Von Göttern und Hirten - Das Libretto der Zarzuela im 17. Jahrhundert


Hausarbeit, 2005

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Das Libretto (nach Gier)
2.1. Definitionsversuche
2.2. Das Libretto im 17. Jahrhundert

3. Die zentralen Thesen Albert Giers
3.1. Formale Aspekte
3.2. Zeitliche und strukturelle Aspekte
3.3. Inhaltliche Aspekte
3.4. Musikalische Aspekte

4. “ La púrpura de la rosa” und “También se vengan los dioses”
4.1. Die Zarzuelas in ihrem Entstehungskontext
4.2. Anwendung der Thesen Giers auf die vorliegenden Libretti
4.2.1. Formale Aspekte
4.2.2. Zeitliche und strukturelle Aspekte
4.2.3. Inhaltliche Aspekte
4.2.4. Musikalische Aspekte
4.3. Resümee

5. Schlussbemerkungen

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit wird eines der Interferenzgebiete zwischen Literatur und Musik behandeln. Die enge Verwandtschaft von Drama und Oper ist im 17. Jahrhundert nicht zuletzt eine Folge der „Personalunion von Dramatikern und Librettisten.“[1] Das hier zu behandelnde Genre ist in der Mitte der vorigen anzusiedeln, da es sowohl gesprochene als auch gesungene Textpassagen aufweist – die Zarzuela. Das Diccionario de la música espa ñ ola e hispanoamericana bezeichnet sie als “género híbrido, en parte cantado pero sobre todo representado, de ambiente rústico, temática clásica pastoril y tono mitológico-burlesco.”[2] Zudem weist es darauf hin, dass ihre Texte nicht zur bloßen Lektüre taugen, wenngleich sie in der Tradition der comedia nueva stehen.[3]

In dieser Arbeit soll nun anhand der Thesen, die Albert Gier in seinem Buch „Das Libretto“ bezüglich der Oper herausarbeitet (wobei er die hispanistische Welt außen vor lässt), eine Untersuchung der Zarzuelatexte[4] „La púrpura de la rosa“ von Pedro Calderón de la Barca und „También se vengan los dioses“ von Lorenzo de las Llamosas vorgenommen werden, wobei auch die Vertonung des ersten durch Tomás de Torrejón y Velasco in Teilen betrachtet werden soll. Ziel dieser Untersuchung wird es sein, eine Aussage darüber zu treffen, in wie weit die Texte die Gier’schen Librettomerkmale aufweisen.

Zunächst werden die wichtigsten Theorien Giers vorgestellt, um anschließend diese auf die Zuarzuelas anzuwenden.

2. Das Libretto (nach Gier)

Das Wort Libretto (ital.: kleines Buch) verweist zunächst auf das kleine Format des Buches und nicht auf seinen Inhalt. Erst ab dem 18. Jahrhundert bezieht man sich mit diesem Ausdruck auch auf den Text, den das Büchlein enthält. Heute kennt man es gemeinhin als das Textbuch eines musikalischen Werkes, einer Oper oder einer Operette beispielsweise. Im Folgenden soll nun das Libretto des 17. Jahrhunderts charakterisiert werden, sowohl durch seine Gestalt und seinen Inhalt als auch durch seine Funktion und Entstehung.

Die Aussagen stützen sich überwiegend auf Albert Gier, weshalb nicht jeder einzelne Gedanke explizit belegt wird.

2.1. Definitionsversuche

Gier weist zunächst darauf hin, dass beim Versuch das Libretto zu definieren die Schwierigkeit auftritt, dass es sich um eine Gattung handelt, die zu einem Zeitpunkt verschiedene Formen aufweist und sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert hat. Alle Erscheinungen in einer Definition zu subsumieren ist daher nicht möglich. Dennoch sollen hier zentrale Gemeinsamkeiten vorgestellt werden.

Den Versuch einer Definition bietet die MGG , der zufolge ein Libretto „...ein zur Komposition bestimmter Text (ist), dessen Inhalte und Form entscheidend durch die Rücksicht auf die Bestimmung geprägt werden.“ Zudem „erweckt (es) den Eindruck einer literarischen Gattung, ist aber mit literarischen Maßstäben nicht zu messen.“[5] Gier weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese Definition die Literaturoper ausschließt.[6] Eine andere Definition, die sich verstärkt auf die Bestimmung bezieht, würde ein Libretto nicht nur als eine zur Vertonung bestimmte, sondern als jede vertonbare dramatische Textvorlage beschreiben.[7]

Diese Umschreibung soll soweit genügen, der Umfang dieser Arbeit lässt eine genauere Ausführung nicht zu.

