„Von den Wasserfrauen – Weiblichkeit und Tod"

Die Entwicklung des Wasserfrauenmythos: Ein kulturhistorischer Einblick erörtert an ausgewählten Beispielen


Tesis (Bachelor), 2009

64 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Das Wasser
1.1 Element der Ambiguität
1.1.1 Von den Wassern des Lebens
1.1.2 Von den Wassern des Todes
1.2 Das Element personifizierter Weiblichkeit
1.3 Symbol der Seele

2. Mythologische Ursprünge
2.1 Die Sirenen
2.2 Von göttlichen Mischwesen und dämonisierten Frauengestalten

3. Über die Vielgestaltigkeit der Wasserfrauen
3.1 Wandelbare Wasserfrau: Die Bedeutung der Metamorphose für weibliche Wasserwesen
3.2 Konstruierte Doppelnatur: Existenz zwischen Fischleib und Menschenfrau

4. Vom Verlust der Stimme: Die erfolglosen Sängerinnen

5. Sehnsucht und Seele: Ein fließendes Ich auf der Suche nach Identität

6. „Undine“, oder von der Kraft einer Nixenstimme
6.1 Friedrich de la Motte - Fouqué: „Undine“, Liebe über den Tod hinaus?
6.1.1 Undine, eine paracelsische Wassernymphe
6.1.2 Von der Liebe der Natur und der Seele des Menschen
6.1.3 Weder Menschenfrau noch Wasserwesen
6.1.4 Liebe über den Tod hinaus?
6.2 Ingeborg Bachmann: „Undine geht“, Liebesverrat: Ein Nixenmonolog
6.2.1 Undine geht
6.2.2 Männer mit Namen Hans: Über den Identitätsverlust
6.2.3 Undinenliebe
6.2.4 Von Sprache und Sprachlosigkeit
6.2.5 Weiblichkeit und Tod: Wasserexistenz jenseits von allem Menschlichen?
6.3 Vergleichende Betrachtungen

Epilog

Bibliografie

Prolog

Bis heute hat die durchaus ambivalente Gestalt der mythischen Wasserfrau nichts an ihrer Faszinationskraft eingebüßt. Mit regem Interesse verfolgen wir ihre Ursprünge in der Mythologie und in der Sagenwelt, bewundern sie als Ahnenfrau oder Männerfresserin, schöne Sängerin oder sprachlos leidende Schöne.

Mit dieser Arbeit soll die geteilte Frau, in ihrer Sehnsucht und Erlösungsbedürftigkeit in den Vordergrund rücken, die uralte Geschichte um die Verbindung des Weiblichen mit dem Wasser und die Auswirkungen dieser Verbindungen auf Literatur, Kunst und Kultur. Das ewige sehnsüchtige Streben, einer unbeseelten elbischen Natur ist prioritär für das heutige Verständnis einer weiblichen Wassergestalt. Die Bedeutung der Seele für das Weibliche und insbesondere für die Wasserfrau soll innerhalb meiner Ausführungen erörtert werden.

Die Leidensfähigkeit der weiblichen Wasserwesen scheint unendlich.

Ob sie Leiden bewirken oder selbst ertragen müssen, hängt stark von dem jeweiligen Kulturkreis und der Epoche, der sie entwachsen sind, ab. Doch immer wird man sie in Verbindung mit dem Leid sehen, dem eigenen und dem fremden.

Wasserfrauen sind geprägt von der Suche nach Identität.

Als Verkörperung liquider Dualität blieb ihnen diese (bis auf wenige Ausnahmen) oft verwehrt. Ihre Doppelnatur verdammte sie zu einer Existenz zwischen Menschenfrau und Fischleib, ein überirdisch lockender Leib, der viel versprach aber nur wenig Versprochenes einhalten konnte.

Als unwirklicher Bestandteil zweier Welten erscheint mir die Wandlungsfähigkeit der nassen Schönheiten auf der Hand zu liegen. Ergründet man das feuchte Element, dem sie entstammen so wird nicht nur ihr geteilter Leib, sondern auch ein ständig wankendes Gemüt verständlich. Weshalb die Wandelbarkeit der Wasserfrauen ebenso Teil meiner Betrachtungen sein wird.

