Entwicklung der Bewertungskompetenz im Biologieunterricht der Klasse 10

Eine Interventionsstudie mit Unterrichtsentwurf zum Thema Massentierhaltung


Masterarbeit, 2021

115 Seiten, Note: 1,5

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1 Einleitung

2 Bewertungskompetenz
2.1 Bildung fur nachhaltige Entwicklung
2.2 Bildungsstandards
2.3 Teilkompetenzen
2.4 Aktueller Forschungsstand

3 Fragestellungen

4 Methodik
4.1 Beschreibung der Stichprobe
4.2 Untersuchungsdesign
4.3 Erhebungsinstrumente
4.3.1 Aufbau des Fragebogens
4.3.2 Fallbeispiel
4.4 Intervention
4.5 Erhebungsmodalitat
4.6 Datenauswertung

5 Ergebnisse
5.1 Wahmehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz
5.2 Folgenreflexion
5.3 Perspektivwechsel
5.4 Argumentieren

6 Interpretation und Diskussion
6.1 Wahmehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz
6.2 Folgenreflexion
6.3 Perspektivwechsel
6.4 Argumentieren
6.5 Bewertungskompetenz

7 Fazit und Ausblick

8 Verzeichnisse
8.1 Literaturverzeichnis
8.2 Abbildungsverzeichnis
8.3 Tabellenverzeichnis

Anhang

Abstract

Um Schulerrinnen zur Teilhabe am gesellschafitlichen Diskurs zu befahigen und ihnen das ethische Bewerten biologischer Sachverhalte zu ermoglichen, wurde der Erwerb von Bewertungskompetenz vom Kultusministerium als einer der vier Kompetenzbereiche des Biologieunterrichts festgelegt. In der vorliegenden Interventionsstudie wird uberprufit, in- wiefem sich diese Bewertungskompetenz im Allgemeinen und die Teilkompetenzen Wahrnehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz, Folgenreflexion, Perspektiv- wechsel und Argumentieren der Schuler:innen einer zehnten Klasse eines Gymnasiums (n = 23) durch die Intervention entwickelt. Diese bedient sich dem kontrovers diskutierten Kontextthema Massentierhaltung und orientiert sich an dem Konzept der Bildung fur nachhaltige Entwicklung. Die Bewertungskompetenz der Lemenden wurde in einem Pra- Post-Test-Design jeweils mittels eines Fragebogens mit offenen Fragen erhoben. Somit wurde festgestellt, dass bezuglich der Teilkompetenzen Folgenreflexion und Argumen­tieren ein signifikanter Kompetenzzuwachs erfolgte. Hinsichtlich des Perspektivwechsels gab es sowohl signifikante als auch nicht signifikante Entwicklungen. Die Kompetenz- steigerung bei dem Wahrnehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz war ledig- lich gering.

To enable students to participate in the social discourse and to offer them the ability for ethical evaluations of biological circumstances, the ministry of education determined the acquirement of decision-making competence as one of the four areas of competence in biology class. The present intervention study investigates the development of tenth-grade students in a secondary school (n = 23), in regard to their decision-making competence in general and in the partial competencies noticing and awakening of moral relevance, reflection of consequences, changes in perspective and arguing due to the intervention. This intervention applies the controversial discussed subject of intensive livestock farm­ing and is geared to the conception of Education for Sustainable Development. The stu­dents’ decision-making competence was gathered via a pre-post-test-design using a ques­tionnaire with open-end questions. As a result, for the partial competencies reflection of consequences and arguing, a significant gain of competence was noticed. The compe­tence changes in perspective, however, showed both significant as well as non-significant developments. Whereas the competence’s increase concerning the noticing and awaken­ing of moral relevance was merely small.

1 Einleitung

Der Bildungsauftrag der Schule umfasst nicht nur die reine Vermittlung von Fachwissen, sondem soil auch die Personlichkeit der Schuler:innen weiterentwickeln, indem sie dazu befahigt werden, „zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen, nach ethi- schen Grundsatzen zu handeln sowie religiose und kulturelle Werte zu erkennen und zu achten“ (§ 2 Abs. 1 S. 3 NSchG). Diesen Auftrag enthalt auch das Konzept Bildung fur nachhaltige Entwicklung (BNE) der Vereinten Nationen (UN), dessen Ziel es ist, die Biir- ger:innen in samtlichen Bildungsbereichen zur eigenen Miindigkeit heranzuziehen und ihnen somit die Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen sowie das Treffen verantwortungsbewusster und nachhaltiger Entscheidungen zu ermoglichen (Pe­ter, Moegling & Overwien, 2011; Bundesministerium fur Bildung und Forschung [BMBF], o. J.). Um dies zu gewahrleisten, widmet sich einer der vier Kompetenzbereiche, die in den Bildungsstandards des Unterrichtsfaches Biologie von der Kultusministerkon- ferenz (KMK) festgelegt wurden, der ethischen Bewertung. Durch entsprechende unter- richtliche Forderung soli den Lemenden somit die Wahmehmung moralisch relevanter Situationen sowie die Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs ermoglicht werden (KMK, 2004). Sowohl die Bio- als auch die Umweltethik bietet diesbezuglich verschie- dene Themen, anhand derer die Bewertungskompetenz der Schuler:innen gefordert wer­den kann. Da naturwissenschaftlicher Unterricht moglichst an ihre Alltags- und Erfah- rungswelt sowie an ihr Vorwissen anknupfen und eine personliche Relevanz aufweisen soil, um die haufig abstrakten Fachinhalte zuganglich und interessant zu machen, bietet es sich an, auch die ethische Bewertung anhand eines lebensnahen Kontextes zu schulen (Duske, 2017).

In dieser Hinsicht eignet sich besonders die Thematik der Massentierhaltung, da diese haufig in den Medien aufgegriffen wird. Insbesondere die sozialen Medien, auf denen Jugendliche stark vertreten sind, thematisieren den Fleischkonsum, pflanzliche Ersatz- produkte, Tierwohl sowie Nachhaltigkeit immer haufiger (Fingerling & Godemann, 2019). Insbesondere Letzteres ist ein Aspekt, welcher Jugendlichen besonders wichtig ist (Bundesministerium fur Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit [BMU], 2018). Die steigenden Zahlen der Vegetarier:innen und Veganer:innen, vor allem bei Jugendli­chen und jungen Erwachsenen, zeigen, dass sich Schuler:innen auch im Privaten vermehrt mit diesen Themen auseinandersetzen (Bundesministerium fur Emahrung und Landwirtschaft [BMEL], 2021). Dieser Aspekt verdeutlicht zudem, dass auch hinsicht- lich des Konzepts BNE eine intrinsische Motivation der Lemenden gegeben ist.

Im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit wurde daher ein Unterrichtsentwurf entwi- ckelt, der mittels der Thematik der Massentierhaltung die Bewertungskompetenz von Schuler:innen der zehnten Klasse fordem soil. Das Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersu- chen, inwiefem sich die Bewertungskompetenz sowie einzelne ihrer Teilkompetenzen durch die Durchfiihrung dieses Unterrichts entwickeln. Zur Uberprufung wurde eine In- terventionsstudie im Pra-Post-Test-Design durchgefuhrt. Die Erhebung der Daten er- folgte dabei jeweils durch das Ausfullen eines Fragebogens.

