Zu Marguerite Duras - Schreibwaise


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

24 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhalt

Vorwort

1. Am Anfang war kein Wort

2. Schreibweisen

3. Orte des Schreibens
3.1 Rue Saint-Benoît
3.2 Neauphle-le-Château
3.3 Trouville

4. Die Einsamkeit des Schreibens
4.1 Der Prozess des Schreibens
4.2 Schreiben als Existenz18

Schlusswort

Weiter Zitate von und über Duras

Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorwort

Vor zehn Jahren hörte Marguerite Duras auf zu schreiben.

Sie hinterlässt ein beeindruckendes Gesamtwerk, welches die Literaturwissenschaft nicht müde wird, zu diskutieren. Unzählige Aufsätze und Studien zu ihrem Leben und Werk zeugen, wenn nicht gar von ihrer literarischen Bedeutsamkeit an sich, so doch zumindest von einem unzähmbaren und internationalen Interesse. Eine weltweite Leserschaft macht das Phänomen Duras unsterblich. Das Rätsel Duras scheint jedoch unlösbar. Je eindringlicher man sich ihrem Œuvre zu nähern versucht, desto mehr Fragen bleiben offen.

Diese Arbeit hat die Durassche Dichotomie Einsamkeit und Schreiben zum Thema und will versuchen, diese unter verschiedenen Aspekten zu beleuchten. Zu Beginn richtet sich der Blick auf die Kindheit und Jugend von Marguerite Duras, denn hier liegen die feinen Wurzelhärchen ihres Schreibens, aus denen später ganze Wälder von Geschriebenen hervorgehen. Im Anschluss erfolgt ein skizzenhafter Querschnitt durch ihr Romanwerk, in dem aus narrativer Sicht die stilistische Entwicklung der Duras deutlich gemacht werden soll. Ferner folgt eine Untersuchung der Orte, die der Autorin als Wohn- und Produktionsstätte dienten. Punkt vier leitet zum Kern des Themas über, der Einsamkeit, welche als signifikanteste Voraussetzung für das Durassche Schreiben betrachtet werden muss. Die beiden folgenden Unterpunkte vertiefen das Thema der konkreten Schreibprozesse vom Beginn an bis hin zu der Frage, wo das Schreiben endet. Im Schlusswort sollen die Ergebnisse des Aufsatzes zusammengetragen werden.

1. Am Anfang war kein Wort

„Je veux écrire. Déjà je l’ai dit à ma mère: ce que je veux c’est ça, écrire. Pas de reponse pour la première fois. Et puis elle demande: écrire quoi? Je dis des livres, des romans. […] Elle est contre, ce n’est pas méritant, ce n’est pas du travail, c’est une blague – elle me dira plus tard: une idée d’enfant.“ (AM, S.29)

Dieser kurze Wortwechsel zwischen der fünfzehnjährigen Marguerite und ihrer Mutter scheint zunächst nicht außergewöhnlich. Die Identitätsfindung während der Pubertät trifft nicht selten auf elterliche Kritik. Nur allzu oft haben Eltern ihre eigenen Vorstellungen für die Zukunft ihrer Kinder und tun die juvenilen Pläne – vielleicht in Erinnerung an die eigene Jugend - als fixe Idee ab, so wie im obigen Zitat Marguerites Mutter Marie Legrand-Donnadieu. Da diese ohnehin nicht viel für ihre einzige Tochter übrig zu haben schien, setzte sie zumindest keine Anstrengungen daran, Marguerites Pläne gewaltsam zu vereiteln. Dennoch litt Marguerite sehr unter der offensichtlichen Bevorzugung des Erstgeborenen Sohnes Pierre und dessen Drangsalierung ihres geliebten Bruders Paul.[1] Die innerfamiliären Spannungen, fehlende Mutterliebe und eine regelrechte Non-Kommunikation treiben sie schon bald aus dem Schoß der Familie hinein in das große Unbekannte namens Einsamkeit. Sie ist allein. Unter diesen äußerst widrig erscheinenden Umständen, kann man sich natürlich bezüglich ihrer literarischen Sozialisation die Frage stellen, woher ihre Idee, Bücher zu Schreiben, rührt. Dominique Denes führt in diesem Zusammenhang den jungen Sartre an, welcher leibhaftig zwischen Büchern aufwuchs und man darin seinen Weg als Schriftsteller vorgezeichnet finden konnte. Ganz im Gegensatz dazu stellt sie die kleine Marguerite: „Enfant, elle n’aura pas davantage vécu au milieu des mots mais plutôt au sein de tensions familiales où la seule éloquence était celle du silence.“[2] Im Umkehrschluss kann man Denes’ Argument auch gleichermaßen dahingehend auslegen, dass gerade dieses familiäre Umfeld ihre anfängliche Motivation zu Schreiben manifestierte. Schon in frühster Jugend spürt Marguerite Duras zum ersten Mal die fundamentale Einsamkeit, die sie ihr Leben lang nicht verlassen wird und aus der sie schier endlos zu schöpfen weiß.

