Der Gesundheitsfonds: Synthese zweier unvereinbarer Systeme?


Hausarbeit, 2007

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG
1.1 FRAGE - UND PROBLEMSTELLUNG
1.2 HINTERGRÜNDE ZUR ENTSTEHUNG FINANZIERUNGSPROBLEMATIK
1.3 BISHERIGE REFORMVERSUCHE

2. ALTERNATIVE KONZEPTE ZUR FINANZIERUNG DES GESUNDHEITSWESENS
2.1 BÜRGERVERSICHERUNG
2.2 KOPFPAUSCHALE / SOLIDARISCHE GESUNDHEITSPRÄMIE
2.3 GEGENÜBERSTELLUNG UND BEWERTUNG DER KONZEPTE

3. DER GESUNDHEITSFOND ALS SYNTHESE?
3.1 BESCHREIBUNG DER STRUKTURMERKMALE
3.2 ELEMENTE AUS DEM KONZEPT BÜRGERVERSICHERUNG
3.3 ELEMENTE AUS DEM KONZEPT KOPFPAUSCHALE
3.4 FAZIT / BEWERTUNG : GESUNDHEITSFONDS ALS SYNTHESE ?

4. AUSBLICK

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG

1. EINLEITUNG

1.1 Frage- und Problemstellung

Mittlerweile 11% des deutschen BIP wird für Gesundheit ausgegeben. Das Gesundheitswesen ist damit nicht nur zu einer der größten und wichtigsten Industrien aufgestiegen, es beschäftigt – da der größte Anteil dieser Ausgaben (ca. 7% des BIP) über die Sozialversicherung finanziert wird – auch zunehmend die politische Diskussion.1 So deutlich über alle politische Lager hinweg Einigkeit bezüglich der immer größer werdenden Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung herrscht, so unterschiedlich die Auffassung von Konzepten zur Behebung dieser Finanzierungsproblematik. Anfang 2003, vor der vorletzten Bundestagswahl, wurden diese Konzepte zu Stellvertretern des politischen Machtkampfes hochstilisiert: Bürgerversicherung vs. Kopfpauschale, SPD vs. CDU/CSU.

In der Zwischenzeit gab es zahlreiche Veränderungen im Gesundheitssystem, zuletzt das sog. GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (WSG). Ein wesentlicher Bestandteil dessen ist der Gesundheitsfonds. Diese Arbeit versucht zu erörtern, ob die beiden Initial-Konzepte der heutigen Koalitionsparteien im Gesundheitsfonds ihre Synthese finden konnten, oder ob es sich eher um den viel zitierten (faulen) "Gesundheitskompromiss" handelt.2

Dabei steht nicht die Beschreibung der Entstehungsgeschichte im Vordergrund, sondern im Wesentlichen eine Betrachtung der "Ergebnisse" der Finanzierungsthematik der GKV3. Eine knappe Einführung in die Hintergründe und den Kontext des deutschen Gesundheitswesens muss also ausreichen, ist aber zum Verständnis unterlässlich. In Anlehnung an die Konstruktionselemente von Schäfer4 werden dann die generischen Konzepte der Bürgerversicherung und Kopfpauschale beschrieben und analysiert. Anschließend wird der Gesundheitsfonds in analoger Struktur beschrieben, um so Elemente aus Bürgerverscherung und Kopfpauschale identifizieren und die Ausgangsfrage nach Synthese vs. Kompromiss beantworten zu können. Abschließen möchte ich mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen.

