Mythologische Aspekte im 'Homo Faber' von Max Frisch


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

22 Seiten, Note: 2.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Technik

3 Mythologie im „Homo Faber“
3.1 Erinnyen
3.2 Ödipus
3.3 Agamemnon

4 Verfremdung

5 Schuld und Zufall

6 Psychologische Aspekte

7 Demeter- Kore- Mythos und Fabers Initiierung in die Eleusischen Mysterien

8 Zusammenfassung

9 Literatur
9.1 Primärtexte
9.2 Sekundärtexte

1 Einleitung

Der Roman “Homo Faber” von Max Frisch aus dem Jahre 1957, als “Bericht” bezeichnet, repräsentiert in eben dieser Art und Weise die menschliche Existenz der materialistischen Wirtschaftswunderjahre. Es findet eine Auseinandersetzung mit der Moderne statt und der verschiedenen Aspekte, die diese beinhaltet, nämlich auf der einen Seite eine fortschreitende Industrialisierung und Technisierung des Lebens und auf der anderen Seite die Problematiken, die diese mit sich bringen wie die Stellung des Individuums und fehlende Wertvorstellungen, sowie das Verschwinden der Religion, die der Mensch des 19. Jahrhunderts mit Beginn der Technisierung abschafft. Der Mensch ist Herr über die Natur geworden und kann außer seinen eigenen Tod alles kontrollieren, wodurch Religionen außer Kraft gesetzt werden und gleichzeitig die Suche nach dem Sinn des Seins stärker hervortritt, als je zuvor. Gleichzeitig steht kontrastiv eine Orientierung in Richtung des Unbewussten statt.

Glauben und Zweifel an Technik und Zivilisation werden durch eine “duale Erzähltechnik” dargestellt, die diese verschiedenen Perspektiven vermittelt. Dem entspricht eine doppelte Erzählmotivation des Berichterstatters und Protagonisten, der auf der einen Seite versucht, sich und seiner damaligen Freundin Hanna die Unschuld am Tod ihrer Tochter Sabeth zu beteuern, auf der anderen Seite resümiert er sein Leben in einem Rückblick, mit der Gewissheit, bald sterben zu müssen.

Auf der Gegenseite zur Technik ist im Roman ein weitverzweigtes Netz aus mythologischen Anspielungen entworfen. Diese mal mehr, mal weniger deutlichen Metaphern sollen in dieser Arbeit untersucht werden und ihr Zusammenhang zum technischen Menschen und dem, was er in diesem Bericht zu erreichen sucht, hergestellt werden.

2 Technik

Erzählt wird die Geschichte von Walter Faber, einem Maschinenbau- Ingenieur, der im Dienst der UNESCO Turbinenanlagen in Drittweltländern installiert. Er verkörpert den Glauben an Technik und Fortschritt, ist emotional allerdings völlig unterentwickelt, unsensibel und verdrängt seine Ängste, indem er sich in die Welt der Technik flüchtet. Der ganze „Bericht“ , den er schreibt, ist eine Suche nach der Schuldklärung, ein Rechtfertigungsversuch, indem Faber sein Vergangenheit aufrollt, das Geschehene durchforstet nach Erklärungen, die er vorher nicht gesucht hat, da er sich selbst durch sein technisches Weltverständnis vor sämtlichen Emotionen sein Leben lang erfolgreich verschanzt hat. Der Charakter der Hauptfigur wird festgelegt, der technisch geprägte Mensch im Gegensatz zur „theoretisch- kontemplativen oder zur fürsorgenden Lebensform“[1]. Technik wird hier als Weltanschauung vermittelt. Die dazu exemplarisch, diametral entgegengesetzte Lebenseinstellung bezeichnet Faber als „Mystik“. Die Antizipation der inneren Zwiespältigkeit Fabers ist schon in seinem Namen angelegt: „homo“- „faber“

Als Ingenieur ist sein Aufgabenbereich die technische Erschließung unterentwickelter Regionen, dieser Beruf ist für ihn der einzig mögliche und „darüberhinaus der einzig männliche überhaupt“ (77). Ein Leben außerhalb des beruflichen Bereichs kann er sich nicht vorstellen: „Ich lebe, wie jeder wirkliche Mann, in meiner Arbeit“ (90). Die Motivation für seinen Beruf gründet sich nicht auf menschlicher Basis, diejenigen, denen seine Entwicklungshilfe zugedacht sind, sind ihm eher gleichgültig, wenn nicht sogar lästig: „Menschen sind eine Anstrengung für mich“ (92), die Indios bezeichnet er als „ein weibisches Volk“[…]“geradezu kindisch“(38). Die Technik ist für ihn vielmehr reiner Selbstzweck, symptomatisch hierzu ist sein Verhältnis zu Maschinen jeglicher Art, die dazu dienen, ihn in seiner Welt zu bestätigen und ihn zu beruhigen. Ein Versagen technischer Geräte verunsichert ihn und er versucht auf Ebene der technischen Reparatur sein menschliches Versagen wieder herzustellen, wie die Reparatur seines Rasierapparates beim endgültigen Abschied von Ivy (63) oder die Autoinspektion im Dschungel (169). Als Inbegriff des Technischen sieht er den Roboter an, dieser „erkennt genauer als der Mensch, er weiß mehr von der Zukunft als wir, denn er errechnet sie, er spekuliert nicht und träumt nicht […] er kann sich nicht irren“ (75). Im Vergleich zum Menschen als verfehlte technische Konstruktion wird die Funktionsweise des Roboters als vorbildlich dargestellt, […] “überhaupt der ganze Mensch! Als Konstruktion möglich, aber das Material ist verfehlt: Fleisch ist kein Material, sondern ein Fluch“ (171), ähnliche Äußerungen finden sich auf (86/ 92/ 122).

