Der Albigenserkreuzzug im Spiegel der "schönen" Literatur des 13. Jahrhunderts


Magisterarbeit, 2005

65 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Historiographische Darstellung
1. Südfrankreich im 12. Jahrhundert
1.1 Geographische und politische Lage
1.2 Die wichtigsten Akteure
2. Der Kreuzzug gegen die Katharer
2.1 Das III. Laterankonzil und seine Folgen
2.2 Die Kreuzzugspolitik unter Papst Innozenz III. bis 1215
2.3 Der Albigenserkreuzzug ab 1209
2.3.1 Béziers
2.3.2 Carcassonne
2.3.3 Der Aufstieg Simons von Montfort
2.4 Peter II. von Aragón und seine Rolle während des Albigenser-
kreuzzuges
2.4.1 Die Schlacht von Muret
2.5 Das IV. Laterankonzil
2.5.1 Die Konsequenzen der Konzilsbestimmungen, der Tod
Simons von Montfort und dessen Auswirkungen auf das Kreuz-
zugsunternehmen
2.6 Die Albigenserpolitik des kapetingischen Königtums
2.7 Das Ende des Territorialkriegs
2.7.1 Der Friedensvertrag von Paris
2.7.2 Das Konzil von Toulouse
2.8 Der Fall Montségurs als Ende der Katharerverfolgung

III. Die „literarische“ Darstellung der Katharerverfolgung
1. Einleitung
1.1 Das sirventes
2. Roger-Raimund Trencavel, Béziers und Carcassonne
3. Peter II. von Aragón und sein Tod
4. Die Rückeroberungskampagne Raimunds VII
4.1 Beaucaire
4.2 Die 2. Belagerung von Toulouse 1217
4.3 Avignon
5. Der Friedensvertrag
5.1 Okzitanische Reaktion auf den Friedensvertrag von Paris
5.2 Kampf gegen den Friedensvertrag
6. Darstellung der Inquisition

IV. Schlussbetrachtung

V. Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Sekundärliteratur

I. Einleitung

« Tan trop de rasos que dire, que non sai vas cal me vire. Mas chascus pes e conssire et en Tolosa se mire ! »[1]

Wenn man sich diesen Vers der Troubadoure Tomier und Palaizi vor Augen führt, so fällt es einem nicht schwer, diesen mit den Ereignissen des Kreuzzuges gegen die Albigenser zu verbinden. Die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einzelnen Ereignissen aus dieser Zeit, wobei genauer präzisiert werden muss:

Es muss zu Beginn darauf hingewiesen werden, dass diese Arbeit keinen vollständigen Verlauf des Albigenserkreuzzuges präsentiert, sondern ihren Schwerpunkt vielmehr auf die Beschreibung einzelner Geschehnisse legt. Die Arbeit besteht aus zwei grösseren Teilen, da zum einen eine auf zeitgenössischer Geschichtsschreibung beruhende und zum anderen eine auf lyrischen Quellen beruhende Darstellung Gegenstand der Untersuchung ist. Was den ersten Teil betrifft, so habe ich als Grundlage die Historia von Peter von Vaux de Cernay, die Canso de la Crozada von Wilhelm von Tudela und seinem anonymen Fortsetzer sowie die Chronika des Wilhelm von Puylaurens. Hierbei muss erwähnt werden, dass die zeitgenössischen Darstellungen sehr verschieden und alles andere als neutral sind. Während Vaux de Cernay aus der Sicht der Kirche und der Nordfranzosen einen extrem religiösen Standpunkt vertritt, so finden wir bei Tudela und Puylaurens zwar auch einen religiösen, jedoch einen gemässigteren, südfranzösischen Standpunkt vor. Was den anonymen Fortsetzer der Canso betrifft, so stellt dieser das Gegenstück zu Vaux de Cernay dar, da er bei seinen Beschreibungen einen radikalen südfranzösischen Standpunkt vertritt, welcher konsequent das Handeln der Kreuzfahrer in Frage stellt. Der zweite Teil bezieht sich ebenfalls zum Teil auf die selben Ereignisse und zum Teil auf andere Ereignisse. Doch anders als bei Abschnitt II stehen diese nicht im Vordergrund. Vielmehr wurden sie als Gelegenheit genutzt, seine Meinung auf ein bestimmtes Ereignis beziehend zu formulieren und zu verbreiten.

