Der Einfluss von Competition Compliance Programmen auf die Bußgeldbemessung im europäischen und deutschen Kartellrecht

Ein Vergleich


Essay, 2007

14 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


INHALTSVERZEICHNIS

I. EUROPÄISCHES BUßGELDVERFAHREN
1. Bestehende Rechtspraxis der Europäischen Kommission
2. Nachträgliche Einführung eines Competition Compliance Programms
3. Überarbeitung eines existierenden Competition Compliance Programms

II. DEUTSCHES BUßGELDVERFAHREN
1. Bestehende Rechtspraxis des Bundeskartellamtes
2. Nachträgliche Einführung eines Competition Compliance Programms
3. Überarbeitung eines existierenden Competition Compliance Programms

LITERATURVERZEICHNIS

I. EUROPÄISCHES BUßGELDVERFAHREN

1. Bestehende Rechtspraxis der Europäischen Kommission

Bei Verstößen gegen Art. 81 EG ist die Kommission („KOM“) berechtigt, gegen an einem Kartell beteiligte Unternehmen Geldbußen in Höhe von bis zu 10% des weltweiten Gesamtumsatzes der Unternehmensgruppe zu verhängen, Art. 23 II

S.1 lit. a), S.2 VO 1/2003. Hierbei geht sie in einem zweistufigen Verfahren vor, indem sie zuerst einen Grundbetrag festsetzt und diesen dann nach oben oder unten anpasst.1 Äußerst kontrovers diskutiert wird nun in der Literatur und zwischen den Kartellbehörden selbst, ob ein Competition Compliance Programm („CP“) als mildernder Umstand im Sinne der Nr. 27, 29 der Leitlinien berücksichtigt und somit das Bußgeld herabgesetzt werden kann und darf.2 Zumindest auf europäischer Ebene erscheint jedoch anerkannt, die „Existenz eines effektiven und sachgerechten CP [als] einen mildernden Umstand“3 ansehen zu können. In der Vergangenheit hat die KOM so eine Anpassung des Grundbetrages nach unten auch wiederholt vorgenommen4, sowohl in Fällen, in denen ein CP schon vor einem Verstoß installiert war5, als auch in solchen, in denen es erst danach eingeführt wurde6. Auf der anderen Seite hat die KOM eine bußgeldmindernde Berücksichtigung von CP nicht grundsätzlich bejaht. Besonders bei schwerwiegenden Hardcore-Verstößen hat sie eine solche Berücksichtigung immer wieder verneint.7 Dies wurde dann auch mehrfach vom Gericht erster Instanz damit bestätigt, dass ein CP „nichts daran [ändere], dass die festgestellte Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde“8 und die KOM nicht aufgrund dessen, dass sie in früheren Verfahren ein CP bußgeldmindernd berücksichtigt habe, dazu gezwungen sei, „ähnliche Maßnahmen im vorliegenden Fall in gleicher Weise zu berücksichtigen“.9

2. Nachträgliche Einführung eines Competition Compliance Programms

Fraglich ist nun, ob die Einführung eines CP nach einem Kartellrechtsverstoß von der KOM bei der Bußgeldfestsetzung berücksichtigt werden muss. Die KOM ist dabei verpflichtet, zuerst einen Grundbetrag basierend auf Dauer und Schwere der Zuwiderhandlung zu bemessen, Art. 23 III VO 1/2003. Diesen kann sie jedoch über Abschnitt 2 der Leitlinien nach oben oder unten anpassen, wobei ihr ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht.10 Zu beachten ist, dass die in den Leitlinien genannten mildernden Umstände nicht abschließend sind.11 Dass die Einführung eines CP also nicht explizit genannt wird, stellt keinen Grund für eine Nichtberücksichtigung eines CP bei der Bußgeldbemessung dar.

Aus den bisherigen Entscheidungen der KOM lässt sich vielmehr herauslesen, dass sie die Einführung eines CP nach einem Kartellverstoß schon seit den 80er Jahren als möglichen mildernden Umstand ansieht.12 Das ist zum Einen damit zu erklären, dass die Einführung eines effektiven CP generell einen Mehrwert für die KOM darstellt. Denn durch ein CP wird künftigen Zuwiderhandlungen vorgebeugt13 und der KOM die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtert, „im Bereich des Wettbewerbs die im Vertrag verankerten Grundsätze anzuwenden und die Unternehmen entsprechend anzuleiten.“14 Es liegt gemäß Nr. 27 der Leitlinien im Ermessen der KOM, einen solchen Mehrwert bei der Gesamtbetrachtung des Falles bußgeldmindernd zu würdigen. Eine solche Würdigung ist schon deshalb geboten, weil dieser Mehrwert dem in Nr. 4 der Leitlinien definierten Ziel dient, nicht nur einzelne Zuwiderhandlungen zu ermitteln und zu ahnden, sondern eine allgemeine Politik zu verfolgen, das Verhalten der Unternehmen im Sinne der Grundsätze des Wettbewerbsrechts zu lenken.15

