Der Einfluss des Chinesenspuks auf das Scheitern der Ehe in Theodor Fontanes Roman Effi Briest


Dossier / Travail de Séminaire, 2006

18 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Chinesenspuk
2.1. Das Chinesenbild in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts
2.2. Der Chinese als Angstbild Effis
2.3. Der Chinese als Symbol der Begierde

3. Ursachen für das Scheitern der Ehe
3.1. Verzahnung der Ehebruchsgeschichte mit dem Chinesenmotiv

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Theodor Fontane schrieb seinen Roman Effi Briest mit Unterbrechungen in den Jahren von 1889 bis 1894. Der Vorabdruck erschien von Oktober 1894 bis zum März 1895 in der Deutschen Rundschau, ebenfalls im Jahr 1895 folgte die Buchausgabe des Romans, der bei Lesern und Kritikern eine hohe Gunst gewann.[1]

Stofflich beruht der Roman auf einer wahren Ehebruchsgeschichte in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Damals beging Elisabeth von Ardenne, die Gattin des Freiherren Armand von Ardenne, einen Ehebruch mit dem Düsseldorfer Amtsrichter Emil Hartwich, woraufhin dieser im Duell mit Ardenne fiel.[2]

Der Roman handelt von der jungen adeligen Effi von Briest, die sich mit 17 Jahren mit dem ebenfalls adeligen 38jährigen Jugendfreund ihrer Mutter, Geert von Innstetten, verheiratet. Ihr Leben in der preußischen Provinz mit dem Landrat ist geprägt von Langeweile und Vernachlässigung durch ihren Ehemann. Das Fehlen von Intimität und Sinnlichkeit sowie das Nichtzustandekommen menschlicher Beziehungen führen schließlich, gepaart mit einem von Innstetten inszenierten Spuk, zum Ehebruch Effis mit Major Crampas. Die Konsequenz dieser Tat, die nach über sechs Jahren ans Licht kommt, ist die Scheidung von Innstetten und die Verbannung aus der Gesellschaft. Crampas stirbt im Duell mit Innstetten. Effi erkrankt schließlich schwer und stirbt im Alter von 29 Jahren auf dem Anwesen ihrer Eltern.

In meiner Arbeit möchte ich die Gründe für das Scheitern der Ehe zwischen Effi und Innstetten genauer beleuchten. Dabei werde ich besonders auf die Bedeutung des Chinesenspuks eingehen, die meiner Meinung nach einen Drehpunkt des Romans darstellt und somit auch großen Einfluss auf den Fehltritt Effis hat. Fontane selber hat in einem Brief an Viktor Widmann die wichtige Bedeutung des Chinesen im Roman herausgestellt:

„Sie sind der erste, der auf das Spukhaus und den Chinesen hinweißt; ich begreife nicht, wie man daran vorbeisehen kann, denn erstlich ist dieser Spuk, so bilde ich mir wenigstens ein, an und für sich interessant, und zweitens, wie Sie hervorgehoben haben, steht die Sache nicht zum Spaß da, sondern ist Drehpunkt für die ganze Geschichte.“[3]

Zwar relativiert Fontane selber die Bedeutung des Spuks zuerst dadurch, dass er ihn nur als interessant erachtet. Das Motiv des spukenden Chinesen zieht sich jedoch durch den gesamten Roman und offenbart ein dichtes Verweisungsnetz, weshalb ich es als zentral ansehe und die Verstrickung der Romanfiguren mit dem Spuk genauer untersuchen möchte.

2. Der Chinesenspuk

Der Chinese wird bereits im sechsten Kapitel eingeführt. Noch auf der Kutschfahrt zu ihrem zukünftigen Haus berichtet Innstetten, aus welch unterschiedlichen Nationalitäten sich die Bevölkerung Kessins zusammensetzt. Effi ist angenehm überrascht und entgegnet, sie habe ein kleines Nest erwartet und finde „eine ganz neue Welt hier. Allerlei Exotisches. [...] vielleicht einen Neger oder einen Türken oder vielleicht sogar einen Chinesen.“[4]

Innstettens Antwort bestätigt Effis Vermutung: „Auch einen Chinesen. Wie gut du raten kannst. Es ist möglich, dass wir wirklich noch einen haben, aber jedenfalls haben wir einen gehabt; jetzt ist er tot und auf einem kleinen eingegitterten Stück Erde begraben, dicht neben dem Kirchhof. Wenn du nicht furchtsam bist, will ich dir bei Gelegenheit mal sein Grab zeigen; es liegt zwischen den Dünen, bloß Strandhafer drum rum und dann und wann ein paar Immortellen, und immer hört man das Meer. Es ist sehr schön und sehr schauerlich.“(49)