Das, was oben als Schicksal der Stadt Toulouse, welche hier für das gesamte Languedoc und seine Bevölkerung steht, beschrieben wurde, soll im Verlauf des ersten Teils dargestellt werden, so dass sich hier eine lückenhaft dargestellte Zeitspanne von mehr als 60 Jahren ergibt (1179 – 1244). Der zweite Teil hinterfragt nicht die Entstehung einzelner Ereignisse, sondern zeigt auf, wie diese in der zeitgenössischen, „schönen“ Literatur verarbeitet wurden. Die hierbei ausschliesslich

verwendeten sirventes sind Bestandteil der Arbeit, da die Untersuchung sehr nah an den Quellen stattfindet. Aus diesem Grund habe ich Übersetzungen aus dem Altprovenzalischen von mehreren sirventes angefertigt, wenn mehr als nur ein Vers heranzogen wird. Betrachtet man die Anzahl der hier verwendeten Quellen und Forschungsliteratur, so stellt man fest, dass die Quellenlage sehr schlecht ist. Ein Grossteil der Sekundärliteratur bezieht sich ebenfalls auf die hier verwendeten, historiographischen Darstellungen und machen diese somit zum Hauptkern ihrer Untersuchungen. Aus diesem Grund unterscheiden sich die hier verwendeten Werke von ROQUEBERT, OBERSTE, LAMBERT etc. in ihren Untersuchungen kaum. Nicht nur aus diesem Grund stieß ich selten auf inhaltliche Differenzen und Diskussionen. Was in diesem Zusammenhang die Verwendung der literarischen Quellen der Troubadoure betrifft, so wird diese in der Sekundärliteratur meistens auf ein Minimum reduziert oder gar außer Acht gelassen.

Auf Diskussionen, ob das Vorgehen gegen den südfranzösischen Adel als Kreuzzug oder als Territorialkrieg angesehen werden muss, gehe ich während der Arbeit nicht ein, da sie bewusst nicht Gegenstand dieser Arbeit sein sollten. Sie spiegeln sich lediglich des Öfteren in den Interpretationen einzelner Textabschnitte wieder, so dass dies in der Schlussfolgerung nochmals aufgegriffen wird. Des Weiteren soll im Schlussteil nochmals auf den Unterschied der historisch-literarischen Quellen eingegangen werden, indem eine Antwort auf die Frage, inwiefern sich die in den beiden Hauptteilen vorgestellten Darstellungen unterscheiden, gegeben wird.

II. Historiographische Darstellung

1. Südfrankreich im 12. Jahrhundert

1. 1 Geographische und politische Lage

Bevor wir uns den religiös motivierten Konfliktfeldern zuwenden, sollten zuerst die sozialen und politischen Differenzen, welche nicht zuletzt auch aus der komplizierten, geographischen Aufteilung des Languedoc resultierten, erläutert werden.

Im Mittelpunkt des betrachteten Gebietes befinden sich die Grafschaft Toulouse und ihre Lehen, angrenzende Gebiete des Königreiches Aragón und seine Lehen und in weiterem Sinne jene Gebiete, denen die Grafen von Toulouse selbst lehenspflichtig waren. Durch diese jeweiligen Lehnshoheiten werden demnach indirekt die französische und englische Krone sowie der deutsche Kaiser in den Konflikt einbezogen.[2] OBERSTE betont jedoch, dass solche Lehnspflichten nichts Ungewöhnliches waren und die faktische Einheit der Grafschaft Toulouse zumindest nicht bis 1159 beeinträchtigt wurde.[3] Heinrich II. fiel 1159 in das Languedoc ein, um seinen Machtbereich von Aquitanien aus zu vergrößern. Aber nicht nur Heinrich II. bedrohte die Grafschaft von Toulouse, sondern auch das Königreich Aragón, welches eine Expansion nach Osten anstrebte. Größeres Unheil für den Grafen von Toulouse, Raimund V., konnte nur durch die Unterstützung des französischen Königs abgewendet werden, da jener eine englische Expansion auf dem Festland nicht dulden konnte. Ein Interessenkonflikt mehrerer Parteien war entstanden, welcher die Herrschaft Raimunds V. bedrohte.[4] Das Bekämpfen dieser Bedrohung spiegelte sich zum Beispiel eindeutig in der strategisch wichtigen Heiratspolitik der tolosanischen Grafen wieder: Während Raimund V. Prinzessin Konstanze von Frankreich, Schwester von König Ludwig VII., heiratete, vermählte sich deren gemeinsamer Sohn, Raimund VI., zuerst mit Johanna von England und dann mit Eleonore von Aragón.[5] Diese politischen Konstruktionen zeigen eindeutig auf, in welcher hohen Position sich der tolosanische Adel befand: Herrscher über ein überaus strategisch wichtig gelegenes Territorium und daraus resultierend ein begehrtes Geschlecht, was die Heiratspolitik betraf. Während demnach genügend Gründe für territoriale Streitigkeiten im Languedoc vorhanden waren, sollte man unbedingt einen weiteren Aspekt betrachten, welcher ein Vorgehen gegen die Grafschaft Toulouse von Seiten der katholischen Kirche zu erklären vermag.

