Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Problemstellung
2 Zielsetzung
3 Gegenwärtiger Kenntnisstand
3.1 Begriffsdefinitionen und -abgrenzungen
3.1.1 Psychische Gesundheit
3.1.2 Stress
3.1.3 Stressentstehung
3.1.4 Stressreaktion
3.1.5 Stressbewältigung
3.2 Herausforderungen der heutigen Lebens- und Arbeitswelt
3.3 Wechselwirkung körperlicher und psychischer Folgen für das Individuum
3.4 Darstellung der gegenwärtigen Situation in Deutschland und der Welt
3.5 Stressbewältigungsprogramme und deren empirisch nachgewiesenen Auswirkungen
3.6 Überleitung zur kritischen Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschungslage
4 Methodik
4.1 Forschungsfrage
4.2 Untersuchungsobjekte
4.3 Datenerhebung
4.4 Auswertung der Literaturquellen
5 Ergebnisse
6 Diskussion
6.1 Vergleich der eigenen Ergebnisse mit der aktuellen Studienlage
6.2 Kritische Reflexion der eigenen Ergebnisse
6.3 Schlussfolgerung und Ausblick
7 Zusammenfassung
8 Literaturverzeichnis
9 Abkürzungsverzeichnis
10 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
10.1 Tabellenverzeichnis
10.2 Abbildungsverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Übersicht über die wichtigsten körperlichen Auswirkungen des biologischen Stressprogrammes
1 Einleitung und Problemstellung
Das Phänomen ‚Stress‘ gewinnt seit vielen Jahren zunehmend an öffentlichem Interesse. Gravierende Veränderungen unserer Lebens- und Arbeitsverhältnisse sowie die zunehmende Auflösung traditionsbestimmter Sinn-, Werte- und Sozialstrukturen in der modernen Gesellschaft führen bei vielen Menschen zu einem Anstieg des chronischen Stress-levels. So zeigte beispielsweise eine Umfrage der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2021, dass über die Hälfte aller Befragten in Deutschland das heutige Leben als stressvoller empfinden als es noch vor 15 bis 20 Jahren der Fall war (TK, 2021).
Immer mehr Menschen erkennen dabei den Zusammenhang zwischen der Gestaltung von Arbeitsalltag und Privatleben und den daraus resultierenden Auswirkungen auf die körperliche sowie die psychische Gesundheit. Dies spiegelt sich auch in den Antworten auf die Frage nach den größten Stressfaktoren wider. Knapp 50 Prozent der Deutschen sehen ihre Arbeit als den größten Stressfaktor von allen – dicht gefolgt von hohen Ansprüchen an sich selbst sowie zu vielen Terminen und Verpflichtungen in der Freizeit (TK, 2021).
Loswerden können wir ihn nicht. Und das sollten wir auch nicht, denn Stress ist ein lebensnotwendiger Mechanismus. Doch in Anbetracht des stetig weiter steigenden Belastungsniveaus stellt sich die Frage, wie stressbedingten Gesundheitsrisiken wirksam vorgebeugt werden kann. An Wissen mangelt es bei diesem Vorhaben nicht. Ebenso wenig an gut gemeinten Ratschlägen im Sinne einer gesundheitsförderlichen und weniger stresserfüllten Lebensführung. Das Problem liegt eher in der praktischen Umsetzung des vorhandenen Wissens. Und für ebendiese Umsetzung wird inzwischen eine Vielzahl sogenannter „Stressbewältigungstrainings“ angeboten. Das Ziel solcher Interventionen ist es, dass die Teilnehmenden lernen, wie sie Flexibilität im Umgang mit alltäglichen Belastungs-Situationen erreichen können (Kaluza, 2014).