Den weiblichen Mischwesen wird viel nachgesagt und angehangen:

Gütiges, Verwunderliches, Abnormes, Monströses, Unbegreifliches, Göttliches und Dämon-isches. Tatsächlich trifft beinahe alles auf sie zu: Sie sind göttlich und dämonisch gleichermaßen, denn ist ihre unbegreifliche und geteilte Natur nicht gerade dazu verdammt alles und doch nichts zu sein?

Zu allen Zeiten wusste man von Wasserwesen zu sprechen, deren Natur fast ausschließlich weiblich war. Als Männerfantasie, ob gemalt oder schriftlich von Männern festgehalten, verwahrt die schöne und unheimliche Wasserfrau auch heute noch die großen Geheimnisse der Welt, hin- und- her gerissen zwischen den Elementen und Männern, Verführung und Verfluchung.

Sirenen, Nymphen, Najaden, Nereiden, Okeaniden, Wasserjungfern, Seejungfrauen, Brunnenmädchen, Nixen, Schwanenjungfern, Melusinen, Undinen, Rusalki, Meerminnen oder Meerjungfrauen; sie alle sind derselben liquiden Welt teilhaftig und streben danach eben dieser zu entkommen, verdammt dazu auch an der Menschenwelt zu scheitern.

Die Wasserfrau ist die Frau des Zwiespaltes.

Einmal in der Menschenwelt angekommen kann sie auch in dieser nicht lange und ohne Einschränkungen verweilen. Menschen-und Wasserfrauenwelt weisen Grenzen auf, die selbst der Liebe gesetzt werden müssen. Oder gibt es eine grenzüberschreitende Liebe zwischen Wasserfrau und Menschenmann?

Friedrich de la Motte-Fouqués „Undine“ liebt über räumliche, zeitliche, geistig-und-seelische, ja selbst über natürliche Grenzen hinweg. Sie verlässt ihr Element und tauscht ihre quirlig-verspielte Art gegen eine Menschenseele und ein Leben mit Huldbrand. Doch schließlich muss sie ins Wasser zurückkehren, Huldbrands Liebesverrat zwingt sie dazu und sie hat keine Wahl.

Ingeborg Bachmann hat ihrer Undine die Wahl gelassen.

Auch sie steht an einem Scheideweg, das Schicksal mit all ihren Schwestern teilend, hin- und-her gerissen zwischen zwei Welten. Auch sie wird gehen. Jedoch nicht wie Hans Christian Andersens „Kleine Seejungfrau“, die ihrem Menschenprinzen als sprachloses, um Erlösung flehendes Opfer, entgegen taumelt. Diese Undine wird erhoben Hauptes gehen und sie wird Anklage erheben mit der gefürchteten Stimme der Wasserfrauen.

1. Das Wasser

1.1 Element der Ambiguität

„Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser, denn ins Wasser kehrt alles zurück.“1

(Thales von Milet, Begründer der abendländischen Philosophie, um 625 v. Chr.)

Beinahe jede alte Kultur und ebenso jede mythische Schöpfungsdarstellung stellt das Wasser als den Ursprung der Welt und den Quell allen Lebens dar. Der Naturvorgang der Schöpfung als eine überhöhte göttliche Manifestation des Wassers, erzählt von der Erschaffung des Kosmos.2

Das Leben ist abhängig von Wasser, das Wissen um diese Abhängigkeit ist uralte Menschheitserfahrung. Aus diesen uralten Menschheitserfahrungen resultieren fast ebenso alte Mythen. Der Mythos bot dem Menschen die Klärung existenzieller Fragen und Zusammenhänge. Wasser war und ist Urstoff und avancierte vom einstig bloß funktionalen Bild zum Symbolwert. Es beinhaltet Leben und Tod gleichermaßen, es schenkt und nimmt, erschafft und zerstört. Kaum ein Symbol weist eine so zentrale, vielschichtige und dabei komplexe Bedeutung auf wie das Wasser.

Wasser ist ein Archetypus. Und die menschliche Kultur entwickelte sich in ständiger Auseinandersetzung mit diesem ältesten dynamischen Archetyp.3 Die duale Fähigkeit des Wassers, Leben zu zeugen und Leben zu zerstören ist nicht nur im Mythos, sondern auch im Legenden- und- Sagenbereich sowie in Fabeln und Märchen fest verankert. Dies wird in Form des Lebens-und- Todeswassers überdeutlich.