Marguerite ist Klassenbeste in Französisch, was ihre Mutter kaum honoriert. Parallel dazu spricht sie Vietnamesisch, eine Sprache, die sie auch im Abitur belegt und über die sie Jahrzehnte später, als sie schon lange in Frankreich lebt, noch folgendes berichtet: „Le vietnamien est une langue monosyllabique, simple, qui ne comporte pas de conjonctions de coordination. Il n’y a pas de temps non plus. […] C’est beaucoup cela mon style, un report à la fin du mot majeur. Du mot qui compte.“[3] Duras schreibt Zeit ihres Lebens in ihrer Muttersprache Französisch, übernimmt jedoch diverse sprachliche Charakteristika des Vietnamesischen als Stil- und Ausdrucksmittel.[4] Dieses ist insofern bemerkenswert, als das das Vietnamesische die bzw. eine Sprache ihrer Kindheit und Jugend war, welche sie nach ihrer Rückkehr nach Frankreich nicht mehr gesprochen und somit im Laufe der Jahre fast vollständig verlernt hat. Doch durch die o.g. Technik gelingt es ihr, den Duktus ihrer „ersten Worte“ in ihr Schreiben zu integrieren und zu einem Wesensmerkmal zu machen, selbst wenn Lexik und Grammatik des Vietnamesischen sich mit zunehmendem Alter verflüchtigen. Das Vietnamesische ist in sprachwissenschaftlicher Terminologie eine isolierende Sprache, was in diesem speziellen Zusammenhang gar zweideutig aufgefasst werden kann, ist es doch die Isolation des Schriftstellers, die laut Duras, notwendige Voraussetzung für die Produktion von Geschriebenen ist.

In ihrem Bestseller L’Amant kehrt Duras, siebzigjährig, in ihre Jugend zurück. Sie erinnert sich an ihre Familie, deren Überlebende sie ist. Im Buch erinnert sich das Mädchen Marguerite zu Lebzeiten der Brüder und der Mutter: „Et puis un jour il n’y en a plus. Ils sont morts maintenant, la mère et les deux frères. Pour les souvenirs c’est trop tard. Maintenant je les aime plus. Je ne sais plus si je les ai aimés. Je les ai quittés. […] C’est fini, je ne me souviens plus. C’est pourquoi, j’en écris si facile d’elle maintenant, si long, si étiré, elle est devenue écriture courante.“ (AM, S.38)

Marguerite, die Alleingelassene, macht sich mit diesen Worten selbst zur Waise. Nur so gelingt es ihr, innerhalb der Familie und gegen sie zu bestehen. Sie musste sich von ihrer Mutter sprichwörtlich „los-schreiben“; so lange, bis diese schließlich zur reinen Schreibweise ihrer Tochter transformiert ist. Sie wird die gedruckte Antwort jener unausgesprochenen Worte, die Marguerite nie von ihr zu hören bekam. Diese Entmaterialisierung der Mutter sowie der Brüder macht es der Duras möglich, sie trotz gegenteiliger Bekundungen bis an ihr Lebensende zu lieben. Die Wörtlichkeit der Durasschen Worte gilt es daher prinzipiell abzuwägen.

