Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Stress und Stressbelastung in der modernen Arbeitswelt
3. Methodischer Teil
3.1 Employee Assistance Programme (EAP)
3.2 Gelassen und sicher im Stress nach Gert Kaluza
3.3 Mindfulness-Based-Stress-Reduction (MBSR) nach John Kabat-Zinn
4. Limitationen bei der Evaluation von Stressbewältigungstrainings
5. Ausblick und Wichtigkeit zukünftiger Forschung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Stress“, „Burnout“, „Arbeitsüberlastung“ – die Fülle der Wörter, mit denen von vielen Arbeitnehmern ihre persönliche Situation und ihr Befinden am Arbeitsplatz beschrieben wird, ist geprägt von negativen Attributen. Die Genugtuung bei einer erbrachten Leistung und die Sinnerfüllung, die viele Tätigkeiten den Menschen bringen, werden scheinbar nicht beachtet. Auch die vielfältigen Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Menschen, der Austausch oder die Erweiterung des Horizonts in interkulturellen Unternehmen sind kaum eine Meldung oder eine größere Reportage wert.
Eine differenzierte Auseinandersetzung mit Burnout ist deshalb notwendig, weil es in den letzten Jahren einen sprunghaften Anstieg von an Burnout erkrankten Menschen gab. Es scheint so, dass Viele den Anforderungen der modernen Arbeitswelt mit ihrer Digitalisierung, Vernetzung und der Tendenz zum Multitasking nicht mehr gewachsen sind. Jedoch wird in der öffentlichen Diskussion die Ursache für Burnout hauptsächlich in personalen Faktoren der Betroffenen gesucht.
In Unternehmen und Organisationen herrscht bei vielen Führungskräften die Meinung vor, dass Burnout und ein hohes Stressempfinden auf die eingeschränkte Stresskompetenz der Mitarbeiter zurückgeführt werden kann. Dies ist jedoch eine Vereinfachung und stellt nur die eine Seite der Medaille dar: Tatsächlich gibt es Faktoren und Dispositionen in der Biografie und der Persönlichkeitsstruktur der Menschen, die anfällig für stresshafte Ereignisse machen, wie „Nicht-Nein-Sagen-Können“ oder Perfektionismus. Darüber hinaus spielen aber auch äußere Faktoren wie übermäßige Arbeitsanforderungen, schlechtes Betriebsklima, fehlende Anerkennung oder hohe Arbeitsplatzunsicherheit eine genauso wichtige Rolle (vgl. Scherrman 2015, Vorwort).
Das Ziel dieser Arbeit ist es daher, im Methodenteil einige betriebliche Ansätze vorzustellen, die zur Stressreduktion eingesetzt werden können. Diese werden dabei anhand ihrer Wirksamkeit bewertet. Vorher geht im Theorieteil eine Erklärung zum Thema Stress und Burnout am Arbeitsplatz voraus. Den Abschluss der Arbeit bildet eine Diskussion.
2. Stress und Stressbelastung in der modernen Arbeitswelt
Stress ist eine Belastung für Körper, Seele – und die Wirtschaft. Stress kann zu körperlichen und psychischen Erkrankungen führen und kostet Organisationen Milliarden durch entstehende Arbeitsunfähigkeit oder Leistungsminderungen der von Stress und dessen Folgen Betroffenen. Mit Stress haben also Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen zu kämpfen (vgl. Reif et al. 2018, Vorwort).
Stress entsteht in den unterschiedlichsten Lebenslagen und Situationen: in der Freizeit, durch ein zu dicht getaktetes Wochenende (Mittagessen bei den Großeltern, nachmittags mit den Kindern etwas unternehmen, abends mit Freunden weggehen, usw.), durch die Erziehung der Kinder, das Führen eines Haushaltes, durch ständiges Unterwegssein, um zahlreichen Verpflichtungen nachkommen zu können, und nicht zuletzt, sondern zuallererst: durch die Arbeit. Das zeigt auch eine Erhebung durch die Techniker Krankenkasse (vgl. 2016), bei der die Arbeit als häufigster Stressfaktor genannt wird (vgl. Reif et al. 2018, S. 2).
