Wie werden junge Menschen zu "Systemsprenger*innen"? Unterstützungsmöglichkeiten der Jugendhilfe


Hausarbeit, 2022

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Hilfen zur Erziehung
2.2 Der Begriff des Systemsprengers
2.3 Charakteristika der Zielgruppe
2.4 Soziale Integration der Zielgruppe

3 Mogliche Ursachen systemsprengender Verhaltensweisen
3.1 Personliche Ursachen
3.2 Soziale Ursachen
3.3 Institutionelle Ursachen

4 Unterstutzungsmoglichkeiten
4.1 Jugendhilfemaftnahmen
4.2 Intensivgruppen
4.3 Geschlossene Unterbringung

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„Eine Voraussetzung fur den Frieden ist der Respekt vor dem Anderssein und vor der Vielfaltigkeit des Lebens.“ Tenzin Gyatso, Dalai Lama (*1935)1

Was der vierzehnte Dalai Lama den Menschen mit diesem Zitat versuchte zu vermitteln, lasst sich auf viele Bereiche aus dem gesellschaftlichen Alltag ubertragen. Gerade das Anderssein ist in der heutigen Gesellschaft haufig verpont. Menschen, die nicht der ge- sellschaftlichen Norm entsprechen werden kritisch beaugt, haben oft mit Vorurteilen und sozialer Ausgrenzung zu kampfen. Gerade auch Heranwachsende beziehungsweise junge Erwachsene testen auf ihrem Weg zum erwachsen werden gerne ihre Grenzen aus und uberschreiten diese teilweise auch. Gerade diese „Grenzganger“ werden haufig auffallig und „sprengen“ die Vorgaben, Vorstellungen und Normen der Gesellschaft. Es wird Ihnen verboten, so zu sein, wie sie sind, dabei brauchen genau diese Jugendlichen sehr viel mehr als Verbote und Regeln.

Spatestens seit dem Film „Systemsprenger“, der im Jahre 2019 auf die Leinwand kam, wurde der Thematik der Kinder- und Jugendhilfe eine besondere Aufmerksamkeit zu Teil. Jugendliche, die einen schwierigen Lebensweg zu gehen haben, sowie unter emo- tionalen und sozialen Storungen leiden, waren plotzlich in aller Munde. Der Film erschut- terte die Zuschauer, zeigte schonungslos eine Welt, die vielen Mitgliedern unserer Ge­sellschaft im Alltag verborgen bleibt.

Dabei steigt die Anzahl an Jugendlichen, die Hilfe benotigen, mit jedem Jahr an. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien sind an ihrer Belastungsgrenze, auch die Nachfrage nach Platzen in Jugendhilfeeinrichtungen wachst. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Ausgaben fur die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland innerhalb der letzten zwan- zig Jahre nahezu verdreifacht. Statistiken, die zum Nachdenken anregen.

Diese Hausarbeit wird sich spezifisch mit der extrem schwierigen Randgruppe der Sys- temsprenger*innen beschaftigen. Ein spezielles Augenmerk soll dabei auf die Frage ge- legt werden, wie Jugendliche uberhaupt zu Systemsprenger*innen werden konnen, ob und wenn ja, wie Jugendhilfe diese jungen Menschen uberhaupt erreichen kann.

Neben der Annaherung an den Begriff „Systemsprenger“ soll in der Hausarbeit erortert werden, welche Ursachen fur systemsprengende Verhaltensweisen es geben konnte, gerade im Hinblick auf personliche, soziale und institutionelle Faktoren. AnschlieBend sollen ausgewahlte Unterstutzungsmoglichkeiten beziehungsweise unterstutzende Rahmenbedingungen beleuchtet und vorgestellt werden. Mit dem Fazit soll abschlie- Bend die eigentliche Fragestellung der Hausarbeit beantwortet werden, sowie gegebe- nenfalls Handlungsempfehlungen und Zukunftsaussichten mit dem Leser geteilt werden.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Hilfen zur Erziehung

Um Jugendlichen mit den genannten Problematiken, sowie deren Familien helfen zu konnen, gibt es in Deutschland ein dichtes Netz an JugendhilfemaBnahmen und Hilfen zur Erziehung (HzE). Diese werden im Sozialgesetzbuch, achtes Buch (SGB VIII) gere- gelt. Da traditionelle JugendhilfemaBnahmen haufig erst greifen, wenn bereits beste- hende Schwierigkeiten auffallig werden, gilt es bereits im Voraus preventive MaBnah- men zu treffen. Dazu gehoren beispielsweise stabile Lebens- und Familienumfelder fur Kinder, die Unterstutzung in schwierigen Lebenslagen wie beispielsweise Trennungssi- tuationen etc. und in akuten Situationen auch die zeitlich befristete Behandlung eines Problems. Dabei sollen besonders Institutionen und Einrichtungen im nahen Umfeld be- rucksichtig und einbezogen werden, um den betroffenen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu erleichtern. So lasst sich auch eine leichte Integration in den Alltag der Klien- ten schaffen und die Chance, dass die Zielgruppe die Angebote nutzt, steigt.

