Die Vita des Königs Manasse. Theodizee in den Büchern der Chronik und der Könige im Vergleich


Hausarbeit, 2022

20 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Kurzer Vergleich der Darstellung Manasses in den Büchern der Könige und der Chronik

2. Umgang mit der Theodizee in 2 Kön 21,1-18 und 2 Chr 33,1-20
2.1 Entstehung und Geschichtsauffassungen im Vergleich
2.1.1 Entstehung und Geschichtsauffassung der Bücher der Könige
2.1.2 Entstehung und Geschichtsauffassung der Bücher der Chronik
2.2 Fazit

3. Theodizee im Vergleich
3.1 Theodizee in der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung (Gen 1,1-2,3) und der individuellen Eschatologie (äthHen 22 und Dan 12,1-4)
3.2 Vergleich der drei Theodizee-Konzepte

4. Reflexion: Beurteilung des Zusammenhangs von Geschichtsbild und Gottesbild im Alten Testament

Literaturverzeichnis

1. Kurzer Vergleich der Darstellung Manasses in den Büchern der Könige und der Chronik

Bei direkter Gegenüberstellung der beiden Viten des Königs Manasse (siehe Tabelle im Anhang) in 2 Chr 33,1-20 und 2 Kön 21,1-18 fällt auf, dass beide Versionen insgesamt viele wörtliche Übereinstimmungen besitzen. Dennoch lassen sich einige Unterschiede finden. Neben kleineren Veränderungen, wie z.B. der Weglassung des Namens der Mutter in 2 Chr 33,1 oder die Verwendung des Plurals in Bezug auf Baal und einen Kultpfahl (Aschera) in 2 Chr 33,3, findet sich der größte und auffälligste Unterschied vermutlich in 2 Chr 33,11-17 bzw. 2 Kön 21,11-16. Während Manasse in den Büchern der Könige als der sündigste unter allen judäischen Königen dargestellt wird, lässt sich in den Büchern der Chronik neben einer Epoche der Sünde mit folgender Strafe (Vgl. 2 Chr 33,2-11) auch eine Umkehr Manasses mit anschließender positiver Phase (Vgl. 2 Chr 33,12-17) erkennen, was zu einem ambivalenten Bild des Königs Manasse führt.1 Doch wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Schilderung Manasses und welche Gründe gibt es für diese? Im Folgenden soll hierfür der Umgang mit der Theodizee und die Geschichtsauffassung des Chronisten auch im Vergleich zur Vorlage in 2 Kön 21,1-18 genauer betrachtet werden.

2. Umgang mit der Theodizee in 2 Kön 21,1-18 und 2 Chr 33,1-20

Die Frage der Theodizee ist ein wichtiges Themenfeld innerhalb des Alten Testaments. Immer wieder treffen Menschen in ihrem Leben auf leidvolle Erfahrungen, die sie verstehen und mit Sinn versehen wollen. Nicht selten wird in diesem Zusammenhang auch die Frage nach Gottes Gerechtigkeit gestellt. Insbesondere seit Deuterojesajas Schritt zum Monotheismus in Jes 45,5-7 um 539 v. Chr. ist die Theodizee vor eine neue Herausforderung gestellt: Wenn es nur einen Gott gibt, so muss er für alles verantwortlich sein. Sowohl für das Gute als auch das Schlechte und so formuliert Deuterojesaja, dass Gott derjenige ist, der „das Licht formt und das Dunkel erschafft, der das Heil macht und das Unheil erschafft, ich bin der Herr, der all dies macht.“ (Jes 45,7). Folglich ist also Gott derjenige, der über Glück oder Leid im Leben bestimmt. In den Büchern der Könige und der Chronik finden sich zwei Konzepte der Theodizee, die diesem Grundsatz folgen, wobei diese gleichzeitig eine willkürliche Zuteilung des Übels verneinen und die Schuld für das Leiden letztendlich bei den Menschen selbst suchen.

