Die Bedeutung der Augen in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann"


Dossier / Travail, 2009

22 Pages


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Bedeutung der Augen für die Charakterdarstellung
2.1 Clara
2.2 Olimpia
2.3 Coppelius/Coppola
2.4 Spalanzani
2.5 Nathanael

3. Die Augen im Zusammenhang mit Nathanaels Wahnsinn
3.1 Das Märchen vom Sandmann
3.2 Die Rolle der Augen im Sandmann-Märchen
3.3 Die alchimistische Laborszene
3.4 Nathanaels Dichtung
3.5 Das Perspektiv und die Zerstörung Olimpias
3.6 Die Rolle der Augen in der Schlussszene

4. Kastrationsangst nach Sigmund Freud

5. Schlusswort

6. Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

Die Erzählung „Der Sandmann“ ist der kulturgeschichtlichen Epoche Romantik des 18./19. Jahrhunderts zugeordnet. Beim erstmaligen Hören verbindet man mit dem Begriff Romantik die aktuelle Bedeutung im Zusammenhang mit Liebe, Sehnsucht und Nostalgie. In literarischer Hinsicht bezeichnet er einen Zeitabschnitt, der sich von der vernunftorientierten Aufklärung abwendet. Die Romantiker interessieren sich für unausgeleuchtete Themen des Lebens, wie zum Beispiel das Unheimliche, das Mystische und die Leidenschaft, fernab jeder Vernunft. E.T.A. Hoffmann, einer der Hauptvertreter dieser Epoche, nimmt diese Leitgedanken in seinen Werken auf.

„Der Sandmann“ erscheint 1816 in der zweibändigen Sammlung der Nachtstücke. Der Begriff Nachtstück bezeichnet einen „nächtlichen Naturausschnitt bzw. seine künstlerische Darstellung mit besonderer Herausarbeitung seiner Stimmung“[1]. Beurteilt man nur den Titel, so assoziiert man das gütige Sandmännchen aus den Kindheitserinnerungen. Hoffmann dagegen verkehrt „den Sandmann zur Schreckgestalt, die zur allegorischen Figur kindlicher Ängste verdichtet wird“[2]. Er bedient sich in der Erzählung unterschiedlicher Motive, die ausreichend erforscht wurden. Laut Wolfgang Kayser ist, das Augenmotiv, neben dem Puppenmotiv, ein „Leitmotiv der Erzählung“[3]. „Fast alle Forschungsbeiträge […] beschäftigen sich mit […] optischen Phänomenen des Textes“[4].

In dieser Ausarbeitung habe ich mich für das Motiv der Augen entschieden, da es einen vielfältigen Interpretationsraum zulässt. Augen können einerseits Gegenstände wahrnehmen, aber strahlen andererseits auch die Gemütsverfassung, die Seele eines Menschen aus.

Hierzu untersuche ich im Folgenden die Bedeutung der Augen in Bezug auf die Charakterdarstellung, Nathanaels Wahnsinn und Freuds Interpretation zu Nathanaels Augenangst. Dabei habe ich selbständig gearbeitet und die vorhandene Sekundärliteratur lediglich als Unterstützung genutzt. Die Quellenlage der Sekundärliteratur war schwierig, da ein großer Teil der Literatur bereits verliehen war und mir dadurch der Zugang dazu verwehrt wurde. Schlussendlich stellt sich für mich die Frage, inwieweit Nathanaels Kindheitserlebnisse in Verbindung mit der Augenangst für seinen Wahnsinn tatsächlich verantwortlich sind?

2. Die Bedeutung der Augen für die Charakterdarstellung

Die Augen spielen in vielerlei Hinsicht eine wichtige Rolle. Sie stellen nicht nur ein empfindliches Sinnesorgan zur Bildwahrnehmung und Orientierung der Außenwelt dar, sondern sind auch der „Spiegel der Seele“[5].

Die Augen fungieren als Instrument zur Verknüpfung des Innersten eines Menschen mit der Außenwelt. E.T.A. Hoffmann bedient sich des Motivs zur expliziten Darstellung der wichtigsten Charaktere in „Der Sandmann“. Bemerkenswert dabei ist, dass der Leser allein durch die Beschreibung der Augen entweder Sympathie oder Antipathie für die Figur entwickelt. So zum Beispiel bei folgenden Charakteren.