Im Folgenden wird als Erstes der theoretische Hintergrund zur Bewertungskompetenz dargestellt. Im Zuge dessen wird diese zunachst im Allgemeinen vorgestellt. Anschlie- Bend wird die Bewertungskompetenz genauer beleuchtet, indem das Konzept BNE und der Kompetenzbereich Bewertung der Bildungsstandards des Faches Biologie prasentiert werden. Dabei werden sowohl Aspekte und Ziele der Bewertungskompetenz dargestellt als auch Beziige zum Kemcurriculum hergestellt. Nachfolgend werden die einzelnen Teilkompetenzen dargelegt. Das Kapitel schlieBt mit der Skizzierung des aktuellen For- schungsstands bezuglich der Entwicklung des ethischen Bewertens bei Schuler:innen und entsprechenden Kompetenzniveaus ab.

Nach dem Vorstellen der Fragestellungen der vorliegenden Arbeit beschaftigt sich Kapi­tel vier schlieBlich mit der Methodik der Interventionsstudie. Auf die anschlieBende Be- schreibung der Stichprobe und des Untersuchungsdesigns werden schlieBlich die Erhe- bungsinstrumente vorgestellt. Dabei wird genauer auf den Aufbau des Fragebogens und die Fallbeispiele eingegangen. Daraufhin wird die Intervention hinsichtlich ihres Nutzens zur Forderung der Bewertungskompetenz dargestellt. Nach dem Beschreiben der Erhe- bungsmodalitat endet der Methodikteil mit der Erlauterung der Datenauswertung, die un- ter anderem die Kategorisierung der einzelnen Kompetenzniveaus enthalt.

Nachdem anschlieBend die Ergebnisse dargestellt werden, werden diese im sechsten Ka­pitel interpretiert und diskutiert. In diesem Rahmen wird zunachst auf die Teilkompeten­zen im Einzelnen und schlieBlich auf die Bewertungskompetenz im Gesamten eingegan­gen. Dabei werden des Weiteren die Fragestellungen beantwortet und Ruckschltisse be­zuglich der Wirkung der Intervention gezogen.

Die Arbeit schlieBt mit einem Fazit ab, das die wesentlichen Ergebnisse zusammenfasst, und gibt schlieBlich einen Ausblick uber eine mogliche Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse sowie uber weiteren Forschungsbedarf, der diese erganzen konnte.

2 Bewertungskompetenz

Um den Bildungsauftrag der Schule zu erfullen und die Schuler:innen zu miindigen Per- sonlichkeiten heranzuziehen und ihnen das gesellschaftliche Partizipieren zu ermogli- chen, ist im Biologieunterricht der Kompetenzbereich Bewertung von hoher Bedeutung1. Durch ihn wird den Lemenden der moralische Gehalt ethisch-relevanter Situationen ver- deutlicht, anhand dessen ihnen die Auseinandersetzung mit entsprechenden Werten und Argumentationen ermoglicht wird. Indem der Biologieunterricht eine entsprechende For- derung gewahrleistet sowie zu deren Reflexion anregt, gelingt den Schuler:innen schlieB- lich eine reflektierte und begriindete Urteilsfallung, welche unter Beachtung moglicher Folgen verschiedener Handlungsoptionen geschieht (Mittelsten Scheid, 2008).

Mittelsten Scheid (2008) fuhrt aus, dass der Kompetenzbereich Bewertung besonders durch den technischen Fortschritt und damit verbundene Entwicklungen in der Biowis- senschaft, die vor allem moralisch bedeutend sind, sowie dadurch entstehende gesell­schaftliche Diskussionen Nachdruck erfahrt. Im Bereich der Bewertungskompetenz fin- den allerdings auch bereits getroffene Entscheidungen und erfolgte Handlungen Platz, indem das entsprechende Verhalten der Menschen riickblickend bewertet und uber zu- kunftiges Handeln abgewogen wird.

2.1 Bildung fiir nachhaltige Entwicklung

Aufgrund von steigenden Umweltproblemen und wachsender Armut wurde mit der Agenda 21 des Umweltprogramms der Vereinten Nationen 1992 ein globales Aktionspa- pier verabschiedet, das die Sicherung der menschlichen Existenz sowie okologischer Res- sourcen und eine Steigerung der sozialen Gerechtigkeit zum Ziel hat (Pufe, 2014; UNEP, 1992). Das Leitbild der Agenda fiir das 21. Jahrhundert stellt dabei die nachhaltige Ent­wicklung dar. Dieses fuhrt umwelt- und entwicklungspolitische, aber auch okonomische Interessen zusammen. Um wirksame Veranderungen und Entwicklungen herbeizufuhren, spielt in diesem Zusammenhang auch die Bildung eine tragende Rolle, sodass die Gene- ralversammlung der UN in diesem Bereich die Dekade Bildung fur nachhaltige Entwick­lung (BNE) ausgerufen hat (UNEP, 1992; UNESCO, 2014; Holfelder, 2018).

Im Sinne der Dekade soil die Bevolkerung als Reaktion auf den wachsenden Konsum sowie den hohen Ressourcen- und Guterverbrauch mit Wissen, Werten und Kompetenzen hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung ausgestattet werden, um einerseits ein Verstandnis fur politische MaBnahmen und nachhaltige Produkte zu schaffen und die Menschen an- dererseits dazu anzuregen, eine nachhaltige Zukunft aktiv mitzugestalten (de Haan, 2008). Diese soil sowohl wirtschaftlich leistungsfahig als auch okologisch vertraglich und sozial gerecht sein (KMK & Deutsche UNESCO-Kommission [DUK], 2007). Infolge- dessen wurde BNE fur Schulen verbindlich gemacht und in den Lehrplanen verankert (de Haan, 2008). Somit sollen die Schuler:innen zu mtindigen Burger:innen herangezogen werden, die vorausschauend denken, verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen und an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen partizipieren konnen (Peter, Moegling & Overwien, 2011; Bundesministerium fur Bildung und Forschung [BMBF], o.J.). Die Lemenden sind demnach mit entsprechenden Urteils- und Handlungskompetenzen aus- zustatten, sodass die genannten Ziele von BNE umgesetzt werden konnen (Rieckmann, 2013).

Es wird deutlich, dass sich Bewertungskompetenz und BNE kaum voneinander trennen lassen. Sowohl die Bildungsstandards, welche im folgenden Unterkapitel dargestellt wer­den, als auch die Kemcurricula des Faches Biologie greifen das Konzept BNE demnach im Kompetenzbereich Bewertung explizit auf und empfehlen entsprechende Themen, um die Bewertungskompetenz von Schuler:innen zu fordem (KMK, 2004; Niedersachsisches Kultusministerium, 2015).

2.2 Bildungsstandards

Im Mai 2002 wurde von der Kultusministerkonferenz beschlossen, bundesweite Bil­dungsstandards fur allgemeinbildende Schulen zu erarbeiten, welche in den Bundeslan- dem verwirklicht werden sollen. Dementsprechend wurden die Bildungsstandards fur den Mittleren Schulabschluss fur das Fach Biologie - gemeinsam mit den Fachem Chemie und Physik - im Dezember 2004 vereinbart. Durch sie soil den Schuler:innen eine um- fassende naturwissenschaftliche Grundbildung ermoglicht werden, die sie sowohl zum Verstandnis und zur Meinungsbildung hinsichtlich naturwissenschaftlicher Fortschritte und Forschung als auch zur Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs befahigt. Der Kom- petenzerwerb findet auf der inhaltsbezogenen sowie auf der handlungsbezogenen Ebene statt und ist den vier, gleichermaBen relevanten Kompetenzbereichen Fachwissen, Er- kenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung zugeordnet (KMK, 2004).