1.1.1 Von den Wassern des Lebens

„Der höchste Mensch wendet seinen Geist zurück zur Ewigkeit und genießt die Geheimnisse des Jenseits. Er ist wie das Wasser, das fließt, ohne Formen anzunehmen.“4

(Dschuang Dsi: „Das wahre Buch vom südlichen Blütenland“) Ich erwähnte bereits, dass das lebensspendende Wasser in allen Schöpfungsmythen und Kulturen fest verankert ist. Nach wie vor ist Leben von Wasser abhängig. Während ein großer Laubbaum an die 100 Liter Wasser pro Tag benötigt, braucht der menschliche Körper im Vergleich sehr viel weniger Wasser um zu überleben, obwohl wir zu 60 Prozent aus Wasser bestehen.

Wasser ist kein Lebensmittel es ist das Überlebensmittel.

Um es mit den Worten Sibylle Selbmanns zu formulieren: „Wasser heißt Leben.“5 Das feuchte Element ist die Voraussetzung für das Entstehen von Lebewesen sowie deren Wachsen und Gedeihen.

Als stoffliche Form ist Wasser, greifbare Materie und doch gestaltlos und das obwohl es aktiv gestaltet im Kleinen wie im Großen. Betrachtet man die verschiedenen möglichen Aggregatzustände des Wassers so kann man das zwiespältige Geschöpf der Wasserfrau verstehen, welches sich im Zustand ständiger Metamorphose zu befinden scheint.

Das lebendig bewegte und akustisch durch Rauschen wahrnehmbare Wasser selbst, täuscht wahrhaftige Lebendigkeit vor, wie ein laut glucksendes lebhaft bewegtes Wesen von sprühender Vitalität. Dabei enthält es den Keim alle Keime, alle Anlagen und Kräfte um künftiges Leben zu erzeugen.

Ein weiterer Grund, warum zahllose Mythen Wasser als das Lebens- oder- Wunderwasser preisen. So wird es bereits im indischen Rigweda als herrliches Nass von unverschmutzbarer Reinheit gerühmt, welches Kraft und Leben schenkt.6 Die meisten Völker verbinden das Wunderwasser mit ihrer Vorstellung vom Paradies oder gar dem Jenseits. Man erzählt sich von drei Gaben, die es besitzen soll; es heilt, verjüngt und ermöglicht ewiges Leben.

Früh wurden Utopien von idealen Gesellschaften aus dem nassen Reich erschaffen. Andererseits war es Grenze und gleichzeitig Übergang zwischen den Welten, der der Lebenden und der der Verstorbenen. Im antiken Ägypten verglich man das eigene Leben mit einem Lebensstrom ähnlich dem lebensspendenden Nil, der das Reich der Toten durchfloss und die Toten mit den Lebenden verbinden sollte. Eine ähnliche Vorstellung des Jenseits fand man bei den Griechen, dort schied der Styx, als einer von vielen göttlichen Strömen, die Lebenden von den Toten.7 Auch bei den Kelten wurde das Land der ewigen Jugend durch ein großes Wasser von den Lebenden getrennt. Selbst die nordgermanische Weltenesche Yggdrasil schöpft ihre immergrüne Kraft aus dem niemals versiegenden Lebensbrunnen Urds.8 Aus eben diesem schicksalhaften Brunnen schöpfen die Nornen Wasser, die als Äquivalent zu den Schicksalsweberinnen der Griechen gelten.

In der Bibel steht der Baum des Lebens inmitten des paradiesischen Gartens. An diesem entspringt ein Strom der sich in vier weitere Ströme unterteilt: Geon, Phison, Euphrat und Tigris, die wiederum in alle vier Himmelsrichtungen fließen. Auf diese vier Ströme des Paradieses bezog man in frühchristlicher Zeit nicht nur die vier Evangelien sondern ebenso die vier Kardinalstugendenden.9

Die enge Verbindung von dem Lebenswasser und dem Baum des Lebens wird offenbar, vergleicht man die hier aufgeführten Schöpfungsmythen. Beide Lebenszeichen einen die drei o. g. Wundergaben.

Doch selbst dem Lebenswasser wohnen die zwei Seiten inne; ist es in seinen Oberflächen rein und ungetrübt, so birgt es in seinen Tiefen den Tod.

