Leseprobe
Gliederung:
1. Einleitung
2. Begriffsdefinition Stigmatisierung
3. Pränataldiagnostik
3.1. Definition
3.2. Gesetzliche Grundlagen
4. Methode Nackentransparenz- Test
4.1. Negative Aspekte der Methode
4.2. Positive Aspekte der Methode
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Pränataldiagnostik als noch junge medizinische Disziplin ist seit vielen Jahren oft Gegenstand von politischen, medizinischen und privaten Diskussionen in Deutschland. Die medizinischen Entwicklungen rund um die umfassenden pränataldiagnostischen Methoden haben unter anderem zu einer andauernden ethischen Diskussion über den Wert des Menschlichen Lebens geführt.1 Während Befürworter den wissenschaftlichen Fortschritt bejubeln, kritisieren Gegner der Pränataldiagnostik die stigmatisierende Wirkung der pränataldiagnostischen Methoden. Fest steht, die Pränataldiagnostik ist aus der Schwangerschaftsvorsorge nicht mehr wegzudenken und die umfassenden Methoden liefern immer genauere Ergebnisse zu dem Gesundheitszustand des Fötus. Verschiedene pränataldiagnostische Methoden können heutzutage unter anderem Behinderungen von Ungeborenen erkennen. In Folge dessen kann es zu selektiven Abtreibungen kommen, die das Bild von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft verändern können. Bereits heute entscheiden sich etwa neun von zehn Schwangeren bei einem positiven TrisomieBefund für eine Abtreibung.2 Daher stellt sich die Frage: Ist die Pränataldiagnostik stigmatisierend? Diese Frage soll in der vorliegenden Hausarbeit am Beispiel der Methode des Nackentransparenz- Test erörtert werden. Diese pränataldiagnostische Methode wurde für die vorliegende Hausarbeit gewählt, da die Einführung dieser Methode Anfang der 2000er Jahre zu einer umfassenden Diskussion geführt hat, unter anderem aufgrund des selektiven Charakters der Methode und der nicht- eindeutigen Untersuchungsergebnisse.3 Zunächst wird der Begriff Stigmatisierung definiert und anschließend die Pränataldiagnostik anhand einer Definition vorgestellt und die dazugehörigen gesetzlichen Grundlagen erläutert. Es folgt eine Erläuterung der Methode des Nackentransparenz- Test sowie der aktuelle Forschungsstand zu den negativen und positiven Aspekten der im vorangegangen definierten Methode. Abschließend wird die Methode im Fazit unter dem Aspekt der Stigmatisierung betrachtet und die positiven sowie negativen Aspekte der Methode gegenübergestellt.
Diese Erörterung und Analyse der verschiedenen Aspekte soll einen Versuch darstellen, Stigmatisierung in der Pränataldiagnostik einzuordnen. Dabei bietet diese Darstellung selbstverständlich nur einen kleinen Einblick in das breite Feld der Pränataldiagnostik.
2. Begriffsdefinition Stigmatisierung
Der Begriff Stigmatisierung kommt von dem Begriff „Stigma“ und stammt ursprünglich aus dem altgriechischen und bedeutet so viel wie Brandmal/ Stich.4 Diese Kennzeichnung von unterschiedlichen Personen, beispielsweise in Form eines Brandmals bei Sklaven, diente damals der klaren Abgrenzung von Gruppen und Individuen innerhalb einer Gesellschaft. Auch heute ist ein Stigma noch negativ konnotiert: „So ist die soziologische Bedeutung beispielsweise das Vorenthalten der vollständigen sozialen Akzeptanz d.h. bestimmten Gruppen und Individuen werden abwertende Merkmale durch große Teile der Gesellschaft zugeschrieben.“5 Kardorff bezeichnet Stigmatisierung als Gattungsbegriff für bewertende Merkmale: „(..) zumeist negative, emotionsgeladene und sozial diskreditierende Bewertungen von Merkmalen einer Person(engruppe), die von Mitgliedern der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft gezielt, meist gedankenlos, oft mit Erfolg und folgenreich als abweichend, störend, unerwünscht oder nicht zugehörig etikettiert werden.