Wie bereits die Antworten der Umfrage über die größten Stressfaktoren gezeigt haben, handelt es sich bei Stress um eine multifaktorielle Erscheinung. Mindestens genauso unterschiedlich fallen daher auch die Ansätze zu dessen Bewältigung aus. Deshalb dient diese Master-Thesis als Übersicht über die verschiedenen Arten von Stressbewältigungstrainings und lässt durch eine gezielte Studienanalyse gleichzeitig einen Schluss zu deren Wirksamkeit zu. Dies liefert dem Leser eine zusammengefasste und studienbasierte Antwort auf die Frage nach der Wirksamkeit von Stressbewältigungsprogrammen.
2 Zielsetzung
Ziel der Arbeit ist es, im Rahmen eines systematischen Reviews eine eigenständige Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes zur Wirksamkeit von Stressbewältigungsprogrammen auf Grundlage der einschlägigen theoretischen und empirischen Forschungsliteratur zu verfassen. Dabei sollen keine neuen Erkenntnisse herangetragen werden, die sich in das breite Portfolio an Ratgebern zur Stressbewältigung einreihen. Es wird vielmehr eine schematische Übersicht über bereits vorhandene Literatur zum Thema ‚Stressbewältigung‘ gegeben. Mittels dieser Übersicht und dem Zusammentragen von Ergebnissen bisheriger empirischer Untersuchungen wird eine Bewertung bezüglich der Wirksamkeit von Stressbewältigungsprogrammen möglich gemacht.
Ebendiese Zusammenfassung soll dem Leser als Werkzeug dienen, mithilfe dessen er kurze und bündige Antworten auf die Frage nach einer möglichst effektiven Stressbewältigung erfährt. Dafür gilt es im Rahmen dieser Arbeit primär die Frage zu klären, wie wirksam unterschiedliche Arten von Stressbewältigungstrainings sind oder überhaupt sein können und ob durch diese stressbedingte Gesundheitsrisiken beeinflusst werden können.
Um Antworten auf ebendiese Fragen zu finden, wird in Kapitel 3 dieser Master-Thesis zunächst der gegenwärtige Kenntnisstand bezüglich der Entstehung sowie der Bewältigung von anhaltendem Stress dargelegt. Nach der Aufarbeitung der theoretischen Hintergründe folgt in Kapitel 4 die methodische Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur, durch welche eine Beurteilung der Wirksamkeit unterschiedlicher Stressbewältigungsprogramme ermöglicht wird. Nachdem in Kapitel 5 die Ergebnisse der gezielten Literaturrecherche zusammengefasst dargestellt werden, folgt in Kapitel 6 eine Diskussion in Form einer kritischen Auseinandersetzung mit ebendiesen Ergebnissen. Abschließend gibt Kapitel 7 einen umfassenden Überblick über das Thema ‚Stress‘ sowie die gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen dieser Master-Thesis.
3 Gegenwärtiger Kenntnisstand
Der Stressbegriff hat seit mehr als 50 Jahren eine Popularität erworben wie kaum ein anderer Begriff im Rahmen der Humanwissenschaften. Vom Stress am Arbeitsplatz, in der Schule oder im Kindergarten bis hin zum Leistungs-, Beziehungs- und Freizeitstress (Kaluza, 2005). In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass Stress per se noch nicht gesundheitsschädlich ist, sondern in einem gewissen Ausmaß sogar durchaus positive Auswirkungen haben kann. Bevor die Frage nach einer möglichst effizienten Stressbewältigung beantwortet werden kann, geben die nun folgenden Kapitel daher zunächst Aufschluss darüber, was Stress eigentlich ist, wie er sich auf den menschlichen Organismus auswirkt und warum er trotz seiner positiven Auswirkungen in unserer heutigen Gesellschaft dennoch zu einem der größten Gesundheitsrisiken überhaupt geworden ist.