Nicht minder wird die wundervolle Wirkung des Lebenswassers von den Dichtern gerühmt. Im „Prolog im Himmel“ vergleicht Johann Wolfgang von Goethe die Verbindung des Menschen mit dem Guten und Göttlichen mit der Nähe zum „Urquell“.10

Im Märchen ist das wunderbare Wasser schwer zu finden und nur durch schwere Prüfung, die oftmals mit Leid einher geht, zu erlangen. Nur der tugendhafte und tapfere Held vermag es zu finden. In dem Märchen der Gebrüder Grimm „Das Wasser des Lebens“ muss der erkrankte König durch das Wasser des Lebens vor dem Tod bewahrt werden:

„Es war einmal ein König, der wurde krank [...]. Er hatte aber drei Söhne, die waren darüber betrübt und gingen hinunter in den Schloßgarten und weinten. Da begegnete ihnen ein alter Mann [...]. Der Alte sprach: „Ich weiß ein Mittel, das ist das Wasser des Lebens, wenn er davon trinkt, so wird er wieder gesund. Es ist aber schwer zu finden.““11

Ein weiteres Beispiel aus den Grimm´schen Märchen sind „Johannes - und Caspar - Wassersprung“. Diese werden erst geboren, nachdem ihre königliche Mutter aus einer Quelle mit „wunderbaren Eigenschaften“ getrunken hatte.12 Die beiden Jungen besitzen seit ihrer Geburt sonderbare magische Eigenschaften und sehen identisch aus. Auch bei Frau Holle fällt Marie zuerst in einen tiefen Brunnen um dann im Himmel zu erwachen.

Die hier angeführten Beispiele sind nur ein geringer Teil der Mythen, Sagen, Legenden und Märchen, ein unversiegbarer Strom von Geschichten, die sich um das Wasser des Lebens ranken.

Mir ist es sehr wichtig die Bedeutungsambivalenz des Wassers hervorzuheben, um diese später auf ein Weiblichkeitskonzept übertragen zu können. Dafür ist nicht nur das Wasser des Lebens unentbehrlich, sondern ebenfalls das des Todes.

1.1.2 Von den Wassern des Todes

„Tiefe Stille herrscht im Wasser, ohne Regung ruht das Meer [...].

Keine Luft von keiner Seite! Todesstille fürchterlich!

In der ungeheuren Weite reget keine Welle sich.“13

(Johann Wolfgang von Goethe: „Meeresstille“)

Die zerstörerische Kraft des Wassers ist uns ebenso bewusst, wie die lebensspendende. In uralten manifesten Menschheitsängsten begegnet sie uns immer wieder, ob im Traum, bildender Kunst oder Literatur. Wasser ist eine destruktive Elementargewalt. Wir wissen um die großen Schäden, die Wasser durch Wolkenbrüche, Gewitter, Hagelschläge, Hochwasser und Überschwemmungen, verursachen kann. Naturkatastrophen führen uns vor Augen zu welcher Gewalt Wasser fähig ist.

Hier werden menschliche Urängste erneut heraufbeschworen und mobilisiert, sie resultieren aus vernichtenden Erfahrungen. Bereits im biblischen Mythos der Sintflut werden diese Ängste aufgegriffen, den Menschen bedrohend in Form eines Tod und Verderben bringenden Wassers.14

Trotz allem kann selbst der Überschwemmung die reinigende Wirkung nicht abgesprochen werden. Die Sintflut reinigt vom Bösen und bewahrt das Gute.15 Das Bild von wunderbarer Errettung und Neubeginn geht Hand in Hand mit teuflischer Zerstörung und Ertrinken.

Das Wasser ist eine elementare, gewaltige und unbezwingbare Kraft, die ebenso fasziniert wie erschreckt. Denn nicht nur anhand von Sintfluten offenbart sich die Kehrseite des Wassers, bereits eine einzige mächtige Woge oder ein Strudel genügen, um einen Menschen hinab in die düsteren Tiefen des Meeres zu ziehen.

Das Todeswasser scheint im krassen Kontrast zum heilenden Wasser des Lebens zu stehen und doch ist der Übergang fließend: Märchen, Mythen, Sagen und Legenden neigen zur Polarisation und lassen den dualen Aspekt sehr deutlich hervortreten. Als verhängnisvolles Zauberwasser erscheint uns das Wasser des Todes. Eine lähmende, beklemmende, trübsinnige und bewegungslose Stille ist ihm zu Eigen, verbunden mit der Vorstellung von Dunkel, Ruhe und Unendlichkeit.

