Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Integration – Eine Begriffsdefinition aus soziologischer Perspektive
3. Bildungssituation von Menschen mit Migrationshintergrund
4. Abbau der migrationsspezifischen Unterschiede
5. Rolle der Lehrerinnen und Lehrer
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Jahr für Jahr kommt eine große Anzahl von Migranten und Flüchtlingen nach Deutschland und es ist eine gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe, diese zu integrieren. Besonders während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 war es eine große Aufgabe, eine Vielzahl von Menschen in kurzer Zeit in unsere Gesellschaft aufzunehmen. Mit dem von Russland verübten Krieg gegen die Ukraine und die damit wieder stark zunehmenden Flüchtlingsströme nach Deutschland ist das Thema in den letzten Wochen so aktuell und präsent geworden, wie in kaum einer anderen Zeit seit der Flüchtlingskrise von 2015. Die Integration von Migranten und Flüchtlingen über die Partizipation am Bildungssystem oder den Arbeitsmarkt ist eine der größten Chancen der Integration, gleichzeitig aber auch eine große gesellschaftliche Herausforderung. Besonders für junge Migranten sind jedoch die Sprache und die Teilhabe am Bildungssystem häufig der Schlüssel zu einer gelungenen Integration im Aufnahmeland. Sind Migranten nach der Schulbildung in der Lage, einen anerkannten Bildungsabschluss zu erwerben und damit einen Beruf zu erlernen und somit in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, dann trägt das auch zur Integration in das gesellschaftliche Leben und die gesellschaftlichen Strukturen bei. In Anbetracht des Fachkräftemangels vor allem im Industriesektor in Deutschland hat die Integration von Migranten auch eine hohe gesellschaftliche Relevanz (Becker 2011). „Begreift man Integration vor allem als Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, so bedeutet die Forderung nach Integration durch Bildung vor allem, dass Bildung Teilhabechancen eröffnen soll“ (Stöbe-Blossey et al. 2019:o.S.). Integration durch Bildung soll Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund vor allem eine chancengerechte Teilhabe am Bildungssystem ermöglichen, was gleichzeitig die Entfaltung von persönlichen Potentialen ermöglicht, welche wiederum Berufswege entsprechend diesen Potentialen eröffnen (Stöbe-Blossey et al. 2019). Nach dem PISA-Schock, also nachdem deutsche Jugendliche in einer internationalen Vergleichsstudie deutlich schlechter abschnitten als Jugendliche aus anderen Ländern, wurde eine große Debatte über das deutsche Schulsystem losgestoßen. Gegenstand der Debatte waren vor allem die Unterschiede zwischen den Bundesländern, aber auch die Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die starke Verkopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg, welche für Deutschland im internationalen Vergleich als sehr hoch eingestuft wurde, ist ebenfalls sehr deutlich kritisiert worden (Stöbe-Blossey et al. 2019). Das Verhältnis von Bildung und sozialer Herkunft sowie Migration ist in Deutschland schon länger von großer Bedeutung und wird vor allem in Bezug auf die Bildungsungleichheit stark kritisiert. Die Problematik von migrationsspezifischen Disparitäten zieht sich durch nahezu das gesamte Bildungssystem. Eine erfolgreiche Integration ist aber nur möglich, wenn diese migrationsspezifischen Disparitäten abgebaut beziehungsweise reduziert werden. Dazu können das Bildungssystem, die Schulen und auch Lehrerinnen und Lehrer einen großen Beitrag leisten (Maaz 2017).
In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, welchen Beitrag Schulen in Bezug auf die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund leisten können. Dazu soll zuerst ein Verständnis des Integrationsbegriffs aus soziologischer Perspektive geschaffen werden. Über die Definition des Integrationsbegriffs soll gezeigt werden, was Integration bedeutet und worauf es dabei in einer modernen Gesellschaft wie der, in welcher wir heute leben und welche einen hohen Integrationsbedarf aufweist, ankommt. Weiterführend wird die Bildungssituation von Menschen mit Migrationshintergrund beschrieben und dabei insbesondere auf die Unterschiede der besuchten Schulformen sowie in den Kompetenzbereichen zwischen Kindern und Jugendlichen mit beziehungsweise ohne Migrationshintergrund eingegangen. Daran anschließend werden Lösungen aufzeigt, wie diese migrationsspezifischen Disparitäten im Bildungsbereich abgebaut werden können und was das Bildungssystem und insbesondere Schulen dafür tun können, um diese Unterschiede zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund abzubauen. Zum Schluss soll dargestellt werden, welche Rolle Lehrerinnen und Lehrer bei der Integration durch Bildung einnehmen und wie diese dafür sorgen können, dass die Integration von Migranten in den Schulen besser gelingt.
