Krüger leistet mit seiner Erzählung einen Beitrag zur Erinnerungskultur der Deutschen. Sein Werk trägt Züge der „Väterliteratur“, die „in den siebziger und achtziger Jahren“ entstand, aber auch des Familienromans, in dem seit den „neunziger Jahren“ die nationale Historie in der Familiengeschichte verarbeitet wird. Krüger stellt infrage, inwiefern man „normalerweise“ Vergangenheit zu bewältigen versucht, ob dies (auf diese Art) möglich ist und welche Alternativen es gibt. Das Thema deutsche Geschichte wird bei Krüger durch die Struktur der Familienverhältnisse dargestellt, die aufgrund ihrer Funktionsweise auf das Nazi-Regime anspielt. Michael Krüger nutzt in der Tradition der Väterliteratur die „intergenerationelle Sollbruchstelle“, um „das Drama der deutschen Nachkriegsgeschichte von Schuld und Anklage, Verstrickung und Auflehnung exemplarisch [auszuagieren]“, wobei er den „Bruch zwischen den Generationen“ zur Identitätssuche während der Erkundung der grundsätzlichen familiären Verhältnisse nutzt. Es geht sowohl auf der individuellen Ebene der Vergangenheitsbewältigung darum, Identität retrospektiv greifbar zu machen, als auch in Abstraktion auf der Ebene der nationalen Erinnerungspolitik und –kultur. Der Erinnerungsdiskurs der Erzählung über die Familien-Vergangenheit impliziert einen Diskurs über die „individuelle Ressourcenfrage für Identitäts- wie für Theorieentwicklung“. Michael Krüger relativiert nämlich das Fassungsvermögen des kommunikativen aber auch des kulturellen Gedächtnisses für diese Zwecke: Diese beiden sogenannten „Modi Memorandi“ können in Krügers Szenario keine rechte Sinnstiftung zur Identitätsfindung durch Vergangenheitsbewältigung leisten. Weil die Vergangenheit aber der existentielle Nährboden für die individuelle Identität ist und hier nun der Zugang zu dieser so offenkundig blockiert ist, muss in diesem Rahmen auch die moderne „Idee der Konstruierbarkeit der eigenen Identität“ konsultiert werden.
In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie Krüger die sich Ende der achtziger Jahre ablösenden Modi Memorandi ad absurdum führt und welche Selbstbefreiungsstrategie er stattdessen für das Diskurs-Panoptikum der Gesellschaft zum Umgang mit Vergangenheit generell und mit Identitätsstiftern speziell anbietet.
Inhaltsverzeichnis
- Vergangenheitsbewältigung und Identitätsstifter
- Intentionale Gattungsbestimmung
- Die Idee der Konstruierbarkeit der eigenen Identität
- Willkür: „Re-Aktion“
- Der Entschluss: Rationalität als Elfenbeinturm
- Das Unterlassen
- Der Widerruf
- Das Trauma der Vergangenheit
- Selbstwirksamkeit
- Weltbild: „Pluralismus“
- Die sozialen Rahmen und die vererbte Schuld
- Der Protagonist
- Das Feind-Stigma
- Propaganda
- Lebensbedrohlichkeit simulieren – gesellschaftliche Meidung erwirken
- Internalisierung der Schuld
- Isolation/Rückzug des Feindes als Konsequenz bewirken
- Die Mutter
- Mutter-Sohn-Konflikt als Gesellschaftskritik
- Realitäts-Ästhetik
- Postmoderne Wirklichkeit
- Sinn / Bedeutung: „Die Entzweiung der Welt“
- Die Ideologie der Sprache
- Psychotische Divergenz
- Wahrheit: „subjektiv“
- „L’Effect de réelle“- Der Wirklichkeitseffekt
- Der „Identitätseffekt“
- Der „selfing Prozess“
- Der Abschied: Loslassen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert Michael Krügers Erzählung „Wieso ich? Eine deutsche Geschichte“ und untersucht, wie der Protagonist mit seiner Vergangenheit und der Konstruktion seiner Identität umgeht. Die Analyse beleuchtet den Umgang mit Trauma, Schuld und der Suche nach Wahrheit unter postmodernen Bedingungen.
- Vergangenheitsbewältigung und Identitätsstiftung im Kontext der deutschen Geschichte
- Die Rolle des Traumas und der familiären Dynamik bei der Identitätsbildung
- Die Grenzen der Rationalität und der Suche nach Wahrheit in einer postmodernen Welt
- Der Einfluss der Sprache auf das Denken und die Konstruktion der Wirklichkeit
- Die Möglichkeit der Selbstfindung und Loslösung von traditionellen Identitätsmustern
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 untersucht den Einfluss der deutschen Vergangenheit auf die Identitätsfindung des Protagonisten und ordnet die Erzählung in den Kontext der Erinnerungsliteratur ein. Kapitel 2 analysiert die Handlungsweise des Protagonisten als Reaktion auf äußere Umstände und seine Schwierigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Kapitel 3 beleuchtet verschiedene Weltbilder der Figuren und den Mutter-Sohn-Konflikt als Gesellschaftskritik. Kapitel 4 untersucht die Rolle der Sprache in der Konstruktion von Sinn und Bedeutung und die psychotische Divergenz in der Wahrnehmung des Protagonisten. Kapitel 5 erörtert die Suche nach Wahrheit und den "Wirklichkeitseffekt" in der Erzählung.
Schlüsselwörter
Vergangenheitsbewältigung, Identität, Postmoderne, Trauma, Schuld, Wahrheit, Sprache, Familie, Generationenkonflikt, deutsche Geschichte, Erinnerungsliteratur, Wirklichkeitseffekt, Selbstfindung.
- Arbeit zitieren
- Sofia Doßmann (Autor:in), 2009, Eine konventionelle Suche nach Wahrheit und Identität unter postmodernen Bedingungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125233