2.2. Das Libretto im 17. Jahrhundert

Das Libretto war im 17. Jahrhundert in erster Linie Gebrauchsliteratur. Es erfüllte die Aufgabe eines heutigen Programmheftes, in dem neben dem gesamten Text auch eine kurze Inhaltsangabe, Verständnishilfen, ein Personenverzeichnis und oft Hinweise zur Inszenierung enthalten waren. Nach einer Aufführung wurde das Libretto meist weggeworfen. Wurde eine Oper im Ausland aufgeführt, war der Text zweisprachig gedruckt, was darauf schließen lässt, dass der Inhalt des Werkes die gleiche Relevanz wie der Wortlaut hatte[8] und der Text in seinem Ganzen gegenüber der Musik nicht zurücktreten musste. Gier stellt fest: „Solange der interessierte Zuschauer den Text Wort für Wort verfolgen kann, darf das Libretto (als Text) grundsätzlich gleichen literarischen Rang beanspruchen wie ein Sprechstück.“ (Gier, A., S. 4)

Der Librettist des 17. Jahrhunderts war zumeist Dichter mit humanistischer Bildung, was die Affinität vieler von ihnen zu mythologischen Stoffen erklärt. Ihre Vertrautheit mit der Regelpoetik ermöglichte ihnen sowohl Sprechstücke als auch Libretti zu verfassen. Der Gebrauchscharakter der Werke war dabei offensichtlich: sie wurden für bestimmte Anlässe wie Krönungsfeiern, Hochzeiten und Feiertage geschrieben.[9]

Da Librettisten und Komponisten ihre Werke in dieser Zeit nie als beendet ansahen, sondern sie stets überarbeiteten, muss man bei der Untersuchung einzelner Werke immer beachten, dass es nicht eine authentische Fassung, sondern mehrere gleichwertige gibt.

Dies soll als kurze Kontextualisierung ausreichen. Nun werden die konkreten Merkmale einer zu vertonenden Textvorlage dargelegt.

3. Die zentralen Thesen Albert Giers

Der folgende Teil wird sich auf die Charakteristika des Librettos konzentrieren, wobei immer daran erinnert werden muss, dass sich Albert Gier in erster Linie an den italienischen Erscheinungen orientiert und die spanischen vernachlässigt. Ob diese Merkmale auch auf das hispanische Libretto übertragbar sind, wird sich in der zweiten Hälfte der Arbeit zeigen.

3.1. Formale Aspekte

Albert Gier stellt zunächst fest, dass ein wichtiges Kriterium die Plurimedialität ist. In diesem Fall ist das die Kombination von optischen und akustischen Ausdrucksmitteln, sowohl sprachlicher als auch nichtsprachlicher Art. Unter diesem Gesichtspunkt muss das Libretto neben dem sprachlichen auch den musikalischen und darstellerischen Aspekt berücksichtigen. Hinsichtlich der Vertonung sollte es einen nicht zu großen Umfang aufweisen, da die Vertonung normalerweise etwa den doppelten Zeitumfang haben wird.

Ein weiteres Kriterium für die Textvorlage ist seine Vertonbarkeit , die beispielsweise davon abhängt, ob sich die metrische Struktur des Textes musikalisch – etwa in Periodenform – umsetzen lässt, oder ob die Phonetik der Sprache zum Singen geeignet ist. Konsonatenhäufungen etwa wären ein Hindernis. Grimm rät in diesem Zusammenhang zu einfacher Sprache und einem „energischen, natürlichen und verständlichen“[10] Stil, dementsprechend möge der komplizierte Alexandriner vermieden werden.[11]

Weitere Merkmale, die Gier als zentral versteht, bietet nun die Betrachtung zeitlicher Aspekte.

3.2. Zeitliche und strukturelle Aspekte

Stärker noch als im Sprechtheater zeigt sich in der Oper ein besonderes Verhältnis von Statik und Dynamik bzw. von kontinuierlicher und diskontinuierlicher Zeit . Zu diesem Zweck enthält die Oper Rezitative, in denen die Handlung vorangetrieben wird, wohingegen in den Arien das Geschehen still steht und ein bestimmter Textabschnitt in mehrfachen Repetitionen ausgedehnt wird. Ähnlich dem Monolog im Schauspiel dient die Arie dazu, den Gefühlszustand einer Person, als affektische Reaktion auf eine Situation, zum Ausdruck zu bringen, wohingegen sich im Dialog bzw. Rezitativ eine Entwicklung des Geschehens offenbart.