2.1. Clara

Claras Augen werden in der Novelle genau beschrieben. In den Briefen an Lothar schreibt Nathanael:

In der Tat, man sollte gar nicht glauben, dass der Geist, der aus solch hellen hold lächelnden Kindesaugen, oft wie ein lieblicher süßer Traum, hervorleuchtet, so gar verständig, so magistermäßig distinguieren könne.[6]

Die von mir kursiv hervorgehobenen Adjektive haben rein positive Eigenschaften, so dass Clara zu den Protagonisten gehört, die man meiner Meinung nach auf Anhieb nett und intelligent findet. Ein weiterer Grund für die zusagende Empfindung des Lesers für Clara ist die Erzählfigur, die in der Novelle des Öfteren in abgesetzten Passagen als Ich-Erzähler vorkommt. Er stellt Claras Augen folgendermaßen dar:

[…] verglich Claras Augen mit einem See von Ruisdael, in dem sich des wolkenlosen Himmels reines Azur […] buntes, heitres Leben spiegelt. […] aus ihrem Blick wunderbare himmlische Gesänge und Klänge entgegenstrahlen, die in unser Innerstes dringen, dass das alles wach und rege wird?[7]

Des Weiteren erhält man den Eindruck, dass Hoffmann die Namen seiner Figuren überlegt gewählt hat. Der Name Clara bedeutet der Etymologie nach „ hell, klar und leuchtend“[8] und so wird auch ihr Blick beschrieben, der auf ihre Persönlichkeit schließen lässt. Denn sie ist es gewesen, die von Beginn an Nathanaels Zustand klar erkannt hat und ihm die Augen öffnen wollte.

Gerade heraus will ich es dir nur gestehen, dass, wie ich meine, alles Entsetzliche und Schreckliche, wovon du sprichst, nur in deinem Innern vorging, die wahre wirkliche Außenwelt aber daran wohl wenig teilhatte.[9]

Clara repräsentiert durch ihre „kalte, gefühllose“[10] Art in „der Sandmann“ den Absolutismus und nicht die Romantik. Das zeigt sich dadurch, dass sie rational und mit dem Glauben an die Vernunft mit Nathanaels vermeintlichen Erfahrungen und Fantasien umgeht. Jedoch schafft sie es nicht Nathanael von seinem Hang zum Mystischen zu trennen „und so entfernten beide im Innern sich immer mehr voneinander, ohne es selbst zu bemerken“.[11] Dies führt schließlich auch dazu, dass sich Nathanael Olimpia zuwendet, die für ihn eine „herrliche Zuhörerin“[12] für seine zahlreichen Gedichte und Visionen ist.

Alleine an der Darstellung Claras sieht man, dass die Augen neben dem Automatenmotiv ein Leitmotiv sind und wie ein roter Faden die gesamte Novelle hindurch begleiten.

2.2. Olimpia

Olimpia wird bereits im ersten Hauptteil vereinzelnd erwähnt, so dass der Übergang von Clara zur Olimpia fast unbemerkt erfolgt. Im zweiten Hauptteil der Erzählung tritt Olimpia dann in den Vordergrund. Auch sie wird durch Hoffmann explizit beschrieben, jedoch ist die Abbildung ihrer Augen gespalten.

Als Nathanael Olimpia das erste Mal richtig betrachtet, empfindet er ihre Augen als starr und ohne jegliche Sehkraft. „Als schliefe sie mit offenen Augen“[13], so dass es ihm unheimlich wurde. Auch nach dem Streit mit Clara, infolge seines Gedichtvortrags, sieht er sie trotz schönen Wuchses nur als „steife, starre“[…] „Bildsäule“[14].[15] Sein Blick verändert sich erst durch den Erwerb eines Perspektivs, „das die Gegenstände so rein, scharf und deutlich dicht vor die Augen rückte“[16]. „Der Fernblick durch das ´Fenster` kanalisiert die Liebe des Studenten:“[17]

Nun erschaute Nathanael erst Olimpias wunderschön geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar seltsam starr und tot. Doch wie er immer schärfer und schärfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpias Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entzündet würde; immer lebendiger und lebendiger entflammten die Blicke.[18]

In diesem Augenblick glorifiziert Nathanael Olimpia als seine Liebe. Wenn sie ihn jetzt anschaut, dann mit einem „Liebesblick, der zündend sein Innerstes durchdrang“, ihm „voll Liebe und Sehnsucht entgegen“[19] strahlt und der mehr sagt „als jede Sprache hienieden.“[20] Nathanael haucht durch seine veränderte Sichtweise Leben in den Automaten Olimpia und erschafft so ein „liebend-bestätigendes Gegenüber“[21].

2.3. Coppelius/Coppola

Coppelius und Coppola sind Charaktere, die durch ihre auffällige Ähnlichkeit den Leser im Unklaren darüber lassen, ob es sich um eine oder um zwei Personen handelt. E.T.A. Hoffmann bedient sich, bei der Beschreibung der beiden, der Technik der Verwirrung. In Bezug auf die Augen und das Aussehen charakterisiert er beide annähernd so gleich, dass man als Leser verunsichert ist, ob Coppelius Coppola ist oder nicht.