Im Gegensatz zum Wasser des Lebens ist es akustisch nicht wahrnehmbar.16 Das Todeswasser lässt die Regungen unbewusster Tiefe erahnen. Es verschwimmt im Zwielicht der Dämmerung zu einem abstrusen Reich des traumhaften Unwirklichen und erscheint so offen, dass eigene Ängste, Ahnungen und Alpträume Gestalt annehmen können.

Der Vorgang der Projektion setzt ein. Als Projektionen unserer eigenen Ängste und Alpträume treten Gestalten aus den Tiefen des dunklen Wassers hervor ohne wirklich Kontur anzunehmen und sie können ihren Schöpfer hinab ziehen in Bereiche, auf die der klare und erhellende Tag keinen Zugriff mehr hat.17

Das Motiv des destruktiven Wassers taucht bereits in den Menschheitsmythen, personifiziert in grausamen Wassergottheiten oder Seeungeheuern, auf. Deren archaische Mächte versuchte man durch Opfergaben zu besänftigen. So opferte man beispielsweise der blutrünstigen aztekischen Wassergottheit, Tlaloc, weinende Kinder um die Wasserreserven einer geheilgten Lagune zu regenerieren.18

Die Furcht vor See- oder- Meeresungeheuren rührt zweifellos von den, zur damaligen Zeit, undurchdringbar finsteren und mysteriösen Meerestiefen. Die intensive Erforschung der Ozeane setzte erst im vorangegangenen Jahrhundert ein, bis dahin blieb dem Menschen die Tiefsee mit all ihren Geheimnissen verschlossen. Wie alles Fremde, Geheimnisvolle und Unerklärliche erregte die Tiefsee im menschlichen Gemüt elementare Angst. Das See-ungeheuer ist Ausdruck jener Ängste, es versinnbildlicht ein verschwommenes, trügerisches, für den Menschen nicht greifbares Grauen, unterhalb der Wasseroberfläche.

Schon zu Zeiten des antiken Dichters Ovid verlieh man diesem Grauen weibliche Attribute, in der Gestalt des Seeungeheuers Skylla. Einst eine schöne Nymphe, die von der eifersüchtigen Circe in ein Seeungeheuer verwandelt wurde:

„Scylla erschien und stieg bis zur Mitte des Leibes ins Wasser,

Als sie gewahr, wie ihr Schoß entstellt von bellenden, grausamen Ungeheuern.“19

Von dieser Zeit an war Scylla dazu verdammt Schiffe ins Unglück zu stürzen. Tatsächlich spielt die Verwandlung der Scylla eine gewisse Schlüsselrolle, die ich zu späterer Zeit noch genauer ausführen möchte, bis dahin sei sie als weibliches Meeresungeheuer erwähnt. Ebenso berichten nordeuropäische Sagen von schlangenähnlichen Ungeheuern, deren giftige Ausdünstungen mit Vorliebe geheiligte Wasser verdarben.

Einen besonderen Stellenwert hat das Todeswasser, ebenso wie das Wasser des Lebens, im Märchen. Oftmals verwandelte es in wilde Tiere oder ließ den Betroffenen in eine todesähnliche Starre verfallen. Im Grimm´schen Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“ trinkt das Brüderchen aus übergroßen Durst aus dem, von einer Hexe böse verwunschenen, Wasser:

„Damit legte es (Brüderchen) sich nieder, beugte sich herab und trank, und wie der erste Tropfen auf seine Lippen gekommen war, da lag ein Rehkälbchen an dem Brünnlein.“20

Die Verwandlung in ein wildes Tier impliziert einen triebhaften Kontrollverlust, den auch das Brüderchen ereilen wird. Mehr und mehr wird der Junge zu einem wilden Reh, das seine menschliche Vergangenheit vergisst und der Schwester schließlich davon läuft. Hier verschwimmen die Grenzen erneut, das Hervor-brechen einer animalischen Triebnatur erschwert die Unterscheidung von Mensch und Tier. So befindet sich auch das Brüderchen in einem Zwischenstadium, als seine menschliche Seele in einem Rehkörper gefangen ist, und er dem Verlangen seines Tierkörpers schließlich nachgeben muss.

