Stigmatisierung und Überlebensstrategien von Menschen mit geistiger Behinderung in den USA


Seminararbeit, 2001

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung-Überblick zur Forschungsgeschichte im Bereich der geistigen Behinderung

2. Definition und Diagnose geistiger Behinderung
2.1 Definition
2.2 Diagnose
2.2.1 Diagnose durch den IQ Test

3. Edgertons Studie- Zusammenfassung
3.1 Hintergrund
3.2 Edgertons neue Studie

4. Vorgeschichte der untersuchten Personen

5. Ausgewählte Lebensbereiche der untersuchten Personen
5.1 Wohngegend
5.2 Arbeit
5.3 Heirat und Sexualität
5.4 Freizeit
5.5 Zusammenfassung

6. Alltagsbewältigung
6.1 Strategien zur Alltagsbewältigung

7. Edgertons Nachfolgestudien

8. Wissenschaftlicher Diskurs
8.1 Gerber vs. Edgerton
8.1.1 Fehlender historischer Kontext
8.1.2 Schwerpunkt „Institutionalisierung“
8.1.3 Überbewertung des IQ
8.1.4 Anlehnung an Goffmans „Stigma“

9. Schlussbemerkungen

Literatur

Fußnoten

1. Einleitung- Überblick zur Forschungsgeschichte im Bereich der geistigen Behinderung

Das Thema der geistigen Behinderung wurde immer wieder von Wissenschaftlern aufgegriffen, doch seit den 60er Jahren lässt sich ein starker Wandel im Umgang mit geistiger Behinderung beobachten. Bis Dato wurde geistige Behinderung lediglich interpretiert, nie aber wurde auf eigene Aussagen der Betroffenen zurückgegriffen. So entstand ein stark vereinfachtes und verfälschtes Bild geistiger Behinderung. In den 60er Jahren fand ein Umdenken in Bezug auf dieses Vorgehen statt. Von nun an stand die Möglichkeit, Randgruppen im Allgemeinen, für sich selbst sprechen zu lassen, im Vordergrund. Auch geistig Behinderte wollten für sich selbst sprechen, und ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit ihrer Behinderung mitteilen. Dieser Wandel wirkte sich stark auf die wissenschaftlichen Studien aus, die von nun an keine bloße Interpretation des Wissenschaftlers mehr sein konnten. Geistig Behinderten wurde eine Stimme gegeben, sie waren nun kein reines Studienobjekt mehr, dessen Legitimität und Autorität bezweifelt wurde.

Heute muss der Wissenschaftler auf geistig Behinderte eingehen, er muss ihnen zuhören und deren Aussagen analysieren um ein möglichst wirklichkeitsgetreues Bild ihrer Selbstwahrnehmung zu schaffen. Dabei muss es geistig Behinderten möglich sein, ihr Leben weitgehend selbst zu bestimmen. Dieses Vorgehen ist notwendig, da sich nur so präzise Unterscheidungen in der Beurteilung ihrer Gedanken und in ihrem Verhalten, sowie Aussagen in Bezug auf ihre tatsächliche Behinderung treffen lassen.

Als einer der Wegbereiter dieser neuen Art von Studie ist Robert B. Edgerton zu nennen, der als einer der Ersten versuchte, Behinderten die eben genannte Stimme zu geben und deren Selbstwahrnehmung herauszufiltern. (Gerber, 1990[i])

In der folgenden Arbeit werde ich Edgertons Studie (Edgerton, 1993[ii]) vorstellen und dabei besonders auf die Probleme, auf welche die untersuchten Personen bei der Alltagsbewältigung stoßen, eingehen.

Anschließend werde ich einige Punkte darstellen, an denen Edgerton kritisiert wurde oder zu kritisieren ist.

2. Definition und Diagnose geistiger Behinderung

2.1 Definition

Der Begriff der geistigen Behinderung kann immer nur relativ gesehen werden. Dabei ist besonders zu beachten, dass verschiedene Ursachen zu geistiger Behinderung führen können.

Dennoch lautet ein halboffizielle Definition geistiger Behinderung der American Association of Mental Deficiency von 1959:

„ Mental retardation refers to subaverage intellectual functioning which originates during the development period and is associated with impairment in adaptive behavior.“

Diese Definition beinhaltet eine Veränderbarkeit von geistig Behindert und normal, was als Resultat eines Wandels innerhalb einer Person oder des sozialen Standarts zu sehen ist.

2.2 Diagnose

Ähnlich wie bei der Definition ergeben sich auch bei der Diagnose geistiger Behinderung etliche Schwierigkeiten. Vor allem bei leichteren Fällen ist die Diagnose aufgrund des weiten Interpretationsspielraums sehr schwierig, da einige Tests nur instabile Ergebnisse liefern, welche zu viele verschiedene Ursachen außer Betracht lassen. Als Gründe hierfür lassen sich subkulturelle Normen sowie ein Wandel der sozialen und kulturellen Standarts aufführen.