„Durch diese Objektivierung umgeht Faber die existenzielle Entscheidung im konkreten Fall.“ Ebenso wie die Geburt, versucht Faber den Tod als quantitative Größe zu erfassen, um seine Angst vor dem Tod zu kontrollieren: „Die Mortalität bei Schlangenbiss beträgt 3-10 Prozent“ (130). Er versucht, sich zu beruhigen: „Meine Operation wird mich von sämtlichen Beschwerden für immer erlösen, laut Statistik eine Operation, die in 94,6 von 100 Fällen gelingt…“(164). Aber die Rechnungen gehen nicht auf, Fabers existenzielle Fehlhaltung wird von Hanna analysiert: „Du behandelst das Leben nicht als Gestalt, sondern als bloße Addition. (170)

Als Inbegriff des Technikers ist auch die Einstellung Fabers zur Natur reichlich gestört. Er sieht sich nicht als Teil dieser, sondern steht mit ihr in einem ausgesprochenen Feindschaftsverhältnis und sein Beruf ist ein dauernder Kampf gegen die elementare Natur. Sie ist für ihn Hindernis der Technik: der Flugzeugstart wir durch Schneefall verhindert, er wohnt in einen Wolkenkratzer in New York, der Metropole der Technik, er verschanzt sich gegen die Natur mit allen möglichen Apparaten und Maschinen wie Kamera, Rasierer, Schreibmaschine, Auto und Flugzeug.

Mit dem Fortschreiten seiner Reisen ist ein allmählicher Wandel erkennbar. Angefangen mit dem Flug in einer Super Constellation Maschine (hoch technisiert) von New York, mit einer Zwischenlandung in Houston, wo Faber die erste ungewöhnliche Handlung begeht und versucht, seinen Weiterflug zu verpassen, was ihm aber nicht gelingt, fortgeführt mit einer Notlandung des Flugzeugs in der Wüste von Tamaulipas in Mexiko, was ihn verunsichert und anfangen lässt, zu denken ändert er nach und nach sein Verhalten und Einstellungen. Schließlich entscheidet sich Faber dazu, seine Reiseroute zu ändern und mit Herbert Hencke, seinem Sitznachbarn aus dem Flugzeug, mitzureisen, um dessen Bruder Joachim, Fabers früheren Studienfreund, im Dschungel von Guatemala zu besuchen. Der Tod Joachims ist für Faber vorerst eine Bestätigung seines Weltbildes, das ewig Weibliche, Gebärende und Wachsende des Dschungels hat seinen Freund das Leben gekostet. Nach seiner Rückkehr nach New York beschließt er einen radikalen Wandel, reist überraschend mit dem Schiff nach Paris, statt mit dem Flugzeug, unter anderem, um Ivy zu entkommen, die er nicht mehr erträgt, da sie sein altes Ich in stärkster Form repräsentiert. Auf dem Schiff lernt er seine eigene Tochter Sabeth kennen, was er zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht weiß und verliebt sich in sie. Er begleitet sie auf ihrer Reise zurück nach Athen zu ihrer Mutter, gestaltet als eine Bildungsreise über Frankreich, Italien und Griechenland. Eine symbolische Reise weg von der hochmodernisierten, technischen Welt zurück in die antike Welt und auch zurück in die Vergangenheit und seiner Jugendliebe Hanna. Durch Sabeth lernt er die Welt unter einem anderen Gesichtspunkt zu sehen, lernt was Liebe ist und der Prozess des Umdenkens setzt sich fort. Die inzestuöse Liebesbeziehung endet fatal, angedeutet durch zahlreiche mystische Metaphern wie die Mondfinsternis und den Schlangenbiss, der Sabeths Tod initiiert, die erschrocken vor ihrem zu Hilfe eilenden nackten Vater zurückweicht und einen Abhang hinunterfällt, wobei sie sich eine tödliche Kopfverletzung zuzieht. Den erst erlernten, erlebten Sinn des Lebens verloren, kündigt Faber seiner Firma, wodurch er sich endgültig von seinem alten Leben abwendet, um nach Athen zu ziehen und Hanna zu heiraten und damit das zu tun, was er damals nicht tat, weil er nicht begriffen hatte, welche Wertvorstellungen Hanna vertritt.