Den Abschluss bilden eine begründete Stellungnahme und Antwort auf die Fragestellung, welchen Beitrag Schule zur Integration von Migranten leisten kann und welche Rolle Lehrerinnen und Lehrer bei dieser Aufgabe zukommt.
2. Integration – Eine Begriffsdefinition aus soziologischer Perspektive
„Der Begriff Integration (von lat. integratio) bedeutet Erneuerung oder Wiederherstellung eines Ganzen“ (Parisius 2021:o.S.). Integration bezeichnet somit grundlegend zunächst einmal ganz einfach die Einbindung eines kleinen Teils in ein größeres Ganzes. Dabei geht es vor allem um sozialen Zusammenhalt und Arten der Vergemeinschaftung, wobei allgemein geteilte ethische Normen und Werte eine große Rolle spielen. Integration kann somit zum einen als eine Art Lösung des Ordnungssystems moderner Gesellschaften oder aber als ein Prozess zur Herstellung dieser Ordnung verstanden werden (Uhle 2021). Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist bei der Begriffsdefinition ebenfalls von zentraler Bedeutung. Besonders die heutige moderne Gesellschaft verfügt über große Integrationspotentiale und bietet eine große Anzahl verschiedener Lebens- und Zugehörigkeitschancen. Moderne Gesellschaften haben gleichzeitig aber auch ein sehr hohen Integrationsbedarf und sind häufig von komplexen Integrationsmechanismen geprägt (Uhle 2021). Als integriert gelten Personen, welche gute Chancen am Arbeitsmarkt, am Wohnungsmarkt oder im Bildungssystem haben und an diesen teilnehmen (Oltmer 2017). Der Soziologe Hartmut Esser beschreibt vier Dimensionen der Integration: „Die kulturelle Dimension des Erwerbs von Wissen und Fertigkeiten, die strukturelle Dimension der Aufnahme von Kontakten und sozialen Beziehungen und die emotionale Dimension der Identifikation“ (Parisius 2021:o.S.). In Deutschland tauchte der Begriff in den 1950er Jahren zum ersten Mal in Studien auf und verbreitete sich dann besonders ab den 1970er Jahren nach der Aufnahme ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schnell. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde auch häufig der Begriff Eingliederung in einem ähnlichen Kontext verwendet. Bei der Erforschung der durch den Zweiten Weltkrieg geflohenen Deutschen setzte sich dann jedoch der Integrationsbegriff endgültig durch (Parisius 2021).
3. Bildungssituation von Menschen mit Migrationshintergrund
Die Bildungssituation von Menschen, welche einen Migrationshintergrund haben, hat sich besonders in den letzten Jahren verbessert. Immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund besuchen beispielsweise eine Kindertagesbetreuung. Auch der Anteil von Migrantenkindern an höher qualifizierenden Bildungsgängen steigt weiter. Die Quote der jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund, welche keinen Berufsabschluss haben, ist ebenfalls rückgängig, was in direktem Zusammenhang mit den vorher genannten Aspekten steht. Je nach Altersgruppe sind allerdings die Unterschiede zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund im Hinblick auf die Bildungsbeteiligung und Bildungserfolge weiterhin groß. Besonders die soziale Herkunft spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle, denn Kinder mit Migrationshintergrund wachsen überdurchschnittlich häufig in schwierigen Verhältnissen auf. Im Jahr 2014 haben 85% der unter sechsjährigen Kinder mit Migrationshintergrund eine Kindertagesstätte oder Schule besucht, bei den Kindern im gleichen Alter ohne Migrationshintergrund waren es 98%. Dieser Vergleich macht deutlich, dass es nach wie vor große Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund gibt (BMBF 2015). Das Problem von bestehenden migrationsspezifischen Disparitäten tritt in allen Phasen des Bildungsverlaufs auf und betrifft somit auch alle Bereiche des Bildungssystems. Während im Kindergartenalter die Unterschiede im Bildungsbereich zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund