Der Essay beschäftigt sich mit der Entstehung der Ethnologie im Kolonialismus und ihrem Bezug zu dieser Zeit.
Ethnologie, das Studium des Fremden, wird oft mit dem Kolonialismus der europäischen Staaten in Zusammenhang gebracht. Aber entstand die Ethnologie wirklich zu der Zeit, in der für die Kolonialherren die wirtschaftliche Ausbeutung des Kolonialvolkes wichtiger war, als das Erforschen ihrer Kultur und Gesellschaft? War Ethnologie so stark in den politischen und sozialen Kontext eingebunden, das sie den Kolonialbeamten half ihre Macht zu sicher und zu stärken? Und wenn ja, ist Anthropologie immer noch in das politische und soziale Geschehen eingebunden oder ist sie zu einem selbständigen Forschungsbereich geworden?
Die Geschichte der Ethnologie bzw. "Social Anthropology“ begann schon vor der Kolonialzeit, denn schon immer waren die Menschen an dem für sie Fremden interessiert. Die Anfänge der Ethnologie können schon in der Antike gefunden werden, denn “Anthropology, 'the study of man', is a term that goes back to Aristotle and has usually meant the study of the others, the 'primitive' other at that." (Goody 1995: 7) Dies ist jedoch nicht als Forschung im ethnologischen Sinn anzusehen, sondern spiegelt das Interesse am Anderen, am Fremden. Eine andere Epoche, die oft mit der Ethnologie in Verbindung gebracht wird, ist die Aufklärung. In der Zeit, in der Vernunft die Richtlinie des Denkens sein sollte und die allgemeinen Menschenrechte entstanden, wurde auch eine "allgemeine Theorie der Gesellschaft als Weltgesellschaft entwickelt" (Leclerc 1972: 2) und deshalb sehen "Nicht wenige Spezialisten im Jahrhundert der Aufklärung [ ... ] die eigentliche Anthropologische Periode". (Leclerc 1972: 2) Trotzdem entstand die Ethnologie wie wir sie kennen erst im Zeitalter des Kolonialismus, denn zu dieser Zeit wurde sie zu einer akademischen Disziplin, die anfangs vor allem in Schulen wie der London School of Economics und später auch verstärkt an Universitäten wie der University of Cambridge gelehrt wurde. Hier diente sie meist nur zu Ausbildung von zukünftigen Kolonialverwaltern. Das Studienfach an den Universitäten bekam seine wissenschaftlich anerkannte Methode mir der Feldforschung, die durch den Kolonialismus erleichtert wurde, denn viele der Männer "who had started their careers as administrators and then had become involved in studying the lives of e people." (Goody 1995: 16) Diese waren nicht die einzigen, die sich mit der Kultur von fremden Völkern auseinandersetzten, in der Zeit der kolonialen Expansion wurden auch viele Stiftungen gegründet, wie die Rockefeller Foundation, in denen die Ethnologen unabhängig von den Interessen der Kolonialherren ihrer Forschung nach gehen konnten. Ethnologen waren in den Stiftungen unabhängig von dem
Kolonialbesitz ihrer Länder, dass zeigt sich am Beispiel von Burma und Indien, in denen das Colonial Social Science Research Council gegründet wurde, nach dem beide Länder schon ihre Unabhängigkeit erreicht hatten. Die Errichtung von Stiftungen zeigt nicht nur das große Interesse der Menschen an anderen Kulturen, sondern auch, dass Ethnologie nicht allein zum Verwalten von Kolonien nützt. Hiermit zeigt sich auch, dass die Anthropologie den Kolonialverwaltern bei der Festigung ihrer Macht nicht weiter half, denn "Diese Fragestellung (Thematiken der Ethnologie, wie die Rekonstruktion der menschlichen Kulturgeschichte, Anm. d. Verf.) habe für eine Verwendung der Ethnologie im kolonialen Bereich kaum einen Wert.“ (Gothsch 1983: 268) Die Ethnologie war nicht von großem Wert für die Kolonialverwaltung, was aber noch lange nicht hieß, dass Ethnologen kein Interesse am Kolonialismus hatten und ihn ablehnten, denn „aus der aktiven Kolonialzeit Deutschlands von 1884 - 1914 ist uns kein Ethnologe bekannt geworden, der sich gegen eine koloniale Tätigkeit des Reiches in Übersee ausgesprochen hat." (Gothsch 1983: 266) Die meisten Ethnologen forderten aber einen behutsamen Umgang mit dem kolonisierten Volk und verstanden darunter: "die Erziehung des Eingeborenen". (Meinhof: 1908 -1913: 52) Hier zeigt sich, dass einige Ethnologen, auch wenn sie nicht beabsichtigten die Kultur der Ethnien zu zerstören, die Menschen umerziehen wollten und dabei eine Zerstörung der Kultur in Kauf nahmen. Dieser Wunsch nach "Erziehung des Eingeborenen" (Meinhof 1908 - 1913: 52) macht deutlich, dass manch ein Ethnologe die Ethnie, mit denen sich seine Forschung beschäftigte, als ein ihm in der Entwicklung untelegenes Volk ansah, was wiederum auf den in dieser Zeit vorherrschenden Evolutionstheorie zurück geführt werden kann. Dadurch unterstützen die Ethnologen die Kolonialbeamten indirekt, in dem der Evolutionismus „von Ethnologen dazu herangezogen [wurde], um den kolonialen Führungsanspruch als eine gewissermaßen naturbedingte Notwendigkeit erscheinen zu lassen." (Gothsch 1983: 220) Durch diese Theorie wurde die koloniale Expansion der europäischen Staaten ideologisch unterstützt und rechtfertigte somit die Europäisierung der Kolonialvölker, auch wenn diese Ethnologen sich öffentlich dagegen aussprach „Kultur zu zerstören" (Meinhof 1908 -1913: 52). Hier kommen wir wieder zu der Ausgangsfrage: ob die Ethnologie den Kolonialismus unterstützte. Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, da die Ethnologie die Kolonialpolitik nur indirekt und ideologisch unterstützte. Ein Zusammenhang zwischen Ethnologie und Kolonialismus zeigt sich vor allem in den Anfängen, in denen es noch keine unabhängigen Stiftungen gab und eine Feldforschung in den unbekannten Ländern nur über die Kolonialverwaltung möglich war. Die Ethnologie war zur Zeit des Kolonialismus indirekt in den politischen und sozialen Kontext eingebunden, vor allem weil sie sich grade zu dieser Zeit etablierte und mit der Feldforschung eine neue wissenschaftliche Methode benutzte. Später löste sich die Ethnologie von den politischen und sozialen Gegebenheiten und wurde zu einer unabhängigen wissenschaftlichen Disziplin. Dennoch kam es auch später noch zu Beeinflussungen der Ethnologie durch die Ideologie eines Landes, wie zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, als die Ethnologie mit der Evolutionstheorie half die Taten der Nationalsozialisten zu rechtfertigen. Heute ist die Ethnologie eine reine wissenschaftliche Disziplin, die nicht mehr in den politischen und sozialen Kontext eingebunden wird und zum Aufbau von Ideologien her halten muss. Was aber noch lange nicht heißt, dass die Ethnologie nicht wieder zur Rechtfertigung eine Ideologie ausgenutzt werden kann und damit die Menschen wieder in Zivilisierte und Unzivilisierte spalten kann.
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- Citation du texte
- Kristin Müller-Wenzel (Auteur), 2002, Die Geschichte der Ethnologie im und ihr Verhältnis zum Kolonialismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125963