Die dunkle und gefährliche Seite des Unbewussten tritt hervor und wird für den Menschen unbeherrschbar. Der daraus resultierende Verlust des seelischen Gleichgewichts bedeutet nicht nur außerordentliche Gefahr für das Seelenheil selbst, sondern rückt sogar in Todesnähe.21

Die Bedrohung lauert im Verborgenen und geht einher mit tödlicher Gefahr. So manchem Schwimmer wurde zu spät klar, dass das Element, welches in soeben noch trug, nun dabei ist ihn in die Tiefe zu reißen.

Am gefährlichsten erscheint mir jedoch die verführerische Faszination, die vom Wasser ausgeht. Todbringende Tiefen, deren Echo in den brandenden Meereswellen als verlok-kender Gesang wieder zu hallen scheint.

So lässt auch William Shakespeare in der Tragödie des Hamlet, die an ihrem Unglück wahnsinnig gewordene, Ophelia ertrinken. Es ist eine Form des Ertrinkens, die die dänische Prinzessin, beinahe in völliger Abwesenheit des Schreckens, eins mit der Natur werden lässt. Viel eher ein Hinübergleiten, ein Hinwegträumen, eingebettet in ein feuchtes Grab aus Blumen und glitzerndem Sonnenlicht, welches sich im Wasser bricht. Beinahe ist es als ob sie ihren Tod sehnsuchtsvoll träumend erwartet, als sich gegen ihn zu Wehr zu setzen. Ophelias Ertrinken ist die Auflösung im Wasser, ihre Leiden sind vorüber. Ihr einstiges Ich verschwimmt, wird konturlos, verbindet sich mit dem Wasser, dass die schöne Tote umfließt, es kehrt zurück.

Shakespeare verleiht dem Todeswasser Ophelias nicht nur eine verlockende, sondern vor allem eine erlösende Funktion. Mit dem Tod wird nun endlich die Sehnsucht der leidenden Prinzessin gestillt.

Die Kraft der Elemente, Sehnsucht, Verlockung, Leben und Tod vereinen sich in der Zwittergestalt der Wasserfrau. Doch zunächst will ich klären, wie die duale Bedeutsamkeit des Wassers zur personifizierten Weiblichkeit avanciert.

1.2 Das Element personifizierter Weiblichkeit

Das fließende, vor Schöpfungsdrang strotzende Wasser, ist ein Fruchtbarkeitssymbol, es ist Sinnbild der Liebe und befreiter Sexualität. Quellen, Bäche, Brunnen und Flüsse quellen aus dem dunklen Erdschoß hervor und bieten mehr als genug Spielraum für entsprechende Assoziationen.

Bereits die antiken Griechen sahen in ihren Quellen weibliche Wassergottheiten, fruchtbarkeitsspendende Najaden, denen sie bereitwillig ihre Kinderwünsche anver-trauten.22 Auch den schönen Nymphen, die sich an immerwährender Schönheit und Jugend erfreuten, schrieb man unzählige Liebschaften, menschlicher oder göttlicher Natur, zu.

Das Meer versinnbildlicht den Anfang aller Anfänge und die ursprünglichste, unbe-zwingbarste Macht aller Leidenschaften, fesselnde Erotik geht von seinen Bewegungen aus, wie Goethe in seinem Gedicht „Der Fischer“ veranschaulicht:

„Das Wasser rauscht´, das Wasser schwoll, netzt´ ihm den nackten Fuß; sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll, wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; Da war´s um ihn geschehn: Halb zog sie ihn halb sank er hin, und ward nie mehr gesehn.“23

(Johann Wolfgang von Goethe: „Der Fischer“) Sehr poetisch wird in Goethes Gedicht klar, wie die oftmals tödliche Verlockung des Wassers metaphorisch mit der verderblichen Betörung des Weiblichen gleichgesetzt wird. Ohnmächtig steht der Fischer der Verlockung des Wassers gegenüber. Die verführerische Frau wird mit der Seligkeit des Ertrinkens verbunden.24 Aber diese Seligkeit ist trügerisch, denn genau wie die Wasserfrau hat sie zwei Seiten: seliges Hinübergleiten und unabwendbares Hinab - gezogen - werden.

