Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Konzeptioneller Rahmen - „Do Artifacts Have Politics?“
2.1. Technische Vereinbarungen als Formen der Ordnung
2.2. Inharent politische Technologien
3. Parallelen zu modernen, auf kunstlicher Intelligenz basierenden Systemen
3.1. Kunstliche Intelligenz mit politischen Tendenzen
3.2. Inharent politische KI-Technologien
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Abkurzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
,,Can machines think?“ Mit dieser Frage leitete Alan Turing seine 1950 erschienene Arbeit „Computing Machinery and Intelligence[44] ein, in der er der Offentlichkeit erstmals sein Konzept des Turing-Tests vorstellte. Ein Verfahren, um feststellbar zu machen, ob ein Computer in der Lage dazu sein kann wie ein Mensch zu denken. Wenngleich Turing den Begriff der „kunstlichen Intelligenz[44] in seiner Arbeit noch nicht verwendete und dieser erst durch einen im August 1955 gestellten Forschungsantrag von John McCarthy gepragt wurde, ist Turings Arbeit in der heutigen Lehre zur kunstlichen Intelligenz zu einer Art Standardwerk avanciert (Brooks 2018: S. 1). Er beschreibt darin, dass der Gedanke, dass man messbar feststellen konne, inwieweit eine Maschine menschlich zu denken vermag, absurd sei und man demnach die Frage, „Can machines think?[44] mithilfe eines Experiments, namentlich dem Turing-Test, umformulieren musse (Turing 1950: S. 433).
Der Turing-Test versucht festzustellen, ob eine Maschine in der Lage dazu ist, ein Spiel zu gewinnen, in dem sie menschliches Handeln zu imitieren versucht. In einem sogenannten „Imitation Game[44] soil dabei eine Person als Richter durch schriftliche Konversationen mit sowohl einem Menschen als auch einem Computer herausfinden, welche der beiden Konversationen durch wen betrieben wird. Mensch und Maschine haben dabei die Aufgabe, die urteilende Person davon zu uberzeugen ein Mensch zu sein und mussen gleichzeitig auf Fragen dieser antworten (Turing 1950: S. 433). Kann die Person dabei in einer signifikanten Anzahl von Fallen nicht feststellen, hinter welcher Konversation der Mensch bzw. die Maschine steckt, kann eine Maschine, demnach das ausfuhrende Computersystem, als intelligent bezeichnet werden (Turing 1950: S. 433). Der Turing-Test macht somit eine Uberprufung von Intelligenz moglich, ohne Bezug auf eine physikalische Tragersubstanz zu nehmen, wie beispielsweise unser menschliches Gehirn.
In seiner Arbeit sagt Turing ebenso voraus, dass es bereits Ende des Jahrhunderts, also fur ihn um die Jahrtausendwende, so weit sein wurde, dass man ohne groBen Widerspruch von „denkenden Maschinen[44] reden konne (Turing 1950: S. 442). In der Tat gab es bereits wenige Jahre spater einige Projekte, bei denen versucht wurde, den Turing-Test zu meistern. Hierbei bleibt es aber wohl Ansichtssache, inwieweit der Test als bestanden gewertet werden kann. Beispielsweise gab es schon im Jahre 1966 einen Bot namens Eliza, der eine urteilende Person davon uberzeugen konnte, ein Psychotherapeut zu sein (Weizenbaum 1966: S. 42). Der Bot konnte die Struktur von Satzen erkennen und darauf im Kern inhaltslose Antworten generieren wie: „Danke, bitte erzahlen Sie weiter“ (Weizenbaum 1966: S. 44). Im Jahre 2014 hat ein weiterer Bot namens Eugene Goostman versucht, den Turing-Test zu bestehen. Nach ahnlicher Strategic versuchte er die urteilende Person davon zu uberzeugen, ein dreizehnjahriger Junge aus der Ukraine zu sein. Tatsachlich konnte Eugene Goostman zehn von dreibig Personen davon uberzeugen. Kritiker entgegnenjedoch, dass dies nur moglich gewesen ware, weil die Probanden die gebrochene Grammatik des Bots auf sprachliche Schwierigkeiten des vermeintlichen ukrainischenJungenzuruckfuhrten(Kuhl 2014: S. 1).
