dieser beiden Informationssysteme bezeichnet Baerns in Anlehnung an den amerikanischen Politikwissenschaftler Robert Alan Dahl alsEinfluss, und zwar „beim Entstehen und Zustandekommen von Medieninhalten“. Baerns sieht den Parameter Einfluss (im Sinne einer relativen Änderung der Wahrscheinlichkeit eines Entscheidungsausgangs) auch deswegen als gut geeignet an, weil damit nach den Quellen für die Medienberichterstattung gesucht werden kann und weil aus der Entscheidung für eine Information und gegen eine andere aufgrund der Fülle an Nachrichten, die veröffentlicht werden könnten, immer eine Wahrheit nach Maß resultiert. Dies begrenze zum Einen die Leistungsfähigkeit der Medien und biete der Öffentlichkeitsarbeit einen guten Nährboden für mögliche Einflussnahme. Kurz und bündig lasse sich demnach festhalten: „Unter der Voraussetzung, andere Faktoren existierten nicht, wäre schließlich eine gegenseitige Abhängigkeit zu konstatieren: je mehr Einfluß Öffentlichkeitsarbeit ausübt, um so weniger Einfluß kommt Journalismus zu und umgekehrt.“[15]

Schlussendlich soll die Untersuchung die inneren strukturellen Eigenschaften der verborgenen Vorgänge erkennbar machen und konkrete Entscheidungshilfen für die Praxis bereitstellen.[16]

2.2 Voraussetzungen des Mediensystems

Mit Blick auf die forschungsbegleitende These, „Öffentlichkeitsarbeit determiniere die Informationsleistung tagesbezogener Medienberichterstattung“[17], sieht es Baerns als notwendig an, zunächst klarzustellen, in welchem Rahmen Journalisten zumindest theoretisch aktive Recherche und Nachforschung betreiben könnten und analysiert dahingehend die Handlungsspielräume der Journalisten im deutschen Mediensystem. Zum Anfang wird erklärt, inwieweit der Journalismus welchen Institutionen gegenüber Auskunftsansprüche geltend machen kann. Resümierend stellt Baerns dabei fest, dass die Informationsordnung Deutschlands nur „denöffentlichen(politischen) und nicht denprivaten[beides kursiv im Original; Anm. d. Verf.] (gesellschaftlichen) Bereich“[18] für journalistische Recherche öffnet. Hier nennt Baerns die öffentliche Verwaltung, also alle staatlichen Behörden auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sowie alle Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, müssen öffentliche Einrichtungen bei konkreter Anfrage für Berichte und Kommentare die notwendigen Informationen, Gesichtspunkte und Zusammenhänge wahrheitsgetreu und erschöpfend darstellen. Auch die Privatwirtschaft unterliegt gesetzlich vorgeschriebenen Offenlegungspflichten, jedoch ergeben sich in diesem Bereich zwei Probleme. Zum Einen bilden die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestveröffentlichungen oft die einzige Informationsquelle für Journalisten. Baerns spricht in diesem Zusammenhang von einer „Publizitätsscheu“ der Unternehmen, die schwer zu überwinden sei. Zum Zweiten sei eine Kontrollfunktion der Massenmedien der Privatwirtschaft gegenüber juristisch nicht begründet.[19] Aus diesem Grund berücksichtigt Baerns in dieser Untersuchung nur „[...] den, journalistischer Recherche prinzipiell zugänglichen, öffentlichen politischen Raum als Untersuchungsgegenstand im engeren Sinne [...].“[20] Auch im Rahmen der deutschen Rechtsordnung eröffnen sich den Medien weiträumige Entfaltungsmöglichkeiten. Weitgehend frei von staatlichen Steuerungen sollen intra- und intermediärer Wettbewerb für Meinungsvielfalt und öffentliche Meinungsbildung sorgen. Das Mediensystem der BRD ist nach Baerns als „ein ausbalanciertes, sich selbst steuerndes und kontrollierendes Wirkungsgefüge [konzipiert], das gerade durch die unterschiedliche Konstellation seiner Elemente auf ein Gesamtbild, einen Gesamtwert, eine Gesamtleistung zielt, die die einzelnen Medieneinheiten nicht zu realisieren vermögen.“[21]

2.3 Forschungsdesign

Die Wahl der Forschungsmethode fällt bei Baerns auf die Prozessanalyse. Journalistenbefragungen kommen nicht Frage, da das typische Problem der Befragung in den vielen Fehlerquellen steckt, die unter anderem dafür verantwortlich sind, dass die individuellen Angaben der Journalisten mit den tatsächlichen Gegebenheiten oft nicht übereinstimmen. Auch Inhaltsanalysen, die sich nur auf die Klassifikation von Inhalten beschränken, ohne nach den Entstehungsbedingungen zu fragen, besäßen nicht mehr als „spekulativen Wert“[22], zumal die Quellenbezeichnungen oft nicht korrekt seien. Und auch die Messung von Abdruckquoten von Pressemitteilungen, wie es Nissen/Menningen getan haben, erzielt zwar Ergebnisse, die Baerns’ These stützen, von ihr aber dahingehend kritisiert werden, dass eben nur Abdruckquoten gemessen wurden und es keine Frage und Auskunft über Erträge eigenständiger Recherche außerhalb des Zeitraumes gibt, der durch die Pressemitteilungen belegt ist. Von einer Determination könne man ohnedies erst dann ausgehen, wenn man die Struktur des Mediensystems und seine Gesamtleistung in den Blick nehme.[23] Baerns plädiert dafür, sich „[...] aus der Rezipientenperspektive publizierter Ereignisse zu lösen, um sich dem Produktionszusammenhang zuzuwenden.“[24]

Material- und Deduktionsbasis waren die themen- und ablauforientiert protokollierten Pressekonferenzen und die Pressemitteilungen der Landespressekonferenz Nordrhein-Westfalen e.V. sowie die Erzeugnisse aller relevanten Nachrichtenagenturen und aller tagesbezogenen Nachrichtenmedien in Nordrhein-Westfalen.

[...]


[1] Burkart 2002, S. 291f.

[2] Vgl. Raupp 2008, S. 193

[3] Baerns 1979, S. 301

[4] Vgl. ebd., S. 309f.

[5] Ebd., S. 312

[6] Raupp 2008, S. 192

[7] Vgl. Altmeppen/Röttger/Bentele 2004, S. 14

[8] Baerns 1991, S. 11

[9] Ebd., S. 14

[10] Vgl. Baerns 1991, S. 1

[11] Ebd., S. 1

[12] Baerns 1979, S. 309

[13] Baerns 1991, S. 16

[14] Vgl. ebd., S. 16f.

[15] Vgl. Baerns 1991, S. 17f.

[16] Vgl. ebd., S. 19

[17] Ebd., S. 34

[18] Ebd., S. 34

[19] Vgl. Baerns 1991, S. 21ff.

[20] Ebd., S. 34

[21] Ebd., S. 35

[22] Ebd., S. 40

[23] Vgl. ebd., S. 38ff.

[24] Ebd., S. 41

Excerpt out of 22 pages

Details

Title
Die Determinationshypothese
Subtitle
Barbara Baerns’ Studie und ihr Einfluss auf die Determinationsforschung
College
Ernst Moritz Arndt University of Greifswald  (Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft)
Course
Theorien und Konzepte der Public Realtions
Grade
1,3
Author
Year
2008
Pages
22
Catalog Number
V122136
ISBN (eBook)
9783640269051
File size
494 KB
Language
German
Keywords
Determination, Journalismus, Public Relations
Quote paper
Tobias Heymann (Author), 2008, Die Determinationshypothese, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122136

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