Coppelius:

großen breitschultrigen Mann mit […] buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein paar grünliche Katzenaugen stechend hervorfunkeln […] Coppelius erschein immer in einem altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke, ebensolcher Weste und gleichen Beinkleidern[22]

„mit funkelnden Augen“[23]

Coppola:

die kleinen Augen unter den grauen langen Wimpern stechend hervorfunkelten[24]

Laut U. Hohoff sind buschige Augenbrauen, wie hier bei Coppelius Beschreibung, im Volksaberglauben ein „Anzeichen dafür, dass ihr Träger den bösen Blick hat“. Zudem sind die stechenden grünen Augen „ein negatives Merkmal“ zur zusätzlichen Verunsicherung der Mitmenschen.[25]

Der Advokat Coppelius und der Wetterglasverkäufer Giuseppe Coppola sind auf unterschiedliche Art und Weise aufeinander bezogen, so dass man die Identität der Figuren vermutet. Wie bei Clara hat sich Hoffmann auch hier Gedanken über die Namensgebung gemacht. Die Namen Coppelius und Coppola weisen auf das Augenmotiv und ihre mystische, alchemistische Tätigkeit hin. Der italienische Ursprung „coppa/o“ heißt neben Schale und Becher auch Augenhöhle, die Nathanael in Verbindung mit Coppelius in seinem Wahn des Öfteren sieht.

„Coppella“ hingegen bezeichnet einen kleinen Schmelztiegel, der bei alchemistischen Versuchen teilweise zur Anwendung kommt.[26]

Obwohl Nathanael die Identität der beiden bekräftigt und Clara diese ablehnt, lässt der Erzähler „die Identitätsfrage offen“.[27] Des Weiteren behauptet Hohoff, dass Hoffmann dazu neige, „sprachlich oder motivisch beim Auftreten eines Repräsentanten der Instanz“, d.h. Coppelius, Coppola oder Nathanael, “auf den anderen anzuspielen“ und dass das Augenmotiv „stets an seinen Ursprung“[28] erinnert.

Meiner Meinung nach hat Hoffmann die Figuren mit Absicht so in Szene gesetzt, dass ihre Identität auch am Schluss der Erzählung in Frage gestellt werden kann. Dadurch konnte er einen verstärkenden Effekt in Bezug auf ihre Rolle der Verbindung von Realität und Fiktion erzielen.

[...]


[1] Hohoff, Ulrich: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann. Textkritik, Edition, Kommentar. Berlin/New York: de Gruyter 1988 (=Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker ; 211 = N.F.,87). S. 233.

[2] Kremer, Detlef: E.T.A. Hoffmann. Erzählungen und Romane. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1999.S 66.

[3] Kayser, Wolfgang: Das Groteske. Oldenburg: Gerhard Stalling Verlag 1957. S. 77.

[4] Hohoff, Ulrich: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann. Textkritik, Edition, Kommentar. S. 278.

[5] Hohoff, Ulrich: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann. Textkritik, Edition, Kommentar. S. 283.

[6] Hoffmann, E.T.A: Der Sandmann. Stuttgart: Reclams Universal-Bibliothek 1991, 2003. S. 16.

[7] Hoffmann, E.T.A: Der Sandmann. S. 20.

[8] http://www.baby-zeit.de/service/vornamen/c/clara.php. 12.03.2009.

[9] Hoffmann, E.T.A: Der Sandmann. S. 13.

[10] Ebd. S. 21.

[11] Ebd. S. 23.

[12] Ebd. S. 35.

[13] Hoffmann, E.T.A: Der Sandmann. S. 17.

[14] Ebd. S. 27.

[15] Ebd. S. 34.

[16] Ebd. S. 28.

[17] Kremer, Detlef: E.T.A. Hoffmann. Erzählungen und Romane. S 82.

[18] Hoffmann, E.T.A: Der Sandmann. S. 28.

[19] Ebd. S. 31.

[20] Ebd. S. 36.

[21] E.T.A. Hoffmann. Romane und Erzählungen. Hrsg. von Günter Saße. Stuttgart: Reclams Universal-Bibliothek 2004 (= Interpretationen).S. 110.

[22] Hoffmann, E.T.A: Der Sandmann. S. 7.

[23] Ebd. S. 11.

[24] Ebd. S. 27.

[25] Hohoff, Ulrich: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann. Textkritik, Edition, Kommentar. S. 240.

[26] Hohoff, Ulrich: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann. Textkritik, Edition, Kommentar. S. 239.

[27] Ebd. S. 321.

[28] Ebd. S. 322.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Die Bedeutung der Augen in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann"
Auteur
Année
2009
Pages
22
N° de catalogue
V126109
ISBN (ebook)
9783640314973
ISBN (Livre)
9783640318414
Taille d'un fichier
610 KB
Langue
allemand
Mots clés
Bedeutung, Augen, Hoffmanns, Sandmann
Citation du texte
Amalia Mai (Auteur), 2009, Die Bedeutung der Augen in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126109

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