Die Arien bilden in sich geschlossene Einheiten, z.B. in zirkulärer Da-Capo-Form, und können somit als selbstständig gelten. Dahlhaus beschreibt das Verhältnis der einzelnen Teile zum Ganzen und bemerkt: Die Oper bestehe

„…aus statischen Einzelbildern, die zwar syntagmatisch zu einer Geschichte mit Ausgangs- und Zielpunkt verknüpft sind; als distinkte Einheiten sind sie aber zugleich eingebunden in ein System von paradigmatischen , d.h. den linearen Zeitverlauf transzendierenden bzw. von ihm abstrahierenden Bezügen; sinntragend sind überwiegend oder ausschließlich die paradigmatischen Strukturen.“[12]

Durch diese Episodenstruktur können einzelne Elemente leicht ausgetauscht, hinzugefügt oder weggelassen werden.

Zudem gibt en in der Oper die Differenz zwischen realer und fiktiver Zeit , eine etwa zweieinhalbstündige Oper kann eine fiktive Zeit von mehreren Jahren umfassen.

3.3. Inhaltliche Aspekte

Stofflich betrachtet zeigen sich zahlreiche Interferenzen zwischen dem Libretto und anderen Gattungen wie Lyrik und Dramatik. Mythologische Inhalte waren beispielsweise sehr beliebt.

Als werkübergreifendes Merkmal stellt Gier fest, dass die Handlung des Librettos auf Oppositionen und Äquivalenzen basiert, denen sich Kausalzusammenhänge unterordnen. Diese anthitetische Struktur zeigt sich in erster Linie in den Figuren und ihren Beziehungen zueinander. Eine zentrale Opposition stellt z.B. eine unerlaubte Liebschaft zwischen zwei Figuren dar, wobei der Konflikt meist in einer den Gegensatz aufhebenden Synthese beendet wird, d.h. es siegt nicht zwingenderweise das „gute“ Prinzip, aber das „schlechte“ wird besiegt. (Diese These wird bei Anwendung auf die vorliegenden Libretti deutlicher.)

Dabei können sich Gegensätze auch in einer Figur vereinen, deren innerer Konflikt dann nach außen projiziert wird, wobei die Figurenperspektive häufig durchbrochen wird und die Arien dann eine Art „transpsychologische Bewertung“ erhalten, in der sich die Perspektiven von Autor und Figur vermischen. In der Barockoper geht es darum, „exemplarisch richtiges und falsches Verhalten vorzuführen, wobei sich der lehrhafte(r) Gehalt (...) über ein komplexes Netz von Beziehungen zwischen den Arientexten (erschließt).“[13]

Koebner merkt an, dass der eher „dynamischen Konflikt-Struktur des Dramas“ die „eher statische Kontrast-Struktur der Oper“, bzw. des Librettos gegenübersteht.[14]

Nicht alle Ereignisse erfordern ihre Visualisierung auf der Bühne. So informieren z.B. Botenberichte narrativ über Geschehenes und schaffen damit einen Handlungskontext, der dem Verständnis dient.

3.4. Musikalische Aspekte

Nur wenige Libretti von Zarzuelas sind mit den dazu gehörigen Partituren erhalten. Dennoch lassen sich auch in den Texten Hinweise auf Aufführungspraxis und musikalische Gestaltung finden.

Der Komponist einer Zarzuela ist durchaus als Mitautor aufzufassen, da er das Libretto auf individuelle Weise ausdeutet und mitunter verändert. Dabei leuchtet es ein, dass es sich bei Sprache und Musik um zwei verschiedene Zeichensysteme handelt, so dass ihre Aussagen niemals deckungsgleich sein können.