1.2 Hintergründe zur Entstehung Finanzierungsproblematik

1.2.1 Motive zur Einführung einer sozialen Krankenversicherung

Sicherungssysteme gegen Krankheitsrisiken spiegeln die historische Entwicklungen wider.5 Um die aktuelle Problematik von Finanzierungs-, Organisationsstrukturen und politischer Situation verstehen zu können, bietet sich zunächst ein kurzer Blick in den "Rückspiegel" an: Die Einführung der ersten Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKVen) entstand im Grunde aus der Not heraus: gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Industrialisierung zu bisher nicht gekannter Konzentration in Städten, der Auflösung von traditionellen familiären, dörflichen und ständischen Zusammenhängen und damit zu massenhafter Armut geführt. Insbesondere das Krankheitsrisiko – immer weniger durch soziale Netze aufgefangen – bot Zündstoff für soziale Konflikte und gefährdete die politische Stabilität.6 Um der unruhigen Arbeiterschaft Zugeständnisse zu machen und das Herrschaftssystem zu stabilisieren, schuf Bismarck 1883 mit dem Gesetz über die Krankenversicherung eine erstaunlich moderne Sozialversicherung, deren wesentliche Strukturen (vgl. 1.2.4 – 1.2.5) noch heute Bestand haben.7

1.2.2 Organisation der GKV

Der Staat setzte die Rahmenbedingungen und überlies die Detailregelungen der Selbstverwaltung von Krankenkassen und Ärzten. Es wurde in der Organisation der Sozialversicherungsträger differenziert nach regionalen (Allgemeinen Ortskrankenkassen), beruflichen (Innungs- und Betriebskrankenkassen) und statusbedingten Kriterien. Noch 1970 war die gesetzliche Kran]kenversicherung von 1.815 solch differenzierter Kassen organisiert. Der allmählich entstehende Kostendruck auf die Kassen stieß eine bis heute anhaltende Konsolidierung an. Aufgrund von verstärktem Zwang zur Wirtschaftlichkeit und der Erlaubnis zu kassenartenübergreifenden Fusionen – bisher gesetzlich nicht gestattet – werden ab 2009 voraussichtlich eine Vielzahl der heute noch 253 Kassen8 in weiteren Fusionen aufgehen.

1.2.3 Finanzierung der GKV

Die seit Gründung in 1883 paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierte Krankenversicherung war für Arbeiter verpflichtend. Nur so konnte die angestrebte Solidarität zwischen niedrigen und etwas höheren Einkommen innerhalb der Arbeiterschaft (Leistungsfähigkeitsprinzip) sowie zwischen gesunden und kranken Personen (Bedarfsprinzip) sichergestellt werden.9 Das heutige System hat demgegenüber nur eine kleine Änderung erfahren: um die Belastung der Lohnnebenkosten durch die GKV-Beiträge zu begrenzen, ist seit 1.7.2005 die "kleine Prämie" von 0,9% allein vom Arbeitnehmer zu tragen.10

Die Finanzierung der Sozialversicherung musste im Umlageverfahren erfolgen, da zum Start des GKV-Systems kein Kapitalstock zur Deckung der laufenden Gesundheitsausgaben bereit stand. Auch heute noch werden die monatlichen Beitragseinnahmen zur Deckung der laufenden Gesundheitsausgaben verwendet. Im Gegensatz dazu steht das Kapitaldeckungsverfahren der privaten Krankenversicherung (PKV), bei dem jeder Versicherte in jüngeren Jahren Rückstellungen bildet, um die höheren Krankheitskosten im Alter ohne Prämienanstieg decken zu können.11

1.2.4 Veränderte Voraussetzungen - Gründe für Finanzierungsproblematik

Das Bismarck'sche Sozialversicherungssystem gestaltete sich jahrzehntelang als tragfähig und konnte zu großen Teilen zum Aufbau der exzellenten Versorgungsstrukturen in Deutschland beitragen. Allerdings beruht das System auf gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die schon seit Jahren nicht mehr erfüllt sind. Da aber die wesentlichen Organisationsparameter des Bismarck'schen Systems bisher nicht an die veränderten Voraussetzungen angepasst wurden, steht das System heute vor seinem Kollaps (vgl. Abb. 1).12

Vollbeschäftigung und industrielle/kontinuierliche Arbeitsverhältnisse gehören der Vergangenheit an. Die Reduktion der Beitragseinnahmen – aufgrund höherer Arbeitslosigkeit und einer geringeren Quote sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter13 – stehen einer unterproportionalen Reduktion der Leistungsempfänger gegenüber.

