Das Reale und das Irreale in “Der Herr der Ringe”. Formen, Funktionen und implizierte Weltansichten


Seminararbeit, 2021

33 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literarische Einordnung von „Herr der Ringe“
2.1. Definition „Phantastische Literatur“
2.2. Definition „Realismus“

3. Realismus in Phantastischer Literatur

4. Analyse des „Level of histoire“
4.1. Raumliches Setting
4.2. Zeitliches Setting
4.3. Handlung
4.4. Figuren
4.5. Figurenkonstellation

5. Analyse des „Level of discours“
5.1. Erzahlsituation und Erzahlform
5.2. Erzahlperspektive
5.3. Erzahlzeit und Erzahlte Zeit
5.4. Ebene des Klanges
5.5. Ebene der Morphologie
5.6. Ebene der Syntax
5.7. Ebene der Semantik

6. Conclusio

7. Bibliographie
7.1. Primarliteratur
7.2. Sekundarliteratur

1. Einleitung

Durch die vorliegende Arbeit mit dem Titel „Das "Reale" und das "Irreale" in “Der Herr der Ringe” - Formen, Funktionen und implizierte Weltansichten“ wird J. R. R. Tolkiens Trilogie „Herr der Ringe“ analysiert. Der Fokus der Analyse liegt dabei auf der Unterscheidung zwischen realitatsherstellenden und realitatsbrechenden Mechanismen, wie diese erreicht werden, und welche Wirkung sie auf die Rezipienten haben. Aufterdem wird versucht, die enthaltenen Weltansichten der Erzahlung darzustellen.

Aus diesem Grund wird zuerst eine literarische Einordnung des Werkes angestrebt, bevor die beiden Definitionen „Phantastische Literatur“ und „Realismus“ geklart werden. Anschlieftend sollen werden realistische Funktionen in der phantastischen Literatur naher beschrieben, wobei sich die Strategien zur Realitatsherstellung unter anderem auf Christine Brooke-Roses (1981) Theorie aus „A rhetoric of the unreal“ beziehen, die wiederum auf die Auslegungen von Hamons „Fifteen procedures of realism“ und Tzvetan Todorov zuruckgreift.

In Bezug darauf wird schlieftlich anhand einer narrativen Textanalyse versucht, realistische Prozeduren in der „Herr der Ringe“-Trilogie schrittweise zu untersuchen. Anhand diverser Textpassagen und Beispielen aus den drei Banden soll dies anschaulicher und besser verdeutlicht werden. Daher wird die Arbeit in zwei grofte Hauptteile gegliedert. Einerseits wird eine Analyse des „Level of histoire“ vorgenommen, wobei raumliches und zeitliches Setting, die Handlung, die Figuren sowie die Figurenkonstellation des Textes genauestens untersucht werden. Andererseits findet eine Analyse des „Level of discours“ statt. Hierbei werden zuerst die Erzahlsituation, -form und -perspektive beleuchtet. In einem nachsten Schritt sollen dann realistische Prozeduren im Hinblick auf Erzahlzeit und erzahlter Zeit aufgedeckt werden. Anschlieftend sollen auch die Ebene des Klanges, der Morphologie, der Syntax und der Semantik analysiert werden, denn auch dort sind bestimmt einige Techniken und Funktionen vorzufinden, die das Werk Tolkiens authentischer wirken lassen. Schlussendlich werden in einer Konklusion die wichtigsten Erkenntnisse festgehalten.