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts breiteten sich verschiedene religiöse Bewegungen aus, von welchen der Katharismus[6] die bedeutendste war.[7] Zentrale Elemente der als ketzerisch eingestuften Gruppe waren der Glaube an zwei Götter, „den guten Gott der geistigen Welt und den satanischen Gott, der die materielle Welt erschaffen hatte, die die Seelen gefangen hielt“[8], Beachtung des Speiseverbots für Zeugungsprodukte wie Fleisch, Milch, Eier, Käse etc., sexuelle Enthaltsamkeit, Ablehnung der Trinität und der Institution der Kirche.[9] Bevor sich diese Arbeit dem historischen Geschehen widmet, sollten unbedingt die Protagonisten, allen voran die Herrscher über die Gebiete im Languedoc, vorgestellt werden, da sie ständiger Bestandteil dieser Arbeit sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die politische Machtverteilung im Languedoc vor 1209; entnommen aus: GRIFFE, Maurice, Les Cathares, Chronologie de 1022 à 1321, S. 3.

1. 2 Die wichtigsten Akteure

Wie eben erwähnt bildet die Grafschaft Toulouse das Zentrum unserer Betrachtung. Es ist offensichtlich, dass die bereits genannten Königreiche Aragón, Frankreich und England, alle aus ähnlichen Gründen motiviert, eine enges Verhältnis zu der Grafschaft anstrebten, um ihre eigenen Interessen zu verwirklichen. Hierbei dürfen die Interessen des Papstes und seiner Legaten, die Häresie im Languedoc zu vernichten, nicht außer Betracht gelassen werden. Im Folgenden sollen nun die wichtigsten Akteure, auf welche wir in der Arbeit stoßen werden, zeitlich eingeordnet und der Übersicht halber aufgelistet werden.werden.

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2. Der Kreuzzug gegen die Katharer

2. 1 Das III. Laterankonzil und seine Folgen

Seit dem Dritten Laterankonzil 1179 wurde zur Bekämpfung der Albigenser aufgerufen. Auf Anraten des Heinrich von Clairvaux[10] sollte über alle Ketzer und all jene, die Umgang mit ihnen haben, das Anathem[11] verhängt werden. So kam es dann auch dazu, dass Alexander III. mit dem 27. Kanon verkünden ließ, dass

„sie (die Katharer) und alle, die sie verteidigen oder aufnehmen, dem Anathem unterliegen. Wir verbieten unter Androhung des Anathems, sie im eigenen Haus oder Land zu beherbergen, zu begünstigen oder mit ihnen Handel zu treiben“[12]

Interessant bei diesem Dekret ist jedoch nicht nur die allgemeine Bestrafung der Häretiker - dies wurde auch schon bei dem Konzil von Tours 1163 von Papst Alexander III. initiiert[13] -, sondern die Pflicht Aller,

„sich solcher Bedrohung entgegenzustellen und das christliche Volk mit Waffen vor ihnen zu schützen. Ihre Güter werden eingezogen, und dem Fürsten steht es frei, solche Menschen der Sklaverei zu unterwerfen. Wer in aufrechtiger Buße stirbt, zweifle nicht daran, Nachlass der Sünden und die Frucht des ewigen Lohns zu erhalten. “[14]