Hinsichtlich des Kompetenzbereichs Bewertung fordem die Bildungsstandards (KMK, 2004), dass sich die Lemenden ihres eigenen Toleranzrahmens bewusst werden und ihn durch Forderung der Empathie sowie der Fahigkeit, unterschiedliche Perspektiven einzu- nehmen, erweitem. Dadurch gelingt es ihnen, nicht nur das eigene, sondem auch anders- artige Urteile zu begrunden. Diese Fahigkeit wird durch das Aufgreifen verschiedener Handlungsoptionen und deren Verbindung mit ethischen Werten unterstiitzt. Indem diese Grundlagen im Biologieunterricht geschult werden, konnen die Schuler:innen sowohl ih- ren eigenen Standpunkt unter Berucksichtigung individueller und gesellschaftlicher Werte und Normen im gesellschaftlichen Diskurs vertreten als auch Verstandnis fur durch Nachhaltigkeit begriindete Entscheidungen zeigen (KMK, 2004).

Der Kompetenzbereich Bewertung wird in sieben Standards gegliedert (KMK, 2004), die im Folgenden tabellarisch (Tab. 1) dargestellt werden.

Tabelle 1: Standards fur den Kompetenzbereich Bewertung (KMK, 2004, S.15).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Standards beziehen sich vor allem auf zwei groBe Bereiche der Ethik: die Bioethik, die sich mit modemen biotechnologischen Verfahren auseinandersetzt (vgl. B3), und die Umweltethik, welche sich mit Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit beschaftigt (vgl. B6) (Reitschert, 2009). Letztere thematisiert die Auswirkungen menschlicher Ein- griffe in die belebte sowie unbelebte Natur. Im Kompetenzbereich Bewertung gilt die Ethik daher als Bezugswissenschaft fur den Biologieunterricht (Heusinger von Waldegge, 2016).

Die Kemcurricula nehmen die von der Kultusministerkonferenz festgelegten Kompetenz- bereiche auf und schlagen entsprechend verbindliche Themen zur Forderung ebendieser vor. Unter diese Inhalte fallt beispielsweise die Nachhaltige Entwicklung, wodurch die Implementierung der in 2.2 beschriebenen UN-Dekade in das deutsche Bildungssystem deutlich wird. Weiterhin werden optionale Themen wie die Heim- und Nutztierhaltung zur Kompetenzforderung vorgeschlagen. Es werden zudem handlungsbezogene Kompe- tenzen formuliert, die von den Lemenden erreicht werden sollen. Mit Beendigung des zehnten Schuljahres sollen die Schuler:innen dementsprechend beispielsweise Argu- mente aus verschiedenen Perspektiven formulieren und eine unterschiedliche Gewich- tung von Argumenten vomehmen sowie unterschiedliche Entscheidungen erlautem kon- nen, indem sie sich auf individuelle Wertvorstellungen innerhalb der Gesellschaft bezie- hen (Niedersachsisches Kultusministerium, 2015).

2.3 Tcilkompetcnzcn

Damit der Unterricht erfolgreich sein kann, sind geeignete Konzepte und Methoden not- wendig. Zudem sind Kompetenzstrukturmodelle, die die Teilkompetenzen einer Kompe- tenz beschreiben, eine Voraussetzung fiir die Kompetenzforderung (Mittelsten Scheid, 2008). Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird sich auf das Oldenburger Kompetenzstruk- turmodell nach Reitschert, Langlet, HoBle, Mittelsten Scheid und Schluter (2007) bezo- gen. Dieses gliedert den Kompetenzbereich Bewertung in acht Teilkompetenzen, die im Folgenden, erganzt durch weitere Literatur, dargestellt werden.

Wahrnehmen und Bewusstmachen der eigenen Einstellung

Das Bewusstsein uber die personliche Einstellung sowie uber ihre Herkunft ist eine Vo­raussetzung fiir die Beschaftigung mit ethischen Konfliktsituationen. Dieses Wahmeh- men schlieBt sowohl eine Selbstreflexion als auch eine Bezugnahme und Einordnung des Selbst in die Gesellschaft ein. Gelingt dies, kann ein hoheres MaB an Toleranz gegeniiber anderen Menschen und entsprechenden Kontexten ausgeubt werden.

Wahrnehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz

Ob die moralische Relevanz uberhaupt erkannt wird, hangt grundsatzlich von der indivi- duellen Einstellung der Person sowie ihrer Sozialisation, die vor allem Kultur und 7 Religion einschlieBt, ab (Alfs, HoBle & Alfs, 2011). Diese individuellen Wahmehmungen erschweren es, die moralische Bedeutung von Problemsituationen zu begreifen und zu beschreiben. Durch eine explizite Beschreibung der moralischen Relevanz und der Star- kung spezifischer Sensibilitat, kann diese moralische Problemwahmehmung gefordert werden (Mittelsten Scheid, 2008). Die Grundlage bildet hierbei in der Regel ein intuitives Gefuhl bezuglich des moralischen Gehalts und seiner Relevanz, haufig ohne Begriindung. Das Ziel ist folglich das Erlangen einer umfassenden und rationalen Erkenntnis des mo­ralischen Problems, welche durch verletzte bzw. konkurrierende Werte beschrieben wird (HoBle & Alfs, 2014).

Beurteilen

Um die intuitive, meist unbegriindete eigene Einstellung von einer reflektierten und be- griindeten Beurteilung abzulosen, ist eine fachliche Beschaftigung mit der Sachlage so­wie eine Auseinandersetzung mit betroffenen Werten notwendig. Letztere sollten dabei individuell gewichtet werden und anschlieBend in die Argumentation eingebaut werden.

Argumentieren

Damit die eigene Meinung gerechtfertigt werden kann, miissen die getroffenen Aussagen konsistent begrundet werden. Den Schuler:innen soil dabei deutlich gemacht werden, dass einzelne Argumente folgerichtig dargebracht werden sollten und das gesamte Argu­mentieren der formalen Logik folgen sollte. Zudem ist es wichtig, dass der Unterricht Bezug auf den Zusammenhang zwischen Wertentscheidungen und Argumentationen so­wie auf die Gefahren Letzterer, wie Suggestion oder Inkonsistenz, nimmt (Mittelsten Scheid, 2008). HoBle und Alfs (2014) fugen das Unterscheiden von deskriptiven und nor- mativen Aussagen hinzu, sodass den Lemenden die Kennzeichen einer schliissigen und uberzeugenden Argumentation aufgezeigt werden.

Folgenreflexion

Damit die Meinungsbildung reflektiert erfolgen kann, ist es weiterhin wichtig, dass unter Aneignung von Fachwissen eine Auseinandersetzung mit moglichen Folgen einer Ent- scheidung geschieht, da diese antizipiert und auf Korrektheit iiberpruft werden sollen. Dabei sollten nicht nur Konsequenzen bezuglich der eigenen Person beachtet werden, sondem auch solche, die andere Individuen, die gesamte Gesellschaft oder die Umwelt betreffen (Mittelsten Scheid, 2008). Zudem gilt es, weitere Dimensionen zu betrachten: Sind die Folgen kurz- oder langfristig, regional oder global, mittelbar oder unmittelbar?

Weiterhin konnen mogliche Konsequenzen abstrakt und schwer kalkulierbar sein (Alfs u.a., 2011). Reitschert (2009) betont des Weiteren, dass sich die Folgenreflexion in die neutrale Darstellung der Folgen auf der einen Seite und deren Bewertung auf der anderen Seite gliedert. Um die Gesamtheit der moglichen Folgen zu erfassen, mtissen alle Per- spektiven eingenommen werden, weshalb diese Teilkompetenz eng mit der folgenden Teilkompetenz des Perspektivwechsels zusammenhangt (Alfs u.a., 2011).