3.1 Begriffsdefinitionen und -abgrenzungen
Um für ein ganzheitliches Verständnis der Thematik mit Blick auf den weiteren Verlauf dieser Master-Thesis zu sorgen, werden zunächst einige grundlegende Begriffe definiert und voneinander abgegrenzt. Bei diesem Vorgehen stützt sich die vorliegende Master-Thesis primär auf die Erkenntnisse von H. Selye und G. Kaluza, die mit ihren Werken Pionierarbeit geleistet haben und deshalb auch heute noch als die Urheber der modernen Stressforschung gelten. Zum Abschluss dieses Kapitels gewährleistet Tabelle 4 einen Überblick über die wichtigsten Begriffsdefinitionen, die dieser Arbeit zugrunde liegen (siehe Seite 23).
3.1.1 Psychische Gesundheit
Um beurteilen zu können, wie sich Stress – ob nun positiv oder negativ – auf die menschliche Gesundheit auswirkt, muss zunächst geklärt werden, wie der Begriff ‚Gesundheit‘ in diesem Kontext definiert wird. Daher stellt sich die Frage, wie sich der Gesundheitsbegriff – abseits von der reinen Abwesenheit von Krankheit – beschreiben lässt.
Die auch aktuell noch gängigste Gesundheitsdefinition wurde bereits im Jahr 1946 in der Präambel der Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht und lautet:
„Gesundheit ist der Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“ (Franzkowiak & Sabo, 1993).
Gesundheit wird nach diesem Verständnis also nicht als ein objektiver Befund eines Gesundheitsexperten definiert, sondern vielmehr als das subjektive Befinden des Betroffenen, der dadurch selbst zum Experten seiner eigenen Gesundheit wird. Überdies schreibt die Definition der WHO dem Gesundheitsbegriff über die biomedizinische Ebene hinaus auch eine geistige und soziale Komponente zu. Dadurch gewinnen psychosoziale Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden an Bedeutung, was eine ganzheitliche Perspektive auf das Thema Gesundheit eröffnet.
Im Gegensatz zur Definition der WHO von allgemeiner Gesundheit als ein Zustand beschreibt selbige die psychische Gesundheit als ein „dynamisches Gleichgewicht des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen“ (WHO, 2013).
Während die allgemeine Gesundheit demnach als ein Zustand beschrieben wird, gleicht die psychische Gesundheit nach dem Verständnis der WHO eher einem dynamischen Prozess. In der humanwissenschaftlichen Literatur lassen sich unzählige Theorien finden, die versuchen, ebendiesen Prozess abzubilden. Eine zusammenfassende Analyse dieser Theorien veröffentlichte P. Becker im Jahr 1982 in Form von drei unterschiedlichen Modellen bezüglich der psychischen Gesundheit, welche im Folgenden tabellarisch dargestellt werden (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Modelle psychischer Gesundheit – Eigene Darstellung in Anlehnung an Becker (1982)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auch wenn diese drei Modelle als eine Art Zusammenfassung der verschiedensten Theorien bezüglich psychischer Gesundheit gesehen werden können, wird dennoch deutlich, wie unterschiedlich das Bild eines psychisch gesunden Menschen skizziert wird. Bei all ihren Eigenheiten schließen sich die Modelle jedoch nicht gegenseitig aus, sondern interpretieren vielmehr einen gemeinsamen Kern auf unterschiedliche Arten. Dies kann insofern als schlüssig erachtet werden, da jeder Mensch seine eigene Gesundheit auch individuell definiert und realisiert.
Im weiteren Verlauf dieser Master-Thesis stützt sich der Begriff der ‚psychischen Gesundheit‘ primär auf die Leitidee des Regulationskompetenzmodells. Denn bei einer Betrachtung der Wirksamkeit von Stressbewältigungsprogrammen spielen vorrangig die Stressbewältigungs-Kompetenzen der betroffenen Personen eine übergeordnete Rolle. Ganz gleich, ob sie diese bereits besitzen oder durch mentales und regeneratives Training erst noch erwerben müssen. Bei manchen Stressbewältigungstrainings wird jedoch beispielsweise auch die Frage nach dem Sinn des Lebens thematisiert, wodurch auch gewisse Überschneidungen mit den anderen beiden vorgestellten Modellen nicht gänzlich ausgeschlossen werden können.