Entgegen der mimetischen Funktion der Literatur gegenüber der Realität in der frühen Neuzeit geht es im 17. Jh. darum, die Affekte der Figuren anstelle ihres Sprechens durch die Musik darzustellen, also Unausgesprochenes hörbar zu machen.[15] Dies ist insofern wichtig, als dass beim Singen die Artikulation nicht immer einwandfrei ausgeführt werden kann, wodurch es zu Verständnis-schwierigkeiten kommen kann. Koebner sieht deshalb die Musik als Möglichkeit, zu einer „Konzentration“ der Affekte und damit zu einer „Konvergenz der Eindrücke“ zu gelangen.[16] Auch Gier unterstreicht die kooperative Funktion der Musik in der Oper:

„Nicht das Sichtbare, sondern das Wahrnehmbare scheint die Substanz des Librettos wie der Oper zu sein. Der Zuschauer ist nicht darauf angewiesen, aus vagen Andeutungen im Text oder aus dem Spiel der Darsteller auf die innere Verfassung der Figuren zu schließen: Das Libretto lässt sie aussprechen, was sie empfinden; die Musik deutet den Text aus, bereichert ihn und macht jene Nuancen hörbar, die sich der begrifflichen Fixierung entziehen.“[17]

Musik und Sprache sollen einander also ergänzen. Das würde bedeuten, dass das Eine ohne das Andere nicht vollständig wäre, was wiederum zur Folge hätte, dass man ein Libretto ohne seine Vertonung auch nicht als Werk beurteilen kann. Im Fall der Zarzuela von Llamosas wird jedoch nichts anderes übrig bleiben, als die Textvorlage ohne Musik zu betrachten.

4. “La púrpura de la rosa” und “También se vengan los dioses”

Die vorgestellten Merkmale, die Albert Gier dem Libretto zuschreibt, sollen im Folgenden nun auf zwei hispanische Beispiele angewendet werden. Zum einen handelt es sich hierbei um die spanische Zarzuela „La púrpura de la rosa“ von Calderón de la Barca und Torrejón y Velasco und zum anderen um die in Peru entstandene Dichtung „También se vengan los dioses“ von Lorenzo de las Llamosas. Nicht der Vergleich der beiden Zarzuelas miteinander steht dabei im Vordergrund, da davon ausgegangen werden kann, dass sie als Produkte einer Epoche und eines Kulturkreises in ihren Grundzügen weitgehend übereinstimmen. Hier wird lediglich die Frage aufgeworfen, in wie weit die Thesen Giers auf die Libretti der hispanischen Dichter übertragen werden können.

[...]


[1] Wiesmann, Sigrid (Hrsg.): Für und Wider die Literaturoper . Laaber, Bayreuth: 1982, S. 67.

[2] Milián Gracia, Agustín (Hrsg.): Diccionario de la música espa ñ ola e hispanoamericana . Sociedad General de Autores y Editores, 2002, S. 1140

[3] Vgl. ebenda

[4] Im Fall von „También se vengan los dioses“ ist keine Partitur erhalten, so dass nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, dass es sich um eine Zarzuela handelt, dennoch wird dies in dieser Arbeit angenommen, da der Text neben gesprochenen gesungene Passagen ausweist.

[5] Schaal, Richard: Libretto . In: MGG1, Sachteil, Bd. 8, Bärenreiter, Kassel: 1986, Sp. 708/711. (CD-ROM)

[6] Vgl. Gier, Albert: Das Libretto – Theorie und Geschichte einer musikoliterarischen Gattung . Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt: 1998, S. 27.

[7] Vgl. Gier, A.: Das Libretto. S. 6

[8] Vgl. Gier, A.: Das Libretto. S. 3f

[9] Vgl. Gier, A.: Das Libretto . S. 29, 34f

[10] Gier, A.: Das Libretto , S.22

[11] Vgl. ebenda.

[12] Dahlhaus, C. in: Gier, A. Das Libretto . S. 8

[13] Dahlhaus, Carl in: Gier, A.: Das Libretto , S. 11

[14] Koebner, T. in: Für und Wider die Literaturoper , S. 74.

[15] Vgl. Gier, A.: Das Libretto . S. 21

[16] Koebner, T. in: Für und Wider die Literaturoper , S. 74

[17] Gier, A.: Das Libretto . S 14

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Von Göttern und Hirten - Das Libretto der Zarzuela im 17. Jahrhundert
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V125637
ISBN (eBook)
9783640311484
ISBN (Buch)
9783640310371
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Göttern, Hirten, Libretto, Zarzuela, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Susanne Ziese (Autor:in), 2005, Von Göttern und Hirten - Das Libretto der Zarzuela im 17. Jahrhundert , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125637

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