Perspektivwechsel

Fiir die weitere Reflexion des eigenen Standpunktes ist es wichtig, dass auch moglichst viele andersartige Perspektiven eingenommen und reflektiert werden. Dieser Prozess ver- langt vor allem Verstandnis fur gegenuberstehende Positionen, aber auch Toleranz und Empathie und fuhrt zu einer ausdifferenzierteren Bewertungskompetenz (Mittelsten Scheid, 2008). Um diese Teilkompetenz zu fordem, fuhren HoBle und Alfs (2014) des Weiteren Folgendes an:

„Die Fahigkeit zum Perspektivwechsel beginnt bei der Einsicht, dass andere Per- sonen unter Umstanden andere Positionen innehaben, und mundet schlieBlich in der Fahigkeit, eine allgemeine gesellschaftliche Perspektive einnehmen zu kon- nen, d.h., von der Gebundenheit einer Perspektive an eine oder mehrere Personen zu abstrahieren und die Sichtweise von Institutionen oder der Gesellschaft im All- gemeinen einnehmen zu konnen“ (HoBle & Alfs, 2014, S. 7).

Urteilen

Am Ende des Meinungsbildungsprozesses steht das abschlieBende, reflektierte Urteilen. Das gefallte Urteil muss nicht endgultig sein, sondem kann jederzeit revidiert werden, indem neue Kenntnisse erlangt oder beachtet werden oder die eigenen Werte sowie der Standpunkt hinterfragt und reflektiert werden.

Ethisches Basiswissen

Grundkenntnisse uber die Ethik im Allgemeinen sowie uber ethische Begriffe sind fiir die Meinungsbildung keine zwingende Voraussetzung. Als iibergreifende Kompetenz wirkt das Basiswissen allerdings auf die zuvor genannten Teilkompetenzen ein und un- tersttitzt die Urteilsfallung insbesondere hinsichtlich der Reflexion, sodass die Kompe­tenz der Bewertung mit entsprechender Berucksichtigung ethischer Grundlagenkennt- nisse ausdifferenzierter und umfassender wird.

Am Ende des Gesamtprozesses der Meinungsbildung steht in der Regel das abschlie­Bende Urteil. Es kann jedoch vorkommen, dass ein:e Schuler:in kein eindeutiges Urteil 9

fallen kann oder mochte, da verschiedene Ansichten und Meinungen einschlieBlich der entsprechenden Argumentationen und Werte nachvollzogen und vertreten werden. Tritt ein solcher Fall ein, ist es wichtig, dass der:die Lemende die Unentschlossenheit begriin- den kann (HoBle & Alfs, 2014).

2.4 Aktueller Forschungsstand

Zur ethischen Bewertungskompetenz im Allgemeinen gibt es bisher lediglich vereinzelt empirische Arbeiten. Einige davon beziehen sich auf die Kompetenz der Lehrkrafite, die Kompetenz zu diagnostizieren (bspw. Heusinger von Waldegge, 2016). Andere Arbeiten beschaftigen sich mit Kompetenzniveaus, der Forderung oder der Entwicklung von Be­wertungskompetenz bei Schuler:innen (bspw. HoBle, 2001; Alfs u.a., 2011; Mittelsten Scheid, 2008 und Reitschert, 2009). Die entsprechenden Studien werden im Folgenden dargestellt, sodass der aktuelle Forschungsstand nachvollzogen werden kann.

Corinna HoBle (2001) fuhrte von 1995 bis 1999 eine Interventionsstudie durch, welche die Forderung der moralischen Urteilsfahigkeit von Schuler:innen zum Ziel hatte. Eines der zentralen Ergebnisse der Studie ist, dass die Urteilsfahigkeit der Lemenden insbeson- dere dann gefordert werden kann, wenn ihre Hoffhungen und Befurchtungen aufgegriffen werden. Dabei steht sowohl das Erkennen moralischer Relevanz und ethischer Werte als auch der Perspektivwechsel und die Begrundung des eigenen Urteils im Vordergrund. Des Weiteren erfolgte im Rahmen der Studie die Entwicklung von sechs Schritten, an- hand derer die Urteilsfahigkeit sowohl erarbeitet als auch gefordert werden kann. Bei der Entwicklung der Sechs Schritte moralischer Urteilsfindung (HoBle, 2001) wurde sich an bereits bestehenden Modellen und Unterrichtshilfen sowie an Forschungsergebnissen aus der Entwicklungspsychologie orientiert. Konkrete Schrittfolgen wie diese, die die Teil­kompetenzen des ethischen Bewertens fordem, werden von vielen in der Biologiedidaktik Tatigen als sinnvoll erachtet (Harms & Kattmann, 2018; Mittelsten Scheid, 2008).

Im Folgenden wird die Schrittfolge dargestellt und, insofem einzelne Schritte nicht selbsterklarend sind, erlautert.

1. Dcfinieren des geschilderten Dilemmas Der erste Schritt verlangt nicht nur die Definition des Dilemmas mit eigenen Worten, sondem auch die Beschafitigung mit entsprechenden fachlichen Inhalten sowie ethischen Hintergrunden (HoBle, 2001).
2. Aufzahlen moglichcr Ilandlungsoptionen
3. Aufzahlen ethischer Werte, welche die Handlungsoption impliziert
4. Unterscheiden zwischen deontologischer und konsequenzialistischer Argumenta- tionsweise

Bei der deontologischen Argumentationsweise steht primar die Bewahrung der Werte im Vordergrund. Dies gilt insbesondere fur solche, die als absolut angesehen werden. Das Ziel dabei ist, den Betroffenen gerecht zu werden und ihre Rechte zu wahren. Im Gegen- satz dazu liegt der Fokus bei der konsequenzialistischen Argumentationsweise auf den Folgen eines Urteils. Hierbei wird darauf abgezielt, das Leid Betroffener zu mindem und zum Wohlergehen beizutragen. Die genannten Argumentationsweisen stellen die zentra- len Ethiktraditionen dar, zu denen sich Argumente in der Regel zuordnen lassen. Ge- schieht diese Zuordnung im Unterricht, wird den Lemenden eine intensivere Beschafti- gung mit ethischen Werten ermoglicht. Aufgrund des hohen Anforderungsniveaus sollte dieser Schritt lediglich in der Sekundarstufe II durchgefuhrt werden. In der Sekundarstufe I konnen die Argumente stattdessen in Pro und Kontra unterteilt sowie durch die dahin- terstehenden Werte erganzt werden (HoBle, 2001).

5. Bcgriindcte Urteilsfallung und Diskussion andersartiger Urteile

Die personliche Urteilsfallung sollte mit rationalen Argumenten begrundet sein. Fiir die reflektierte Diskussion andersartiger Urteile muss der Perspektivwechsel gelingen (Bo- geholz, HoBle, Langlet, Sander & Schluter, 2004).

6. Aufzahlen von Konsequenzen, die das eigene/das andersartige Urteil implizieren

Die aufgezahlten Konsequenzen sollen sich sowohl auf die eigene Person als auch auf andere Individuen, die gesamte Gesellschaft und die Umwelt beziehen. Diesen Prozess kann ein Rollenwechsel unterstutzen, indem die Schuler:innen die Moglichkeit bekom- men, sich in andere Personen hineinzuversetzen (Bogeholz u.a., 2004).