2. Literarische Einordnung von „Herr der Ringe“

J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“- Reihe steht zwischen Unterhaltungsliteratur und

Hochliteratur. Fur beide Begriffe liegen keine eindeutigen Definitionen vor, und auch im Werk selber, lassen sich Formen beider Arten von Literatur finden. Dem Inhalt bzw. Stoff nach, ist „Herr der Ringe“ dem Epos zuzuordnen. Typische Hinweise, dass es sich um Hochliteratur handelt, sind beispielsweise die Leserlenkung, der Erwartungshorizont, die Multiperspektive sowie die Entwicklung des Protagonisten zu einem vollwertigen Charakter. Ebenso sprechen die Sprache und der Stil, aber auch vorhandene Gedichte fur eine Zuordnung des Werkes zur Hochliteratur. Unterhaltungsliteratur wiederum wird durch eine einfache Sprache, eine lineare Handlung und stereotype Figuren gekennzeichnet. Diverse verwendete Motive aus dem Marchen, wie auch das Happy - End, machen eine Zuordnung zur Unterhaltungsliteratur moglich. (vgl. Doffinger 1997: 10) Der Aufbau und die Art des Erzahlens dieses phantastischen Epos gehen auf Joseph Campbells Modell der „Heldenreise“ zuruck. Er vertritt die Meinung, dass viele Geschichten die gleichen Strukturen und Symbole enthalten. (vgl. Wiringer o.J., online)

Die Tatsache aber, dass Tolkiens „Herr der Ringe“ eine detaillierte Form des Erzahlens verwendet, spricht dafur, das Werk der Hochliteratur zuzuschreiben. Die bis ins Detail geplante Welt von Mittelerde, die eigens kreierten Sprachen und verwendeten Namen, sowohl von Orten als auch von den Charakteren, lassen die Geschichte beinahe schon wahrhaftig und real wirken. (vgl. Doffinger 1997: 10)

Nach diesem Versuch der literarischen Einordnung sollen nun in den kommenden Unterkapiteln die Begriffe „Phantastische Literatur“ sowie „Realismus“ definiert werden, um anschlieftend durch eine Analyse eine Unterscheidung von realen und irrealen Elementen und Formen in diesem Werk vorzunehmen.

2.1. Definition „Phantastische Literatur“

Es gibt, was die „Phantastik“ in der Literatur anbelangt, nicht nur eine richtige Definition, sondern zahlreiche Definitionen. Auch eine verschwimmende Grenze zwischen phantastischer Literatur und Fantasy kann wahrgenommen werden. Roger Caillois (1966) hat eine wichtige Definition in seinem Aufsatz „L'image fantastique“ festgelegt. Darin wird Phantastik als etwas beschrieben, worin sich Ubernaturliches zeigt, „wie ein Rift sic! in dem universellen Zusammenhang.“ (Caillois 1966: 46)

Wunder konnen sich in Aggressionen umwandeln, und die Welt, wie wir sie kennen sowie ihre Gesetze, wirken aufgelost und ungultig.

Eine weitere Definition wird im „Lexikon der phantastischen Literatur“ vorgelegt, in welchem sich der Autor auf Caillois bezieht, aber dessen Ansichten negiert. Er ist der Meinung, dass phantastische Literatur bzw. das Phantastische an sich kein Riss in der Wirklichkeit sei, sondern eine Realitat, die das, was wir bereits kennen, wie eine phantastische Verkurzung erscheinen lasst. (vgl. Doffinger 1997: 130) Phantastik wird dabei als Genre neben Science-Fiction und der phantastischen Literatur angefuhrt. Damit sind Erzahlungen gemeint, die in einer Welt spielen, die nicht unserer eigenen entspricht. Ein bestimmtes Setting ist enthalten, welches die Erzahlung braucht, um zu gelingen. Dies kann also eine mittelalterliche Welt sein, aber auch eine vollstandig imaginierte prahistorische Welt, wie es auch in „Herr der Ringe“ der Fall ist. Mit dem Genre der Phantastik geht ein sogenannter Eskapismus einher, der grundsatzlich in der phantastischen Literatur eher unublich ist. (vgl. Doffinger 1997: 131)

Diese zuvor beschriebenen Definitionen stammen aus dem 20. Jahrhundert. Uber viele (hundert) Jahre hinweg, haben sich Motive, Settings und Charaktere verandert und dem Zeitgeschmack angepasst.

