Das Fernsehbild im Film. Zur Adaption von Fernsehästhetiken im Film am Beispiel von François Ozons „Sitcom“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

24 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Filmische Daten

2. Einleitung

3. „ Sitcom “ zwischen Fernsehserie und Kinofilm – eine Analyse
3.1 Familienbild mit Ratte – Analyse des Films „Sitcom“
3.1.1 Das Figurenkabinett in „ Sitcom
3.1.2 Gefängnis der Kultur / Freiheit der Sexualität – Zeichendiskurse in „ Sitcom
3.2 Vom Fernsehbild zum Kinobild „Sitcom“ im Zeichen der Intermedialität

4. Über den Abfall – Wahrnehmungen des Fernsehdiskurses unter Einbeziehung Pierre Bourdieus und John Fiskes
4.1 Das Fernsehen und gesellschaftliche Macht – Pierre Bourdieu und das Massenmedium
4.1.1 Trash versus Kunst – Benennungsmacht und Fernsehen
4.1.2 Kitsch und Kunst – kulturelle Praxis in der Gesellschaft
4.1.3 „ Über das Fernsehen “ – Bourdieus Fernsehvorträge
4.2 Kultur und Populärkultur – Fernsehen und John Fiske
4.2.1 Lektüre des Populären nach John Fiske

5. Fazit

Literatur

1. Filmische Daten

Titel: Sitcom

Buch/Regie: François Ozon

Kamera: Yorick Le Saux

Musik: Éric Neveux

Farbe: color

Tonverfahren: Dolby SR

Produzent: Olivier Delbosc und Marc Missonnier

Schnitt: Dominique Petrot

Darsteller: Évelyne Dandry, François Mathouret, Marina de Van, Adrien de Van u. a.

Laufzeit: 85 Minuten

Frankreich 1998[1]

2. Einleitung

In dieser Hausarbeit möchte ich mich mit der Adaption von Fernsehästhetiken in François Ozons „ Sitcom “ befassen. Ausgangspunkt der Überlegungen soll dabei eine Analyse des Films darstellen, die sich vornehmlich mit der Aneignung und Fortentwicklung fernsehästhetischer Prinzipien auseinandersetzen wird. Dem soll eine allgemeine Überlegung zur medialen Transformation von Fernsehbildern in Kinobilder, vor dem Intergrund intermedialer und intertextueller Diskurse am Beispiel des Films „ Sitcom “ folgen. Abgeschlossen wird diese Arbeit durch eine Reflexion der Fernsehbeurteilung im öffentlichen Diskurs, wobei die Schriften von John Fiske und Pierre Bourdieu als zentrale Anhaltspunkte eines diskursiven Feldes der Medienbeurteilung im Spannungsfeld zwischen Fernsehverachtung und Fernsehen als Projektionsfläche öffentlicher Diskurse zu untersuchen seien werden.

Dem sei – an dieser Stelle – eine kurze Einführung in das Filmwerk und die Person François Ozons vorangestellt: François Ozon wurde am 15. November 1967 in Paris geboren und drehte seinen ersten Film – „ Photo de famille[2] – bereits 1988, dessen zentrales Schlussmotiv (siehe Fußnote) in „ Sitcom “ wieder aufgegriffen wird. Bereits in seinen frühen Amateurfilmen zeigt Ozon einen Zweifel an der Stabilität bürgerlicher Lebensformen. Der scheinbaren bürgerlichen Idylle werden, im Verlauf seiner Geschichten, Bilder gegenübergestellt, die die Porosität und Konstruiertheit der bürgerlichen Existenz verdeutlichen. Ein weiteres zentrales Motiv Ozons ist, in diesem Zusammenhang, die fluide Form der Sexualität, die auch in Bezug auf „ Sitcom “ sowie in dem Seriengenre der Daily Soap eine Rolle spielt.

Abschließend sei in dieser Einleitung noch erwähnt, dass „ Sitcom “ Ozons erster Langfilm war. Dieser Produktion waren Kurzfilme wie „ Regarde la mer[3] vorausgegangen. Ozon zeigt als Filmautor des Jeune Cinéma eine beeindruckende Virtuosität in der Narration. Seine Geschichten überraschen stets mit an Subversion heranreichenden Wendepunkten ohne, dass das Werk seine Leichtigkeit verliert. Ozon ist – im besten Sinne – ein Zeichner der Oberfläche.