Das Projekt Biologie im Kontext hat einen kontext- und kompetenzorientierten Biologie­unterricht zum Ziel und ist somit an der Lebenswelt der Schuler:innen orientiert. Weiter- hin versucht es, die Bildungsstandards zu implementieren (Duske, 2017). Im Zuge dessen hat Nicola Mittelsten Scheid (2008) eine empirische Studie durchgefuhrt, um Kenntnisse uber verschiedene Niveaus und Strukturen der Teilkompetenzen Wahrnehmen und Be­wusstmachen moralischer Relevanz, Argumentieren, Perspektivwechsel, Folgenreflexion und Beurteilen zu erlangen. Des Weiteren sollte der Unterricht, der im Rahmen des Pro- jekts entwickelt wurde, erprobt werden und ein Erwartungshorizont fur die Kompetenz- vermittlung und -diagnose, der an die verschiedenen Jahrgangsstufen gebunden ist, ent­wickelt werden. Um diese Ziele zu erreichen, wurde die Bewertungskompetenz von je 36 Schuler:innen einer achten und einer zehnten Klasse eines Gymnasiums und einer achten Klasse einer Gesamtschule mittels standardisierter Leitfadeninterviews erhoben. Dieser sollte die Teilkompetenzen der Befragten erfassen und bediente sich dabei den Dilem­mata der Zootierhaltung, Organtransplantation und Sterbehilfe. Die Ergebnisse zur Teil- kompetenz Argumentieren verdeutlichen, dass das Kompetenzniveau mit zunehmender Klassenstufe steigt. Altere Lemende argumentieren demnach rationaler und beziehen so­wohl mehr Argumente im Allgemeinen als auch gleichermaBen Pro- sowie Kontra-Argu- mente in ihre Aussagen ein. Auch hinsichtlich der Teilkompetenz Wahrnehmen und Be­wusstmachen moralischer Relevanz wurde deutlich, dass altere Schuler:innen ein hoheres Kompetenzniveau aufweisen, da sie den moralischen Gehalt eher erkennen als jungere Lemende, die deskriptive Aussagen tatigen. Die Studie zeigte zudem, dass Schuler:innen bestimmten Werten wie Wahrheit und Sicherheit eine hohe Relevanz zuschreiben, diese jedoch fur Experten irrelevant sind. Je hoher das Kompetenzniveau ist, desto eher werden hierbei die Werte fur relevant gehalten, die auch bei Experten relevant sind. Diesbeziig- lich ist das Niveau der Teilkompetenz jedoch nur teilweise abhangig vom Alter und der Klassenstufe der Lemenden. Hinsichtlich der Teilkompetenz Beurteilen kennzeichnet sich ein niedrigeres Kompetenzniveau durch eine sachlich-logisch begrundete Werthie- rarchie, wohingegen auf hoherem Niveau wertbasiert begriindet wird. Altere Schuler:in- nen sind weiterhin typischerweise der Ansicht, dass Entscheidungen lediglich von direkt betroffenen Personen getroffen werden sollen, wohingegen jungere sich dafur ausspre- chen, dass moglichst viele Betroffene in den Entscheidungsprozess mit einbezogen wer­den sollten. Bezuglich der Teilkompetenzen Folgenreflexion und Perspektivwechsel konnte ermittelt werden, dass sich ein hoheres Niveau - in Verbindung mit hoherem Alter - durch eine soziozentrische Perspektive auszeichnet, die einen groBen Personenkreis als betroffen ansieht, wohingegen auf niedrigerem Niveau egozentrisch an wenige Personen gedacht wird. Weiterhin zeichnet sich ein hoheres Kompetenzniveau dadurch aus, dass der Zwiespalt, in dem sich betroffene Personen befinden, erkannt wird. Insgesamt wurde festgestellt, dass die einzelnen Teilkompetenzen abhangig voneinander sind und ebenfalls in Zusammenhang mit sprachlichen Kompetenzen stehen (Mittelsten Scheid, 2008).

Im Jahr 2009 wurde von Katja Reitschert eine Untersuchung zur Strukturierung und Aus- differenzierung der Bewertungskompetenz durchgefuhrt. Dazu wurden 17 Realschii- ler:innen des zehnten Jahrgangs in Einzelgesprachen zur Praimplantationsdiagnostik in- terviewt. Im Anschluss konnten dadurch jeweils drei Niveaustufen fur die Teilkompeten­zen Wahmehmen und Bewusstmachen moralisch-ethischer Relevanz, Wahmehmen und Bewusstmachen der eigenen Einstellung, Folgenreflexion, Beurteilen und ethisches Ba- siswissen ausdifferenziert werden. Dabei manifestiert sich sowohl eine niedrige als auch eine hohe Bewertungskompetenz in alien Teilkompetenzen auf gleichrangigen Niveaus. Bewegt sich die allgemeine Bewertungskompetenz jedoch im Mittelbereich, so sind be- zuglich der Teilkompetenzen unterschiedliche Niveaustufen auszumachen. Das Wahr- nehmen des moralischen Gehalts einer Problemsituation ist weiterhin eine Voraussetzung fur ethisches Bewerten auf hohem Niveau. „Die Antizipation sozialethischer-kultureller Folgen stellt im Bereich der Folgenreflexion die hochste Anforderung an die Schuler [sic] dar“ (Reitschert, 2009, S. 282). Des Weiteren stellte Reitschert (2009) fest, dass Uber- gange zwischen den Niveaustufen moglich sind, die Lemenden dabei aber niedrige Ni­veaus verlassen und eine Ruckwartsentwicklung ausgeschlossen ist.

Wie sich die Bewertungskompetenz im Allgemeinen und ihre Teilkompetenzen von Schuler:innen durch kompetenzfordemde Unterrichtseinheiten schulen lassen, wurde von Alfs u.a. (2011) untersucht. Die Interventionsstudie wurde 2010 im Rahmen des Projektes HannoverGEN durchgefuhrt, welches den Lemenden ausgewahlter Schulen in der Um- gebung Hannovers die Moglichkeit gab, sich fachlich mit der Grunen Gentechnik ausei- nanderzusetzen und diese ethisch zu bewerten. Eines der funf Teilprojekte widmete sich dabei explizit der Forderung der Bewertungskompetenz. Um die entsprechende Entwick­lung zu uberpriifen, wurde die Studie mit einem Pra-Post-Test-Design mittels zweier Pa- per-Pencil-Fragebogen durchgefuhrt. Der erste Fragebogen wurde dabei vor der Durch- fuhrung des Projekts und der anschlieBenden ethischen Reflexion im regularen Biologie- unterricht eingesetzt, der zweite danach. Es nahmen 268 Schuler:innen der Klassen zehn bis dreizehn teil. Ihre Antworten wurden in Anlehnung an die Ergebnisse von Mittelsten Scheid (2008) und Reitschert (2009) in drei Niveaustufen unterteilt. Die Studie zeigte abschlieBend, dass sich die Bewertungskompetenz gesteigert hat. Insbesondere bei den Teilkompetenzen Folgenreflexion und Perspektivwechsel konnten dabei signifikante Un- terschiede festgestellt werden, indem mehr und weitreichendere Folgen und Perspektiven aufgezeigt wurden. Bei der Folgenreflexion verzeichnet der GroBteil der Lemenden ein hoheres Kompetenzniveau im Post-Test. Fast ein Drittel von ihnen befmdet sich auf dem 13 hochsten Niveau, mehr als die Halfte auf dem zweiten. Ahnliche Ergebnisse sind bei der Teilkompetenz Perspektivwechsel zu finden, bei der es einen deutlichen Zuwachs der dritten Niveaustufe gab und sich im Post-Test nur noch wenige Schuler:innen auf Niveau I befinden. Die iibrigen getesteten Teilkompetenzen weisen keine signifikanten Anderun- gen auf: Beim Wahrnehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz ging die Anzahl der Lemenden auf Niveau I zuriick und stieg im Gegenzug bei Niveau II. Das dritte Ni­veau blieb nahezu unverandert. Ahnliche Ergebnisse bezuglich der ersten beiden Kom- petenzniveaus sind beim Argumentieren zu verzeichnen, bei dem jedoch auch die Schii- ler:innenzahl auf Niveau III steigt. Insgesamt wird Letzteres jedoch von nur wenigen Ler- nenden erreicht. Die Teilkompetenz Beurteilen zeigt kaum Unterschiede zwischen Pra- und Post-Test. Die meisten Schuler:innen befinden sich auf Niveau II. In den Teilkom­petenzen Wahrnehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz, Argumentieren und Beurteilen lieBen sich zusammenfassend auch positive Entwicklungen verzeichnen, diese seien jedoch aufgrund von fehlender Signifikanz der Ergebnisse noch ausbaufahig (Alfs u.a., 2011).