Neue Technologien machen die Arbeit heutzutage körperlich bei Weitem nicht mehr so anstrengend wie früher, und die Zahl der Arbeitsunfälle sinkt von Jahr zu Jahr – dies ist die positive Seite aktueller Entwicklungen in der Arbeitswelt. Andererseits entstehen durch all diese Veränderungen neue – ganz überwiegend mentale – Anforderungen an die Beschäftigten, die vielfach als „Arbeitsintensivierung“ und steigender Zeitdruck erlebt werden. Wesentliche Trends in der Arbeitswelt, die unter dem Schlagwort „Arbeit 4.0“ die psychische Belastungssituation erhöhen können, sind beispielsweise (a. a. O., S. 2f.):
- verstärkter Wettbewerb
- Rationalisierung
- Arbeitsverdichtung
- Zuwachs der Dienstleistungs- und Wissensberufe (Verlagerung der Anforderungen vom körperlichen in den mentalen Bereich)
- Flexibilisierung der Arbeit (z. B. Zeit, Ort, Aufgaben)
- permanente Erreichbarkeit
- Entgrenzung der Arbeit
- Abnahme der sozialen Sicherheit
- Gefühl des Kontrollverlusts
- Prekarisierung (Zunahme der Zahl von Arbeitsplätzen mit zu geringer Einkommenssicherheit)
Der Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ermittelte in einer repräsentativen Erhebung, dass die Tätigkeit von 58% der Befragten häufig die gleichzeitige Betreuung verschiedenartiger Aufgaben verlangt. Damit steht Multitasking auf Platz eins der häufigen Arbeitsanforderungen, gefolgt von starkem Termin- und Leistungsdruck (52%), ständig wiederkehrenden Arbeitsvorgängen (50%) sowie Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit (44%). Die Erhebung durch die Techniker Krankenkasse (vgl. 2016) beschreibt, was Beschäftigte in Deutschland genau bei der Arbeit stresst: Zu viel Arbeit, Termindruck und Hetze, Unterbrechungen und Störungen, mangelnde Anerkennung und Informationsüberflutung werden hier hauptsächlich genannt. Diese Faktoren zeigen sich auch in der BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2012: Hier nimmt ebenfalls ein Großteil der Befragten starken Termin- und Leistungs-druck sowie Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit als belastend wahr. Wenn immer schneller gearbeitet und Pausen verkürzt werden, wenn auch nach Arbeitsende noch geschäftliche E-Mails verschickt werden, die alsbald zu beantworten sind, dann kann dies zu einer Überforderungssituation führen, die längerfristig mit einer Gefährdung für die Gesundheit der Beschäftigten verbunden ist (vgl. a. a. O., S. 3f).
Aus diesen Gründen kommt der Prävention von hohen psychischen Belastungssituationen eine zunehmende Bedeutung zu. Im Methodenteil werden daher drei verschiedene betriebliche Ansätze zur Stressreduktion bzw. zum besseren Umgang mit Stress vorgestellt.
3. Methodischer Teil
Im methodischen Teil werden drei verschiedene Stressbewältigungsprogramme vorgestellt, die in Deutschland und international große Verbreitung und Bekanntheit gefunden haben. Zu Beginn wird ihr Ablauf beschrieben und im Anschluss, welche Wirksamkeitsnachweise dazu vom Verfasser gefunden wurden.
3.1 Employee Assistance Programme (EAP)
In ihrem Buch „Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt“ stellen Bamberg und Metz (vgl. 2011, S. 393-411) sog. Employee Assistance Programme (EAP) vor, worauf im folgenden Bezug genommen wird.
Bei einem EAP handelt es sich um ein zunächst im angloamerikanischen Sprachraum entwickeltes Mitarbeiterunterstützungsmodell in Form eines Systems von Beratungsleistungen für Betriebe. Sein Ziel ist es, den Betriebsangehörigen und – je nach Vertragsgestaltung, auch deren Familienmitgliedern bei der Bewältigung arbeitsplatzbezogener und anderer psychosozialer Probleme und Fragestellungen zu helfen. Es ist aufgebaut aus individuellen Beratungsangeboten, Schulungen und längerfristigen Unterstützungsmaßnahmen. Die Beratungsangebote umfassen Maßnahmen zur (Stress-)Prävention, Identifikation und Behandlung individueller Problembereiche – insbesondere derer, die am Arbeitsplatz sichtbar werden, weil sie die berufliche Leistungsfähigkeit mindern.