häufig noch nicht wirklich stark auffallen, werden spätestens im Grundschulalter große Unterschiede im Bildungsfortschritt deutlich. Diese zeigen sich vor allem in schlechteren sprachlichen Eingangsvoraussetzungen und einem erhöhten Sprachförderbedarf bei Kindern mit Migrationshintergrund (Maaz 2017). Besonders im Bereich Lesen schneiden Kinder mit Migrationshintergrund wesentlich schlechter ab als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ohne Migrationshintergrund (Solga und Dombrowski 2009). „Der Leistungsvorsprung der Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund gegenüber jenen mit Migrationshintergrund beträgt 48 Punkte“ (Solga und Dombrowski 2009: S.16). Ebenfalls benachteiligt sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund beim Erreichen von höheren Schulabschlüssen. Sie erhalten nach der Grundschulzeit seltener eine Empfehlung für das Gymnasium oder die Realschule als Kinder ohne Migrationshintergrund, sondern vermehrt Empfehlungen für die Hauptschule. Sogar auf Förderschulen mit der Ausrichtung auf Kinder mit Lernbehinderungen werden Kinder mit Migrationshintergrund nach der Grundschule häufig verwiesen. Diese genannten Aspekte verdeutlichen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund eine erhebliche Benachteiligung im Hinblick auf die besuchten Schulformen und damit auch zwangsläufig auf ihre weitere berufliche Karriere haben (Solga und Dombrowski 2009). Erfreulicherweise ist jedoch seit einigen Jahren ein gewisser Positivtrend in diesen Bereichen erkennbar, denn unter den ausländischen Schülerinnen und Schülern sind immer weniger, welche die Schule ohne Abschluss oder nur mit einem Hauptschulabschluss verlassen. Die Anzahl derer, die die mittlere Reife oder das Abitur erreichen, ist von ca. 15% im Jahr 2004 auf über 21% im Jahr 2013 angestiegen. Parallel dazu ist ebenfalls eine Verbesserung bei den Kompetenzniveaus erkennbar, welche mit Schulvergleichsuntersuchungen durchgeführt werden (BMBF 2015). Im Bereich der Kompetenzentwicklung war bis vor wenigen Jahren noch eine deutlich größere Ungleichheit zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund erkennbar (Solga und Dombrowski 2009). Diese positiven Entwicklungen, besonders bei der steigenden Anzahl der Abschlüsse von höher qualifizierenden Bildungsgängen, haben jedoch bis heute nur geringe positive Auswirkungen auf die Beteiligung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt. Zwar sind auch hier leichte positive Effekte erkennbar, diese fallen jedoch längst nicht so deutlich aus wie in den genannten Bereichen des Bildungssektors (BMBF 2015).
4. Abbau der migrationsspezifischen Unterschiede
Für eine gelungene Integration von Migranten ist es besonders wichtig, die migrationsspezifischen Unterschiede abzubauen. Dazu können Bildungseinrichtungen, insbesondere Schulen, einen großen Beitrag leisten. Das Problem von bestehenden migrationsspezifischen Disparitäten tritt in allen Phasen des Bildungsverlaufs auf und betrifft somit alle Bereiche des Bildungssystems. Bereits eine vorschulische Bildung von Migranten ist deshalb sehr wichtig, damit die Entwicklungsrückstände aufgeholt und Defizite, welche häufig vor allem im Kompetenzerwerb vorhanden sind, abgebaut werden. In der frühkindlichen Erziehung sollten deshalb vor allem die für den Schuleintritt benötigten Kompetenzen und Fähigkeiten gefördert werden. Vor allem das Erlernen beziehungsweise beibringen von grundlegenden sprachlichen Fähigkeiten gehört dazu (Maaz 2017). „Für alle Kinder und Jugendlichen mit Migrations- und Fluchterfahrungen ist der Erwerb von Deutsch als Zweitsprache der zentrale Aspekt für eine erfolgreiche Teilhabe im Schulsystem (Blossfeld et al. 2016: S.185). Das Erlernen der Sprache stellt somit die Grundlage der vielen anderen schulischen und unterrichtsbezogenen Fördermaßnahmen dar (Blossfeld et al. 2016). Die frühkindliche Bildung wird in dieser Hinsicht besonders als Chance gesehen, um die heterogenen Ausgangsbedingungen beim Eintritt in die Grundschule möglichst klein zu halten beziehungsweise diese, soweit es geht abzubauen (Solga und Dombrowski 2009). In der Schule liegt der Fokus vor allem auf der Kompensierung der Basiskompetenzen, aber auch sozialen Kompetenzen. Migrationsspezifische Disparitäten im Bildungsbereich hängen sehr stark mit sozialen Disparitäten zusammen, deshalb muss auch diesen bei der Bildung von Migranten eine hohe Bedeutung geschenkt werden. Die Schule muss eine Lernumgebung schaffen, die es Migranten ermöglicht, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, denn diese ist eine der Grundlagen für die weitere Integration. Neben der Förderung im sprachlichen Bereich muss in der Schule vor allem auch eine individuelle Förderung von einzelnen Migrantenkindern stattfinden, denn nur so können herkunftsbedingte Unterschiede und Defizite abgebaut werden. Diese bedarfsangepasste und individuelle Förderung muss auch auf das Alter der Kinder beziehungsweise Jugendlichen abgestimmt werden, denn ein vierjähriges Kind benötigt ganz andere Unterstützung als ein 18-jähriger Jugendlicher (Maaz 2017). Besonders für die jüngeren Schülerinnen und Schülern wird bei dem Abbau von Disparitäten den Ganztagsschulen eine enorme Bedeutung zugesprochen. Die mit der Ganztagsbetreuung einhergehenden Zusatzangebote wie Hausaufgabenbetreuung oder kulturelle Freizeitaktivitäten sollen eine ausgleichende Wirkung auf die heterogenen Ausgangsvoraussetzungen haben und damit Bildungsungleichheiten relativ weit vorne im Bildungssystem verringern. Hinsichtlich der Wirksamkeit von Ganztagsschulen im Hinblick auf den Abbau von migrationsspezifischen Unterschieden gibt es jedoch noch keine abschließenden Forschungsergebnisse, was vor allem auch daran liegt, dass Ganztagsangebote an den meisten Schulen freiwillig sind und besonders an Hauptschulen vergleichsweise wenig in Anspruch genommen werden. Die Aufhebung der frühen Selektionsprozesse im Bildungssystem kann ebenfalls dazu beitragen, die sozialen Ungleichheiten abzubauen. Besonders die Abschaffung der Hauptschule als eine Schule für Kinder aus sozial schwachen Familien und Kindern mit Migrationshintergrund kann dazu beitragen, dass in den Schulen eine stärkere soziale Durchmischung entsteht und dass es zu einer Bereicherung der Lernmöglichkeiten für sozial schwache Kinder kommt. Das frühe Trennen von Kindern in die verschiedenen Schulformen führt zu einer Verstärkung der ethnischen und sozialen Bildungsungleichheit, was auch besonders für Kinder mit Migrationshintergrund ein großer Nachteil ist. Eine stärkere Durchmischung von Kindern aus unterschiedlichen sozialen Schichten und von unterschiedlichem Bildungsniveau würde dazu führen, dass besonders für benachteiligte Kinder neue Bildungspotentiale entstehen. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund würden vor allem davon profitieren, dass eventuelle, durch eine frühere Selektion in die unterschiedlichen Schulformen nicht entdeckte Potentiale gezielt gefördert werden könnten. Zudem könnten bei einer stärkeren Durchmischung von Kindern aus unterschiedlichen sozialen Schichten, sowie Kindern mit und ohne Migrationshintergrund, die Schülerinnen und Schüler in der Schule viel weitreichender voneinander lernen (Solga und Dombrowski 2009).
Es stellt sich also heraus, dass zum Abbau der migrationsspezifischen Unterschiede vor allem zwei konkrete Dinge notwendig sind: Zum einen müssen Bildungsungleichheiten von Kindern sowie Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund abgebaut werden. Gleichzeitig muss aber auch ein großes Augenmerk auf den Abbau von sozialen Disparitäten gelegt werden, denn diese sind mit den migrationsspezifischen Disparitäten eng verknüpft (Maaz 2017).