Heinisch, HoBle, Krause und Rathje (2018) fuhrten ebenfalls eine Interventionsstudie zur Entwicklung der Bewertungskompetenz von Schuler:innen durch. Die entsprechende In­tervention wurde im Biologieunterricht der elften Klasse durchgefuhrt und bedient sich der Thematik der Genom-Editierung am Beispiel der menschlichen Keimbahntherapie. Damit die Entwicklung der Bewertungskompetenz der 23 Lemenden uberpriift werden konnte, wurde ein Pra-Post-Test-Design angewandt. Die Daten wurden jeweils mittels eines Paper-Pencil-Tests mit halbgeschlossenen und offenen Fragen erhoben und dienten der Feststellung der Veranderung der Bewertungskompetenz - im Spezielleren der Teil­kompetenzen Wahrnehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz, Beurteilen, Fol­genreflexion, Perspektivwechsel und Urteilen - anhand der Thematik der Genom-Editie­rung. Die Antworten wurden wie bei Alfs u.a. (2011) in drei Kompetenzniveaus einge- teilt. Durch die entsprechende Intervention konnte bei der Teilkompetenz Wahrnehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz keine signifikante Verbesserung erhoben wer­den. Lediglich zwei Schulerrinnen konnten sich von Niveau II auf Niveau III verbessem. Beim Beurteilen hingegen, wobei die Lemenden im Post-Test vermehrt betroffene Werte nennen, konnte eine starke Verbesserung festgestellt werden: Mehr als die Halfte der Schuler:innen erlangte im zweiten Test ein hoheres Niveau als im ersten. Auch eine po­sitive Entwicklung der Teilkompetenz Urteilen ist zu beobachten, diese fallt jedoch we- niger stark aus als beim Beurteilen. Auch bei den Teilkompetenzen Folgenreflexion und Perspektivwechsel konnten Verbesserungen festgestellt werden, diese sind allerdings nicht signifikant (Heinisch u.a., 2018).

Die dargestellten Interventionen und Forschungen bedienen sich hauptsachlich an The- men wie Gentechnik, Klonen von Menschen oder Praimplantationsdiagnostik. Die Mas- sentierhaltung wurde hinsichtlich der Bewertungskompetenz trotz Vorschlag im Nieder- sachsischen Kemcurriculum (Niedersachsisches Kultusministerium, 2015) eher peripher behandelt. Grundsatzlich sind kaum wissenschaftliche Publikationen oder Studien uber die Thematisierung von Fleischkonsum und entsprechender Tierhaltung im Schulunter- richt veroffentlicht. Es lassen sich lediglich Ansatze zur Umsetzung finden, welche je­doch nicht theoretisch fundiert sind (Lippert & Ullrich, 2019).

Aufgrund der fehlenden Nutzung der Thematik der Massentierhaltung in Studien zur ethi- schen Bewertung von Schuler:innen, soli die Bewertungskompetenz in der hier vorlie- genden Interventionsstudie mittels entsprechender Thematik gefordert sowie erhoben werden. Da sich die Interventionsstudien von Alfs u.a. (2011) und von Heinisch u.a. (2018) auf die Bewertungskompetenz von Lemenden in der Sekundarstufe II beziehen, besteht nicht nur hinsichtlich der Thematisierung der Massentierhaltung, sondem auch bezuglich der Sekundarstufe I ein hoher Forschungsbedarf. Die vorliegende Interventi­onsstudie widmet sich daher der Sekundarstufe I und untersucht die Entwicklung der Be­wertungskompetenz von Zehntklassler:innen. Der bestehende Forschungsbedarf verdeut- licht die Relevanz dieser Studie.

3 Fragestellungen

Im Rahmen dieser Arbeit sollen Schuler:innen der Klasse zehn eines Gymnasiums hin- sichtlich der Folgen und Auswirkungen einer moglichen Abschaffung der Massentierhal- tung sowie ihrer Hoffnungen, Befurchtungen und Meinungen diesbezuglich befragt wer­den. Die Befragung findet sowohl vor als auch nach der Intervention statt. Die Antworten der Lemenden konnen verschiedenen Niveaus von Bewertungskompetenz zugeteilt wer­den, anhand derer die individuelle Kompetenz gemessen werden kann. In der dargestell- ten Studie sollen demnach folgende Fragestellungen untersucht werden:

1. Wie entwickelt sich die Bewertungskompetenz der Schuler:innen der zehnten Klasse, die an der Intervention teilgenommen haben?
2. Inwiefem entwickeln sich die Schuler:innen hinsichtlich der Teilkompetenzen Wahmehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz, Folgenreflexion, Per­spektivwechsel und Argumentieren?

4 Methodik

4.1 Beschreibung der Stichprobe

An der Studie nahmen 30 Schuler:innen einer zehnten Klasse des Ratsgymnasiums in Rotenburg (Wumme) teil. Allerdings waren sieben Lemende bei der zweiten Befragung abwesend, sodass von ihnen kein Post-Test vorhanden ist, weshalb nicht alle erhobenen Datensatze genutzt werden konnen. Im Zuge dessen ist n = 23.

Die Auswahl der Stichprobe erfolgte danach, welche Biologielehrkraft einer zehnten Klasse der Schule sich dazu bereit erklarte, die Intervention und Fragebogenstudie in ih- rem Unterricht stattfmden zu lassen. Sowohl die Teilnahme der entsprechenden Lehrkraft im Allgemeinen als auch die Teilnahme der Schuler:innen an der Befragung basierte auf Freiwilligkeit. Es ist demnach von einer Zufallsstichprobe zu sprechen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Altersverteilung der Stichprobe (Eigene Darstellung).

Wie die Abbildung 1 zeigt, ist die Altersverteilung typisch fur eine zehnte Klasse, sodass die Schuler:innen im Durchschnitt 16 Jahre alt sind. Die Geschlechterverteilung (s. Abb. 2) zeigt eine etwas hohere Anzahl an mannlichen Teilnehmem, lasst sich aber dennoch als relativ ausgewogen bezeichnen. Des Weiteren emahren sich vier der Teilnehmenden vegetarisch, die restlichen Proband:innen zahlen Fleisch hingegen zu ihrer ublichen Er- nahrungsweise. Das Einzugsgebiet der Schule umfasst die Kleinstadt Rotenburg (Wumme) sowie einige umliegende Dorfer; die Teilnehmenden kommen demnach aus einer eher landlich gepragten Umgebung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Geschlechterverteilung der Stichprobe (Eigene Darstellung).

