Zwischen Karussell und Kreisel

Das Motiv der Lust in Arthur Schnitzlers ''Reigen''


Hausarbeit, 2008

15 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitende Worte: Der pyramidale Bruch

2 Spielplätze und Handlungskonzepte
2.1 Raum der Wirklichkeit
2.2 2 Raum der Gestaltung

3 Dramenaufbau, Einsatz theatraler Mittel
3.1 Die Idee vom Karussell
3.2 Bewahrung klassischer Strukturen
3.3 Szenenanalyse: Das Stubenmädchen und der junge Herr
3.4 Mediale Umsetzung in Theater und Film

4 Abschließende Gedanken: Die Grenzen der Kreisbewegung

5 Literaturnachweise

1 Einleitende Worte: Pyramidaler Bruch

In dieser Hausarbeit soll es darum gehen, sich mit einem dramatischen Werk der Literaturgeschichte zu beschäftigen, das sich als entscheidender Wegbereiter für den Aufbruch dramatischer Strukturen herausgestellt hat: Arthur Schnitzlers Reigen 1. In zehn Dialogen zeichnet der Autor ein moralisches und damit nicht minder gesellschaftskritisches Bild der Wiener Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Für seine Zeit kann dieses Werk bereits als modernes Drama betrachtet werden, in welchem klassische Muster derart radikal überworfen werden, dass sich eine Auseinandersetzung mit ihnen als notwendig erweist.

Nach einer kurzen thematischen Hinführung, sollen die Handlungsräume im Stück näher bestimmt und herausgestellt werden. Auf diese Weise zeigen sich bereits Grundzüge des dramatischen Aufbaus, dessen Gestaltung auf Grundlage der Annahme analysiert wird, dass sich hier keine klassisch pyramidale Struktur mehr erkennen lässt. Anhand einer Szenenanalyse soll schließlich zum Beispiel gebracht werden, wie dies konkret im Stück umgesetzt wurde und mit dem filmischen Stoff des Werkes vergleichbar wird. Somit sei ein Versuch unternommen, die neue Wesensstruktur dieses dramatischen Stückes wissenschaftlich zu durchleuchten und besten falls theoretisch greifbar zu machen.

Schnitzler selbst wird in eine Zeit des Umbruchs hineingeboren, die ihn als Schriftsteller direkt zur Auseinandersetzung mit veränderten gesellschaftlichen Werten und Idealen gezwungen hat. 1862 in Wien als Sohn eines jüdischen Arztes ungarischer Abstammung zur Welt gekommen, erfährt der Schriftsteller in der Mitte seines Lebens eine Stadt in der Jahrhundertwende. Seine Autobiographie Jugend in Wien 2 schildert eindringlich diese persönlichen Erlebnisse, die nicht unwesentlich für den literarischen Werdegang und die Gestaltung der Werke sein können. Ein Leben, durchzogen von Brüchen, spiegelt sich somit in deutlicher Art und Weise im Schaffen des Autors Arthur Schnitzler wider. Wie sich diese Versehrtheiten im dramatischen Text als neue Ausdrucksform niedergeschlagen haben, sei im Folgenden näher untersucht.

2 Spielplätze und Handlungskonzepte

2.1 Raum der Wirklichkeit

“Die kunstvolle Pyramide, längst an ihrer Spitze eingebrochen, zerfällt, ja zerbröckelt […] mehr und mehr. Was bleibt? Sind das nur die kläglichen Trümmer des alten Baus? […] Oder zeichnen sich neue Strukturen ab?”3

Was Reinhold Grimm in seinem 1978 erschienenem Essay Pyramide und Karussell thematisiert, spielt auf eben jene systematische Neugestaltung des dramatischen Aufbaus an, der ab dem 19. Jahrhundert in der deutschen Theaterliteratur seinen Anfang zu nehmen beginnt. Zentral erscheint mit dieser veränderten Sichtweise auf den Umgang mit inneren Handlungssträngen die Frage nach einem möglichen Niederfall kultureller Werte und somit die Angst vor einer Auflösung bewährter Arbeits- und Denkstränge, sowohl für Leser beziehungsweise Zuschauer im Theater, als auch für Schriftsteller und Dramaturg.

Wenn Gustav Freytags Prinzip vom pyramidalen Aufbau des Dramas nicht mehr wirkt4, wird es somit für die moderne Kunst unwirksam? Oder muss es als erste und frühe Möglichkeit verschiedener Konzepte wahrgenommen werden? Ein so veräußertes Argument lässt gleichfalls vermuten – wenn gesagt wird, dass eben diese Pyramide gerade an der Spitze eingebrochen ist – dass diese Ausdrucksform eben ihre künstlerische Wirksamkeit gerade im Höhepunkt seines Wirkens verfehlt habe. Grimm deutet folglich auch eine nicht treffliche Übersteigerung der Kunstfertigkeit an, welche daher womöglich insgesamt als in Fragestellung des inneren dramatischen Systems aufzufassen ist. So wird dem Leser die unmittelbare Forderung nach einer Bewältigung neuer Probleme vollkommen bewusst.