Nachdem in diesem Kapitel definiert wurde, was sich hinter dem Begriff der ‚psychischen Gesundheit‘ verbirgt, auf die anhaltender Stress Einfluss nimmt, wird im Folgenden der Stress selbst thematisiert.
3.1.2 Stress
Der Begriff ‚Stress‘ wird in der heutigen Alltagssprache sehr unpräzise verwendet. So erhält man auf die Frage nach dem aktuellen Wohlbefinden oft ‚ich bin gestresst‘ als Antwort oder ‚das kommt vom Stress‘ als Erklärung für die Beeinträchtigung des aktuellen Wohlbefindens. In der Regel wird mit diesen Aussagen ein negatives, belastendes Gefühl beschrieben. Betroffene fühlen sich mehr oder weniger unausgeglichen, sind hektisch, gereizt oder nervös.
Stress aktiviert körperliche Mechanismen, wie insbesondere die Zunahme von Puls und Blutdruck, aber auch hormonelle Veränderungen, Zittern, Muskelverspannungen oder Schweißausbrüche können auftreten (Tausch, 2008). Diese körperlichen Signale resultieren aus folgendem Mechanismus: Man nimmt etwas aus seiner Umwelt als bedrohlich oder belastend wahr und bewertet dies als Einschränkung für sein persönliches Wohlbefinden.
So hat die Stressforschung in den letzten Jahrzehnten im Rahmen von Studien immer wieder belegen können, dass Stress beispielsweise in Form von kritischen Lebensereignissen wie einer Scheidung oder dem Tod eines Familienangehörigen zu einer Vielzahl psychischer und körperlicher Beeinträchtigungen führen kann (Weiß, 1999). Dies spiegelt sich auch in einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2016 wider (siehe Abbildung 1).
Wie die Umfrage deutlich zeigt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für nahezu jedes der angegebenen Krankheitsbilder bei häufig gestressten Personen im Vergleich zu denen, die nur selten oder nie gestresst sind. Man kann also festhalten, dass das Stresskonzept das aktuell populärste kollektive Erklärungsangebot für Krankheiten darstellt (Angermeyer, 1991).
Eine präzise und einheitliche Definition des Begriffs ‚Stress‘ liegt aufgrund seiner Komplexität nicht vor. Seinen Ursprung findet der Terminus im Lateinischen und leitet sich von dem Wort „stringere“ ab, was übersetzt „zusammenziehen“ oder „(zusammen-) schnüren“ bedeutet. Im englischen Sprachgebrauch wurde „stress“ früher im Sinne von äußerer Not oder auferlegtem Mühsal verwendet. Einen psychologischen Bezug erfuhr der Stress-Begriff erstmals 1914 durch W. Cannon. Im medizinisch-wissenschaftlichen Kontext prägte der Mediziner und Biochemiker H. Selye den Stress-Begriff und machte diesen in den 1950er-Jahren populär.
Den Arbeiten von Cannon und Selye ist jedoch gemein, dass diese ausschließlich mit Tieren experimentierten, was einen Bezug zu kognitiven Prozessen, die bei der Wahrnehmung von Stressoren und deren Bewältigung eine Rolle spielen, gänzlich ausschließt. Diesen Zusammenhang rückten erst weiterführende Arbeiten von R. Lazarus und S. Folkman in den Mittelpunkt der Stress-Forschung. Seitdem wurde eben diese zunehmend interdisziplinär, was eine einheitliche Definition des Stress-Begriffs weiter erschwert.