4.2 Untersuchungsdesign

Um die Fragestellungen beantworten zu konnen und somit die Entwicklung der Bewer­tungskompetenz im Allgemeinen sowie die der einzelnen Teilkompetenzen zu uberprii- fen, wurde eine Interventionsstudie durchgefuhrt. Ihr liegt ein Pra-Post-Test-Design zu- grunde (s. Abb. 3), sodass jeweils vor und nach der Intervention, welche in Kapitel 4.4 naher beschrieben wird, Daten mittels eines Fragebogens (s. Kapitel 4.3.1) erhoben wur- den. Es handelt sich dementsprechend um eine Langsschnittdiagnose (Buhner, 2011).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Ablauf der Interventionsstudie (Eigene Darstellung).

Da der Fragebogen aus offenen Fragen besteht, handelt es sich um eine halbstandardi- sierte, schriftliche Befragung. Das erhobene Datenmaterial ist demnach nichtnumerisch und qualitativ. Im weiteren Verlauf der Analyse wurden die geschriebenen Texte der Pro­band: innen in geordnete Kategorien sortiert, sodass aus den Verbaldaten quantitative Da­ten erzeugt wurden. Folglich wurden die qualitativ erhobenen Daten quantifiziert und quantitativ weiterverarbeitet (Bortz & Doring, 2016). Dieses Vorgehen dient der Ubersichtlichkeit der qualitativ gewonnen Daten und verdeutlicht die Effekte der Inter­vention (Morris, 2008).

4.3 Erhebungsinstrumente

Die Ermittlung der Bewertungskompetenz erfolgte sowohl im Pra-Test vor der Interven­tion als auch danach im Post-Test durch einen Paper-Pencil-Test2. Zunachst werden dabei die demographischen Daten abgeffagt, die lediglich aus den Angaben von Alter und Ge- schlecht bestehen. Des Weiteren wird die Emahrungsweise - omnivor, vegetarisch oder vegan - der Proband:innen erfragt, da diese Angabe ggf. Aufschluss tiber weitere Aspekte geben konnte, die bisher nicht in Betracht gezogen wurden. Beiden Fragebogen ist ein konstruiertes Fallbeispiel zur Massentierhaltung (s. Kapitel 4.3.2) vorangestellt. An- schlieBend folgen fiinf offene Fragen, um die verschiedenen Teilkompetenzen zu erheben (Alfs u.a., 2011). Die Fragebogen sind, abgesehen von den Namen, die im Fallbeispiel verwendet werden, identisch, um eine Vergleichbarkeit der Daten zu gewahrleisten und die Entwicklung der Bewertungskompetenz prazise analysieren zu konnen (Ekborg, 2008).

Fiir die Erhebung der Daten wurde sich an dem bereits erprobten Fragebogen von Alfs u.a. (2011) orientiert. Dieser lehnt sich an die Forschungsergebnisse von Mittelsten Scheid (2008) und Reitschert (2009) zur Strukturierung und Ausdifferenzierung der Be­wertungskompetenz von Schuler:innen an. Basierend darauf konnen die Antworten in die verschiedenen Niveaustufen (s. Kapitel 4.5) eingeteilt werden. Diese Einteilung ermog- licht den Vergleich der Kompetenzen von Pra- und Post-Test (Alfs u.a., 2011).

Da die Fragebogen in Pra- und Post-Test identisch sind, ist es moglich, dass die Pro- band:innen beim Ausfullen des Post-Tests weniger Motivation aufweisen, wodurch die Ergebnisse verfalscht werden konnen (Bortz & Doring, 2016). Um dem bestmoglich vor- zubeugen, besteht der Fragebogen, abgesehen von der anfanglichen Erfragung der demo­graphischen Daten, lediglich aus fiinf offenen Fragen. Diese lassen aufgrund des hohen Aufwands zwar ofter eine Verweigerung der Beantwortung oder das ungewissenhafte, karge Ausfullen des Fragebogens zu, ermoglichen aber auch eine freie AuBerung in eige­nen Worten und ein groBes Spektrum moglicher Antworten (Ztill & Menold, 2019). Alfs u.a. (2011) merken weiterhin an, dass die Proband:innen dadurch individuelle Schwer- punkte setzen konnen und Inhalt sowie Ausfiihrlichkeit selbst bestimmen konnen. Laut Heinisch u.a. (2018) konne so das Gefuhl der Redundanz zwischen den Befragungen ver- mieden werden. Zudem kann durch offene Fragen nicht gelenkt werden, wodurch die Antworten durch eine hohere Reliabilitat und Validitat gekennzeichnet sind (Ziill & Me- nold, 2019).

Um die Kooperationsbereitschaft zu erhohen sowie spontane Reaktionen und umfangrei- chere Antworten zu erhalten, waren statt der Nutzung von Fragebogen qualitative Inter­views eine Alternative gewesen (Mohring & Schliitz, 2019). Da diese jedoch zu viel Zeit beanspruchen wurden, wurde sich fur die schriftliche Befragung entschieden. Diese bietet zudem den Vorteil, dass in kiirzerer Zeit mehr Personen befragt werden konnen. Des Weiteren ist diese Art der Befragung anonymer und durch eine groBere Distanz zur:zum Befragenden gekennzeichnet, sodass ein offeneres Antworten der Befragten gewahrleis- tet ist. Dies ist insbesondere bei kontrovers diskutierten Themen von hoher Bedeutung (Bortz & Dbring, 2016).

4.3.1 Aufbau des Fragebogens

Der Fragebogen beginnt mit einem kurzen Anschreiben an die Schuler: innen. Dieses ver- deutlicht ihnen, dass die Befragung anonym ist. Es wird zudem geschildert, dass die je- weiligen Befragungen vor und nach der Intervention miteinander verglichen werden sol­len. Um dies zu ermoglichen und dennoch die Anonymitat der Lemenden zu gewahrleis- ten, wird ein anonymer, sechsstelliger Code ermittelt, der sich aus den ersten beiden Buchstaben des Vomamens der Mutter, den ersten beiden Buchstaben des Vomamens des Vaters sowie den ersten beiden Ziffem des Geburtstags des:der Proband:in zusam- mensetzt.

Die Fragen des Fragebogens basieren auf der Interventionsstudie von Alfs u.a. (2011). Demnach wird der Fragebogen nach dem Anschreiben mit einem konstruierten Fallbei­spiel bezuglich der Massentierhaltung (s. Kapitel 4.3.2) eingeleitet. Daraufhin werden zunachst die persbnlichen Angaben (Alter, Geschlecht und Emahrungsweise) der Schii- ler:innen abgefragt (Bortz & Doring, 2016). AnschlieBend folgen fiinf Fragen, die an das Fallbeispiel angepasst wurden und die Bewertungskompetenz erheben sollen. Die einzel- nen Fragen beziehen sich dabei immer auf eine bestimmte Teilkompetenz, werden im Verlauf des Fragebogens immer spezieller und bauen zum Teil aufeinander auf. Dabei ist die erste Frage zudem als Einfuhrung zu betrachten (Alfs u.a., 2011). Somit wird zunachst die Teilkompetenz Wahrnehmen und Bewusstmachen moralischer Relevanz uberpruft, gefolgt von der Folgenreflexion. Die Fahigkeit des Perspektivwechsels wird anschlieBend durch zwei Fragen erhoben. Als Letztes kommt es zur individuellen Urteilsbildung, bei der die Teilkompetenz Argumentieren uberpruft wird.