In ihrem Werk „A rhetoric of the unreal“ verweist die Autorin Christine Brooke-Rose auf Tzvetan Todorov, der die „phantastische Literatur“ weiter untergliedert. Er unterscheidet die „unheimliche Phantastik“, in der ubernaturliche Ereignisse erwahnt werden, die „pure Phantastik“, in welcher Mehrdeutigkeiten vorherrschen, ob Ereignisse ubernaturlich oder naturlich sind, und die „wunderbare Phantastik“ (the „marvellous“), worin ubernaturliche Phanomene akzeptiert werden. Das Schema ist an beiden Enden offen, und manche Werke besitzen gemischte Formen. (vgl. Brooke-Rose 1981: 233-234) Angesichts dessen kann „Herr der Ringe“ der „puren Phantastik“ laut Todorov zugeordnet werden, da Magie darin eindeutig vorkommt. (vgl. Brooke-Rose 1981: 235)

2.2. Definition „Realismus“

„Realismus“ ist in der Literaturwissenschaft ein asthetischer Begriff, welcher den Gegenstand sowie die Gestaltungsweisen der Kunst der Realitat zuschreibt. Bei dieser Definition ergibt sich jedoch ein grundlegendes Problem, denn die Begrifflichkeit „Realitat“ bzw. „Wirklichkeit“ ist nicht ganz eindeutig. Diese muss aber eindeutig bestimmt werden. Grundsatzlich setzt „Realismus“ voraus, dass „eine sinnlich und pragmatisch konstituierte Erfahrungswelt auf naturgesetzlicher Basis als „Realitat“ gilt“. (Ritzer 2007: 217) Dabei gibt es unterschiedliche Abstufungen bzw. Akzentuierungen dieser Wirklichkeitsauffassungen, die wiederum zu unterschiedlichen Auspragungen und Genres in der realistischen Literatur fuhren.

Des Weiteren wird unter „Realismus“ die Darstellung einer fiktiven Welt als „real“ verstanden. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen. Die literarische Fiktion beispielsweise entspringt einer Imitation der Natur, „Mimesis“ genannt. Eine Vergegenwartigung der Wirklichkeit entsteht durch diverse Darstellungsweisen, die den Prozess der Wahrnehmung nachvollziehen. (vgl. Ritzer 2007: 217-218)

Neben einer Vielzahl von Definitionen uber die Darstellung von Realitat soll in dieser Arbeit aber vor allem auf das Werk von Christine Brooke-Rose eingegangen werden, die sich insbesondere auf die Phantastik fokussiert, wozu „Herr der Ringe“ gezahlt werden kann, und Merkmale zur Unterscheidung von Realem und Irrealem aufzeigt. Die Autorin ist der Meinung, dass in diesem Jahrhundert eine sogenannte „Krise der Realitat“ vorherrscht. Deshalb sollten durchdachte Typologien von Strukturen ausgearbeitet werden, um Abweichungen von der Norm zu begrunden. Dies ist aber keine einfache Aufgabe, auch nicht, da es verschiedene Einstellungen und Mehrdeutigkeiten in Bezug zum Realitatsbegriff gibt. Platon beispielsweise war der Ansicht, dass, je wahrer Ideen sind, sie umso realer wirken. Diese, und viele weitere Ansichtsweisen, unterscheiden sich grundlegend, der grofte Unterschied ist aber, dass die Wahrnehmung von empirischer Realitat nicht mehr so sicher ist, da sie bereits uberall verbreitet ist. Was fruher als empirische Wirklichkeit galt, scheint immer mehr unwirklich zu werden. Umgekehrt gilt das, was als „unwirklich“ galt, immer mehr als „real“. Diese Umkehr von Realem zu Irrealem und Irrealem zu Realem scheint aus diesem Grund miteinander verbunden zu sein. (vgl. Brooke- Rose 1981: 3-4)

Brooke-Rose geht in ihrem Werk auch naher auf Todorovs Theorien ein, die unterschiedliche Aspekte im Hinblick auf unterschiedliche literarische Genres, und deren Bezug zum „Realismus“, darstellen. Da „Herr der Ringe“ der „Phantastischen Literatur“, genauer, wie bereits erwahnt, der „puren Phantastik“, zugeordnet wird, soll in den kommenden Kapiteln ein Uberblick uber reale und irreale Bestandteile sowie uber implizierte Weltansichten gegeben werden.