Sollte die Pravention nicht erfolgreich gewesen sein, so greifen ab einem gewissen Punkt die sogenannten Hilfen zur Erziehung. Ein wesentliches Ziel der HzE ist beispiels- weise die Integration problematischer Kinder und Jugendlicher. Soziale Ausgrenzung soll moglichst verhindert und eine Stigmatisierung soll vermieden werden. Das Gesamt- konzept von Erziehungshilfen kann im Allgemeinen nur gelingen, wenn eine gewisse Partizipation von Kindern und Eltern bei der Hilfeplanung und auch bei der Hilfeerbrin- gung erfolgt.2

Zu dem Trend, dass in den vergangenen Jahren ein enormer Bedarfsanstieg an Kinder- und JugendhilfemaBnahmen zu verzeichnen ist, passt auch, dass der gesamte Arbeits- bereich der Hilfen zur Erziehung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich ausgebaut, erweitert und auch differenziert wurde.3 Vor genau zehn Jahren, im Jahr 2012, uberstieg die Anzahl an Erziehungshilfen-Beziehern die Millionenmarke.

Dabei kommen verschiedenste Formen der HzE zum Einsatz. So zum Beispiel die Er- ziehungsberatung nach § 28 SGB VIII. Neben der Beratung gibt es die sozialpadagogi- sche Familienhilfe nach § 31 SGB VIII oder in dringlicheren Fallen auch die Heimerzie- hung bzw. eine sonstige Wohnform nach § 34 SGB VIII. Auch besondere Unterstutzung fur seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a SGB VIII wird in Form von Eingliederungshilfen angeboten. Eine detaillierte Beschreibung der einzelnen HzEs uberschreitet den Rahmen dieser Hausarbeit. Aus diesem Grunde werden die HzEs hier lediglich genannt, eine Beschreibung findet der Leser in den genannten Artikeln des SGB.

Anspruch auf eine derartige Unterstutzung bei der Erziehung eines Kindes hat laut SGB VIII ein Personenberechtigter dann, „[...] wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewahrleistet ist und die Hilfe fur seine Entwicklung geeignet und notwendig ist“4 Gewahrt werden die entsprechenden Hilfen nach MaBgabe der Paragraphen 28 bis 35 SGB VIII. Dabei richtet sich die Auswahl ganz dem Einzelfall entsprechend nach dem jeweiligen erzieherischen Bedarf. Wie bereits kurz angesprochen, ist hier die Einbeziehung des engeren sozialen Umfeldes des Klien- ten besonders wichtig.5

2.2 Der Begriff des Systemsprengers

Der Begriff des „Systemsprengers“ bzw. der „Systemsprengerin“ findet sich haufig im Kontext der Jugendhilfe aber auch im Rahmen stationarer Kinder- und Jugendpsychiat- rien (KJP) wieder. Trotz seiner haufigen Verwendung, gilt er als hoch umstritten, was sich auch anhand fehlender, einheitlicher Definitionen dieser Zielgruppe zeigt.6

Dies fuhrt zu immer wiederkehrenden Diskussionen, gerade in Fachkreisen, welcher Be- griff die genannte Zielgruppe am treffendsten beschreibt. Synonym verwendete Begriffe, die anstelle von der Begrifflichkeit Systemsprenger*in aufkommen und auch diskutiert werden, sind zum Beispiel „Problemjugendliche“ oder auch „die Schwierigsten“.7 Kritisch diskutiert werden alle dies Begriffe nicht zuletzt deshalb, weil sie gewisse Stig- matisierungen der Jugendlichen beinhalten und gegebenenfalls fordern.