Es ist deutlich zu erkennen, dass die Kirche nun mit Mitteln vorging, welche einem Kreuzzug[15] schon sehr nahe kamen: die Aussicht auf einen Sündenerlass und auf kirchlichen Schutz, wie es ebenfalls den Pilgern ins Heilige Land zustand, unterstreichen diesen Gedanken und lassen annehmen, dass das Vorgehen der Kirche gegen die Katharer erstmals eine deutlich gewaltsame Form anzunehmen schien. Mit der Durchführung des Kampfes gegen die Ketzer wurde Heinrich von Clairvaux, welcher zuvor schon zum Kardinal von Albano ernannte worden war, als päpstlicher Legat beauftragt. 1181 zog er kurzweilig mit einem Heer in das Languedoc, wobei sich sein Feldzug hauptsächlich gegen den Vizegrafen von Béziers und Carcassonne, Raimund-Roger Trencavel, richtete. Die Erfolge blieben bis auf wenige Ausnahmen aus. Diese zeigen aber deutlich, dass es ein Vorgehen gegen die Katharer seitens der katholischen Kirche gab, aber die Entschiedenheit und die Mittel gegen diese noch lange nicht dem entsprachen, was wir im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch erfahren werden. Von dem Chronisten Wilhelm von PUYLAURENS erfahren wir, dass „cardinalis quidam missus a Romano Pontifice obsedit et coegit sibi reddere hereticos qui ibi erant. E quibus duo qui erant precipui ad fidem catholicam sunt conversi.“[16] Wie man sehen kann wird das Bekehren zweier Häretiker als Erfolg gewertet. Dies zeigt zum einen, dass der Schwerpunkt darin bestand, Ketzer zur Buße zu bewegen und sie zum “rechten Glauben” zurückzuführen, und zum anderen, dass die Vorgehensweise der päpstlichen Institution nicht dem 27. Kanon des III. Laterankonzils entsprach.

2. 2 Die Kreuzzugspolitik unter Papst Innozenz III. bis 1215

Mit Innozenz III., welcher das Pontifikat 1198 übernahm, sollte sich die Ketzerbekämpfung ändern. Dies zeigte sich an seiner Bulle Vergentis in senium vom 25. März 1199. Sie hatte zum Ziel, die Förderer der Häresie einzuschüchtern und fügsam zu machen. Zentrales Element dieser Bulle ist das Verhängen der Infamie[17].

Zur Verwirklichung der Bulle wurde im Jahre 1200 Kardinal Johannes von St. Paulus beauftragt und ab 1203 zusätzlich Pierre de Castelnau und Arnaud Amaury.[18]

Während sich aber im Grossen und Ganzen die ersten sechs Jahre seines Pontifikats kaum von dem seines Vorgängers unterschieden, zumindest was den Erfolg im Languedoc betrifft, änderte sich dies jedoch mit der Bitte an den französischen König Philippe Auguste, als Lehnsherr in das Geschehen einzugreifen und seine ketzerischen Vasallen zu entmachten.[19] Die Bitte konnte von Philippe Auguste nicht berücksichtigt werden, da ihm der Krieg mit der englischen Krone wichtiger erschien. ROSCHER merkt an, dass ein energischeres Verhalten erst 1207 zu verzeichnen war, als sich das Vorgehen des Papstes mehr und mehr gegen den Grafen Raimund VI. von Toulouse konzentrierte, wobei man an dieser Stelle noch nicht von einem Kreuzzug sprechen könne.[20] Raimund VI. wurde im selben Jahr exkommuniziert. Ihm gelang es nicht, der ständig auferlegten Aufgabe gerecht zu werden, die Katharer zu verdrängen. LAMBERT verweist darauf; dass

„das Katharertum in bestimmten Familien und Gebieten fest verankert war, und Raimund die Mittel und die entsprechende Autorität fehlte, um dies zu ändern, selbst wenn er gewollt hätte.“[21]

Zu Beginn des darauffolgenden Jahres wurde der päpstliche Legat Peter von Castelnau ermordet, nachdem er Verhandlungen mit dem Grafen von Toulouse geführt hatte: ein Ereignis, welches die Kirche mit Raimund VI. verband, was man sehr deutlich an der Beurteilung des Pierre des Vaux-de-Cernay erkennen kann:

„Gegen ihn (Pierre de Castelnau) stachelte der Teufel seinen Diener, den Grafen von Toulouse, auf. Dieser hatte sich wegen vieler und schwerer Vergehen, die er gegen die Kirche und Gott begangen hatte, oft die Strafe der Kirche zugezogen. [...] Am anderen Morgen in der Frühe [...] schleuderte einer der Gefolgsleute des genannten Satans seine Lanze und verletzte hinten zwischen den Rippen den zuvor erwähnten Pierre.“[22]

VAUX-DE-CERNAY ging sogar soweit, den Tod des Pierre de Castelnau als ein Martyrium zu bezeichnen.[23] Der Papst seinerseits bekräftigte die Exkommunikation Raimunds und appellierte nochmals an den französischen König, in das Geschehen einzugreifen. Dieser lehnte abermals ab, so dass sich Innozenz gezwungen sah, seine Legaten aufzufordern, einen Kreuzzug gegen die Albigenser auszurufen.[24] An dieser Stelle können wir festhalten, dass erstmals der Kreuzzugsgedanke[25] auf das Gebiet des Languedocs konkretisiert wurde und der Graf von Toulouse fortschreitend in Bedrängnis geriet.[26] Der Oktober 1208 stellt demnach einen Wendepunkt der Ketzerbekämpfung dar, wie wir auch deutlich an folgendem Zitat erkennen können:

„Um die gläubigen Völker williger zur Ausrottung der häretischen Pest zu machen, sandte der Herr Papst für die Allgemeinheit bestimmte Schreiben [...]. Er ließ sie wissen, dass allen, [...], alle ihre Sünden vergeben würden. Sobald dieser Ablass in Frankreich verkündet worden war, bewaffnete sich eine große Menge Gläubiger mit dem Kreuz.“[27]

Nicht ganz so dramatisch aber trotzdem beeindruckt schildert TUDELA in der von ihm begonnenen Canso de la Crozada dieses Ereignis. Er hebt hervor, dass er niemals eine so große Ansammlung von Menschen gesehen hat, welche gemeinsam gegen die Häretiker vorgehen wollten.[28]

Raimund gelang es, diese Bedrohung abzuwehren, indem er am 18. Juni 1209 in St. Gilles mit den Legaten zur Aufhebung seines Kirchenbanns erschien. Zugleich gelobte er Besserung und nahm die ihm vorgelegten Bedingungen an.[29] Durch diese Unterwerfung gelang es Raimund VI., die sich vorbereitenden Kreuzfahrer abzuwehren und das Geschehen auf seinen Neffen, Raimund-Roger Trencavel, Vizegraf von Béziers und zugleich Lehnsmann von ihm und König Peter II. von Aragón, zu lenken. Raimund leistete am 22. Juni 1209 einen Treueid gegenüber den Kreuzfahrern und wurde somit selbst Teilnehmer an dem Kreuzzug, den er zuvor zu verhindern versuchte.

2. 3 Der Albigenserkreuzzug ab 1209

Trotz der Unterwerfung Raimunds VI. versammelten sich die Kreuzfahrer in Lyon und zogen in die Gebiete des Vizegrafen von Béziers, da dieser sich weigerte, sich mit Raimund zusammen zu unterwerfen. Diese Feindschaft mag auch ein Grund für die Teilnahme Raimunds am Kreuzzug gewesen sein, da er sich dadurch seines Rivalen entledigen konnte.[30] Unter der Führung des Abtes von Cîteaux, Arnaud Amauri, begann der Kreuzzug am 24. Juni 1209 in Lyon, wo sich viele Angehörige des nordfranzösischen Adels und Klerus‘ versammelten, u.a. der Erzbischof von Sens, die Bischöfe von Clermont und Nevers sowie die Grafen von Montfort, Saint-Pol und Bar-sur-Seine.[31]

2. 3. 1 Béziers

VAUX-DE-CERNAY beschreibt in genugtuender Weise, wie schnell und überaus brutal die Stadt Béziers von den Kreuzfahrern eingenommen wurde, da sich die Bewohner der Stadt nicht bereit erklärten, die unter Verdacht stehenden Häretiker herauszugeben. „Die unverzüglich Eindringenden töteten fast alle, von den Jüngsten bis zu den Ältesten, und steckten anschliessend die Stadt in Brand.“[32] Es ist anzunehmen, dass nicht nur als Häretiker bekannte Stadtbewohner gefordert wurden, sondern auch solche, welche über Reichtum und Einfluss verfügten, da der Antrieb der Kreuzfahrer nicht nur aus einem totalen Sündenerlass bestehen konnte. Vielmehr dürfte dabei die materielle Entschädigung eine wichtige Rolle gespielt haben.[33] Dieser Gedanke sollte auf alle Fälle nicht vernachlässigt werden und wird deshalb in Kapitel 3.2 nochmals aufgegriffen.

Fast ein Monat nach Kreuzzugsbeginn, am 22. Juli 1209, fiel die Stadt Béziers. Während VAUX-DE-CERNAY das Massaker an der Bevölkerung als gerechte Strafe Gottes bezeichnet, beklagt TUDELA, „rien ne put les sauver [… ]; pas un, je crois, n‘échappa. Dieu reçoive leurs âmes, s‘il lui plaît, dans son paradis! Je ne crois pas que jamais si sauvage tuerie ait été résolue ni accomplie depuis le temps des Sarrasins“ und kritisiert somit das Vorgehen der Kreuzfahrer als ungerecht.[34] Schenkt man Tudela Glauben, so vernichteten die Kreuzfahrer nicht nur die gesamte Stadt, sondern auch ihre gesamte Bevölkerung. LAMBERT weist darauf hin, dass „kaum mehr als 10 % der Bevölkerung entweder Häretiker oder Sympathisanten waren,“[35] was von unzureichend informierten Fußsoldaten zeugt, welche davon ausgingen, eine Hochburg der Häresie zu erobern.[36]

2. 3. 2 Carcassonne

Das Kreuzzugsheer bewegte sich in Richtung Carcassonne, wohin sich Trencavel vor der Schlacht von Béziers begab, um möglicherweise Verstärkung nach Béziers zu schicken.