Wie sich später noch deutlich herausstellen wird, zielt das deuteronomistische Geschichtswerk unter anderem darauf ab, rückblickend zu erklären, warum das Nordreich und letztendlich auch das Südreich untergehen mussten. Grundlage und Maßstab für die Bewertung der einzelnen Könige stellt das Deuteronomium, insbesondere das hier verkündete Gesetz in den Kapiteln 5 bis 28, dar. Solange sich das Volk an das Gesetz hält und damit bundestreu ist, lebt es im Heil. Sobald es allerdings bundesbrüchig ist, wird Unheil über Israel (und Juda) kommen.2 Die schlechten Beurteilungen der Könige in Zusammenhang mit den Beschreibungen des Kultverhaltens machen deutlich, wann sich Israel bzw. Juda nicht an das Gesetz hält. Innerhalb der Geschichte Israels erhalten alle Könige eine schlechte Bewertung und somit muss schließlich Unheil über das Land kommen, was sich im Untergang dessen 722 v. Chr gezeigt hat. Im Südreich werden v.a. die letzten Könige, darunter bspw. Manasse (Vgl. 2 Kön 21,1-18), Amon (Vgl. 2 Kön 21,19-26), Joahas (2 Kön 23,31-34), Jojakim (2 Kön 23,34-24,7), Jojachin (2 Kön 24,8-17) und Zidkija (2 Kön 24,18-25,26) negativ bewertet und somit ist klar, warum letztendlich auch das Südreich Juda 587 untergegangen ist. Hiermit zeigt sich letztendlich, dass die Bücher der Könige versuchen, die Frage der Theodizee mit Hilfe des Tun-Ergehen-Zusammenhangs zu lösen: „Wenn Israel [bzw. Juda] in den Abgrund stürzte, so ist es ganz und gar seine Schuld“3, denn es hat sich nicht an das Gesetz gehalten. Durch den Vollzug der Strafe, also dem Eintreten des Untergangs der beiden Reiche und des babylonischen Exils, reagiert Gott letztendlich auf den Abfall des Volkes vom Gesetz und hat somit aus Sicht des Deuteronomisten in der Geschichte erkennbar gehandelt.4 Noth erklärt diese Form des Tun-Ergehen-Zusammenhangs mit dem sog. „Vergeltungsdogma“, das im Falle des DtrG auf das Kollektivum, also das ganze Volk, angewendet wird.5 Ferner bleibt noch die Frage, ob Schuld im deuteronomistischen Geschichtswerk von einer Generation auf die nächste übertragbar ist und somit vererbt wird. Hierzu lohnt es sich, zunächst die Vita Manasses noch einmal genauer zu betrachten. Insbesondere die exilische Hinzufügung in 2 Kön 21,10-15 wirkt wie eine Vorhersage der unheilvollen Ereignisse Judas und stellen Manasse so dar, dass er zumindest eine Teilschuld am Untergang des Südreiches hat, obwohl nach ihm noch Joschija folgt, der Juda reformiert und wieder auf den „richtigen“ Weg führt (Vgl. 2 Kön 23,1-25). Zusätzlich hierzu ist bei Manasse selbst keine individuelle Strafe ersichtlich. Ebenfalls aufschlussreich sind die Verse, welche nach den Reformen Joschijas innerhalb der exilischen Auflage erscheinen: „Doch der Herr ließ von der gewaltigen Glut seines Zornes nicht ab. Sein Zorn war über Juda entbrannt wegen all der Kränkungen, die Manasse ihm zugefügt hatte. Darum sprach der Herr: Auch Juda will ich von meinem Angesicht entfernen, wie ich Israel entfernt habe.“ (2 Kön 23,26-27) Dies macht deutlich, dass Manasse einen großen Teil der Verantwortung für den Untergang des Südreiches trägt und Schuld im deuteronomistischen Geschichtswerk von einer Generation auf die nächste übertragen wird. Somit handelt es sich um eine diachrone Schuldübertragung über mehrere Generationen hinweg.