Die WHO definiert Stress als Ungleichgewicht zwischen Anforderungen und dem auf eine Person einwirkenden Druck auf der einen Seite und deren Wissen und Fähigkeiten auf der anderen Seite (Wilkinson & Marmot, 2003). Stress lässt sich demnach im weitesten Sinne als ein Gleichgewichtskonzept begreifen, dessen Status quo (Homöostase) durch innere und äußere Reize gestört wird, jedoch durch Anpassungsprozesse immer wieder ausgeglichen werden kann. Selye unterteilte den Stress-Begriff in den 1950er-Jahren in zwei Bereiche. Auf der einen Seite nannte er den ‚Eustress‘ (positiver Stress), der immer dann auftritt, wenn eine Herausforderung erfolgreich bewältigt wurde und sich dies langfristig positiv auf die Gesundheit des Organismus auswirkt. Dem gegenüber sah er den ‚Distress‘ (negativer Stress), der das Individuum überfordert und dadurch krank macht (Menche, 2014).
Von diesem Verständnis gilt es den Begriff ‚Belastung‘ abzugrenzen, welcher im alltäglichen Sprachgebrauch oft synonym zum Begriff ‚Stress‘ verwendet wird. Nach Tausch (2008) steht der Stressbegriff eher für kleinere kurzzeitige Bedrohungen im Alltag, wohingegen die Bezeichnung ‚(seelische) Belastung‘ vielmehr andauernde Einschränkungen wie etwa Schuldgefühle oder Depressionen beschreibt. Temporärer Alltagsstress umfasst in der Regel nur einige Minuten bis maximal eine Stunde. Doch auch solche kurzen Belastungen können eine große Wirkung haben – und zwar immer dann, wenn sie mehrmals täglich auftreten und sich dadurch aufsummieren.
Wenn hingegen länger andauernde Stressbelastungen auftreten, fühlen wir uns oftmals angespannt und wenig frei. Dies führt nicht selten dazu, dass sich die Fähigkeit, mit dem Alltag umzugehen, vermindert. Im Zusammenhang mit einschneidenden, ungünstigen Lebensveränderungen wie beispielsweise dem Tod des Partners oder dem Verlust des Arbeitsplatzes spricht Tausch (2008) von schwerem Lebensstress, der sich über viele Monate oder gar Jahre hinweg belastend auf die betroffene Person auswirken kann. Sowohl Alltags-Stress als auch schwere seelische Belastungen führen zu belastenden Gefühlen, welche rückkoppelnd wiederum den jeweiligen Auslöser weiter verstärken können (siehe Abbildung 2 auf Seite 12).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Zusammenwirken von Alltagsstress, schweren seelischen Belastungen und belastenden Gefühlen - Eigene Darstellung in Anlehnung an Tausch, 2008
Dieses komplexe Stressgeschehen wird in seiner Entstehung mithilfe theoretischer Modelle aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und beschrieben. Um diesbezüglich ein tiefgreifendes Verständnis zu erlangen, werden diese verschiedenen Betrachtungsweisen im Folgenden detaillierter dargestellt:
3.1.3 Stressentstehung
Wie bereits in Kapitel 3.1.2 erläutert, wird der Stressbegriff aus biologischer Sicht als ein physischer Zustand beschrieben, bei dem Abweichungen von der Homöostase vorliegen, die durch die verfügbaren, routinemäßigen Reaktionen des Betroffenen nicht kompensiert werden können. Bereits im 19. Jahrhundert hat der französische Physiologe C. Bernard beschrieben, dass Organismen stets danach streben, ein konstantes „inneres Milieu“ aufrechtzuerhalten. Cannon (1929) etablierte für diesen Umstand erst später den Begriff der ‚Homöostase‘.
Die Offenheit aller lebendigen Organismen macht deren innere Ordnung jedoch störanfällig für Veränderungen in ihrer Außenwelt. Deshalb versucht der Organismus, die Sollwerte seiner physiologischen Systeme durch ständige Anpassungsprozesse einzuhalten. Dafür wird der Ist-Wert fortlaufend mit dem Soll-Wert verglichen und bei Abweichungen gegebenenfalls an diesen angeglichen. Man kann also von einem Fließgleichgewicht sprechen, bei dem die Ist-Werte beständig um den Soll-Wert schwanken. Diese homöostatische Selbstregulation funktioniert jedoch nur, solange sich der Organismus in einer weitgehend unveränderten Lebensumwelt mit konstant bleibenden Bedingungen befindet.