In dieser Aussage sind einige Vorausdeutungen enthalten. Obwohl das Grab des Chinesen sehr idyllisch, zwischen den Dünen gelegen, geschildert wird und das Rauschen des Meeres allgegenwärtig ist, spricht Innstetten sofort auch das Schauerliche an, das dem Grab des Chinesen anhaftet. Gleichzeitig gibt Innstetten Anhaltspunkte, dass der Chinese immer noch gegenwärtig ist, obwohl sein Tod lange zurückliegt. Zuerst spricht er davon, dass es möglich sei, dass noch ein Chinese in Kessin leben könnte, andererseits implizieren die unvergänglichen Immortellen am Grab, dass zumindest der Geist des Chinesen in die Gegenwart hineinreicht. Generell haben die Immortellen in den Werken Fontanes aber auch eine symbolische Bedeutung und kündigen Einsamkeit und Sterben an.

Effi untermauert einerseits die Schauerlichkeit des Chinesen, deutet allerdings gleichzeitig ihre Faszination am Fremden, Exotischen und Unheimlichen an: „Ja, schauerlich. Und ich möchte wohl mehr davon wissen. Aber doch lieber nicht, ich habe dann immer gleich Visionen und Träume [...]. Ein Chinese, find ich, hat immer was Gruseliges.“ (49)

Das generell Gruselige eines Chinesen wird also zum Vorurteil und ruft Effis Ängste hervor. Die Transponierung des Spuks in die Chinesenfigur wird verständlich, wenn man das Menschenbild eines Chinesen in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts genauer betrachtet.

2.1. Das Chinesenbild in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts

In Europa und besonders im Deutschen Kaiserreich herrschte gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Klischee des Chinesen als sklavischer Arbeiter vor. Der chinesische Staat galt als Diktatur, die europäische Maxime geradezu umkehrte. Als Charaktereigenschaften wurden den Chinesen Fleiß, Geduld, Findigkeit und Genügsamkeit zugeschrieben. Relativiert wurde die Zuschreibung dieser Qualitäten allerdings dadurch, dass die Auffassung bestand, dass die Fähigkeiten hinterlistig eingesetzt werden. Somit galt der Chinese generell als jemand, dem man nicht vertrauen konnte und wurde sogar als Gelbe Gefahr bezeichnet. Zur Überwindung dieses Angstklischees reizten jedoch die ungeahnten Möglichkeiten, die der Kultur- und Wirtschaftsraum China einem Handel mit Europa bieten konnte.[5]

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Chinesenmotiv in Effi eine gewisse Angst hervorruft. Gleichzeitig ist sie aber von dem Fremden und Exotischen fasziniert.