Zudem spricht für die Berücksichtigung der Einführung eines CP bei der Bußgeldbemessung, dass die geforderte Abschreckungswirkung einer solchen Geldbuße zumindest teilweise obsolet wird. Wenn ein Unternehmen, das nach Aufdeckung eines Verstoßes gegen Art. 81 EG zeigt, dass es gewillt ist, geeignete Maßnahmen wie ein CP zu implementieren, um künftige Zuwiderhandlungen zu verhindern, so ist eine Sanktion, die auf zukünftige Abschreckung von Verstößen des Unternehmens gerichtet ist (Spezialprävention), gegenstandslos.16 Und wenngleich die KOM auch immer wieder klarstellt, dass solch eine Initiative sie

„nicht ihrer Pflicht entheben kann, den besonders schweren Verstoß gegen die Wettebewerbsregeln (...) zu ahnden“17, so muss diese Initiative zumindest bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden. Besonderes Augenmerk muss in solchen Fällen immer auf dem Kontext der Zuwiderhandlung liegen.18 So wäre etwa zu berücksichtigen, wenn ein Kartellrechtsverstoß für das betreffende Unternehmen überraschend kam, weil ein loyaler und verlässlicher Angestellter des Unternehmens (z.B. der Vertriebsleiter) allein für den Verstoß verantwortlich war, dieser es aber, obwohl er sich über die Illegalität seines Verhaltens vollkommen klar war, bewusst vor seinem Unternehmen geheim gehalten hat. Da ein solches Verhalten dem Unternehmen nach europäischem Recht dennoch zugerechnet wird, muss zumindest das Streben des Unternehmens, dass solch ein Verstoß nicht wieder vorkommen wird, als mildernder Umstand angesehen werden.19 Insbesondere darf einem Unternehmen nicht zur Last gelegt werden, dass es noch kein CP implementiert hatte, da solche Programme, wie sie im angelsächsischen Raum ausgefeilter nicht sein könnten, erheblich zeit-, arbeits- und kostenintensiv sind und somit für viele kleinere und größere Unternehmen in Deutschland ein erhebliches Problem darstellen.20

Und obwohl die KOM die Einführung eines solchen CP nicht immer als bußgeldmindernd berücksichtigt hat, hat sie mit Formulierungen wie „dass die KOM [... die Einführung eines CP] als mildernden Umstand berücksichtigt hat, bedeutet nicht, dass sie verpflichtet wäre, [im vorliegenden Fall] ebenso vorzugehen“21 deutlich gemacht, dass eine bußgeldmindernde Würdigung zwar nicht als Pflicht anzusehen, aber doch stets möglich sein soll. Darüber hinaus wurde die Einführung eines CP in mehreren dieser Fälle zwar nicht direkt als mildernd angesehen, jedoch ausdrücklich im Rahmen von Bußgeldminderungen bei der Anwendung der Kronzeugenregelung mit berücksichtigt.22 Wenn nun eine Anwendung der Kronzeugenregelung23 aber nicht mehr möglich ist, weil sich ein Wettbewerber diese zunutze gemacht hat, so muss die Kooperation mit der KOM (die Einführung des CP) trotzdem anderweitig Berücksichtigung finden – und das Bußgeld letztlich über das Ermessen der KOM gemindert werden.24

An dieser Bußgeldminderung kann und darf sich auch nichts ändern, wenn es sich um einen Hardcore-Verstoß handelt. Gemäß Nr. 23 der Leitlinien wird bei solchen Verstößen schon der Grundbetrag der Geldbuße grundsätzlich am oberen Ende der Bandbreite angesetzt, dieser wird nach Nr. 28 nur erhöht, wenn etwa das Unternehmen die Zusammenarbeit verweigert oder die Untersuchung durch die KOM verhindert. Wenn ein Unternehmen nach solch einem Verstoß aber versucht, mit der KOM zusammenzuarbeiten und künftige Verstöße zu verhindern, darf sich dies nicht negativ auswirken. Und da die Schwere des Verstoßes an sich schon in die Berechnung des Grundbetrages mit einfließt, muss eine Anpassung des Bußgeldes (aufgrund des Nachtatverhaltens) unabhängig von der Schwere des Verstoßes betrachtet werden.

Als Fazit bleibt somit zu sagen, dass die Einführung eines (effektiven) CP in einem Unternehmen nach einem Kartellrechtsverstoß auf europäischer Ebene von der KOM als bußgeldmindernder Umstand zu berücksichtigen ist.