Die vorliegende Studie uberpruft lediglich diese vier der acht, in Kapitel 2.2 vorgestellten, Teilkompetenzen. Dies ist nicht nur damit begriindet, dass sie sich besonders fiir die Aus- wertung einer schriftlichen Erhebung eignen und durch Mittelsten Scheid (2008) und Reitschert (2009) in verschiedene Niveaustufen ausdifferenziert sind, sondem auch in der Interventionsstudie von Alfs u.a. (2011) mit den entsprechenden, erprobten Fragen uber­pruft wurden. Im Gegensatz zu letzterer Studie, wird die Teilkompetenz Beurteilen in der hier dargelegten Studie nicht uberpruft, da sie in der Intervention (s. Kapitel 4.4) nicht explizit gefbrdert wurde. Die Tabelle 3 verdeutlicht die Gliederung des Fragebogens be- zuglich der Teilkompetenzen und stellt die entsprechenden Erhebungsschwerpunkte in dieser Untersuchung dar.

Tabelle 2: Gliederung des Fragebogens bezuglich der Teilkompetenzen und Erhebungsschwerpunkte (in Anlehnung an Alfs u.a., 2011).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1: Erklare, warum die Meinungen von Leon und Jette (Post-Test: Jana und Tom) so aus- einander gehen.

Durch diese Frage soil die Teilkompetenz Wahmehmen und Bewusstmachen der morali- schen Relevanz uberpriift werden. Dementsprechend soil ergriindet werden, ob die Ler- nenden den moralischen Gehalt der Problemsituation erkennen. Dabei kann zwischen ei­ner leidglich deskriptiv-pragmatischen Beschreibung des Problems und dem Einbezug gegensatzlicher Wertvorstellungen und Argumente unterschieden werden. Um die Schu- ler:innen anzuregen, uber eine reine Beschreibung hinauszugehen, spricht die Frage den Konflikt konkret an (Alfs u.a., 2011).

2: Welche Folgen konnte es haben, wenn die Massentierhaltung abgeschafft wird und welche Folgen konnte es haben, wenn sie nicht abgeschafft wird?

Aufgrund der Mehrdimensionalitat der Massentierhaltung und ihrer verschiedenen Ein- fltisse auf zahlreiche Personen(gruppen) sowie die Umwelt und Tiere, ist die Reflexion moglicher Folgen von hoher Bedeutung, um ein begrundetes und reflektiertes Urteil fal­len zu konnen. Um diese Teilkompetenz {Folgenreflexion) zu erheben, sollen die Lemen­den daher mogliche Folgen nennen - sowohl fur den Fall einer Abschaffung der Massen­tierhaltung als auch fur den Fall, dass dies nicht geschieht. Angesichts der verschiedenen Ebenen, auf die die Massentierhaltung einwirkt, kann zwischen bestimmten Folgen un­terschieden werden: „Folgen fur die unmittelbar Betroffenen [...] bis hin zu politisch- okonomischen, kulturell-sozialen oder umweltethischen Folgen“ (Alfs u.a., 2011, S. 15). Dadurch, dass die Schuler:innen ihre Antwort frei formulieren konnen, ist es ihnen mog- lich, alle erdenklichen Konsequenzen, die ihnen bewusst sind, aufzuschreiben. So kann schlieBlich festgestellt werden, ob die:der Lemende eine eher egozentrische, soziozentri- sche oder eine abstrakte, gesellschaftliche Folgenbetrachtung aufweist (Alfs u.a., 2011).

3: Auf wen oder was hat die Massentierhaltung Auswirkungen? Liste auf, wer oder was davon betroffen ist und um welche Auswirkungen es sich handelt.

Diese Aufgabe stellt explizit die Frage nach Auswirkungen auf verschiedene Perso- nen(kreise) und weitere betroffene Aspekte. Der Blick der Schuler:innen sollte dabei nicht nur auf den unmittelbar Betroffenen liegen, sondem weitere Perspektiven einbezie- hen, in die sich hineinversetzt wird. Durch die ffeie Antwort und je nachdem, welche und wie viele Blickpunkte genannt werden, kann erhoben werden, inwieweit die Teilkompe­tenz Perspektivwechsel ausgereift ist (Alfs u.a., 2011).

4: Welche Hoffnungen und Befurchtungen verbindest du mit der Abschaffung der Mas­sentierhaltung?

Diese Frage erhebt ebenfalls die Fahigkeit des Perspektivwechsels, fokussiert sich dabei jedoch auf die individuellen Hoffnungen und Befurchtungen der Schuler:innen. Somit kann festgestellt werden, ob die Lemenden selbst eine egozentrische, soziozentrische oder eine abstrakte, gesellschaftliche Perspektive einnehmen und damit, auch wenn es um ihre eigene Haltung geht, entgegengesetzte Positionen einbeziehen und Empathie auf- weisen (Alfs u.a., 2011).

5: Findest du, dass weiterhin Massentierhaltung betrieben werden sollte? Begriinde dein Urteil.

Die abschlieBende Frage fordert ein begriindetes Urteil der Lemenden bezuglich des Be- treibens der Massentierhaltung. Dieses begrundete Urteil stellt laut Visser und HoBle (2010) das Ziel bei der Beschaftigung mit bioethischen Problemstellungen dar. Daher soli bei dieser letzten Frage auf die vorangegangenen Fragen und die entsprechenden Teil­kompetenzen aufgebaut und zuriickgegriffen werden, sodass das abschlieBende Urteil als Produkt des Meinungsbildungsprozesses zu verstehen ist. Dementsprechend erhebt diese Frage die Teilkompetenz Argumentieren (Alfs u.a., 2011). Wie bereits erwahnt, kenn- zeichnet sich das Argumentieren durch das Begrunden der Aussagen, indem konsistente Griinde oder Werte aufgefuhrt werden (Mittelsten Scheid, 2008). Inwiefem dies gelingt und ob andere Perspektiven und Urteile im gleichen MaBe einbezogen werden, soil durch die Frage uberpruft werden (Alfs u.a., 2011).

4.3.2 Fallbeispiel

Der Fragebogen dieser Studie macht sich ein einleitendes Fallbeispiel zunutze, sodass den Schuler:innen der Zugang zur Urteilsbildung erleichtert wird und ihnen das Beriick- sichtigen der Perspektiven sowie das Reflektieren leichter fallt (Visser & HoBle, 2010). In Anlehnung an den Fragebogen der Interventionsstudie von Alfs u.a. (2011), wurde demnach ein Fallbeispiel zur Massentierhaltung entwickelt, welches den Fragen voran- gestellt ist. Dieses ist in Pra- und Post-Test, abgesehen von den Namen der Charaktere, die verwendet wurden, identisch.

[...]


1 Der in den Bildungsstandards festgelegte Kompetenzbereich Bewertung wird in Kapitel 2.2 genauer dar- gestellt.

2 Im Anhang (S. 69-84) werden zwei von Schuler:innen ausgefullte Fragebogen beispielhaft dargestellt.

Ende der Leseprobe aus 115 Seiten

Details

Titel
Entwicklung der Bewertungskompetenz im Biologieunterricht der Klasse 10
Untertitel
Eine Interventionsstudie mit Unterrichtsentwurf zum Thema Massentierhaltung
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,5
Jahr
2021
Seiten
115
Katalognummer
V1244039
ISBN (eBook)
9783346679581
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entwicklung, bewertungskompetenz, biologieunterricht, klasse, eine, interventionsstudie, unterrichtsentwurf, thema, massentierhaltung
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Entwicklung der Bewertungskompetenz im Biologieunterricht der Klasse 10, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1244039

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