5. Rolle der Lehrerinnen und Lehrer
Bei der Integration durch Bildung spielen vor allem auch die Lehrerinnen und Lehrer eine große Rolle. Sie setzen mit ihrem Handeln den Rahmen für eine gelungene Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. „Lehrkräfte kennen die sozialen, kulturellen und technologischen Lebensbedingungen, etwaige Benachteiligungen, Beeinträchtigungen und Barrieren von und für Schülerinnen und Schülern und nehmen im Rahmen der Schule Einfluss auf deren individuelle Entwicklung“ (Kultusministerkonferenz 2019: S.9). Der Blick auf das Handeln von Lehrerinnen und Lehrern wird häufig auf das reine didaktische Handeln beschränkt. Fragen, welche das Entscheidungshandeln oder motivierende Handeln betreffen, werden häufig ausgeblendet. Oft kommt es auch zu ungewolltem diskriminierendem Verhalten durch Lehrerinnen und Lehrer, welches ebenfalls wenig reflektiert wird. Gerade aber durch ihr Handeln in diesen Bereichen tragen Lehrkräfte zu sozialen Bildungsungleichheiten bei. So sind beispielsweise die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler häufig ein geringer Indikator für die Schullaufbahnempfehlungen der Grundschullehrkräfte. Dies liegt vor allem an der hohen Bewertung des Sozial- oder Elternverhaltens von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer und zeigt, dass Lehrerinnen und Lehrer eine bedeutende Rolle bei der Reproduktion von sozialen Ungleichheiten spielen. Eine Veränderung beziehungsweise Anpassung des Lehrerverhaltens ist also eine grundlegende Voraussetzung für den Abbau von sozialen Bildungsungleichheiten, da Lehrkräfte durch ihr Verhalten häufig erst die soziale Herkunft oder einen Migrationshintergrund für den ungleichen Bildungserwerb relevant machen (Solga und Dombrowski 2009). Besonders wichtig ist deshalb, dass Lehrerinnen und Lehrer mit den pädagogischen sowie soziologischen Theorien der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sowie deren Sozialisation vertraut sind. Auch sollten Lehrkräfte Benachteiligungen von Schülerinnen und Schüler, welche beispielsweise durch einen Migrationshintergrund entstehen, erkennen können und um deren gegensteuernden pädagogischen Maßnahmen Bescheid wissen. Weiterhin sollten Lehrerinnen und Lehrer mit den interkulturellen Dimensionen in der Gestaltung von Erziehungs- und Bildungsprozessen vertraut sein und die Einflüsse von migrationsspezifischen Unterschieden auf diese Prozesse kennen. Dieses Wissen müssen sie dann in der Praxis jeweils fallbezogen und spezifisch umsetzen können, dabei ist auch eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern sehr hilfreich. Gemeinsam mit ihnen können Lehrkräfte Benachteiligungen und etwaige Barrieren erkennen und dann gezielt pädagogische Unterstützung anbieten und Präventionsmaßnahmen durchführen. Auch die Kooperation mit anderen Einrichtungen und Professionen, wie beispielsweise Sozialarbeitern oder besonderen Einrichtungen der Sprachförderung sind in dieser Hinsicht unabdingbar. Im Unterricht selbst müssen Lehrerinnen und Lehrer die Lerngruppe genau analysieren und die kulturelle und soziale Diversität erkennen. Nur so kann gezielt migrationsspezifischen Unterschieden, welche eng mit sozialen Ungleichheiten verknüpft sind, entgegengewirkt werden (Kultusministerkonferenz 2019). Lehrende können Schülerinnen und Schüler im Unterricht vor allem auch durch Gelegenheiten zur Kommunikation fördern. Die Kinder und Jugendlichen müssen gezielt zur Mitarbeit aktiviert werden und die Lehrkraft muss Lernformen schaffen, die mehr Kommunikationsmöglichkeiten in kleinen Gruppen ermöglicht. So wird vor allem die sprachliche Kompetenz der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund geschult, gleichzeitig werden auch die sozialen Kompetenzen erweitert und soziale Unterschiede abgebaut. Solche kooperativen Lernformen wie Partner- oder Gruppenarbeiten stellen den Kindern und Jugendlichen vielseitige Kommunikationsgelegenheiten zur Verfügung und verlangen von den Lernenden eine gemeinsame Lösung von einem gestellten Problem. Diese Lernformen haben sich besonders deshalb als vorteilhaft herausgestellt, weil sich Schülerinnen und Schüler mit sprachlichen Defiziten in Situationen der Klassenöffentlichkeit häufig nicht trauen, vor ihren Mitschülerinnen und Mitschülern beziehungsweise vor der Lehrkraft zu sprechen. Die Fachsprache muss in Lerngruppen mit Migrantenkindern grundsätzlich an die verschiedenen Sprachniveaus angepasst werden. Hier sollte von der Lehrperson ein sogenannter sprachsensibler Fachunterricht gewählt werden, welcher die sprachliche Diversität der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Für das Verwenden und das Verstehen von Fachbegriffen werden bei