Der Verband der europäischen EAP-Anbieterfirmen ist das Employee Assistance European Forum (EAEF). Das EAEF beschreibt die Dienstleistungen seiner Mitglieder als Kombination von Dienstleistungen für Führungskräfte und Beratungsangebote für Mitarbeiter: Die Beratung von Führungskräften bezieht sich auf den Umgang mit Mitarbeitern, bei denen die Führungskraft nachlassende Arbeitsleistungen erkennt und Hilfe benötigt, diesen Sachverhalt angemessen zu besprechen und weiterführende Maßnahmen einzuleiten. Zu solchen Maßnahmen kann die Empfehlung gehören, die EAP-Dienste in Anspruch zu nehmen. Je nach Betriebsvereinbarung kann diese Empfehlung auch als Dienstanweisung ausgesprochen werden. Die Unterstützung für Mitarbeiter bezieht sich – je nach den gebuchten Bausteinen – auf: Stress, Fehlzeiten, Konflikte am Arbeitsplatz, Mobbing, Sucht, Depression, Ängste, Work-Life-Balance, u. v. m.
Der Nutzen eines EAP für das Unternehmen wird darin gesehen, dass mit Hilfe der vorgehaltenen Dienstleistungen schneller und besser persönliche und private Probleme bewältigt werden. Das wiederum sichert und optimiert die Produktivität der Mitarbeiter. Der Betrieb bekommt von der EAP-Firma regelmäßig eine anonymisierte Rückmeldung über die Art und die Inhalte der Nutzung, sodass z. B. aktuelle organisationale Probleme identifiziert werden können. Zur Beratung bei psychosozialen Fragestellungen – wie z. B. Stress am Arbeitsplatz – werden dann Sozialarbeiter, Psychologen und Ärzte eingesetzt.
Employee Assistance Programme sind als verhältnispräventive Maßnahmen primärpräventiv als betriebliches Unterstützungsangebot für akut fehlbeanspruchte Mitarbeitende zu sehen. Sie sind auch betriebliche Angebote im Sinne der sekundären und tertiären Prävention, indem sie betroffenen Mitarbeitern Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen nahebringen. Als verhältnispräventive Maßnahme kann ein EAP Mitarbeitende dahingehend unterstützen, sich aktiv schneller um fachliche Unterstützung zu kümmern.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie EAP-Programme in die betrieblichen Abläufe integrierbar sind:
1. Worksite-, In-House- oder Onsite-EAP sind betriebsinterne Angebote, die von entsprechend geschulten Angestellten vorgehalten werden und einer bestimmten Abteilung des Unternehmens angehören (z. B. dem HR-Management). Die Beratungsleistungen werden in betriebseigenen Räumlichkeiten erbracht. Darüber hinaus gibt es Modelle, EAP-Dienste oder Sozialberatungen von externen Anbietern einzukaufen und im Betrieb erbringen zu lassen. Dies kann im Zuge eines Outsourcing-Prozesses geschehen, wo die ursprüngliche betriebseigene Sozialberatung von einem EAP-Dienstleister übernommen wird und noch in den betriebsinternen Räumlichkeiten weiterarbeitet. Die klassischen Worksite-Modelle beinhalten ein breites Spektrum an Führungskräfte- und Mitarbeiterschulungen mit den entsprechenden Möglichkeiten der Überweisung an Spezialisten. Das Worksite-EAP entspricht unter Settingaspekten der traditionellen US-amerikanischen, innerbetrieblichen Alkoholprävention und den daraus entstandenen EAP-Modellen mit starker Einbindung in organisationale Abläufe. Auch die Betriebliche Sozialberatung, die in Deutschland entweder der Personalabteilung oder dem Werksärztlichen Dienst zugeordnet ist, gehört zu diesem Setting.
2. External, Out-House- oder Offsite EAP sind Beratungsservices, die von einem externen Anbieter eingekauft werden. Die Beratungssitzungen finden telefonisch oder bei beauftragten Beratern in deren Räumlichkeiten außerhalb des Betriebes statt. Die Beratungsfelder werden zwar vom Betrieb vorgegeben, sind aber firmenintern weniger vernetzt, da die Umsetzung von außenstehenden Beratungsunternehmen implementiert und betreut wird. Das Beratungsspektrum ist sehr breit, es geht über die klassischen psychosozialen Problemstellungen hinaus.
Neben der theoretischen Klassifikation von EAP unter Settingaspekten hat sich in den USA und Europa ein Grundsatzmodell zur Beschreibung und Überprüfung der zentralen Vorgehensaspekte etabliert. Es umfasst folgende sieben Punkte, die als „core technologies“ bezeichnet werden:
1. Beratung und Training von Führungskräften, um betroffenen Mitarbeitern Hilfestellungen zu geben, um das Betriebsklima zu verbessern und um die berufliche Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zu verbessern.
