Einleitung
„Einen Fehler durch eine Lüge zu verdecken heißt, einen Flecken durch ein Loch zu ersetzen“, so tadelte schon Aristoteles die Unwahrhaftigkeit. Dass Lügen uns ohne Umwege in die Verdammnis führten, wusste Jean Jacques Rousseau, der einmal von sich gab: „Wenn nur die Lüge uns retten kann, so ist es aus, so sind wir verloren.“ Die Verachtung für die Lüge war den allermeisten Philosophen – von Aristoteles bis Hannah Arendt – gemein, auch wenn sie in anderen Aspekten grundsätzlich verschiedene Auffassungen vertraten. Diese weitgehende Übereinstimmung ist aber nicht sehr verwunderlich: Da die Philosophie die Suche nach der Wahrheit ist, steht die Lüge dem philosophieren logischerweise im Weg, denn sie versucht die Wahrheit zu kaschieren. Die Lüge ist sozusagen der größte Feind der Philosophen. Dieses selbstgenügsame Kriterium reicht aber natürlich nicht aus, um die Lüge als endgültig verwerflich zu deklarieren. Im Hauptteil wird deswegen ausführlich auf die wichtige und komplexe Argumentation Kants gegen die Lüge, bzw. deren Einsatz, eingegangen.
Doch zunächst gilt es zu klären: Was ist die Lüge überhaupt? „Exagerer n´est pas mentir“ – Übertreiben ist nicht gleich lügen, so lautet ein französisches Sprichwort und es impliziert die definitorische Schwierigkeit, die „das Lügen“ mit sich bringt. Ist das bloße Verschweigen dem Lügen gleichzusetzen? Wie verhält es sich mit Höflichkeitslügen? Eine gängige und noch heute sehr brauchbare Definition der Lüge brachte Augustinus: „Die Lüge ist eine Aussage mit dem Willen, falsch auszusagen.“(1) Er verschrieb sich einer erstmalig umfassenden Kritik der Lüge, die mit religiösen Argumenten arbeitet. Da Gott die Wahrheit sei, könne die Lüge mit Gottesmord verglichen werden. ******
(1) Zitiert nach: Baruzzi, Arno: Philosophie der Lüge. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996, S. 45.
Inhaltsverzeichnis
- A) Einleitung
- B) Das Lügenverbot bei Kant – in der Schrift „Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen“
- 1. Vorstellung der Problematik
- 2. Die kantischen Gründe für das absolute Lügenverbot
- 2.1. Das positiv-rechtliche Argument
- 2.2. Wahrhaftigkeit als vollkommene Pflicht
- 2.3. Recht auf Wahrhaftigkeit als Menschheitsrecht
- 2.4. Gewährleistung einer Rechtsverfassung
- 2.5. Tod als „zufällige“ Folge der Wahrheitsaussage
- 3. Kants Absichten
- 4. Standpunkte zu Kants Forderung
- 4.1. Christine Korsgaard: Splitting des kategorischen Imperativs
- 4.2. Hans Wagner: Berufung auf das Notrecht
- C) Schlussbemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit untersucht Immanuel Kants striktes Lügenverbot, wie es in seinem Aufsatz „Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen“ dargelegt wird. Die Arbeit analysiert Kants Argumentation und setzt sie in Bezug zu den Positionen anderer Philosophen.
- Kants Begründung des absoluten Lügenverbots
- Analyse der kantischen Argumente im Kontext eines konkreten Beispiels (Mörder-Szenario)
- Gegenüberstellung von Kants Position mit der von Benjamin Constant
- Diskussion verschiedener Interpretationen und Kritikpunkte an Kants Lügenverbot
- Die Bedeutung von Wahrhaftigkeit für die Rechtsverfassung und die Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des Lügenverbots ein und beleuchtet die historische Perspektive auf die Verurteilung der Lüge in der Philosophie. Kapitel B stellt das zentrale Problem anhand des Beispiels von Benjamin Constant vor: Ein Mensch muss entscheiden, ob er einem Mörder den Aufenthaltsort eines Freundes verraten soll. Die folgenden Unterkapitel analysieren Kants Argumente für sein absolutes Lügenverbot, darunter das positiv-rechtliche Argument, die Wahrhaftigkeit als vollkommene Pflicht, das Recht auf Wahrhaftigkeit als Menschheitsrecht, die Bedeutung für die Rechtsverfassung und die Frage der Verantwortung für die Folgen einer wahrheitsgemäßen Aussage. Kapitel 3 beleuchtet Kants Intentionen und mögliche Zielsetzungen seines Aufsatzes. Abschließend werden in Kapitel 4 verschiedene Standpunkte, wie z.B. von Christine Korsgaard und Hans Wagner, zu Kants Forderung präsentiert.
Schlüsselwörter
Immanuel Kant, Lügenverbot, Wahrhaftigkeit, Menschenliebe, kategorischer Imperativ, Benjamin Constant, Rechtsverfassung, Pflicht, Recht, Menschenrecht, Christine Korsgaard, Hans Wagner, Notrecht.
- Arbeit zitieren
- Philipp Hauner (Autor:in), 2006, Das Lügenverbot bei Kant, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123596