3. Überarbeitung eines existierenden Competition Compliance Programms

Fraglich ist nun, ob die Existenz bzw. Überarbeitung eines CP im Falle eines Kartellrechtsverstoßes von der KOM bei der Bußgeldfestsetzung berücksichtigt werden muss. Der Unterschied zu obigen Überlegungen ist, dass ein Unternehmen schon vor dem Verstoß ein CP implementiert hat, dies aber im Krisenfall keine Wirkung gezeigt hat.

[...]


1 Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 II lit. a) VO 1/2003,ABl. C210/06 („Leitlinien“), Nr. 9 ff.

2 Siehe Stadler, Compliance-Programme, S. 70 ff.

3 Beninca/Zschocke, Kartellrecht in der Praxis, S. 258.

4 Ausführlich Pampel, BB 2007, 1636, 1639 f.

5 KOME v. 15.7.1992 – ABl. EG 1992 Nr. L 287/27 ff. Rn. 24 „Viho/Parker Penn“.

6 KOME v. 7.12.1982 – ABl. EG 1982 Nr. L 352/28 ff. Rn. 67-69 “National Panasonic”.

7 KOME v. 31.5.2006 – http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/cases/decisions/38645/en.pdf, Rn. 386 „Methacrylate“.

8 EuG v. 5.4.2006 – Rs. T-279/02, Rn. 350 „Degussa“.

9 EuG v. 17.12.1991 – Rs. T-7/89, Slg. 1991, S. II-1711ff. Rn. 357 „Hercules Chemicals“.

10 Lange/ Immenga, Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 699.

11 Derselbe; Es gibt keine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien, EuG v. 14.5.1998 – Rs. T- 354/94, Slg. 1998, S. II-1989 ff. Rn. 416 „Mo och Dömsjö“.

12 KOME v. 18.7.1988 – ABl. EG 1988 Nr. L 284/41 ff. Rn. 87 „Napier Brown/British Sugar“; zur

Einführung eines CP sogar nach Einleitung der Ermittlungen der Kommission und dessen Berücksichtigung KOME v. 18.12.1987 – ABl. EG 1988 Nr. L 49/19 ff. Rn. 27 „Fisher-Price/Quaker Oats“.

13 EuG v. 5.4.2006 – Rs. T-279/02, Rn. 344 „Degussa“.

14 EuG v. 20.3.2002 – Rs. T-23/99, Slg. 2002, S. II-1705 ff. Rn. 345 „LR AF 1998 A/S“.

15 Das Bußgeld an sich ist also nur subsidiär zu diesem Primärziel.

16 So auch EuG v. 5.4.2006 – Rs. T-279/02, Rn. 344 „Degussa“.

17 KOME v. 18.7.2001 – ABl. EG 2001 Nr. L 100/1 ff. Rn. 194 „Graphitelektroden“.

18 EuG v. 9.7.2003 – Rs. T-224/00, WuW/E EU-R 673, Rn. 105 „Lysinkartell”.

19 Reue wird als mildernder Umstand gewertet. Siehe KOME v. 3.9.2004 – http://ec.europa.eu/comm/ competition/index_de.html, Rn.753 „Kupferinstallationsrohre“.

20 Hauschka, BB 2004, 1178, 1179.

21 KOME v. 16.12.2003 – http://ec.europa.eu/comm/competition/index_de.html, Rn. 382 „Industrie- rohre“.

22 KOME v. 21.2.2007 – Entscheidung nicht veröffentlicht, Rn. 754 „Aufzüge und Rolltreppen“;EuG v. 29.4.2004 – Rs. T-236/01, Slg. 2004, S. II-1181 ff. Rn. 343 „Tokai Carbon“.

23 Siehe Lange/ Immenga, Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 699 f.

24 Sollte sich das Unternehmen die Kronzeugenregelung aber doch zunutze machen können, dann ist die Einführung des CP direkt darüber bußgeldmindernd zu berücksichtigen.

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Details

Title
Der Einfluss von Competition Compliance Programmen auf die Bußgeldbemessung im europäischen und deutschen Kartellrecht
Subtitle
Ein Vergleich
College
University of Augsburg
Grade
1,7
Author
Year
2007
Pages
14
Catalog Number
V123784
ISBN (eBook)
9783640292080
ISBN (Book)
9783640292141
File size
430 KB
Language
German
Keywords
Compliance, Kartellrecht, Europarecht, Hardcoreverstoß, Competition Compliance Programm, Bußgeld, Bußgeldverfahren, Jura
Quote paper
Dominik E. Arndt (Author), 2007, Der Einfluss von Competition Compliance Programmen auf die Bußgeldbemessung im europäischen und deutschen Kartellrecht , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123784

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