Als erster innerer Handlungsraum des Stückes Reigen lässt sich eine Ebene aufmachen, die an dieser Stelle als „Raum der Wirklichkeit“ bezeichnet sei. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, kann dieser Gedanke natürlich unmittelbar zum Lebensumfeld Schnitzlers im ausgehenden 19. Jahrhundert versetzt werden. Das damalige Großreich Österreich-Ungarn wurde vordergründig von einem gesellschaftlichen Wandel erfasst, der seine Ursprünge in zunehmender Industrialisierung und Technisierung findet.

In Schnitzlers Werk werden zehn Begegnungen sexueller Art geschildert, in welchen stets das Mittel des Aktes um seiner selbst Willen im Zentrum der Handlung steht. Es geht folglich um den äußersten Nutzen reinen Lustgewinns. Genau dieser Ansatzpunkt ist entscheidend auf die Gesellschaft jener Zeit in Wien gedanklich übertragbar, nämlich die Äußerung um das Ringen der Macht, wenn die Verhältnisse neu verteilt werden. Hier finden wir bereits den ersten Bezug zum polysemantischen Titel des Reigens. Auch die Kleidung der Figuren ist an dieser Stelle notwendigerweise zu erwähnen, denn sie verkörpern zum einen die prototypischen Vertreter aller Gesellschaftsschichten zu dieser Zeit, überdies definiert sich durch sie ein gesellschaftlicher Status. Die Zunahme des Bürgertums und damit auch wichtige berufliche Chancen gewinnen zusehends an Bedeutung. Diese Kreisbewegung kann also durchaus als technisch-physikalischer Vorgang im wirtschaftlichen Bezug auf die Stadt gesehen werden.

Ebenfalls zu dieser Zeit, da Schnitzler sein benanntes Werk verfasst, veröffentlicht Sigmund Freud seine Schriften zur Sexualität des Menschen, in denen derartige Phänomene ganz ähnlich beschrieben werden. Baumer bezeichnet sie als „illusionslose Bilanzierung einer ritualisierten Scheinmoral, deren längst abgestorbene Inhalte sich in den entscheidenden zwischenmenschlichen Beziehungen“5 nicht mehr offenbaren, sondern viel mehr „als bloße mechanische Triebbefriedigung isoliert bleibender Einzelwesen“6 dargestellt werden. Damit erscheint uns auch ein neuer Typus Mensch, der ein getrenntes Verhältnis von Liebe und Sexualität nicht nur wahrnimmt, sondern selbst verkörpert. Der Autor selbst, so geht es aus seiner Biographie hervor, lebte ein ganz ähnlich ungebundenes Leben und vertrat in gewisser Weise diesen Typus durch seinen flüchtigen Umgang mit zahlreichen Affären.

Dabei wird auffällig, dass Schnitzler dem Motiv der Lüge eine Schlüsselrolle zuschreibt, die indirekt über allen Szenen als Werkzeug zum Zweck des sexuellen Aktes steht. Betrügerei und Hinterlist sind Charakterzüge, die allen seiner Protagonisten zugesprochen werden können. Eine so erkannte „Cronique scandaleuse“7 kann als stellvertretende Psychoanalyse verstanden werden. Das Symbol des Reigens – der als Bezeichnung unter anderem seinen Begriff ja im Eigentlichen als Todesmetapher im Mittelalter begründet – lässt sich folglich im Kontext vor allem als Sinnbild eines äußeren kulturellen Tanzspieles im wirtschaftlich aufstrebenden Wien der Jahrhundertwende analysieren, das im souveränen Kampf bis zur inneren Einsamkeit entwertet wird.

[...]


1 In: Schnitzler, Arthur: Meisterdramen, Frankfurt M. 1971.

2 Vgl. Schnitzler, Arthur: Jugend in Wien. Eine Autobiographie, Berlin 1985.

3 Grimm, Reinhold: Nach dem Naturalismus. Essays zur modernen Dramatik, Kronberg/Ts. 1978, S.16.

4 Dazu: Ebd., S.3.

5 Baumer, Franz: Köpfe des 20. Jahrhunderts. Arthur Schnitzler, Berlin 1992, S.6.

6 Ebd., S.6.

7 Ebd., S.6.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Zwischen Karussell und Kreisel
Untertitel
Das Motiv der Lust in Arthur Schnitzlers ''Reigen''
Hochschule
Universität Erfurt
Veranstaltung
Handlungsraum/ Schauplatz/ Spielort. Raumordnung in Drama und Theater
Note
1,7
Jahr
2008
Seiten
15
Katalognummer
V125211
ISBN (eBook)
9783640308613
ISBN (Buch)
9783640306725
Dateigröße
584 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zwischen, Karussell, Kreisel, Handlungsraum/, Schauplatz/, Spielort, Raumordnung, Drama, Theater
Arbeit zitieren
Anonym, 2008, Zwischen Karussell und Kreisel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125211

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