Die Wasserfrau ist erotische Verschmelzung von Wasser und Weiblichkeit. Seligkeit als Form der Entgrenzung, Auflösung und Rückkehr in die mütterliche Matrix. Erotisch weil sich das Begehren des Mannes ähnlich definiert. Der Frau wird das Doppelgesicht von Eros und Tod verliehen, die Gefahr, die von ihr ausgeht, lässt sie umso verbotener und somit noch verführerischer erscheinen. Sie agiert als berückendes Zauberwesen, ist Unglück und imaginierte Wunschfigur zugleich. Sexualität und Liebe fungieren als rauschhafte Kraft, verbildlicht in der wildbewegten, alles mitreißenden Meeresflut. Eben diese Kraft wohnt jenen Nixen inne, die sehsüchtig begehrend auf ertrinkende Seemänner warten um Anteil an der fremden und verbotenen Welt zu nehmen, der sie nicht angehören können. Eine Macht, die Sinne und Bewusstsein auch im Angesicht des Todes schwinden lässt. Überwältigt und widerstandslos, fügt sich das männliche Opfer in die verderbliche Verlockung. Das Unterdrückte, das Triebhafte steigt aus den Tiefen des Unterbewusstseins empor und lässt sich nicht länger von Warnungen besänftigen:

„In dem wogenden Schwall.

In dem tönenden Schall, In des Welt - Atems wehendem All -

ertrinken -

versinken -

unbewusst -

höchste Lust.“25

(Auszug aus Richard Wagners: „Tristan und Isolde.“)

[...]


1 Siehe: http://www.ziate.de/ergebnisse.php?kategorie=Wasser

2 Vgl. Blum, B.: „Die Symbolik des Wassers.“, S. 9

3 Vgl. Selbmann, S.: „Mythos Wasser.“, S. 7

4 Siehe: http://www.zitate - aphorismen.de/zitate/thema//Wasser/178

5 Selbmann, S.: „Mythos Wasser.“, Z. S. 20, Z.1

6 Vgl. Ebd. S. 22

7 Vgl. Ebd. S. 22

8 Vgl. Ebd. S. 25

9 Vgl. Ebd. S. 24

10 Vgl. Goethe, J. W. von : „Faust.“; Prolog im Himmel, V. 323 - 329

11 Aus Grimms Märchen, „Das Wasser des Lebens.“, Z. S. 380, Z. 1 - 10

12 Ebd. „ Von Johannes - Wassersprung und Caspar - Wassersprung.“, S.293

13 Siehe: http://www.textlog.de/18378.html

14 Vgl. Selbmann, S. „Mythos Wasser.“, S. 36

15 Diese Reinigung soll uns noch heute durch die christliche Taufe in Erinnerung gerufen werden.

16 Vgl. Selbmann, S.: „Mythos Wasser.“, S. 32

17 Vgl. Blum, B. „Die Symbolik des Wassers.“, S.75

18 Vgl. Selbmann, S.: „Mythos Wasser.“, S. 33

19 Ovid: „Metamorphosen.“, XIV Buch: Scylla und Circe, V. 62 - 65

20 Aus Grimms Märchen: „Brüderchen und Schwesterchen.“, Z. S. 47, Z. 5 - 8

21 Vgl. Selbmann, S. „Mythos Wasser.“, S. 34

22 Najade = Quellnymphe der griech. Mythologie

23

24 Vgl. Selbmann, S.: „Mythos Wasser.“, S. 40

25 Vgl. Bauer, H.: „Reclams Musikführer Richard Wagner.“, S. 80 , in: Wagner, R.: Schriften, Bd. 7

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Detalles

Título
„Von den Wasserfrauen – Weiblichkeit und Tod"
Subtítulo
Die Entwicklung des Wasserfrauenmythos: Ein kulturhistorischer Einblick erörtert an ausgewählten Beispielen
Universidad
University of Erfurt
Curso
„Familienmodelle und Familiendesaster in der deutschsprachigen und koreanischen Literatur.“
Calificación
1,0
Autor
Año
2009
Páginas
64
No. de catálogo
V124383
ISBN (Ebook)
9783640296842
ISBN (Libro)
9783640302345
Tamaño de fichero
899 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Wasserfrauen, Weiblichkeit, Familiendesaster, Literatur
Citar trabajo
Julia Kulewatz (Autor), 2009, „Von den Wasserfrauen – Weiblichkeit und Tod", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124383

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