“6 Dabei kann Stigmatisierung als ein gesellschaftlicher Prozess gesehen werden, in dem Personen oder Gruppen aufgrund von bestimmten äußeren Merkmalen negativ bewertet werden und in eine Randgruppenpostition gebracht werden. Beispielsweise die Gruppe der Menschen mit Behinderung. Im Stigmatisierungsprozess werden meist nur die negativ konnotierten Merkmale der betroffenen Personen von der Gesellschaft wahrgenommen. Weitere Merkmale können dem Stigma nicht entgegenwirken. Diese negative Bewertung von außen kann bei stigmatisierten Menschen zu einem defizitären Selbst- Erleben führen. Zudem sind die Betroffenen Personen dem Prozess meist ausgeliefert. Stigmatisierung ist dabei immer gesellschaftsabhängig: „Was in einer Gesellschaft oder in einer Gruppe als positives Merkmal oder Normalität gesehen wird, kann woanders oder zu einem anderen Zeitpunkt zu Stigmatisierung führen.“7 Stigmatisierung findet heutzutage in zahlreichen Kontexten statt: Herkunft, Ethnie, Körperliche und geistige Beeinträchtigung, (Psychische) Krankheiten, Alter, Geschlecht, Hautfarbe, soziale Herkunft, Wohnort, Sexuelle Orientierung und viele weitere Faktoren können zu Stigmatisierung führen. Aber auch mit der Pränataldiagnostik wird der Begriff Stigmatisierung immer wieder in Verbindung gebracht. Die Folgen von Stigmatisierung sind weitreichend, da sie sich auf viele Lebensbereiche negativ auswirken kann: unter anderem auf Menschenrechte, Teilhabechancen und Lebensqualität.8
3. Pränataldiagnostik
Wie bereits in der Einleitung erläutert, ist die Pränataldiagnostik eine junge Disziplin in der modernen Medizin: 1958 wurde durch Ian Donald mit der Ultraschalltechnologie der erste Ultraschall an einem Fötus durchgeführt. Die Pränataldiagnostik umfasst alle vorgeburtlichen Untersuchungen9 und ist seit 1980 ein fester Bestandteil der Schwangerschaftsvorsorge.10 Im Folgenden wird die Pränataldiagnostik definiert und die dazugehörigen gesetzlichen Grundlagen vorgestellt.
3.1. Definition
Die Pränataldiagnostik lässt sich folgend definieren: „Die Pränataldiagnostik umfasst die Untersuchung von schwangeren Frauen und ihren noch ungeborenen Kindern. Dadurch können Krankheiten frühzeitig erkannt werden.“11 Unter Pränataldiagnostik (PND) versteht man dementsprechend alle vorgeburtlichen Untersuchungen die den allgemeinen Schwangerschaftsverlauf kontrollieren, den Entwicklungs- und Gesundheitszustandes des Fötus kontrollieren und Aussagen über bestimmte Krankheiten und Behinderungen des ungeborenen Kindes machen sowie Risikosituationen für Mutter und Kind erkennen.12 Weitere Gründe für pränataldiagnostische Untersuchungen sind die genaue Datierung der Schwangerschaft, die eindeutige Erkennung von Mehrlingsschwangerschaften und Risikoklassifizierungen. Grundsätzlich werden im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge drei Ultraschall Untersuchungen bei schwangeren Frauen angeboten, in der 9.-12., 19.-22. und in der 29.-32. Schwangerschaftswoche. Gibt es Hinweise auf eine Auffälligkeit oder besteht eine Risikoschwangerschaft, können weitere vorgeburtliche Untersuchungen folgen.13 Die Pränataldiagnostik umfasst nicht-invasive und invasive Untersuchungsmethoden: Nicht-invasive Untersuchungen greifen nicht in den Körper der Schwangeren ein und stellen somit keine Gefahr für das Ungeborene dar. Zu den nicht-invasiven Methoden zählen unter anderem Ultraschall, MRT und Blutabnahme der Schwangeren. Invasive Untersuchungen greifen in den Körper der Frau ein, beispielsweise indem Gewebeproben des entstehenden Mutterkuchens, Fruchtwasser oder kindliches Blut entnommen wird. Die invasiven Methoden werden frühestens ab der 12.