3. Realismus in Phantastischer Literatur

Die „Herr der Ringe“ - Trilogie enthalt, wie im vorherigen Kapitel dargestellt, Bestandteile der „puren Phantastik“. Bei naherer Betrachtung fallt aber auf, dass auch Mechanismen des „realistischen Romans“ eine grofte Rolle spielen. Brooke- Rose untersucht diese realistischen Formen, welche „Herr der Ringe“ maftgeblich beeinflussen.

Dafur greift sie auf Philippe Hamons „fifteen procedures of realism“ (Brooke-Rose 1981: 238) zuruck. Die Autorin geht noch weiter und teilt diese funfzehn Aspekte, welche realistische Verfahren beschreiben sollen, in zwei Kategorien auf, die „(pedagogic) plethora of information“ (Brooke-Rose 1981: 238), eine Fulle von Informationen sowie „(pedagogic) need for readability“ (Brooke-Rose 1981: 239), einer Notwendigkeit der Lesbarkeit. Beide Kategorien bilden einen fundamentalen Gegensatz des realistischen Diskurses, und beeinflussen einander die ganze Zeit. (vgl. Brooke-Rose 1981: 239) Nachfolgend soll ein kurzer Uberblick uber diese Verfahren gegeben werden, um anschlieftend eine Analyse des Werkes vorzunehmen.

Die erste Kategorie, welche Brooke-Rose beschreibt, enthalt sechs verschiedene Prozeduren, die zweite Kategorie funf. Ein wichtiger Bestandteil zur Darstellung von Realitat ist „the appeal to memory“, die Informationen uber die Vergangenheit und Zukunft der Fiktion voraussetzt. „Knowledge of the author circulated through substitutes“ enthalt spezielle Erkenntnisse, welche Charaktere und Funktionen herstellen, denn das Wissen des Autors wird oftmals durch bestimmte Vertreter, wie beispielsweise durch Charaktere, die eine Geschichte erzahlen, hergestellt. Auch der Aspekt „Description“ spielt eine fundamentale Rolle, denn das Reale in der Fiktion muss grundlich reprasentiert und beschrieben werden. Die Kategorie „Redundance and foreseeability“ wiederum spielt auf bestimmte Verhaltensweisen der Charaktere ab, durch welche zum Beispiel alltagliche Routinen und Handlungsablaufe dargestellt werden. Der funfte Bestandteil, „Cyclothymic rhythm of good / bad“ stellt eine Notwendigkeit dar, jede Gegenuberstellung zu uberprufen. Die „Defocalisation of hero“ wiederum geht davon aus, dass der Held sehr wichtig fur die Geschichte ist, der realistische Roman jedoch versucht, den Helden zu „deromantisieren“, indem er weniger wichtig erscheint. Deshalb scheitert in realistischen Erzahlungen der Held und die Geschichte endet meist tragisch.

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Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Das Reale und das Irreale in “Der Herr der Ringe”. Formen, Funktionen und implizierte Weltansichten
Note
3,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
33
Katalognummer
V1247273
ISBN (Buch)
9783346677785
Sprache
Deutsch
Schlagworte
reale, irreale, herr, ringe”, formen, funktionen, weltansichten
Arbeit zitieren
Christina Binter (Autor:in), 2021, Das Reale und das Irreale in “Der Herr der Ringe”. Formen, Funktionen und implizierte Weltansichten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1247273

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