2. Frühzeitiges und streng vertrauliches Ansprechen von Mitarbeitern mit persönlichen Problemen und nachweislich daraus resultierendem Leistungsrückgang. Die Führungskraft kann das Problem selbst ansprechen oder an einen EAP-Berater verweisen.
3. Konstruktive Konfrontation des leistungsgeminderten Mitarbeiters durch die Führungskraft, um eine Problemwahrnehmung und Änderungsmotivation zu erzielen mit dem Ziel, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die „konstruktive Konfrontation“ stammt aus dem Prozedere im Umgang mit alkoholkranken Mitarbeitern und kann mit der Androhung einer Entlassung einhergehen. Im Zusammenhang mit anderen Problembereichen, z. B. Stress, wird sie dementsprechend weniger streng umgesetzt.
4. Überweisung des Betroffenen an geeignete Ärzte, Therapeuten oder Beratungsstellen. Die Rolle des EAP besteht darin, das Problem genauer zu erfassen, um gezielte Überweisungsempfehlungen aussprechen zu können und den gesamten Prozess zu koordinieren.
5. Beratung der Betriebe beim Aufbau von Netzwerken zu geeigneten Beratungs- und Behandlungseinrichtungen. Der Arbeitgeber wird zum informierten Nutzer von Behandlungsangeboten der Region und verbessert damit die biopsychosoziale Versorgung seiner Mitarbeiter.
Evaluation von EAP
Aus rein altruistischen Gründen wird kaum ein Arbeitgeber ein EAP einkaufen, andererseits sind es auch nicht rein ökonomische Überlegungen, die zur Einrichtung eines EAP führen, obwohl alle EAP-Anbieter die Kosten-Nutzen-Relation betonen (z. B. Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten, Verbesserung der Produktivität). Firmen, die ein EAP einkaufen, haben kein detailliertes Wissen über den Nutzen, die Effizienz und die zentralen Wirkmechanismen dieses Servicepakets, da es kaum unabhängige, belastbare Studien dazu gibt. Im Folgenden werden zunächst einige Evaluationsdaten der bisher größten europäischen Untersuchung zu diesem Thema vorgestellt. Die Studie wurde in Großbritannien von der Manchester School of Management im Auftrag der Health and Safety Executive durchgeführt (vgl. Berridge et al. 1997). Die Befragung schloss alle 36 in Großbritannien bekannten EAP-Anbieter sowie die von ihnen betreuten 599 Industrieunternehmen mit insgesamt 1.285.000 Mitarbeitern ein. Die Rücklaufquote der Fragebögen war nach Angabe der Autoren gut, genaue Angaben werden nicht gemacht. 57 % der Unternehmen gab dabei bspw. an, die Mitarbeiter bei der „Stressbewältigung am Arbeitsplatz“ unterstützen zu wollen. Inwieweit die gewünschten Effekte erfüllt werden, untersucht die oben zitierte Studie im Rahmen eines Kontrollgruppen-Designs. Es gab eine Gruppe von Mitarbeitern, die Beratung in Anspruch nahmen („Klienten“) und eine Kontrollgruppe von Mitarbeitern, die nicht beraten wurden. Es gab drei Messzeitpunkte: Vor und nach der Beratung in einem Zeitraum von acht bis zwölf Monaten sowie eine Katamnesemessung nach drei bis sechs Monaten. Die Kontrollgruppe bestand aus einer zufällig ausgewählten, in allen sozioökonomischen Daten der Klientengruppe entsprechenden Mitarbeitergruppe. Genaue Angaben zum Matching liegen allerdings nicht vor. Folgende Ergebnisse können für die innerbetrieblich angesiedelten EAP-Services („Worksite“) zusammengefasst werden:
- Direkt nach der Beratung und drei Monate danach berichteten die Klienten von einer signifikant verbesserten psychischen und physischen Befindlichkeit im Vergleich zu der vor der Beratung. Die Einschätzung der persönlichen Arbeitszufriedenheit und der wahrgenommenen Stressoren veränderte sich nicht.
- Die positiven Veränderungen im Bereich der psychischen und physischen Gesundheit konnten bei der unbehandelten Kontrollgruppe nicht dargestellt werden.
- Zwischen der Messung am Ende der Beratung und drei bis sechs Monate danach berichteten die Klienten von einer Zunahme organisationaler Stressoren und verschlechtertem Betriebsklima. Dennoch gab es keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die Gesundheitsfaktoren. Die Betroffenen hatten trotz ihrer negativen Wahrnehmung die körperliche und psychische Gesundheit stabilisieren können.
[...]