Größere Ist-Soll-Diskrepanzen – ausgelöst durch unerwartete Störungen in der Umwelt oder dem Organismus selbst – können durch die verfügbaren routinemäßigen Reaktionen nicht kompensiert werden. Nach Cannon (1929) kommt es deshalb nach dem Auftreten einer solchen Störung zur Aktivierung einer unspezifischen „Notfallreaktion“, welche auch als Stressreaktion (siehe Kapitel 3.1.4) bezeichnet wird. Die Reize, die die Abweichungen von der Homöostase bewirken, werden deshalb auch als Stressoren bezeichnet.
Stress entsteht demnach immer dann, wenn eine Situation vor dem Hintergrund vererbter oder erworbener persönlicher Merkmale als unangenehm bewertet wird und der Organismus seine zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen als ineffizient erachtet.
Diesen grundlegenden biologischen Prozess übertrug G. Kaluza Ende des 20. Jahrhunderts auf den Organismus des Menschen. Dabei beschreibt er, dass sich bei einem aktuellen Stressgeschehen grundsätzlich immer drei Ebenen voneinander unterscheiden lassen (siehe Abbildung 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Die drei Ebenen des Stressgeschehens ("Stress-Ampel") – Eigene Darstellung in Anlehnung an Kaluza, 2005
Nach Kaluza (2005) werden all diejenigen Anforderungsbedingungen als Stressoren bezeichnet, in deren Folge es zur Auslösung einer Stressreaktion kommt. Dabei kann es sich um inhaltlich völlig verschiedene Situationen wie beispielsweise eine Naturkatastrophe, einen Autounfall, aber auch ein überquellendes E-Mail-Postfach oder einen verlegten Haustürschlüssel handeln. Letztlich kann jeder äußere oder innere Reiz zum Stressor werden, wenn er das Gleichgewicht im System des Organismus stört. Weitere Beispiele für häufig auftretende Stressoren können Tabelle 2 auf Seite 14 entnommen werden.
Tabelle 2: Die unterschiedlichen Arten von Stressoren – Eigene Darstellung in Anlehnung an Kaluza (2005)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Individuelle Motive, Einstellungen und Bewertungen, mit denen das Individuum an die potenziell belastenden Situationen herantritt, sind nach Kaluza (2005) meistens mitentscheidend dafür, ob überhaupt und – falls doch – wie ausgeprägt Stressreaktionen in diesen Situationen auftreten. Diese persönlichen Motive, Einstellungen und Bewertungen stellen also gewissermaßen das Bindeglied zwischen den äußeren Belastungssituationen (den Stressoren) und den daraus resultierenden Stressreaktionen dar. Sie werden deshalb als persönliche Stressverstärker bezeichnet und sind – wie der Name bereits vermuten lässt – gleichsam den Stressoren persönlich und individuell. Sie stellen den „eigenen Anteil“ des Betroffenen am Stressgeschehen dar. Beispiele für solche Stressverstärker können unter anderem in einem ausgeprägten Profilierungsstreben, Perfektionismusstreben und in der Unfähigkeit, eigene Leistungsgrenzen zu akzeptieren, gefunden werden.
Weitere Beispiele für persönliche Stressverstärker können Abbildung 3 auf Seite 13 entnommen werden. Die körperlichen und psychischen Antworten des Organismus auf das Zusammenspiel von Stressoren und den persönlichen Stressverstärkern werden als Stressreaktionen bezeichnet. Ebendiesen ist das nun folgende Kapitel 3.1.4 gewidmet.