dieser Unterrichtsmethode unterschiedliche Differenzierungsmaßnahmen vorgenommen. Die Fachsprache wird an die spezielle und jeweils individuell gegebene Lernsituation angepasst und das Verstehen der Fachbegriffe durch verschiedene Darstellungsformen unterstützt. Bei der Verwendung dieser Unterrichtsmethode bietet die Lehrkraft den Schülerinnen und Schülern somit unzählige Gelegenheiten, um Fachbegriffe zu erlernen und zu wiederholen (Blossfeld et al. 2016). Neben der reinen Vermittlung von Unterrichtsinhalten müssen Lehrerinnen und Lehrer auch gesellschaftlich relevante Werte und Normen vermitteln, denn gemeinsame Wertevorstellungen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund tragen unverzüglich zu einer Verringerung der Bildungsunterschiede und vor allem auch zu einer gelungenen Integration in das gesellschaftliche Leben bei (Kultusministerkonferenz 2019). „Lehrkräfte vermitteln Werte und Normen, um eine Haltung der Wertschätzung und Anerkennung von Diversität und unterstützen selbstbestimmtes und reflektiertes Urteilen und Handeln von Schülerinnen und Schülern“ (Kultusministerkonferenz 2019: S. 10). Lehrkräfte müssen somit auch dahingehend handeln, dass die Schülerinnen und Schüler ihre gegenseitigen Werte anerkennen und auch Unterschiede untereinander respektieren. Ebenso müssen die Lehrerinnen und Lehrer die Werte und Werthaltungen der Kinder und Jugendlichen reflektieren und entsprechend handeln. Integration gelingt nur, wenn unterschiedliche Wertevorstellungen gegenseitig respektiert und akzeptiert werden, aber auch gemeinsame Werte und Normen gefunden und eingehalten werden (Kultusministerkonferenz 2019). Der Abbau von migrationsspezifischen Disparitäten muss also als grundlegende Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern anerkannt werden, damit Lehrerkräfte Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund beziehungsweise sozialer Benachteiligung gezielt fördern können. Dazu müssen Lehrende schon im Studium mit den grundlegenden Ursachen ungleicher Bildungschancen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund vertraut gemacht werden. Bis heute wird dieser Aspekt in der Lehrerausbildung vernachlässigt beziehungsweise nur sehr oberflächlich thematisiert. Eine Möglichkeit wäre, Kurse im Lehramtsstudium mit dem Thema Deutsch als Fremdsprache für Lehramtsstudierende verpflichtend zu machen, um angehenden Lehrerinnen und Lehrern damit die Grundlage mitzugeben, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zumindest auf der sprachlichen Ebene besser integrieren zu können. Des Weiteren müssen junge Lehrerinnen und Lehrer den Mut haben, neue und innovative Methoden in der Schule im Hinblick auf die Integration umzusetzen. Häufig lernen Lehramtsstudierende im Studium innovative und neue pädagogische Methoden und Theorien kennen, beim Eintritt in das Berufsleben passen sie sich jedoch größtenteils den bewährten Methoden der erfahrenen Lehrerinnen und Lehrer an und verpassen somit die Chance der innovativen Unterrichtsgestaltung zugunsten einer guten Integration beziehungsweise des Abbaus von sozialen Disparitäten. Studien belegen außerdem, dass sich eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Eltern positiv auf die schulischen Leistungen der Schülerinnen und Schüler auswirkt. Auch hier kann die Lehrerausbildung an den Universitäten einen Beitrag leisten, nämlich indem hier bereits den Lehramtsstudierenden gezeigt wird, wie sie eine gelungene Elternarbeit beziehungsweise Elternbeteiligung in der Schule durchführen können und die Vorteile dieser Zusammenarbeit nutzen können. Hinsichtlich des Abbaus von sozialer Ungleichheit und migrationsspezifischen Unterschieden gibt es also vielfältige Anforderungen an den Lehrerberuf. Bisher wurde die Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern vor allem in dem Beibringen und der Vermittlung von Wissen gesehen. Lehrkräfte müssen jedoch verschiedenste Dinge im Unterricht berücksichtigen und vor allem mit der Vermittlung von Wissen gleichzeitig das selbstständige Lernen anregen und dabei besonders auch auf die ganz individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler eingehen. Neben dem eigentlichen Unterricht ist auch die Festsetzung von gemeinsamen Werten und Normen sowie die gegenseitige Respektierung dieser ein wichtiger Bestandteil in der Schule. Nur, wenn individuell auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund eingegangen wird und gleichzeitig die sozialen Unterschiede minimiert werden, kann eine Integration durch Bildung gelingen, bei welcher den Lehrerinnen und Lehrern eine große Verantwortung unterliegt (Solga und Dombrowski 2009).
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