3. „ Sitcom “ zwischen Fernsehserie und Kinofilm – eine Analyse

Der Titel des Films weist auf die Bedeutung des Fernsehens und ihre Serienproduktionen hin. Tatsächlich zeigen sich zahlreiche Adaptionen und Referenzen auf serienspezifische Phänomene sowohl in der Ästhetik als auch in der Dramaturgie des Films. Zunächst möchte ich den Film jedoch losgelöst von diesen intermedialen Dimensionen betrachten. Im Folgenden soll der Film daher zunächst in seiner immanenten Struktur anhand seiner Figuren analysiert werden. Anschließend möchte ich über die Besprechung ausgewählter filmischer Zeichen die – teilweise – Übernahme fernsehspezifischer Formen untersuchen. Schließlich soll eine Überlegung der Transformation des Fernsehbildes zum Kinobild diese Analyse abschließen.

3.1 Familienbild mit Ratte – Analyse des Films „Sitcom“

Der Film beginnt – nach dem Aufziehen roter Theatervorhänge, die den Film hier klar als Inszenierung einer fiktiven Handlung auf der ‚ filmischen Bühne ’ kenntlich machen – mit der Ankunft der Figur des Vaters, das Zuhause erscheint in der Totalen als großbürgerliche Villa in einer nicht näher zu spezifizierenden parkartigen Umgebung. Nach Betreten des Hauses lässt sich das Geschehen nur anhand der Tonspur, durch den Rezipienten nachvollziehen, da sein Blick auf das Äußere des Anwesens beschränkt bleibt. Einem einsetzenden Geburtstagsständchen folgt unvermittelt ein schockiertes „ Mais Jean, pourquoi?[4], den begleitenden Geräuschen ist das Ziehen einer Pistole zu entnehmen, der gänzliche Abschuss der Familie setzt ein. Anschließend weist ein Textinsert mit der Aufschrift: „ Quelques moi plus tôt …[5] auf eine erste Chronologie der folgenden Ereignisse hin.

Zeit wird im Verlauf des Films stets vage gehalten und nicht präzisiert, die Handlungen die sich nicht in Bild oder Ton unmittelbar auf der Kinoleinwand ereignen werden nicht durch Textinserts oder im Dialogfluss rekonstruiert, außerhalb der audiovisuellen Präsenz stattfindende Ereignisse und Entwicklungen sind auf die Konstruktionen des Zuschauers angewiesen.

Insgesamt spielt der Film mit der Opposition bürgerlicher Konformität und individualisierter Libido. Jeder Protagonist erlebt durch den Kontakt mit der Ratte eine Wandlung. Auslöser der spezifischen Veränderung ist die Ratte, die die konditionierten Strukturen bürgerlichen Lebens erodieren lässt um sie durch ebenso plakativ wirkende Signale einer selbstbefreiten Anarchorealität zu ersetzen. Die Passivität der Charaktere wird durch Aktivität ersetzt. Die destruktiven Elemente dieser Wandlung werden durch den kollektiven Mord am Vater – Jean (François Marthouret)[6], der die kulturell überformte Bürgerlichkeit selbst darstellt und schließlich durch das Verzehren der Ratte zum Monster wird – überwunden.

Die eigentliche Exposition setzt dabei jedoch erst mit der Ankunft des Hausmädchens Maria (Lucia Sanchez)[7] ein. Die Figuren werden nacheinander dem Zuschauer präsentiert, die Ratte wird durch den Vater in die Familie gebracht. Der Film entwickelt sich hauptsächlich durch seine Figuren, weswegen diese im Folgenden, unter Einbeziehung der Ratte als auslösendes Ereignis, einzeln betrachtet werden.

3.1.1 Das Figurenkabinett in „ Sitcom “

Die Figuren in „ Sitcom“ erscheinen an der Oberfläche als bloße Klischees, als Stereotypen einer an das Titel gebende TV-Genre orientierten Dramaturgie. Entwicklungen der Figuren finden in diesem Sinne nicht statt viel mehr werden die Klischees ausgetauscht. Die Charaktere erscheinen wie direkt dem Fernsehen entnommen und austauschbar. Das jeweilige Verhalten wird filmisch weder erklärt noch hinterfragt; einzig die unmittelbare Präsenz ist es, die diese ‚Charakterschatten’ abbildet. Ein Wechsel zwischen den Extremen konformistischer Bürgerlichkeit und tabuloser Abgründe, im Verlauf des Films, zeichnet dabei – wie bereits erwähnt – die einzelnen Figuren aus.