3.1.4 Stressreaktion
Der Begriff der Stressreaktion bezeichnet zusammenfassend all diejenigen Prozesse, die aufseiten des Betroffenen als Antwort auf einen Stressor in Gang gesetzt werden (Kaluza, 2005). Diese Antworten können auf unterschiedlichen Ebenen ablaufen. Man unterscheidet zwischen der körperlichen, der verhaltensbezogenen (behavioralen) und der kognitiv-emotionalen Ebene (siehe Tabelle 3 auf Seite 15).
Tabelle 3: Die Ebenen einer Stressreaktion - Eigene Darstellung in Anlehnung an Kaluza (2005)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der Regel bedingen sich körperliche, verhaltensbezogene und kognitiv-emotionale Stressreaktionen untereinander und schaukeln sich gegenseitig auf, wodurch oft eine Verstärkung oder eine Verlängerung der Stressreaktion entsteht. So kann nach Kaluza (2005) ein regelrechter „Teufelskreis“ entstehen. Eine Person kann sich demnach durch den „Ärger über den Ärger“ oder die „Angst vor der Angst“ immer weiter in die stressbedingte Erregung hineinsteigern. Einen solchen Umstand bezeichnet Kaluza als Symptomstress („Stress wegen Stress“).
Gegenteilig dazu ist nach Kaluza (2005) jedoch auch eine günstige gegenseitige Beeinflussung im Sinne einer Dämpfung von Stressreaktionen möglich. So kann beispielsweise durch den Abbau körperlicher Stressreaktionen (z. B. durch eine Entspannungsübung oder durch Sport) auch eine kognitive und emotionale Beruhigung eingeleitet werden. Andererseits kann nach diesem Verständnis auch ein emotional entlastendes Gespräch die körperliche Erregung bei einem aktuellen Stressgeschehen reduzieren.
In Stresssituationen reagiert der menschliche Organismus immer als Gesamtsystem. Alle Regulationssysteme werden dabei gleichzeitig aktiviert und ein „Hormon-Cocktail“ aus Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin trimmt den Körper auf Leistungsbereitschaft, Abwehr oder Ähnliches. Der Körper wird also auf Kampf oder Flucht, genauer gesagt körperliche und geistige Höchstleistungen programmiert – unabhängig davon, ob die dadurch bereitgestellte Energie auch tatsächlich benötigt wird. Diejenigen körperlichen Funktionen, die für die Ausführung einer derartigen körperlichen Bewältigungsreaktion notwendig sind, werden angeregt, während die regenerativen und reproduktiven Körperfunktionen, die für die kurzfristige Auseinandersetzung mit einer akuten Gefahr weniger wichtig sind, gedrosselt werden (Kaluza, 2005).
H. Selye, der als erster die körperliche Stressreaktion systematisch untersuchte, bezeichnet diese als „allgemeines Anpassungssyndrom“ (1981). Die wichtigsten körperlichen Auswirkungen einer akuten Aktivierung dieses biologischen Stressprogramms werden in Abbildung 4 zusammengefasst dargestellt.
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Abbildung 4: Akute körperliche Stressreaktionen – Eigene Darstellung in Anlehnung an Kaluza, 2018
Um der Komplexität der körperlichen Prozesse als Reaktion auf den Stress gerecht zu werden, werden diese im Anhang der vorliegenden Arbeit noch einmal ausführlicher dargestellt (siehe Anhang 1 auf Seite 76 sowie Anhang 2 auf Seite 77).
In den modernen Industrieländern erlebt der Mensch Stress überwiegend in sozialen Situationen oder bei hohen geistigen sowie emotionalen Anforderungen. Die körperliche Einstellung auf Flucht oder Kampf wäre in diesen Fällen zwar nicht notwendig, jedoch wird trotzdem der gesamte Organismus in Alarmbereitschaft versetzt. Wenn die daraus resultierende Anspannung nicht abreagiert werden kann, wird diese von vielen Menschen als zusätzliche Belastung wahrgenommen, weil sie unter anderem einen erholsamen Schlaf behindert (Kollak, 2008).