2.2.1 Diagnose durch den IQ Test

Der am meisten angewandte Test zur Feststellung geistiger Behinderung ist der IQ Test. Dieser wird meist nach Auffälligkeiten im sozialen Verhalten angewandt, was oftmals auf soziale Inkompetenz schließen lässt. Dennoch bleibt auch dieser Test in seinen Ergebnissen nur relativ, da ihm verschiedene Klassifikationsmodelle zu Grunde liegen. Das am weitesten verbreitetste Modell stammt von der American Association of Mental Deficiency. Hierbei handelt es sich um ein relativ eng gefasstes Punktemodell, bei welchem allein 10 Punkte Unterschied im IQ einen Unterschied zwischen leicht und schwerer behindert bedeuten können. Der IQ kann vor allem durch Erfahrungen, die die Betroffenen in ihrer Kindheit gemacht haben, beeinträchtigt werden. Des weiteren spielen auch soziale und kulturelle Einflüsse eine bedeutende Rolle. Eine der Hauptauswirkungen leichter geistiger Behinderung ist die fehlende Möglichkeit der sozialen Integration.

3. Edgertons Studie- Zusammenfassung

3.1 Hintergrund

Edgerton beschäftigte sich mit diesem Thema, da es Anfang der 60er Jahre noch wenig detaillierte Forschung auf dem Gebiet der geistigen Behinderung gab. Die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Arbeiten stellten hauptsächlich reine Beschreibungen des alltäglichen Lebens und der allgemeinen Lebensumstände geistig Behinderter dar. Die Betroffenen selbst wurden dabei nicht einmal selbst befragt und es bestand kein langer, direkter Kontakt zu den Personen. Es wurde also bei diesen Untersuchungen völlig auf das Prinzip der teilnehmenden Beobachtung verzichtet, was dazu führte, dass die behinderten Personen sich nicht aus ihrer eigenen Sicht beschreiben konnte.

3.2 Edgertons neue Studie

Aufgrund dieser bis dahin bestehenden Defizite auf dem Gebiet der geistigen Behinderung begann Edgerton, eine völlig neu konzipierte Studie durchzuführen. Sein Ziel war die Darstellung der Lebensbewältigung und Selbstwahrnehmung geistig behinderter Personen, die in Los Angeles allein auf sich gestellt waren. Dazu suchte sich Edgerton im Pacific State Hospital, einem Hospital für geistig Behinderte, Personen, welche er nach deren Entlassung über Jahre hinweg bei ihrem Leben „in Freiheit“ beobachten und begleiten sollte. Bis 1958 waren 110 Personen ( 55 männlich, 55 weiblich, Alter zwischen 20-75 Jahren) gefunden, welche die Auswahlkriterien, die da wären, emotionale Stabilität, geringe geistige Behinderung, keine Überwachbarkeit durch die Familie bzw. durch Freunde etc., erfüllten. Diese Personen hatten bis zu deren Entlassung oft bereits bis zu zwanzig Jahre im Hospital verbracht. Die ausgewählten Personen wußten bei deren Entlassung, dass sie von nun an auf sich allein gestellt sein werden. 1960 wurde erstmals nach den vor zwei Jahren entlassenen Personen gesucht, welche nun in ganz Amerika verstreut lebten. Bis 1961 schließlich konnten 12 Personen nicht mehr gefunden werden, andere lebten außerhalb des von Edgerton gewählten 50 Meilen Radius um das Pacific State Hospital, andere wiederum lebten wieder in ihren Familien, welche keinen weiteren Kontakt mehr zuließen. Letztendlich blieben also von den anfangs ausgewählten 110 Personen noch 48 übrig, die Edgerton als Grundlage seiner Studie dienen sollten. Diese Personen hatten bis zu deren Entlassung oft bereits bis zu zwanzig Jahre im Hospital verbracht. Die Datensammlung hierfür fand durch regelmäßigen Kontakt zu den Patienten, deren Familien, Verwandten, Freunden, Arbeitgebern und deren gesamten sozialen Umfeld statt und basierte hauptsächlich auf Interviews, denen alle Befragten ausdrücklich zustimmten. Als besondere Schwierigkeit bei der Datensammlung erwies sich die Tatsache, dass die Privatsphäre der Patienten unbedingt geschützt werden musste, da viele Personen ihrem neuen sozialen Umfeld ihre Vergangenheit verschwiegen hatten.

4. Vorgeschichte der untersuchten Personen

In der Vorgeschichte der von Edgerton untersuchten Personen lassen sich vor allem in deren Kindheit einige Gemeinsamkeiten feststellen. Fast alle durchlebten eine schlechte Kindheit, und wurden von ihren Eltern oftmals vernachlässigt. Bei einigen Personen ließ sich auch bei deren Eltern schon eine geistige Behinderung nachweisen. Andere wiederum wuchsen fast nur in verschiedenen Waisenhäusern auf und konnten so nie auf eine Erziehung zurückblicken, die ausschließlich von den Eltern bestimmt war. Gemeinsam ist den meisten Personen auch die frühe Einlieferung in das Pacific State Hospital, die meist nach der Feststellung von Verhaltensauffälligkeiten erfolgte.