Laut TUDELA bereitete der Vizegraf dort einen Angriff gegen das herannahende Heer, welches unterwegs kleinere Städte unterwarf[37], vor, um einer eventuellen Belagerung Carcassonnes vorzubeugen. Dieser Plan wurde jedoch auf Anraten des Barons Pierre-Roger de Cabaret[38] verworfen. Die Kreuzfahrer attackierten die Mauern der Vorstädte und „ils réussierent à brûler tout le bourg, jusqu’à la cité.“[39] VAUX-DE-CERNAY hält es für notwendig, zwei Dinge bezüglich dieser Kämpfe hervorzuheben. Zum einen beschreibt er die Kriegsmaschinen, welcher sich die Kreuzfahrer bedienten, und zum anderen hob er die edlen und mutigen Taten des Simons von Montfort hervor.[40] Da die Gestalt des Simon von Montfort in der zeitgenössischen Literatur häufig erwähnt und diskutiert wurde und deshalb im literarischen Teil dieser Arbeit ebenfalls genauer betrachtet wird, berichtet das folgende Kapitel über den Aufstieg Montforts.

Die Schlacht um Carcassonne war nicht nur ein antiketzerisches Ereignis, sondern spiegelte sehr deutlich die anfangs beschriebene, politische Situation Okzitaniens wieder. Von TUDELA erfahren wir, dass Peter II. von Aragón am 4. August als Vermittler in das Geschehen eingriff. Beide Seiten erhofften, militärische Unterstützung vom König zu erhalten, doch dieser befand sich in einer äußerst diffizilen Situation. Einerseits hat Peter II. für sein Königreich dem Papst für sein Herrschaftsgebiet den Lehnseid geschworen und andererseits sah er seine territorialen Interessensgebiete im Languedoc von den Kreuzfahrern bedroht.[41] In der chanson werden diese Erwartungen der Kreuzfahrer folgendermaßen ausgedrückt:

« Le roi Pierre d’Aragon ne tarda pas à y venir, avec cent chevaliers, qu’il amenait à ses frais. […]. Quand ils (les croisés) virent s’approcher le roi et les siens, ils ne restèrent pas dans leur coin : princes et prélats allèrent vers le roi, qui les salua gracieusement ; et ils lui répondirent de même : ‘Soyez le bienvenu.’ »[42]

Was den Vizegrafen betrifft so berichtet TUDELA, dass

« le vicomte, quand il l’aperçut, courut à sa rencontre, ainsi que tous ses chevaliers; ils étaient pleine d’une grande joie, car ils comptaient dès lors sur son aide, étant ses vassaux et ses amis très chers. »[43]

Der Versuch Peters II., zwischen den Kreuzfahrern und den Belagerten zu vermitteln[44], schlug fehl, da Trencavel zuerst nicht bereit war, seine Vizegrafschaft aufzugeben. Erst acht Tage nach der Abreise des Königs von Aragón entschied er sich für eine Verhandlung mit den Kreuzzugsführern, da ihm die Lage als aussichtslos erschien und er es vermeiden wollte, dass Carcassonne dasselbe Schicksal wie Béziers wiederfährt.[45] Das Ende der Belagerung und somit auch das Ende der Herrschaft des Roger-Raimond Trencavel wird in der Chronik PUYLAURENS‘ sehr kurz aber aussagekräftig beschrieben.