2. Schreibweisen

In der Retrospektive ist es zur gängigen Praxis geworden, Leben und Werk eines Künstlers in einzelne Phasen einzuteilen – ein Phänomen, das nur all zu schnell Gefahr läuft, einem gewissen Schematismus zum Opfer zu fallen. So wie das Leben vielfältigen dynamischen Prozessen unterliegt, sind nachträglich gezogene Periodengrenzen auch niemals starr, sondern fließend. Stets verschieben sie sich je nach Blickwinkel und Fragestellung. Das exakte Nachzeichnen eines Lebens- und Schaffensweges unter möglichst allen Gesichtspunkten führt von einer unvermeidlichen Abstraktion zur ungewollten Verzerrung. Da eine absolute Periodisierung also notwendig defizitär sein muss, soll diese im Hinblick auf das Durassche Œuvre sogleich relativiert werden. Wenn im Folgenden mögliche literarische Perioden der Duras skizziert werden, so stets auf der Ebene der narration. [5]

Wenn man heute den Namen Duras hört und nun auf ihr Gesamtwerk blicken kann, denkt man kaum mehr an eine Romancière, deren Stil konventionelles bzw. realistisches Gepräge erkennen lässt; und dennoch liegen ihre Wurzeln gerade dort. Cécile Hanania bezeichnet diese erste Schaffensphase als „pré-écriture durassienne“[6], als eine Art Vorbereitung auf das Schreiben. Diese Formulierung impliziert einerseits ein noch unausgereiftes Entwicklungsstadium und antizipiert andererseits bereits eine Veränderung innerhalb ihres zukünftigen Schreibens. Hanania kennzeichnet diese ersten veröffentlichten Texte der Duras auch als „balbutiments littéraires qui gardent encore la trace de maladresses et de conventions romanesques.“[7] In dieser ersten Periode schreibt Duras stark in der Tradition der großen amerikanischen Romanciers wie Hemingway, Melville oder Cadwell. Ihre ersten drei erschienenen Romane Les Impudents (1943), La vie tranquille (1944), Un Barrage contre le Pacifique (1950) werden daher verschiedentlich auch als „romans américains“ bezeichnet. (Skutta, S.59) Sie bedient sich des allwissenden Erzählers und erlaubt sich Rückblenden und Abschweifungen zum Leben ihrer Protagonisten und zu Gegenständen. Sie entwirft realistische Bilder von Orten, sozialen Hintergründen oder Lebensweisen der Figuren. Ein Aufsatz von P. Descaves zu diesem Thema ist daher treffend überschrieben mit „Le roman français et la technique américaine.“[8]. In den 40er Jahren beeinflusst der amerikanische Realismus auch stark den italienischen Neorealismus und rückt damit auch in die geografische Nähe der Duras. Dies ist die Zeit, in der sie zu schreiben beginnt. Sie selbst sagt im Gespräch mit P. Hahn: „Le roman américain a exercé sur moi une grande influence qui se retrouve dans la première partie de mes œuvres.“[9]

Ihr Roman Les Petits chevaux de Tarquinia (1953) leitet eine neue Phase im Schreiben der Duras ein. Die Tendenz geht dahin, vordergründig wahrnehmbare Dinge zu offenbaren; die Wahrnehmung wird zur wichtigsten Quelle der Kenntnisvermittlung. „…la principale source des connaissances réside […] dans la perception directe des événements, ce qui est compatible pourtant – dans une mésure variable – avec l’omniscience du narrateur connaissant la vie intérieure de ses héros ou certaines choses qui sont dans un rapport moins étroit avec l’histoire elle-même.“ (Skutta, S. 58) Die Ereignisse werden szenenartig vor dem Auge des Lesers entfaltet. Hier kündigt sich bereits eine neue Technik an, welche ihre Romane bis in die späte Lebensphase dominieren werden. Das Kenntnisfeld des Erzählers wird mehr und mehr eingeschränkt. Beschreibungen werden knapper und nüchterner. Die Handlung ist auf eine kurze Dauer, einen (geschlossenen) Ort und einige wenige Personen beschränkt. Dies erinnert an die Postulate einer klassischen Tragödie. Oft sind die Handlungen banal und auf ein absolutes Minimum beschränkt. Durch die Technik des Wiederholens gelingt es der Duras einen bestimmten Erzählrhythmus zu kreieren, welcher der Banalität der Handlung Rechnung trägt. Das Iterative und Repetitive sind das ständige Vibrieren, die Bewegungslosigkeit, die Hitze und die Einsamkeit in Tarquinia .