5. Ausgewählte Lebensbereiche der untersuchten Personen

Edgerton untersuchte nach der Entlassung der Patienten vor allem deren neues soziales Lebensumfeld. Dies reichte von der Wohngegend über die neuen Arbeitsplätze der Patienten, deren sozialen Rollen in ihrer neuen Umgebung bis zu deren Freizeitaktivitäten.

5.1 Wohngegend

Bei der Beobachtung der Wohngegend stellte Edgerton fest, dass sich die meisten seiner zu untersuchenden Personen in Ausnahmefällen in Slums, im größten Fall aber in Industriegebieten bis hin zu gehobenen Mittelklassegegenden niedergelassen hatten. Einige besaßen ein eigenes Haus, jedoch nur Frauen, die mit nicht behinderten Männern verheiratet waren, die meisten lebten jedoch in kleinen Wohnungen. Wieder andere bekamen von ihrem Arbeitgeber ein Zimmer gestellt, lebten in Hotelzimmern oder wieder bei den Eltern.

Allgemein ließ sich beobachten, dass es sich hierbei um Lebensbedingungen unterhalb des normalen Standarts handelte. Wenn man jedoch vom Standart der jeweiligen Wohngegend ausging, lebten einige sogar häufig über dem Durchschnitt.

Alles in allem lässt sich also allein an dem Kriterium der Wohngegend noch kein Unterschied zu nicht behinderten Personen feststellen.

5.2 Arbeit

Edgerton stellte fest, dass Arbeit bei den meisten Patienten eine fundamentale Rolle spielte. Schon im Hospital arbeiteten die Patienten zum Beispiel in der Küche etc.. Dies war auch eine der Voraussetzungen für deren Entlassung. Außerhalb des Pacific State Hospitals nahm nun die Bedeutung eines Arbeitsplatzes für die Patienten noch zu. Edgerton stellte fest, dass für die meisten seiner Patienten ein Arbeitsplatz einen weit bedeutendere Rolle spielte, als für nicht behinderte Personen. Dies lag vor allem daran, dass die meisten befürchteten, ohne Arbeit wieder ins Hospital eingeliefert zu werden. Außerdem stärkte ein Arbeitsplatz das Selbstvertrauen der Patienten enorm. Dadurch bekamen sie, nach eigenen Aussagen, das Gefühl, etwas wert zu sein, welches ihnen im Hospital so oft abgesprochen wurde.

Dennoch war es kaum jemandem möglich, für längere Zeit in seinem Job zu arbeiten. Viele konnten ihre Arbeit unter der ständigen Beobachtung des Arbeitgebers nicht zufriedenstellend erledigen. Deshalb fand Edgerton auch einige Arbeitslose vor, die nun von Sozialhilfe lebten oder von Verwandten unterstützt wurden.

Zu beobachten war auch, dass die meisten ihre Jobs aus den oben genannten Gründen häufig wechselten. Im Allgemeinen handelte es sich beim größten Teil um leichte Arbeiten und Aushilfsjobs. Bei einigen Personen lies sich auch eine hohe Verschuldung feststellen, da viele Probleme hatten, mit Geld umzugehen.

Weiterhin ließ sich feststellen, dass besonders Frauen in der Heirat eine Möglichkeit sahen, von diesem Zeitpunkt an nicht mehr zu arbeiten. Einigen Frauen wurde sogar das Arbeiten von ihren Männern verboten, obwohl Edgerton beobachtete, dass nur ein Ehepaar nicht auf das zusätzliche Geld der Frau angewiesen war. Die meisten der befragten Frauen betonten jedoch, dass sie als Hausfrauen glücklich seien und ihnen nichts fehle.

Dennoch erwies sich auch das Kriterium der Arbeit als nicht ausreichend, besondere Probleme, die nur auf der geistigen Behinderung der Personen basieren, herauszustellen.

[...]


[i] Gerber, D. 1990: Listening to disabled people: The problem of voice and authority in Robert B. Edgerton`s The Cloak of Competence, Disability, Handicap, and Society, 5: 3-5.

[ii] Edgerton, Robert B. 1993: The Cloak of Competence. Berkeley/Los Angeles/London: Universitiy of California Press ( revised and updated edition).

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Stigmatisierung und Überlebensstrategien von Menschen mit geistiger Behinderung in den USA
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Völkerkunde und Afrikanistik)
Veranstaltung
Aspekte einer Ethnologie des Leibes / Körpers
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V122422
ISBN (eBook)
9783640276554
ISBN (Buch)
9783640282494
Dateigröße
418 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stigma, Goffman, Behinderung
Arbeit zitieren
Alexandra Mörz (Autor:in), 2001, Stigmatisierung und Überlebensstrategien von Menschen mit geistiger Behinderung in den USA, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122422

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