Maria (Lucia Sanchez): Maria begegnet dem Zuschauer erstmals, bei ihrem Antritt der Stelle als Haushaltsgehilfin im Anwesen der Familie. Von Beginn an fällt sie durch ihre Wandelbarkeit auf, dies zum einen durch den häufigen Wechsel des äußeren Erscheinungsbildes, zum anderen durch die Interaktionen mit den einzelnen Charakteren. Die Veränderung durch den Kontakt mit der Ratte stellt sich bei ihr als nicht so fundamental dar wie etwa die der einzelnen Familienmitglieder. Einzig das nun aktive Ausleben ihrer Sexualität und die am Ende angedeutete lesbische Beziehung zu Héléne können auf den Kontakt mit der Ratte zurückgeführt werden.

Héléne (Évelyne Dandry): Héléne scheint sich vordergründig ganz und gar in ihrer Mutterrolle zu erfüllen, die um sie herum stattfindenden Veränderungen werden verdrängt und durch sie verweigert. Filmisch wird dies besonders durch das Verstopfen der Ohren vorm Schlafen deutlich. Sie lehnt zunächst entschieden die Ratte ab und nimmt sich ihrer erst in totaler Verzweiflung an. Nach ihrem Kontakt beginnt sie jene Formen von Liebe und Kommunikation, die sie sich vergeblich von ihrer Familie erhofft, aktiv zu suchen und landet schließlich im Bett ihres Sohnes Nicholas, den sie von seiner Homosexualität, mittels Inzest, ‚heilen’ will. Sie veranlasst den Aufenthalt in einem Sanatorium um die innerfamiliären Probleme zu lösen.

Jean (François Marthouret): Jean als Ehemann und Vater wirkt – wie bereits erwähnt – besonders passiv und stellt den Stereotyp eines intellektuellen Bildungsbürgers da. Ebenso wie Héléne, zeigt auch er Formen von Verdrängung, so kann beispielsweise das Aufsetzen der Schlafmaske als eine Verweigerung der Anerkennung des Offensichtlichen interpretiert werden. Besonders auffällig ist sein Desinteresse gegenüber der Familie im Allgemeinen und seiner Frau im Speziellen, Problemen begegnet er ausschließlich mit dem Rückzug auf philosophische Plattitüden und tradierte Wissensbestände. Er ist es aber auch, der die Ratte in die Familie bringt, von dieser aber am längsten unangetastet bleibt. Während des Aufenthalts der Familie im Sanatorium, an dem er nicht teilnimmt, sieht der Zuschauer eine Traumsequenz in der er seine Familie erschießt, das zu Anfang des Films nur zu hörende Ereignis (siehe oben) wird so im Bild präzisiert. Nach diesem Traum verzehrt Jean die Ratte und verwandelt sich selbst in eine – ungleich größeren Ausmaßes. Diese Metamorphose stellt den Übergang vom Bildungsbürger zum Triebwesen in Form des Tieres dar, dessen Vernichtung durch die Familie erst das Leben zum Wohle aller ermöglicht.

Sophie (Marina de Van)[8]: Ebenso wie die anderen Figuren erlebt auch die Tochter Sophie einen Wandel von einer passiven zu einer aktiven Figur nach dem Kontakt mit der Ratte. Einem erfolglosen Suizidversuch folgt, nach einer filmisch nicht artikulierten Zwischenzeit, eine neue Identität als Rollstuhl fahrende Domina, der nichts wichtiger zu sein scheint als sexuelle Befriedigung, die sie gleichsam gewalttätig wie selbstzerstörerisch einfordert. Die destruktiven Tendenzen kommen, ebenso wie die Lähmung ihrer Beine, erst nach dem Sanatoriumsaufenthalt und dem anschließenden Mord, an dem zur Ratte gewordenen Vater, zum Erliegen.

Nicholas (Adrien de Van): Der Sohn der Familie erscheint zunächst als der Stereotyp eines introvertierten ‚Strebers’ um nach dem Kontakt mit der Ratte ein Klischee des Homosexuellen darzustellen. Filmisch tritt bei ihm vor allem das Gefängnis Motiv hervor in seiner Annäherung an den Rattenkäfig nimmt die Kamera die Position der Ratte ein. Die Gitterstäbe, die in ihrer vertikalen Ausrichtung nicht mehr den horizontalen Käfigsträngen entsprechen, erscheinen so als Gefängnis Nicholas, als dessen Befreiungsgehilfe die Ratte in den folgenden Einstellungen wirkt. Das offene Bekenntnis zur Homosexualität, deren Ausleben in einer späteren Sequenz als orgiastisch angedeutet wird, markiert hier den Übergang von einer passiven zu einer aktiven Figur.