In den Durasschen Romanen der zweiten Phase sind auffällig wenige geografische Eigennamen zu finden. Die Orte sind unbestimmt, abstrahiert, wie ein italienischer Strand (Tarquinia), ein reiches Haus (Moderato) odet ein spanisches Dorf (Dix heures et demie). Konkrete Orte sind nicht (mehr) nötig. Ihnen haftet eine bestimmte Atmosphäre an, welche für die jeweilige Geschichte hinreichend ist. Räume suggerieren eine äußere Bewegung bzw. Nicht-Bewegung, welche auch Spiegel des Innenlebens der Figuren sein können. Dies ist jedoch nicht im streng romantischen Sinne zu begreifen sondern vielmehr im Sinne des Durasschen Einsamkeitskonzepts: Der Ort ist die Unmöglichkeit, aus ihm und damit der Einsamkeit zu entkommen. Ein Ort bei Duras ist also der notwendige Raum für die Einsamkeit und damit von vornherein symbolisch aufgeladen.

Diese ersten Ausbruchsversuche aus dem traditionellen Romanmuster sind stilprägend für ihr weiteres Prosawerk. Alain Vircondolet äußert sich zu dieser Umbruchsphase folgendermaßen: „Le roman fut pour elle la forme évidente de l’expression intérieure; elle la conservera très longtemps mais tenta vite aussi de le faire éclater. [...] On peut observer que tres tôt des failles, des fractures se sont opérées, lézardant la construction même du roman traditionnel.“ (Vircondelet, 2000, S. 14) Von einem radikalen stilistischen Einschnitt kann nicht die Rede sein, eher von einem Durchsetzen und Durchmischen der traditionellen Formen mit neuen narrativen, sowie sprachstilistischen Elementen. Duras experimentiert mit verschiedenen Substanzen wie in einer chemischen Versuchsreihe. Im Laufe ihres Schaffens entwickelt sie dadurch eine eigene literarische Essenz, welche sich vor allem durch den Doppelcharakter ihrer Sprache auszeichnet. Nüchtern und objektiv auf der einen, poetisch, fast lyrisch auf der anderen Seite. Beide Elemente verschmelzen miteinander und gerade ihre seltsame Kombination macht den Reiz in Duras’ Werken aus.

In dem Nachfolger Tarquinia wird die psychologische Substanz der Figuren immer transparenter. Des journées entières dans les arbres (1954) wird dominiert durch kurze, jedoch relativ häufige psychologische Beobachtungen. Auch ist eine weitere Entschlackung der histoire auszumachen, welche schließlich sogar gänzlich wegrationalisiert wird. Der ein Jahr später erscheinende Roman Le Square ist gänzlich in Dialogform abgefasst. Diese fortschreitende Dialogisierung ist die Technik zur tieferen Psychologisierung der Figuren. Die Personen offenbaren sich in ihrer Wahrnehmung, ihren Handlungen und Reden. Wiederum ist man an das klassische Drama erinnert. Es ist durchaus nicht falsch von einer Dramatisierung des Romanesken zu sprechen, denn Querverbindungen zwischen ihren Romanen und ihrem Theater, selbst ihren Kinofilmen, sind nicht nur gewollt, sondern, im Falle der Duras, unvermeidlich. Gerade hier liegen auch ihre Originalität und ihr Neuerungswille. Sie schöpft die Freiheit des Schriftstellers voll aus und schöpft gleichermaßen aus derselben: undogmatisch, passioniert, selbstbewusst.