„Sed Rogerius vicecomes, terrore concussus, pacis condiciones invenit, ut cives, in camisiis et braccis exeuntes inde, civitatem venientibus resignarent, ipso vicecomite, donec perficerentur que pacta erant, in obstagium remanente.“[46]

Die Behauptung VAUX DE CERNAYS, dass „alle Bewohner nackt die Stadt verlassen und davonziehen durften [...] und nichts außer ihren Sünden mit sich fort trugen“[47], erscheint als übertrieben und zeigt abermals auf, wie sehr er in seiner Chronik einen extrem religiösen Standpunkt vertritt. PUYLAURENS orientiert sich an dieser Stelle an TUDELA.[48] Auf die Frage, ob Trencavel von den Kreuzfahrern getötet worden sei, wissen beide zu antworten und geben an, er sei entgegen aller Lügen im Gefängnis an der Ruhr gestorben.[49]

2. 3. 3 Der Aufstieg Simons von Montfort

Mit der Kapitulation des Vizegrafen Roger-Raimond Trencavel am 15. August 1209 beginnt der Aufstieg des Simon von Montfort. Wie oben schon erwähnt, hält es VAUX DE CERNAY für wichtig, mehrmals das Verhalten eines bestimmten Kreuzfahrers zu erwähnen, welcher sich durch besonders mutige Taten und Gesten hervortut. Folgende Textstellen,

„Wir wollen auch nicht übergehen, dass Simon, der edle Graf von Montfort, sich kühn als erster von allen oder vielmehr als einziger von den Rittern in den Stadtgraben stürzte und heftiger als die anderen für die Eroberung der genannten Vorstadt kämpfte.“[50]

„Da stürzte sich ein Mann von edlem Charakter, ich meine den Grafen von Montfort, in den Graben, und nur unterstützt von einem Knappen rettete er den verwundeten Ritter unter großer Gefahr für sein eigenes Leben.“[51]

sind ein erstes Anzeichen für den Aufstieg Montforts.[52] Die Wahl Simons de Montfort zum neuen Grafen von Béziers wird recht übereinstimmend sowohl in der Chronik VAUX DE CERNAYS und PUYLAURENS als auch in der Canso TUDELAS beschrieben: Die Herrschaft über das Territorium der Grafschaft wurde durch eine Wahl, welche unter Bischöfen, Rittern und des Abt von Cîteaux (Arnaud Amaury) abgehalten wurde, auf den Baron von Montfort übertragen.[53]

[...]


[1] Tomier e Palaizi, Si co‘l flacs molins torneia, ed. FRANK, S. 72-74; Übersetzung: Ich finde so viele Sachen zu sagen, dass ich nicht weiss, mit welcher ich mich beschäftigen soll. Aber jeder sollte nachdenken und das Schicksal von Toulouse betrachten! (siehe Kap. 4. 2)

[2] Das benachbarte Herzogtum Aquitanien ging durch die Heirat Eleonores mit dem späteren englischen König, Heinrich II., dem französischen Königtum verloren. Es entstand die prekäre Situation, dass der englische König in Bezug auf Aquitanien formal ein Vasall des französischen Königs war.

Die Grafschaft hatte aber nicht nur Lehnspflichten gegenüber der französischen Krone (seit 1141), sondern auch wegen der Grafschaften Gévaudan und Rouer gegenüber des Königreiches Aragón. Die Markgrafschaft Provence war jedoch dem deutschen Kaiser lehnspflichtig. Vgl. OBERSTE, Der „Kreuzzug“ gegen die Albigenser, S. 24 ff. Vgl. auch Karte auf S. 9.

[3] OBERSTE, S. 26.

[4] Ebenda.

[5] Ders. S. 24.

[6] Katharismus: eine zuerst in Deutschland, dann in Italien üblich gewordene Fremdbezeichnung für die Ausbreitung der häretischen Gruppierung; geichzusetzen mit der aus Frankreich stammenden Bezeichnung ‚Albigenser’, benannt nach der Stadt Albi; siehe hierzu: ROTTENWÖHRER, s.v. ‚Katharer’, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, Sp. 1064-1068.

[7] Vgl. LAMBERT, Ketzerei im Mittelalter, S. 165.

[8] RILEY-SMITH, Die Kreuzzüge, S. 76.

[9] Vgl. ebenda; VAUX-DE-CERNAY, Historia Albigensis, S. 10-13.

[10] Dies wird zum einen deutlich durch den Ausruf des Heinrichs von Clairvaux selbst gezeigt:

„[...] Häresien und Verbrechen haben sich wie zwei Ströme über es (das Land) ergossen, dergestalt, dass es am Leibe vieler Menschen durch ein unreines Leben beschmutzt ist, bei anderen durch Unglauben zerfetzt [...]“ in: FOREVILLE, Lateran I-IV, Geschichte der ökumenischen Konzilien, Bd. 6, S. 168. Vgl. ROSCHER, Papst Innozenz III. und die Kreuzzüge, S. 216.

[11] Anathem: in feierlicher Form ausgesprochener Kirchenbann; vgl. W. DOSKOCILl, s. v. Anathema, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 1, Sp. 494 f.