Allerdings wird in Ez 18 ein Umdenken deutlich, dass sich gegen die diachrone Übertragung von Schuld ausspricht, was auch nötig ist, um dem Volk von Juda wieder Hoffnung zu geben. Denn wenn die nächsten Generationen immer wieder diese Schuld auf Grund der Vergangenheit auf sich nehmen müssen, wird es nie mehr zu einer Zeit kommen, in welchem das Volk wieder eine Perspektive in Freiheit und Zukunft haben wird. Außerdem gibt es keine Motivation, sein Leben zum Positiven zu verändern, da es auf Grund der Schuld der Väter sowieso nichts bringen würde. Aufgrund dessen ändert der Chronist die diachrone Übertragung der Schuld in eine synchrone und blickt damit nicht nur in die Vergangenheit, sondern öffnet auch den Blick auf die Zukunft.6 Dementsprechend wäre dann jeder selbst für sein Leben verantwortlich und der Tun-Ergehen-Zusammenhang bezieht sich hier nicht mehr auf vererbte Schuld über mehrere Generationen hinweg, sondern nur noch auf die der einzelnen Individuen.7 Ziel des Chronisten ist also, dass der Tun-Ergehen-Zusammenhang in den einzelnen Leben der Könige aufgeht. Aus der Nichtvererbbarkeit von Schuld wird ersichtlich, dass Manasse für den Untergang des Südreiches nicht verantwortlich sein kann. Auf Grund der Sünden Manasses, die sich immer mehr steigern und letztendlich die gesamte Tempeltheologie auf den Plan ruft, indem Manasse den Tempel „entweiht“ (Vgl. 2 Chr 33,2-7) braucht es, damit der Tun-Ergehen-Zusammenhang in seinem Leben selbst aufgeht, eine andere Form der „Strafe“.8 Deshalb erfolgt im Gegensatz zum DtrG eine Gefangennahme Manasses durch die Assyrer mit anschließender Deportation nach Babel (Vgl. 2 Chr 33,11). Ein weiteres Problem, das nicht in das Theodizee-Konzept des Chronisten zu passen scheint, stellt die lange Regierungszeit des Manasse dar, welcher 55 Jahre lang, und damit länger als jeder andere König von Juda, regiert hat.9 Wenn Manasse mit einer so langen Regierungszeit gesegnet gewesen ist, kann er nicht durchweg böse bzw. schlecht gewesen sein. Somit wird seitens des Chronisten noch die Umkehr Manasses (Vgl. 2 Chr 33,12-13) und die darauf folgenden guten Taten Manasses (Vgl. 2 Chr 33,14-17) eingefügt, damit die lange Regierungszeit durch die Lebensführung Manasses gerechtfertigt werden kann und Gottes Gerechtigkeit sozusagen gerettet wird.10

Des Weiteren ist auffällig, dass die Prophetenrede von 2 Kön 21,10-15 nicht inhaltlich zitiert wird, sondern der Leser nur erfährt, dass es diese gegeben hat, diese aber nicht beachtet wurde (Vgl. 2 Chr 33,10). Für diese Weglassung gibt es nach Japhet zwei Gründe: Zum einen wird die deuteronomistische Theologie, in welcher Manasse für den Untergang des Südreiches verantwortlich ist und nicht dem Theodizee-Konzept des Chronisten entsprechen würde, vermieden.11 Zum anderen braucht es aber diese Rede, um ein für den Chronisten wichtiges Element für Gottes Gerechtigkeit in die Vita aufnehmen zu können. Hierbei handelt es sich um die Verwarnung vor dem Vollzug der Strafe.12 Dies hat den Grund, dass unterschieden werden soll zwischen unbeabsichtigter und beabsichtigter Sünde. Wer sich unbeabsichtigt versündigt, bekommt dadurch die Chance, sein Fehlverhalten zu erkennen und einzustellen. Auch bei beabsichtigter Sünde erhält der- oder diejenige noch die Chance zur Umkehr. Nur, wer trotzdem weiterhin an seinem Fehlverhalten festhält, wird letztendlich bestraft.13 Somit lässt sich also in Bezug auf Manasse sagen, dass auch er diese Verwarnung vermutlich durch diese Prophetenrede in 2 Chr 33,10 erhalten hat und noch die Möglichkeit zur Umkehr hatte. Da er und das Volk allerdings nicht auf diese Worte hören, muss es letztendlich zur Strafe kommen, die in 2 Chr 33,11 erfolgt. Hiermit wird also gezeigt, dass Gottes Gerechtigkeit in Form von Strafen zumeist auch gerechtfertigt ist, da nur die eine Strafe erhalten, die sich absichtlich und bewusst versündigen.