2.2. Der Chinese als Angstbild Effis

Diese, die öffentlich Meinung bestimmende, zwiespältige Haltung, die sich als schauderndes Zurückschrecken bei gleichzeitig magischem Angezogensein beschreiben lässt, prägt auch Effis Umgang mit dem Chinesenmotiv. Nach dem ersten Kontakt mit dem Chinesen im Dialog mit Innstetten schwankt Effi zwischen einer scherzhaften Haltung gegenüber dem Fremden und einer gruseligen Vorstellung. Sie liebt zwar das Exotische als reizvollen Dekor, „so müsst es ein japanischer Bettschirm sein, schwarz und goldene Vögel darauf, alle mit einem langen Kranichschnabel ... Und dann vielleicht auch noch eine Ampel für unser Schlafzimmer, mit rotem Schein.“ (31) und vermag auch seine erotischen Impulse aufzunehmen. Andererseits ist sie aber sehr leicht von dem Schaurigen der Chinesenvorstellung zu beeindrucken. So etwa in Effis erster Nacht im neuen Heim. Sie hört Geräusche im Zimmer über ihr, ,,als tanze man oben, aber ganz leise." (59) Diesen Vorfall bringt Effi allerdings noch nicht mit dem Chinesen in Verbindung, obwohl im Zimmer über ihr ein Bild des Chinesen an einem Stuhl befestigt ist. Kurze Zeit später hat Effi einen Alptraum, der für sie aber real zu sein scheint: „Ja, geträumt. Es muss so was gewesen sein ... aber es war doch auch noch was anderes.“ (83) Im Gespräch mit dem gerufenen Dienstmädchen Johanna offenbart Effi sich schließlich: „Und wenn ich mich recht frage [...] ich glaube [es war] der Chinese.“ (83) An dieser Stelle entpuppt sich das Chinesenmotiv für Effi zum ersten Mal als etwas Bedrohliches, dem sie in ihrem neuen Zuhause ausgeliefert ist. Dementsprechend will sie das „verwunschene Haus“ (87) verkauft sehen. Im Zwiegespräch mit Effi über ihren Alptraum und das zu verkaufende Spukhaus beginnt Innstetten nun, das von Effi wahrgenommene Bild des Chinesen zu manipulieren. Anstatt Effis Vision als reinen Alptraum abzutun, bestreitet er die Existenz von Geistern nicht sondern stellt sogar den Vergleich „Spuk ist ein Vorzug, wie Stammbaum und dergleichen,... (88) an und hebt somit Geistervorstellungen als dem Adel zugehörend heraus. Mit anderen Worten ist der Spuk also nichts, wovor man sich fürchten muss. Solange man sich den gesellschaftlichen Normen entsprechend verhält, kann man sogar stolz darauf sein. Der Spuk wird somit ein Wächter über das moralische Verhalten des Naturkindes Effi Briest. Dass Innstetten den Spuk als Druckmittel für Effis gesellschaftliche Verhaltensweisen einsetzt, wird auch im Silvesterbrief Effis an ihre Mutter deutlich: „Er [Innstetten] verlangte von mir, ich solle das alles als alten Weiberunsinn ansehen und darüber lachen, aber mit einemmal schien er doch auch wieder selber daran zu glauben, und stellte mir zugleich die sonderbare Zumutung, einen solchen Hausspuk als etwas Vornehmes und Altadliges anzusehen.“ (112) Damit ignoriert Innstetten meiner Meinung nach die Angst Effis sehr bewusst, um für Effi eine Situation der psychischen Abhängigkeit ihm gegenüber herzustellen. Einerseits bezeichnet er den Spuk als Unsinn, worüber man lachen kann, andererseits soll Effi ihre Ängste in ihrer Rolle als Baronin als etwas Vornehmes und Adeliges akzeptieren. Der Chinese wird von Innstetten zu einer Instanz aufgebaut, die allgegenwärtig ist und selbst in Innstettens Abwesenheit seine Autorität gegenüber Effi aufrechterhält.[6] Dies wird besonders in der Forderung Innstettens gegenüber Effi „man muss nur in Ordnung sein und sich nicht fürchten brauchen“ (165) deutlich. Durch die Aufrechterhaltung des nächtlichen Spuks wird das Haus für Effi zu einem verwunschenen Ort, an dem sie nicht heimisch werden kann. Sie soll einzig und allein den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen.

[...]


[1] Vgl. WÖLFEL, K.: Nachwort. In: FONTANE, T.: Effi Briest. Stuttgart, 2002, S. 337

[2] Vgl. SCHAFARSCHICK, W.: Erläuterungen und Dokumente. Theodor Fontane. Effi Briest. Stuttgart, 2002, S. 83

[3] Zit. n. ebd., S.112f

[4] S. FONTANE, T.: Effi Briest. Stuttgart, 2002, S. 48f. Alle Zitate aus Effi Briest sind dieser Ausgabe entnommen und werden von nun an im Text nur noch mit der Seitenzahlangabe nachgewiesen.

[5] Vgl. UTZ, P.: Effi Briest, der Chinese und der Imperialismus: Eine „Geschichte“ im geschichtlichen Kontext. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 103/1984, S. 215ff

[6] Vgl. UTZ, P.: Effi Briest, der Chinese und der Imperialismus: Eine „Geschichte“ im geschichtlichen Kontext. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 103/1984, S. 218f

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Der Einfluss des Chinesenspuks auf das Scheitern der Ehe in Theodor Fontanes Roman Effi Briest
Université
Carl von Ossietzky University of Oldenburg  (Institut für Germanistik)
Cours
Theodor Fontane
Auteur
Année
2006
Pages
18
N° de catalogue
V122487
ISBN (ebook)
9783640278619
Taille d'un fichier
454 KB
Langue
allemand
Mots clés
Einfluss, Chinesenspuks, Scheitern, Theodor, Fontanes, Roman, Effi, Briest, Theodor, Fontane, Chinese, Instetten
Citation du texte
David Zinnecker (Auteur), 2006, Der Einfluss des Chinesenspuks auf das Scheitern der Ehe in Theodor Fontanes Roman Effi Briest, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122487

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