Auch die kontinuierliche Reproduktion der Bevölkerung – vom wachsenden Bismarck-Staat bis in die 1960er Jahre noch Realität – entfällt als notwendige Voraussetzung für ein umlagefinanziertes System. Der demographische Wandel, d. h. längere Lebenserwartung bei geringer Geburtenrate, hat doppelt problematische Auswirkungen auf das GKV-System: Erstens sind durch die geringe Geburtenrate die Anzahl der einzahlenden GKV-Mitglieder gesunken. Zweitens steigt gleichzeitig die Anzahl der alten Personen, die verhältnismäßig hohe Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen.14

Die Entwicklung der GKV-Ausgaben auf Niveau der Lohnentwicklung fällt als wichtige Voraussetzung ebenfalls weg. Die Kostenexplosion, der Anstieg der Gesundheitsausgaben über das Inflations- bzw. Lohnanstiegsniveau hinaus, gilt als weitere Ursache für das Finanzierungsproblem im GKV-System. Durch teure Innovationen (z.B. in der Medizintechnik) stiegen die Gesundheitsausgaben in einem Maße, mit dem die Lohnentwicklung und damit auch die Beitragseinnahmen nicht annähernd mithalten konnten.15

Abb. 1-1 Finanzierungsproblematik GKV

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.2.5 Folgen: erhebliche Finanzierungslücke

Der Wegfall dieser drei Voraussetzungen hat zu einem Auseinanderdriften von GKV-Ausgaben und Beitragseinnahmen geführt, das in der Vergangenheit durch Kostendämpfungsmaßnahmen (insbesondere Leistungskürzungen) und Gesundheitsreformen nur leicht eingedämmt werden konnte.16 Sollte sich nicht fundamental an Einnahme- und Ausgabensituation etwas ändern17, ist mit einem Anstieg der Deckungslücke bis 2030 auf über 60 bzw. 120 Mrd. EUR pro Jahr zu rechnen (vgl. Abb. 1-2).

Abb. 1-2 Prognose Finanzierungsproblematik bis 2030

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein solches Finanzierungsproblem der GKVen hätte dramatische Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: hohe Gesundheitsausgaben bzw. hohe GKV-Beiträge treiben über den Arbeitgeberanteil die Lohnnebenkosten, wodurch die Einstellungspolitik negativ beeinflusst wird und zu steigender Arbeitslosigkeit führt, die wiederum Beitragszahler aus dem System zieht und damit die Belastung auf bestehende Angestelltenverhältnisse überträgt, wodurch letztlich wieder Druck auf den Arbeitsmarkt ausgeübt wird etc...18 Die Bezahlbarkeit des GKV-Systems aufrechtzuerhalten, hat somit eine für Deutschland eminente Bedeutung.19

1.2.6 Ziele der Reformpolitik

Entsprechend ist die nachhaltige Stabilisierung der GKV-Beitragssätze zentrales Ziel der Regierungskoalition. Dieses Ziel wird durch Steigerung von Effizienz und Effektivität des Gesundheitswesens* anzugehen versucht, was eine Steigerung des Wettbewerbs20 impliziert und somit auch den Namen der letzten Gesundheitsreform (GKV-WSG) erklärt.

1.3 Bisherige Reformversuche

Die Tendenz der Entwicklung wurde bereits in den 70er Jahren erkannt. Zwischen 1977 und 1983 wurde daher eine Reihe von Kostendämpfungsmaßnahmen eingeleitet. Ein erstes gesamthaftes Reformvorhaben brachte der damalige Bundesminister für Arbeit und Soziales mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) im Jahre 1989 auf den Weg, gefolgt vom Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (GSG) in 1993. und dem Beitragsentlastungsgesetz in 1997. Wesentliche Elemente der Reformen waren

- Einschränkungen des Leistungsspektrums (z. B. Präventionsleistungen)
- Mehr Selbstgestaltung bei den GKVen (Einführung von Wahlleistungen)
- Erhöhung der Zuzahlungspflichten

Ebenfalls in 1997 startete das GKV-Neuordnungsgesetz (GKV-NOG), welches die Strukturen des GKV-Systems auf mehr Wettbewerb trimmen sollte. Durch die Bundestagswahl in 1998 und das daraufhin im Schnellverfahren in Kraft getretene GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz (GKV-SolG) wurden viele der gerade erst verabschiedeten Neuerungen wieder zurückgenommen.