Der Entwurf fragmentarischer Bilder wird zum Markenzeichen der Duras. Die direkte Wahrnehmung der Figuren als vorherrschende Technik macht den Erzähler jedoch nicht obsolet. Von Zeit zu Zeit durchdringt er die Figuren, interpretiert deren Verhaltensweisen, offenbart deren Gedanken oder gibt objektive Hintergrundinformationen, welche durch die Figuren allein verborgen geblieben währen. In diesem Sinne nähert er sich der Instanz des allwissenden Erzählers an. Doch schon im nächsten Satz wird er wieder zum bloßen Zeuge der Handlung. „…le narrateur se garde de donner une image exhaustive et cohérente de ses héros.“ Er beschränkt sich auf eine „description allusive“. (Skutta, S.60f) Den Verzicht auf einen permanenten allwissenden Erzähler interpretiert Franciska Skutta in schlüssiger wie aufschlussreicher Weise: „En effet, par l’abandon du narrateur omniscient qui pourrait peindre une image exacte et définitive du monde ou donner une analyse exhaustive des personnages, l’auteur suggège probablement que l’on ne peut pas vraiment connaître le monde et les hommes, […] qu’ils nous restent au fond incompréhensible, absurdes.“ (Skutta, S. 90f)

Im Umkehrschluss ist es Duras also überhaupt nicht (mehr) möglich, sich des allwissenden Erzählers zu bedienen. Er steht ihr nicht länger zur Verfügung. Die Unmöglichkeit absoluter Menschen-Kenntnis begründet die literarische Unmöglichkeit absoluter Kenntnis der histoire. Der häufige Perspektivwechsel zwischen den Figuren und einem zeitweise aufblitzenden Erzähler wird zur Möglichkeit, ein Gleichnis für ihre Grenzen und Unmöglichkeiten zu schaffen. Duras’ Romane, wie auch ihr dramatisches und cinematografisches Œuvre, zeugen von einem tiefen Interesse an den Menschen, ihrer Verletzbarkeit, dem Willen, der Einsamkeit zu entkommen und dem ewigen Wunsch, miteinander zu kommunizieren.

Das ewige Problem des Schriftstellers wird wohl immer die relative Eingeschränktheit sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten sein. Das Lexikon stellt sich schon sehr bald als ungenügend und unbefriedigend heraus. Die Worte allein reichen nicht einmal aus, um die äußere Welt zu beschreiben geschweige denn etwas über innere Befindlichkeiten sagen zu wollen. „Pour sa tête et pour son corps, leur plus grande douleur et leur plus grande joie confondues jusque dans leur définition devenue unique mais innommable faute d’un mot.“ (zit. n. David, S. 172) Duras bedient sich daher eines stilistischen Vokabulars, um das Unsagbare vermittelbar zu machen. Das Wissen wird nicht über den direkten Weg der Sprache vermittelt, sondern erfährt einen mittelbareren Zugang über den Stil. Duras ist Meisterin der elliptischen Dialoge welche bis zu einer Nonsenskommunikation verkümmern kann. Duras entpuppt sich als wahre Sprachchirurgin. Sie amputiert, fragmentiert und deformiert die Wörter derart, dass der Stil am Ende zur Wortprothese wird. Michel David nennt ihre Schreibweise daher auch „écriture blessée“. (David, S.171) Die seelische Verwundung ihrer Protagonisten drückt sich in der z.T. bis zur Unverständlichkeit zerstückelten Sprache aus. Dieser stark symbolistische Stil repräsentiert die Leere und die Gegensätze in den Durasschen Figuren. „Marguerite Duras ne théorise pas mais persévère dans son style, jusqu’à l’incompréhension parfois, jusqu’au rejet quelquefois.“ (David, S. 165f)

