Folgt man Diderot in seinen Entretiens sur ‚le Fils naturel‘, besteht die ideale Aufführungssituation
des bürgerlichen Dramas nicht vor der repräsentativen Öffentlichkeit von Hof und Stadt, sondern in
der Intimität der Familie selbst, die es darstellt. Statt andere zu unterhalten, dient das Drama zur
„Bewahrung eines Gedächtnisses an ein Ereignis“: das Ereignis ihrer Entstehung.
Das zeigt, dass die neue bürgerliche Familie die Schwelle zu ihrer kulturellen Existenz nicht ohne
eine „Semiotechnik“, also nicht ohne Literatur passieren konnte. Wie diese Semiotechnik auf den
Ebenen sprachlicher Kommunikation, Ausdruck von und Umgang mit Gefühl, Codierung von
Intimität stattgefunden hat, ist in der Forschung ausgiebig untersucht worden. Wie jedoch im
bürgerlichen Trauerspiel mediale Techniken entwickelt, vermittelt und erlernt werden und dieses
Training gleichsam in seiner Darstellung eingeübt wird, blieb davon bisher nur in Schnittmengen
berührt. Denn ‚medial‘ kann vieles heißen: Wie verfahren die Figuren mit den Informationen, die
sie übermitteln wollen, wie können Lesen, Schreiben und Sprechen auch tatsächlich
‚funktionieren‘? Brauchen sie dazu maschinelle Unterstützung oder sind sie gar selbst die Maschine
bzw. das Medium? Wie lange brauchen die Nachrichten, um ihre gewünschten Empfänger zu
erreichen? Für Lessings Stück Miß Sara Sampson drängen sich derlei Überlegungen schon vor dem
ersten Satz auf: Die dramatis personae hält für jede der Hauptfiguren Diener- bzw. Botenfiguren
bereit, die im Laufe des Stücks unterschiedlich erfolgreiche Dienste leisten werden.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Technik
- 3. Zeitmanagement
- 3.1. Mellefonts Zauderrhythmus
- 3.2. Saras Zeitökonomie
- 3.3. Saras neuer Code: Liebe, Recht und Geld als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien
- 4. Informationskompetenz
- 4.1. Kommunikationssperren
- 4.2. Leseübungen
- 4.3. Sprechübungen
- 4.4. Hände
- 5. Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die medialen Techniken in Lessings „Miss Sara Sampson“, indem sie die Kommunikationsstrategien der Figuren und deren Auswirkungen auf den dramatischen Verlauf analysiert. Der Fokus liegt auf der Frage, wie mediale Kompetenz im Stück dargestellt und erlernt wird, und welche Rolle Medien wie Liebe, Recht und Geld spielen.
- Mediale Kompetenz und Kommunikation im bürgerlichen Trauerspiel
- Zeitmanagement und der Einfluss von Tempo auf die Handlung
- Die Rolle von Liebe, Recht und Geld als Kommunikationsmedien
- Analyse der Figuren und ihrer Strategien
- Verhältnis von Mensch und Maschine in Lessings Drama
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung diskutiert Diderots Vorstellung der idealen Aufführungssituation des bürgerlichen Dramas und führt in die Thematik der medialen Techniken in Lessings Stück ein. Kapitel 2 beleuchtet Lessings Abkehr vom künstlichen Stil französischer Tragödien und untersucht die Darstellung von „Maschinen“ und den Wunsch der Figuren nach maschineller Unterstützung, illustriert an Marwoods Kindsmord-Szene. Kapitel 3.1 analysiert Mellefonts Zaudern als Ausdruck eines Konflikts zwischen „Todestrieb“ und „Lebenstrieben“. Kapitel 3.2 befasst sich mit Saras Zeitökonomie.
Schlüsselwörter
Lessing, Miss Sara Sampson, Bürgerliches Trauerspiel, Mediale Techniken, Kommunikation, Zeitmanagement, Liebe, Recht, Geld, Maschine, Mensch, Informationskompetenz, Dramaturgie.
- Arbeit zitieren
- Peter Troll (Autor:in), 2008, Lessings "Miss Sara Sampson" - Ein bürgerlicher Medienworkshop, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122560