Schwangerschaftswoche durchgeführt. Zu diesen Methoden zählen unter anderem Chorionzottenbiopsie, Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese), Nabelschnurpunktion (Chordozentese, Fetalblutentnahme) und Fetoskopie. Da die invasiven Untersuchungsmethoden in den Körper der Frau eingreifen, gehen diese Methoden mit einem erhöhten Risiko für Schwangere und Ungeborenes einher.14
3.2. Gesetzliche Grundlagen
Die Pränataldiagnostik als medizinische Richtung wird nicht von eigenen Gesetzen reguliert, allerdings von einigen Gesetzen gerahmt: Das Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG), das Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz - SchKG) und Paragraph 218 sowie 218a im Strafgesetzbuch. Das Gendiagnostikgesetz stellt die Rahmenbedingungen für alle Untersuchungen von menschlichen genetischen Eigenschaften dar, um Gefahren und Diskriminierung zu verhindern, aber trotzdem die Chancen dieser Methoden zu wahren. Artikel 14 in dem GenDG bezieht sich auf die Pränataldiagnostik: Eine vorgeburtliche genetische Untersuchung darf nur zu medizinischen Zwecken durchgeführt werden, dementsprechend nur für die Feststellung genetischer Eigenschaften, die die Gesundheit des Fötus oder Embryos vor oder nach der Geburt beeinträchtigen können. Verboten sind vorgeburtliche genetische Untersuchungen auf Krankheiten, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen können.15 Das Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten gewährleistet den Anspruch der Schwangeren auf eine umfassende Beratung oder eine spezielle Schwangerschaftskonfliktberatung. Die Teilnahme an einer Schwangerschaftskonfliktberatung ist unter anderem für die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs erforderlich.16 Schwangerschaftsabbrüche werden in Deutschland durch das Strafgesetzbuch (StGB) in §§ 218 und 218a geregelt. In Artikel 218 wird der Schwangerschaftsabbruch als Straftatbestand festgestellt17, unter Paragraph 218a die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs unter einigen Bedingungen. Unter anderem muss die Schwangere den Abbruch verlangen und es muss eine ärztliche Beratung drei Tage im Voraus erfolgt sein. Zudem muss der Abbruch von einem Arzt oder einer Ärztin durchgeführt werden. Die Schwangerschaft kann höchstens 12 Wochen nach der Empfängnis abgebrochen werden. Weitere Gründe für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch sind die gegenwärtigen und zukünftigen
Lebensverhältnisse der Schwangeren sowie eine von einem Arzt oder einer Ärztin bescheinigte mögliche Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren. Diese Regelung wird auch als medizinische Indikation bezeichnet, da in diesem Fall Schwangerschaftsabbrüche ohne zeitliche Frist rechtmäßig sind und bei einem möglichen Befund nach einer pränataldiagnostischen Untersuchung ein Schwangerschaftsabbruch auch nach der 12. Schwangerschaftswoche möglich ist.18
4. Methode Nackentransparenz- Test
Im Folgenden wird die pränataldiagnostische Methode „Nackentransparenz- Test“ erläutert, die sich der Pränatalen Ultraschalldiagnostik zuordnen lässt und zu den nichtinvasiven Methoden zählt. Der Nackentransparenz- Test (umgangssprachlich „Nackenfaltenmessung“) gehört neben dem Bluttest der Schwangeren zu dem Ersttrimester- Screening, das zwischen der 10.- und 14. Schwangerschaftswoche stattfinden kann. Da die Methode zu den nicht- Invasiven pränataldiagnostischen Methoden gehört, besteht für das Ungeborene und die Schwangere kein Risiko. Der Nackentransparenz- Test erfolgt durch eine Ultraschalluntersuchung des Nackenbereich beim Fötus. Mit dem Ultraschall wird die Dicke der Nackenfalte und eventuell weitere Merkmale des Ungeborenen gemessen. Es wird geprüft, ob sich im Nackenbereich des Ungeborenen unter der Haut Flüssigkeit angesammelt hat.19 Weitere Merkmale die von der Ärztin oder dem Arzt untersucht werden und auf Fehlbildungen und Krankheiten hinweisen können, sind die Ausprägung des Nasenbeins, eine veränderte Kopfform und die Länge der Gliedmaßen. Diese Merkmale werden als „Soft-Marker“ bezeichnet. Auffällige Ergebnisse bei dieser Untersuchung können auf ein erhöhtes Risiko für eine Chromosomenstörung hinweisen, beispielsweise auf eine Trisomie 21 (Down-Syndrom), Trisomie 13 und 18, das Turner-Syndrom oder auf einen Herzfehler.20 Bei dieser Untersuchung wird auch das Alter der schwangeren Frau sowie die Schwangerschaftsdauer miteinbezogen. Allerdings kann aus den Ergebnissen der im vorangegangen erläuterten Untersuchungen nur eine Wahrscheinlichkeit für bestimmte Chromosomen-Abweichungen beim Ungeborenen berechnet werden, dementsprechend handelt es sich nicht um eine Diagnose sondern nur um eine Risikoeinschätzung.21 Die Risikoeinschätzungen des Nackentransparenz-Tests sind dabei häufig falsch-positiv oder falsch-negativ. Unter anderem da Wasseransammlungen im Nackenbereich nur vorübergehend in Erscheinung treten können.