Fernab der Diskussionen, inwieweit KI-Technologien unserer heutigen Zeit in der Lage sind, den Turing-Test zu bestehen und ob Turing mit seiner Prophezeiung recht behalten hat, kann man sagen, dass mit kunstlicher Intelligenz operierende Systeme deutlich an Relevanz gewonnen haben und bereits teilweise wichtige Aufgaben ubemehmen. So werden Ampeln in ersten Testregionen mit KI-Systemen gesteuert, um den Verkehrsfluss zu optimieren, von smarten Uhren generierte Gesundheitsdaten werden mittels KI ausgewertet, Gesichtserkennungssysteme unterstutzen Strafverfolgungsbehorden bei der Verfolgung von Kriminellen und Plattformuntemehmen nutzen KI-Technologien, um Nutzerverhalten zu analysieren (Biddle 2018: S. 1). Einhergehend mit steigender Relevanz und besonders auch steigender Vielseitigkeit der Anwendungsbereiche, verdeutlichen sich aber auch Probleme, die mit der Nutzung von kunstlicher Intelligenz einhergehen konnen und die Angst davor, mit KI operierende Systeme konnten fur politische Zwecke missbraucht werden (Heesen et al 2021: S. 13). Denn kunstliche Intelligenz entsteht nicht autonom, sondern braucht einen Verfasser, dessen politische Uberzeugungen sich durchaus in den Entscheidungen der Technologic wieder finden konnen.
In Anlehnung an Langdon Winners Aufsatz ,,Do Artifacts Have Politics“, einem ganz zentralen Beitrag in der Technologieethik, mochte ich in meiner nun folgenden Arbeit eben diese Probleme aufgreifen und ergrunden, inwiefem kunstliche Intelligenz politische Qualitaten besitzen kann. Gleichzeitig mochte ich schauen, ob Winners konzeptioneller Rahmen dabei helfen kann. Besonders interessant wird dabei sein, dass es sich bei kunstlicher Intelligenz nicht um ein technisches Artefakt im engeren Sinne handelt, sondern vielmehr um ein Set von Wissen uber bestimmte Techniken und Fahigkeiten (Ferretti 2021: S. 1). Deshalb soil meine Analyse ebenfalls daruber Aufschluss geben, inwieweit Winners Konzeptionen fur die Analyse digitaler Technologien zielfuhrend ist.
In Kapitel 2 werde ich zunachst Winners zentrale Thesen und Konzepte rekonstruieren, um im darauffolgenden Kapitel 3 einige Anwendungsbeispiele in Bezug auf Winners Konzeptionen analysieren zu konnen. In Kapitel 4 werde ich abschliebend meine Ergebnisse zusammenfassen, an mein Forschungsinteresse ruckkoppeln und aufzeigen, welche Implikationen sich aus meiner Analyse ergeben konnten.
2. Konzeptioneller Rahmen - „Do Artifacts Have Politics?[44]
Winner analysiert in seinem Aufsatz ,,Do Artifacts Have Politics[44], dass technologische Artefakte Vorurteile gegenuber bestimmten politischen Strukturen haben konnen, folglich Autoritarismus und Demokratie. Dabei unterscheidet er in zwei Kategorien: „Technical Arrangements as Forms of Order[44] und „Inherently Political Technologies[44] (Winner 1980: S. 123). In die deutsche Sprache ubersetzt, werde ich in dieser Arbeit von ,,technischen Vereinbarungen als Formen der Ordnung[44] und „Inharent politischen Technologien[44] sprechen.
2.1. Technische Vereinbarungen als Formen der Ordnung
„Technische Vereinbarungen als Formen der Ordnung[44] sind Winner zufolge technische Objekte, die in allgemeiner Hinsicht einem Zweck dienen, jedoch politische Tendenzen haben konnen. Als Beispiele dafur nennt er unter anderem den Bau von Unterfuhrungen in Long Island, New York. Diese wurden von Entwickler Robert Moses so konzipiert, dass Busse die Unterfuhrungen nicht passieren konnten. So sollte das Ziel erreicht werden, armeren Schichten, die haufig offentliche Verkehrsmittel zur Fortbewegung nutzten, den Zugang zu offentlichen Parks zu erschweren (Winner 1980: S. 123). Ein weiteres Beispiel ist fur ihn die pneumatische Formmaschine McCormick, die Ende der 80er-Jahre dazu eingesetzt wurde, Fertigungsprozesse zu automatisieren (Winner 1980: S. 124). Die Einfuhrung hatte zur Folge, dass die Arbeitslosigkeit unter den Facharbeitem drastisch stieg, da die Maschinen auch von ungelernten Arbeitern betrieben werden konnten.
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