Obwohl Flaubert das Etikett Realist ablehnte, zählt er zu den bedeutendsten Schriftstellern des bürgerlichen Realismus im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Ebenso wie Stendhal und Balzac wollte er im Roman die Geschichte seiner Generation schreiben: „Je veux faire l’histoire morale des hommes de ma génération; sentimentale serait plus vrai.“
Dieses gross angelegte Projekt muss man im Zusammenhang mit der Entwicklung im 19. Jahrhundert sehen. Im Jahrhundert der Revolutionen wendete sich die Betrachtung auf die historische Wirklichkeit der sich verändernden Gesellschaft, die durch zunehmende Kommerzialisierung und Kapitalisierung aller Lebensbereiche gekennzeichnet war. Die Literatur versuchte dem gerecht zu werden, indem sie persönliche Lebensgeschichten im aktuellen Bezug auf die sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen darstellte. Den Vertretern des realistischen Romans war dabei eine antibürgerliche Haltung gemeinsam, die die Korruption der Gesellschaft offenlegte und die Frage nach der Rolle des Individuums stellte, dass nur noch scheitern kann.
Die realistischen Romane haben Paris als Zentrum der modernen Gesellschaft gemeinsam. In Flauberts L’Education Sentimentale ist Paris für die Hauptfigur Frédéric Moreau die Fläche für die Projektion seiner romantischen Sehnsüchte und gesellschaftlichen Ambitionen. Im klassischen Gegensatz zur Verderbtheit der Stadt steht die Landidylle, in die Frédéric mehrfach flieht und dort auch bis zu einem gewissen Grad seine Sehnsüchte erfüllt findet.
Diese Arbeit möchte zeigen, wie in der L’Education Sentimentale das Motiv der Idylle als Sinnmodel und narratologischer Subtext evoziert wird, um jedoch durch Korruption und Banalisierung als falsches Ideal entlarvt zu werden. Der Topos der Idylle als zeitloser Raum eines vorzivilisatorischen Naturzustands ruft Konzepte wie spielerische Ereignislosigkeit und regressive Nostalgie auf, die Frédéric in trauter Zweisamkeit mit verschiedenen Frauen erfährt. Jedoch dringt in die Landidyllen in der Education Sentimentale die Leidenschaft und die politische Gewalt in kongruenter Form ein. Genauso wie die Stadt sind die Idyllen von Anfang an mit zunehmender Korruption und Brutalität durchzogen und bieten keineswegs Schutz vor der kapitalistischen Gesellschaft.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- korrumpierte Idyllen
- naive Idylle in Nogent (Louise Roque)
- romantische Idylle in Auteuil (Mme Arnoux)
- mythische Idylle in Fontainebleau (Rosanette)
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit untersucht das Motiv der Idylle in Flauberts L'Education Sentimentale. Sie analysiert, wie die Idylle als Sinnmodel und narratologischer Subtext evoziert wird, um jedoch durch Korruption und Banalisierung als falsches Ideal entlarvt zu werden. Die Arbeit fokussiert dabei auf drei spezifische Idyllen, die Jacques Proust als „triptyque“ bezeichnet hat, und untersucht ihren Zusammenhang sowie die Rolle der Landschaftswahrnehmung und der jeweiligen Frau als Vermittlerfigur der Wahrnehmung.
- Die Darstellung der Idylle als Sinnmodel in Flauberts L'Education Sentimentale
- Die Korruption und Banalisierung der Idylle als falsches Ideal
- Analyse der drei spezifischen Idyllen, die Jacques Proust als „triptyque“ bezeichnet hat
- Die Rolle der Landschaftswahrnehmung in der Konstruktion der Idyllen
- Die Bedeutung der jeweiligen Frau als Vermittlerfigur der Wahrnehmung
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung stellt den Kontext von Flauberts Werk im bürgerlichen Realismus des 19. Jahrhunderts dar und beleuchtet die historische und gesellschaftliche Situation, die den Roman prägt. Sie hebt die besondere Rolle des unpersönlichen Erzählers und die implizite Ironie hervor, die dem Leser eine kritische Distanz zu den Protagonisten ermöglichen.
- Das Kapitel „korrumpierte Idyllen“ untersucht die drei verschiedenen Idyllen, die Frédéric Moreau in L'Education Sentimentale erlebt. Es analysiert die naive Idylle mit Louise Roque in Nogent, die romantische Idylle mit Mme Arnoux in Auteuil und die mythische Idylle mit Rosanette in Fontainebleau. Dabei wird die jeweilige Landschaftswahrnehmung Frédérics und die Bedeutung der Frauen als Vermittlerfiguren beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen Idylle, Korruption, Banalisierung, Sinnmodel, narratologischer Subtext, Landschaftswahrnehmung, Vermittlerfigur, L'Education Sentimentale, Flaubert, Realismus, 19. Jahrhundert.
- Quote paper
- Simone Linde (Author), 2003, Korrumpierte Idyllen in Flauberts "L'Education Sentimentale", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12285