Der Terminus des Systemsprengers wird, trotz der nicht vorhandenen, klaren Begriffs- klarung, des Ofteren in Fachliteratur mit psychiatrischem Kontext genutzt. Hier werden vorwiegend Klienten als Systemsprenger bezeichnet, die einen auBergewohnlich hohen Therapiebedarf haben, wahrend der Dauer der Therapie durch grenzuberschreitendes Verhalten auf sich aufmerksam machen und nicht zuletzt durch dieses pragnante Ver- halten den klinischen Alltag storen oder gar behindern.

Den vermeintlichen Systemsprenger*innen werden dadurch automatisch gewisse Cha- raktereigenschaften und / oder Verhaltensweisen zugeordnet, was dazu fuhrt, dass mit gewissen Verhaltensmustern die Assoziation des Systemsprengers einhergeht.8

Menno Baumann lehnt diese Haltung klar ab. Fur den bekannten Autor und Sozialpada- gogen weist der Terminus Systemsprenger keine gezielte Eigenschaft einer Personlich- keit auf und kann auch nicht als festzustellende Diagnose genutzt werden.9 Stattdessen sieht Baumann den Begriff des Systemsprengers als eine Art Interaktionsprozess zwi- schen Klienten und Hilfesystem. Und gerade dieses Hilfesystem ist Teil des Problems, denn nur innerhalb eines bestehenden Systems, kann ein Mensch uberhaupt erst als Systemsprenger bezeichnet werden. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht schon im systematischen Aufbau unserer Gesellschaft die Ursache fur systemsprengendes Ver- halten gefunden werden kann. Auch kritisiert Baumann die hohe Stigmatisierung die der Begriff mit sich bringt, da mit der Verwendung des Begriffs die Verantwortung fur poten- tielles Scheitern einer Hilfe auf den betroffenen jungen Menschen abgeschoben wird.10 Basierend auf diesen Erkenntnissen gelangte Baumann 2014 zu folgender Definition des Begriffes Systemsprenger:

„Hoch - Risiko - Klientel, welches sich in einer durch Bruche gepragten negativen Inter- aktionsspirale mit dem Hilfesystem, den Bildungsinstitutionen und der Gesellschaft be- findet und diese durch als schwierig wahrgenommene Verhaltensweisen aktiv mitgestal- tet.“11

Mit der Bezeichnung „Hoch - Risiko - Klientel“ gehen zwei Bedeutungen einher. Erstens werden die Kinder und Jugendlichen wahrend ihres Reifeprozesses einem erhohten Ent- wicklungsrisiko ausgesetzt, und zweitens stellen aber auch sie selbst ein erhohtes Risiko dar. Dabei wird im ersten Abschnitt der Definition auf die schwierigen aufteren Bedin­gungen eingegangen, was sich durch die Formulierung der „durch Bruche gepragten“ Erfahrungen der Klienten zeigt. Nicht selten erleben die Kinder und Jugendlichen Unbe- standigkeit, das Zerbrechen sozialer Beziehungen und auch haufige Systemwechsel. Dadurch entwickeln die jungen Menschen auffallige Verhaltensweisen. Die immer wie- derkehrende, entsprechende Zuordnung dieses negativen Verhaltens bringt sie dann in den Teufelskreis der „negativen Interaktionsspirale“.

[...]


1 Gyatso, o.J

2 Vgl. Ritzmann / Wachtler, 2008, S.16 ff.

3 Vgl. Pothmann / Rauschenbach, 2014, S. 33 ff.

4 SGB VIII, §27, Abs. 1

5 Vgl. SGB VIII, §27, Abs. 2

6 Vgl. Kieslinger / Dressel / Haar, 2021, S. 16

7 Vgl. Baumann, 2020, S. 13

8 Vgl. Baumann, 2020, S. 14

9 Vgl. Baumann, 2019, Video, Min. 2:03 bis 2:32

10 Vgl. Baumann, 2020, S. 14

11 Baumann, 2014 zit. nach Baumann, 2019, S.7

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Wie werden junge Menschen zu "Systemsprenger*innen"? Unterstützungsmöglichkeiten der Jugendhilfe
Hochschule
Hochschule Fresenius Idstein
Note
1,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
19
Katalognummer
V1245473
ISBN (eBook)
9783346671080
ISBN (Buch)
9783346671097
Sprache
Deutsch
Schlagworte
menschen, systemsprenger*innen, unterstützungsmöglichkeiten, jugendhilfe
Arbeit zitieren
Laura Helena Glunk (Autor:in), 2022, Wie werden junge Menschen zu "Systemsprenger*innen"? Unterstützungsmöglichkeiten der Jugendhilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1245473

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