Weitere Gesetzte folgten, etwa das Gesundheitsreformgesetz 2000 (GRG 2000), das Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs oder das Fallpauschalengesetz. Wesentliche Elemente dieser Reformen waren

- Festlegung einer generellen Teuerungsrate
- Stärkung der Kassen gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), u. a. Einführung von Integrierter Versorgung21 (Verträge an den KVen vorbei)
- Neugestaltung des Risikostrukturausgleiches (Kopplung der Ausgleichszahlungen an Anzahl der eingeschriebenen Patienten in strukturierte Behandlungsprogramme22 ) und damit mehr Wettbewerb zwischen den Kassen
- Leistungsgerechte Vergütung im Krankenhaussektor und Verschiebung von stationären Leistungen in den ambulanten Sektor

Da keines der o. g. Gesetze die Finanzierungsproblematik respektive die Gefährdung des Sozialversicherungssystems ausreichend adressieren konnte (vgl. Abb. 1-3), wurde 2004 das GKV-Modernisierungsgesetz verabschiedet, um den Kassen weitere Gestaltungsspielräume zu geben und im Gegenzug die Verwaltungsausgaben einzudämmen, was zeitweise gelang. Mit dem Ziel, langfristig und nachhaltig die Finanzierungsprobleme zu beseitigen, startete im April 2007 das GKV Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG), das u. a. die Finanzierung über den sog. Gesundheitsfonds vorsieht.

[...]


1 Vgl. Landeszentrum fiir politische Bildung (200 7): S.1; Statistisches Bundesamt

2 Vgl. Spiegel-Online (05.10.2006) oder Wagner (2007): S. 9

3 D.h. Konzepte der Biirgerversicherung/Kopfpauschale/Gesundheitsfonds werden als Endprodukte betrachtet. Die PKV riickt nur an jenen Stellen in den Fokus, wo sie von den o.g. Konzepten betroffen ist.

4 Vgl. Schafer (1983): S. 13

5 Hajen (2006): S. 119

6 Hajen (2006): S. 119f

7 Ribhegge (2004): S. 102f

8 Vgl. Statistisches Bundesamt

9 Hajen (2006): S. 199ff

10 Beitrag zur Finanzierung des Krankengelds, gem. GMG (Gesetz zur Modernisierung der GKV), §241a SGB V

11 Vgl. Ribhegge (2004): S. 134

12 Vgl. Lange (2006): S. 11

13 Z.B. hohere Anzahl Selbständige (z.B. Ich-AGler) und Mini-Jobber

14 Vgl. Lange (2006): S.10 u. Bericht der Herzog-Kommission (2003): S.8ff.: 2004 entfielen auf die Liber 80-jährigen 12.430 EUR pro Kopf, während der Durchschnitt der BeWilkerung bei 2. 710 EUR jährlichen Gesundheitsausgaben lag.

15 Farhauer/Borchardt (2004): 5.11

16 Ribhegge (2004): 5.181f

17 s.o.: 5.184

18 Ribhegge (2004): 5.185

19 s.o.: 5.187

20 Schmacke (2004): 5.57

21 SS 140a - h SGB V

22 Sog. Disease-Management-Programme (DMP)

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Der Gesundheitsfonds: Synthese zweier unvereinbarer Systeme?
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Öffentliche Finanzen, Wettbewerb und Institution)
Veranstaltung
Seminar "Sozialpolitik"
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
31
Katalognummer
V124058
ISBN (eBook)
9783640794379
ISBN (Buch)
9783640863280
Dateigröße
726 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesundheitsfonds, Synthese, Systeme
Arbeit zitieren
Martina Jansen (Autor:in), 2007, Der Gesundheitsfonds: Synthese zweier unvereinbarer Systeme?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124058

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