Er begeht eine letzte, abschließende Reise über die Stationen seines früheren Lebens: New York, wo er seine Wohnung auflöst, Guatemala, um Herbert zu besuchen, Caracas, dann zurück über Habana, Zürich und Düsseldorf. Die Reise ist überschattet vom Tod seiner Tochter und deutlich erkennbar als letzte Reise, denn das Magenleiden Fabers wird als Magenkrebs diagnostiziert. Seine Reisebetrachtungen unterscheiden sich völlig von denjenigen aus seinem vorigen Leben, er sieht das Leben mit den Augen eines Sterbenden, der das Leben verpasst hat und noch ein letztes Mal kurzzeitig auskostet.

Der Roman spiegelt die Kontraste, die die Moderne mit sich bringt, wider. Die Gegensätze Mann- Frau, Amerika- Europa und Technik- Mystik werden in einer vertrackten, kunstvollen Erzähltechnik gegenüber gestellt und gleichzeitig durch das Scheitern des technischen Menschen eine Kritik an den Errungenschaften der technischen Welt vorgenommen.

3 Mythologie im „Homo Faber“

Max Frisch sagt über seinen „Homo Faber“:

„Homo Faber – der Macher- Mensch, Gegenteil dessen, der dichtet oder betet, der Mensch, der den Göttern das Feuer entrissen hat und sich als Schmied seiner eigenen Welt weiß, der Mensch als Herr über die Natur, der in der Natur nicht Symbole sieht, sondern Material, das er verwertet: Wälder als Bauholz, Wasserfälle als Elektrizität – mit einem Wort: ein Techniker, ein Typus unseres Zeitalters, berichtet hier die letzten Stationen seines Lebens, das, auch wenn er es lange nicht erkannt, nichts anderes als eine antike Tragödie ist. Inzest ist der Ausdruck seines Verhaltens in der Schöpfung überhaupt. Sein Ton des laxen „understatements“, das oft genug mehr verrät als er selber weiß, erweist sich als Maske; der Mann, der unentwegt bestreitet, dass es Schicksale gibt, und dessen Bibel (denn ganz ohne Bibel kommt er auch nicht aus), die Wahrscheinlichkeitslehre ist, entdeckt erst angesichts der Katastrophe seine Techniker- Blindheit, sterbend preist er das Leben.“[2]

Frisch selbst deutet hier die Dichotomie zwischen dem technischen, selbstbestimmten Menschen hin und dem Schicksal, dem er nichtsdestotrotz unterworfen ist. Sein Leben nichts anderes als eine antike Tragödie- diese Aussage soll jetzt untersucht werden und die mythologischen Elemente im „Homo Faber“ sollen herausgearbeitet werden- als Kontrast zum bisher entworfenem Bild des Technikers.

Nach Lubich[3] fanden die Mythen- Anspielungen und mythischen Elemente im „Homo Faber“ in der frühen Roman- Rezeption großen Anklang. Zum „Streit um die Technik“ entbrannte bald zusätzlich ein „Streit um den Mythos“, wobei dieser eher ein Abstreiten desselben war. Lange Zeit galt Geulens Mythen- Kritik[4] als richtungsweisend, die den Mythos allerdings als „Spielelement“ und „Verfremdungseffekt“ ansieht. Die Bedeutung mythischer Figuren könnte „für unsere Zeit nicht mehr verbindlich sein“[5].In verschiedenen Mythenmodellen der deutschen Geistesgeschichte wird ein „Hunger nach dem Mythos“, verbunden mit „Sehnsucht nach verbindlichen Lebens- und Seinsordnungen“ und gleichzeitig „Wissensgläubigkeit und Fortschrittsgedanken“[6] konstatiert. Später wurde Nietzsches Dionysos- Mythos zum Identifikationsmodell diverser lebensphilosophischer Zeiterscheinungen: élan vital, Kult des Körpers, Rückkehr zum Kreatürlichen.

[...]


[1] Reinhard Meurer: „Max Frisch, Homo Faber“, Interpretationen für Schule und Studium. Oldenbourg Verlag, München, 1977, S.14

[2] Nach Reinhold Viehoff: „Max Frisch für die Schule. Anmerkungen zur Rezeption und Verarbeitung des „Homo Faber“ in der didaktischen Literatur“, in: Der Deutschunterricht 36 (1984), H. 6, 70-83

[3] Frederick A. Lubich: „Max Frisch: „Stiller, Homo Faber und Mein Name sei Gantenbein““Wilhelm Fink Verlag, München, 1996

[4] Hans Geulen, „Max Frischs „Homo Faber““, De Gruyter, Berlin, 1965, S. 16

[5] Ebd., S. 97

[6] Walter Schmitz, „Max Frisch, „Homo Faber“. Materialien, Kommentar. Hauser, München, 1977, S. 53

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Mythologische Aspekte im 'Homo Faber' von Max Frisch
Veranstaltung
Deutsche Literatur, Nachkriegsliteratur
Note
2.5
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V124500
ISBN (eBook)
9783640297351
ISBN (Buch)
9783640302765
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mythologische, Aspekte, Homo, Faber, Frisch, Deutsche, Literatur, Nachkriegsliteratur
Arbeit zitieren
Natalie Schilling (Autor:in), 2008, Mythologische Aspekte im 'Homo Faber' von Max Frisch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124500

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