Des Weiteren ist es eine Besonderheit des Chronisten, dass auch nach bzw. während der Strafe noch die Möglichkeit zur Umkehr gegeben ist, wie die Vita Manasses deutlich macht. Trotz all der Sünden und Fehler Manasses wird dieser in der Chronik von Gott wieder als König eingesetzt, wodurch sich Gottes Barmherzigkeit und Gnade zeigt (Vgl. 2 Chr 33,12-13). Durch diese Vergebung zeigt sich erneut, dass der Blick des Chronisten auch in die Zukunft gerichtet ist, denn hiermit wird jedem die Möglichkeit eingeräumt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und zum Besseren zu wenden, was dann auch entsprechend des Tun- Ergehen-Zusammenhangs aus Sicht des Chronisten belohnt wird.14

Zuletzt soll noch kurz die Todesnotiz und die Begräbnisstätte im Horizont der Theodizee genauer betrachtet werden. Sowohl in 2 Kön 21,18 als auch in 2 Chr 33,20 wird berichtet, dass Manasse zu seinen Vätern entschlafen ist. Da innerhalb des DtrG versucht wird, die Geschichte Israels bzw. Judas durch den Tun-Ergehen-Zusammenhang zu erklären, ist die Todesart des Königs hier vermutlich nicht Teil des Theodizee-Konzepts. Anders ist dies in den Büchern der Chronik, in welchen nicht die Geschichte, sondern das Leben eines Königs genauer betrachtet wird. Der Begriff „entschlafen“ suggeriert hierbei einen friedlichen Tod, was aus Sicht des Chronisten ähnlich wie die lange Regierungszeit auf ein gutes Leben schließen lässt und somit die Einfügungen der guten Taten Manasses zur Rettung der Gerechtigkeit Gottes rechtfertigt.15

[...]


1 Vgl. Japhet 2003, 442.

2 Vgl. Lohfink 1967, 204.

3 Lohfink 1967, 205.

4 Vgl. Lohfink 1967, 205.

5 Vgl. Noth 1943, 172.

6 Vgl. Lohfink 1967, 205.

7 Vgl. Noth 1943, 172.

8 Vgl. Japhet 2003, 448.

9 Vgl. Japhet 2003, 443.

10 Vgl. Japhet 2003, 443.

11 Vgl. Japhet 2003, 449.

12 Vgl. Japhet 2003, 449.

13 Vgl. Japhet 2006, 391.

14 Vgl. Japhet 2006, 397.

15 Vgl. Suriano 2010, 35.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Vita des Königs Manasse. Theodizee in den Büchern der Chronik und der Könige im Vergleich
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,3
Jahr
2022
Seiten
20
Katalognummer
V1240001
ISBN (eBook)
9783346662910
ISBN (Buch)
9783346662927
Sprache
Deutsch
Schlagworte
vita, königs, manasse, theodizee, büchern, chronik, könige, vergleich
Arbeit zitieren
Anonym, 2022, Die Vita des Königs Manasse. Theodizee in den Büchern der Chronik und der Könige im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1240001

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