[12] WOHLMUTH (Hg.), Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 2, C 27, S. 224.

[13] FOREVILLE, S.148.

[14] WOHLMUTH, S. 225.

[15] Hierbei folge ich den Kreuzzugsdefintionen von ERDMANN, Carl, Die Entstehung des Kreuzzugsgedanken, Stuttgart 1965.

[16] WILHELM VON PUYLAURENS, Chronika, Kap. 2.

[17] Infamie: allgemeine Sühnstrafe, gekennzeichnet durch den Verlust bürgerl. Rechte und der pers. Gottesdienstsperre; MAY, s. v. Infamie, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 5, Sp. 667.

[18] LAMBERT, S. 106 ff.

[19] ROSCHER, Papst Innocenz III. und die Kreuzzüge, S. 222.

Eine solche Bitte adressierte Innozenz III. sowohl 1204 als auch 1205 an den französischen König, welchem gemäss des 27. Kanon des III. Laterankonzils somit ein Gesamtsündenerlass versprochen wurde.

[20] Ders. S. 223 f.

[21] LAMBERT, S. 108.

[22] Historia S. 19 f.

[23] Ebenda

[24] LAMBERT, S. 110.

[25] Eine Diskussion über den Kreuzzugsgedanken folgt am Ende dieses Abschnitts.

[26] Vgl. ROSCHER, S. 214-230. Roscher diskutiert ausführlich, dass zuvor stattgefundene Versuche, gegen die Katharer vorzugehen, die noch nicht als Kreuzzug bzw. Anfänge eines Kreuzzuges gedeutet werden können, da die Hauptelemente eines Kreuzzuges fehlten. Trotzdem weist er daraufhin, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch kein offizieller Aufruf erfolgte.

[27] Historia, S. 30.

[28] Canso, Kap. 8.

[29] Ders., Kap. 9; Historia, S. 32 f. Es ist interessant zu sehen, wie sehr sich an dieser Stelle die Quellen in ihren Beschreibungen unterscheiden. Während Tudela die Unterwerfung Raimunds nur kurz erwähnt, schmückt Vaux-de-Cernay diesen Sieg des Papstes um so mehr aus.

[30] Canso, Kap. 10; Historia, S. 33; vgl. LAMBERT, S. 110; ROSCHER, S. 233; OBERSTE, S. 59.

[31] Historia, S. 36.

[32] Ders. S. 41.

[33] Vgl. OBERSTE, S. 65: „Somit braucht man nicht viel Fantasie, um auf den betreffenden Namenslisten vor allem Barone, Adlige und reiche Bürger zu vermuten, die sowohl im politischen wie im wirtschaftlichen Sinne aus dem Weg geräumt werden mussten.“

[34] Canso, Kap. 21.

[35] LAMBERT, S. 111.

[36] Ebenda.

[37] Historia, S. 42.

[38] Canso, Kap 24.

[39] Ders., Kap. 25.

[40] Historia, S. 42.

[41] OBERSTE, S. 74.

[42] Canso, Kap. 26.

[43] Ebenda.

[44] Die Funktion Peters II. wird im dritten Abschnitt dieser Arbeit erläutert, da dieses Ereignis in der zeitgenössischen Literatur von großer Bedeutung war.

[45] OBERSTE, S. 77.

[46] Chronika, Kap. 14.

[47] Historia, S. 47.

[48] Vgl. Canso, Kap. 33.

[49] Vgl. Historia, S. 60; Canso, Kap. 37.

[50] Historia, S. 44.

[51] Ebenda.

[52] Es ist auffällig, dass der Name an diesen Textstellen gleich mehrmals fällt, da es nicht direkt zum Erzählten beiträgt, sondern eher als eine vorweggenommene Rechtfertigung für das, was später folgt, wirkt.

[53] Vgl. Chronika, Kap. 14; Historia, S. 48 f.; Canso, Kap. 35.

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Der Albigenserkreuzzug im Spiegel der "schönen" Literatur des 13. Jahrhunderts
Hochschule
Universität Konstanz
Note
3,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
65
Katalognummer
V122936
ISBN (eBook)
9783640279562
ISBN (Buch)
9783640283293
Dateigröße
1129 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit wurde als Zulassungsarbeit zum 1. Staatsexamen und Magisterarbeit eingereicht.
Schlagworte
Albigenserkreuzzug, Spiegel, Literatur, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
M. A. Christoph Hollergschwandner (Autor:in), 2005, Der Albigenserkreuzzug im Spiegel der "schönen" Literatur des 13. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122936

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