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1 Wisser, J. Pränataldiagnostik. Gynäkologe 46, 183-192 (2013). https://doi.org/10.1007/s00129-012-3064-z S.184
2 Springer Medizin. Ärztezeitung: Trisomie-21-Diagnose führt meist zur Abtreibung. URL:https://www.aerztezeitung.de/Politik/Trisomie-21-Diagnose-fuehrt-meist-zur-Abtreibung-29590 4.html (14.02.2022)
3 Scharf, A. Ethische Aspekte zur nicht invasiven Pränataldiagnostik. gynäkologie + geburtshilfe 26, 20-25 (2021). https://doi.org/10.1007/s15013-021-4005-5 S.22-23
4 Duden. Stigma. URL: https://www.duden.de/rechtschreibung/Stigma (14.02.2022)
5 Inklumat. Glossar Stigmatisierung. URL: https://www.inklumat.de/glossar/stigmatisierung (14.02.2022)
6 Kardorff, Ernst von (2016). Stigma/Stigmatisierung In: Hedderich, Ingeborg/Biewer, Gottfried/Hollenweger, Judith/Markowetz, Reinhard (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt, S. 407-412
7 Universität Hamburg. Stigmatisierung. URL: https://www.sign-lang.uni-hamburg.de/projekte/slex/seitendvd/konzeptg/l54/l5402.htm (15.02.2022)
8 Ebd.
9 Hepp, H. Pränataldiagnostik. Gynäkologe 39, 861-869 (2006). https://doi.org/10.1007/s00129-006-1903-5
10 Wisser, J. Pränataldiagnostik. Gynäkologe 46, 183-192 (2013). https://doi.org/10.1007/s00129-012-3064-z
11 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. URL: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/schwangerschaft-und-kinderwunsch/praenataldiagnostik/infor mationen-zu-praenataldiagnostik-81018 (16.02.2022)
12 Ebd.
13 Wisser, J. Pränataldiagnostik. Gynäkologe 46, 183-192 (2013). https://doi.org/10.1007/s00129-012-3064-z
14 Ebd.
15 Bundesministerium der Justiz. Gendiagnostikgesetz. URL: http://www.gesetze-im-mtemet.de/gendg/BJNR252900009.html#BJNR252900009BJNG000100000 (14.02.2022)
16 Bundesministerium der Justiz. Schwangerschaftskonfliktgesetz. URL: https://www.gesetze-im-internet.de/beratungsg/BJNR113980992.html (14.02.2022)
17 Bundesministerium für Justiz. Paragraf 218. URL: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/ 218.html (14.02.2022)
18 Bundesministerium für Justiz. Paragraph 218a URL: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/ 218a.html (14.02.2022)
19 Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (Hrsg.) (2008): Pränataldiagnostik - Informationen über Beratung und Hilfen bei Fragen zu vorgeburtlichen Untersuchungen, Köln.
20 Klinik Bochum. Ersttrimesterscreening-NT. URL: https://www.klinikum-bochum.de/fachbereiche/gynaekologie-und-geburtshilfe/geburtshilfe/praenatale-ultrasc halldiagnostik-ersttrimersterscreening-NT.html (13.02.2022)
21 BZgA. Ersttrimester- Test. URL: https://www.familienplanung.de/schwangerschaft/praenataldiagnostik/risikoeinschaetzungen/ (13.02.2022)