Duras ist Wort wörtlich Sprach-Los. Sie lebt in einer „[m]onde déverbalisé“ (David, S. 169) Die Sprache entzieht sich ihr wie eine zurückweichende Meereswelle. Nur die zurückbleibende Gischt zeugt von ihrer Existenz. Aus den übrig gebliebenen Schaumflocken schöpft Duras ihre ephemere „Sprache“, die eine Sprache des Abwesenden ist: Karge Wortgruppen, zahlreiche Wiederholungen, Ellipsen, Versatzstücke ihrer Muttersprache, die nichts weiter ist als ein Lexikinventar, welches unausgesprochen auf den Weiten non-literarischen Ozeans treibt. Es ist also nicht die beschreibende Sprache, (abgesehen von ihren frühen Romanen bis 1950) sondern der Stil, über welchen bei Duras Wissen vermittelt wird. Das Zusammenwirken der auseinander genommenen Sprache. „Du style au ‚savoir’, c’est le chemin, la ‚grand-route’ qui permet à Marguerite Duras d’écrire et d’écrire sur l’écriture.“ (David, S. 179)

Die Kritik stellt das Durassche Romanwerk häufig in die Nähe des Nouveau Roman.[10] Duras möchte ihre Literatur jedoch keinen vorhandenen Konzepten unterworfen sehen und distanziert sich bewusst von den nouveaux romanciers und zählt sich auch nie zu deren Gruppe[11] dazu. Trotz einiger stilistischer Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die Anhänger des Nouveau Roman und Marguerite Duras grundlegend im jeweiligen Menschenbild. Während im Konzept des Nouveau Roman eine Ent-Individualisierung zugunsten eines anonymen Sehorgans, das die Welt geometrisch präzise wahrnimmt, angestrebt wird, offenbart sich im Durasschen Œuvre eine gewisse Humanität, die den Menschen, wenn auch in den engen Grenzen seiner Möglichkeiten, auch als solchen versteht.

[...]


[1] Der Vater war gestorben, als Marguerite 5 Jahre alt war und seitdem lebte sie mit ihrer Mutter und den beiden älteren Brüdern in Indochina.

[2] Denes, S. 17

[3] Le Nouvel Observateur, 14.-20. November 1986

[4] Die Tatsache, dass beide Sprachen aus verschiedenen „Familien“ stammen kann sie dabei ignorieren. Das Französische gehört zur indogermanischen Sprachfamilie. Für das Vietnamesche gibt es zwei unterschiedliche Theorien: austroasiatisch bzw. sinotibetisch. (Brockhaus 1994)

[5] Der Fokus liegt dementsprechend auf dem Romanwerk.

[6] C. Hanania in: Les Lectures de Marguerite Duras, S.25

[7] C. Hanania in: Les Lectures de Marguerite Duras, S.25

[8] P. Descaves, „Le roman français et la technique américaine“, La Revue du Caire, vol. 16, N° 179, mai 1954.

[9] Entretien avec P. Hahn, „Les hommes de 1963 ne sont pas assez féminins“, Paris-Théâtre, N° 198, 1963. S.35.

[10] Nach 1945 - ca.1970 avantgardistische., neuerliche Romankonzeption. Thematisierung der Erzählfiktion selbst. Drehbuchartige Darstellung der Oberflächenwelt. Stilexperiment zur Verschlüsselung von Handlung. Hauptvertreter: Alain de Robbe-Grillet, Michel Butor, Nathalie Sarraute. (Gero v. Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, 7.Aufl. Stuttgart 1989)

[11] Hierbei handelt es sich lediglich um die gemeinsame Nennung derjenigen, die dem neuen Schreibkonzept den Boden bereiteten und schließlich bearbeiteten. Die nouveaux romanciers waren in keiner einheitlichen Schule oder Gruppe organisiert.

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Zu Marguerite Duras - Schreibwaise
Université
Free University of Berlin
Note
2,0
Auteur
Année
2005
Pages
24
N° de catalogue
V125060
ISBN (ebook)
9783640300198
ISBN (Livre)
9783640305025
Taille d'un fichier
572 KB
Langue
allemand
Mots clés
Marguerite, Duras, Schreibwaise, Schreibweisen, Trouville, Existenz, Biographie, Roman, 20. Jahrhundert, Psychologisierung, Nouveau Roman, Résistance, Robert Antelme, L'Amant, Prix Goncourt, Autobiographisch, Écriture
Citation du texte
Magister Artium Philipp Zöllner (Auteur), 2005, Zu Marguerite Duras - Schreibwaise, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125060

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