David (Stéphane Rideau): Sophies Freund, David hat als Einziger kein Kontakt zur Ratte und ist am wenigsten filmisch präsent. Er fällt lediglich durch eine bedingungslose Liebe zu Sophie auf und hilft bei der Vernichtung des Vaters. Er selbst bleibt passiv; jede Aktivität, beispielsweise auch der Betrug Sophies mit Maria geschieht durch das Betreiben der anderen Figuren.

Abdu (Jules-Emmanuel Eyoum Deido): Abdu wird zunächst als Ehemann Marias vorgestellt, der aber bald nach seinem Kontakt mit der Ratte seine Homosexualität erkennt und Nicholas verführt. Im weiteren Verlauf des Films erscheint er nur jeweils kurz als Hélénes Vertrauter, Nicholas Geliebter und am Ende auch als dessen Beziehungspartner.

Abschließend lässt sich feststellen, dass der mit dem Kontakt zur Ratte einher gehende Wechsel zwischen Passivität und Aktivität eben jenes Verhältnis zwischen einschränkender Kultur und selbstbefreiter Natur des Individuums verhandelt. Insbesondere zeigt sich dieser Wechsel in der sich veränderten Auslebung, respektive Entdeckung der Sexualität, die sich hier als Grundlage des filmischen Diskurses offenbart. Die Vernichtung des Vaters in Gestalt des Monsters erscheint demzufolge als eine Rückbesinnung auf den Wert der Kultur und Zivilisation. Ein Mittelweg zwischen Kultur und Natur, Ratio und Emotion, Familie und Individuum erscheint so als erstrebenswertes Lebenskonzept im Kontext des filmischen Diskurses. Die filmischen Zeichen dieses Diskurses sollen im Folgenden, auch auf ihren Bezug zum Fernsehen, näher untersucht werden.

[...]


[1] Quelle: www.imdb.com

[2] Photo de famille (Frankreich 1988): Ein Amateurfilm Ozons, in dessen Verlauf er seinen Bruder die gesamte Familie umbringen lässt. Der Film endet mit einer makaberen Einstellung, die die Ermordeten (Vater, Mutter und Schwester) auf dem Sofa sitzend zeigt der Bruder Ozons setzt sich zwischen die leblosen Körper der einzelnen Familienmitglieder und betätigt den Selbstauslöser der Photokamera.

[3] Regarde la mer (Frankreich 1997): Kurzfilm Ozons, der die Begegnung zweier Frauen zum Thema hat und über seine Protagonistinnen zunächst die bürgerliche mit der freien Lebensphilosophie vergleicht. Eine besondere Subversion des Sujets liegt im Mord, mit dem der Rezipient - am Ende des Films - unvermittelt konfrontiert wird.

[4] Zitiert nach synchronisierten Untertitel des Films.

[5] Die, in Folge dieser Hausarbeit auftretenden, Zitate aus dem Film werden ausschließlich in französischer Sprache und nach entsprechenden Untertiteln oder filmimmanenten Textbeständen vorgenommen, weswegen in der Regel im Folgenden auf weitere Quellenverweise, insofern direkt aus dem Film zitiert wird, verzichtet werden wird.

[6] François Marthouret ist insofern eine interessante Besetzung, als das er in Frankreich vor allem als Fernsehschauspieler bekannt ist, so wirkte er beispielsweise in der Krimiserie, Julie Lescaut" (Frankreich 1992-….), in der Rolle des Paul Lescaut von 1992 bis 2000 mit und in dem Fernsehfilm „ Bonjour tristesse “ (Frankreich 1995) in der Rolle des Raymond

[7] Lucia Sanchez wirkte bereits zuvor in Ozons Kurzfilm „ Une robe d’été “ von 1996 in der Rolle der Lucia mit.

[8] Marina de Van, spielte bereits die mörderische Reisende in Ozons Kurzfilm „ Regarde la mer “.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das Fernsehbild im Film. Zur Adaption von Fernsehästhetiken im Film am Beispiel von François Ozons „Sitcom“
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
2,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V124591
ISBN (eBook)
9783640297849
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Arbeit zitieren
Magister Artium Philipp Blum (Autor:in), 2006, Das Fernsehbild im Film. Zur Adaption von Fernsehästhetiken im Film am Beispiel von François Ozons „Sitcom“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124591

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