Infolgedessen gewinnt der Spannungsabbau durch körperliche Aktivität, Bewegung und Sport immer weiter an Bedeutung für einen gesunden Umgang mit Stress, auch wenn dadurch das zur Stressreaktion führende Problem selbst nicht gelöst werden kann. Der Mensch reagiert im Stress jedoch nicht nur auf seine eigene Person bezogen, sondern orientiert sich dabei auch immer an seiner sozialen Umgebung. Daher nimmt auch das soziale Umfeld Einfluss auf die Stressreaktion des Betroffenen. Die Fähigkeit des Menschen, vorausschauend zu denken, ermöglicht zudem eine gezielte körperliche sowie psychische Vorbereitung auf wiederkehrende beziehungsweise vorhersehbare Stresssituationen. Eine solche Vorbereitung kann dabei helfen, Stresssituationen besser zu bewältigen oder gar zu vermeiden. Deshalb werden im folgenden Kapitel verschiedene Theorien und Modelle vorgestellt, die in Zusammenhang mit einer erlernbaren Stressbewältigung stehen.
3.1.5 Stressbewältigung
Die dargestellten unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven auf das Stressphänomen wurden von G. Kaluza in ein sogenanntes Anforderungs-Ressourcen-Modell (siehe Abbildung 5 auf Seite 18) integriert, auf dessen Basis sich mehrere relevante Ansatzpunkte für gezielte Interventionen zur Reduktion stressbedingter Gesundheitsrisiken ableiten lassen. Dem Anforderungs-Ressourcen-Modell nach formen ökologische, ökonomische und soziokulturelle Lebenswelten sowohl die Anforderungen als auch die Ressourcen für das Individuum. Dieses bewertet fortlaufend Abweichungen von subjektiv bedeutsamen Sollwerten und den aktuell vorherrschenden Istwerten (siehe auch Kapitel 3.1.3).
Liegt ein Ungleichgewicht zwischen Anforderungen und vorhandenen Ressourcen vor, so aktiviert die Person die ihr zur Verfügung stehenden Bewältigungsstrategien, um die Herausforderung zu meistern. Die direkte Auseinandersetzung mit neuartigen Anforderungen, die subjektive Unsicherheit über den Ausgang der Bewältigungs-Bemühungen und die Unkontrollierbarkeit der Situation bestimmen sowohl über die Intensität als auch über die Qualität der Stressreaktionen. Wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg Bestand haben, stellen diese Stressreaktionen eine Gesundheitsgefährdung dar und erhöhen das Risiko für viele der heute besonders relevanten Krankheitsbilder (siehe Abbildung 1 auf Seite 10).
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Abbildung 5: Anforderungs-Ressourcen-Modell – Eigene Darstellung in Anlehnung an Kaluza, 2018
Der Umgang mit Stress lässt sich jedoch erlernen. Bei dem Versuch, dieses Unterfangen zu meistern, können Betroffene beispielsweise durch Stressbewältigungstrainings oder Stressmanagementtrainings unterrichtet werden. Diese haben zum Ziel, den Trainierenden eine sogenannte ‚Stresskompetenz‘ zu lehren. Im Folgenden werden daher verschiedene Ansätze vorgestellt, die versuchen, die Prozesse der Stressbewältigung zu erklären.
Dabei sind manche Ansätze voneinander unabhängig entstanden, manche bauen jedoch – zumindest in Teilen – auch aufeinander auf. Der Grund für die unterschiedlichen Grundannahmen dieser Ansätze liegt zu großen Teilen in den unterschiedlichen Interventionsmethoden, die den multimodalen Stressmanagementprogrammen zugrunde liegen. Es erscheint daher sinnvoll, sich Klarheit über die unterschiedlichen Interventionsebenen zu verschaffen, um deren Möglichkeiten, aber auch deren Grenzen aufzuzeigen.
Nach Kaluza (2005) kann grundsätzlich zwischen einem verhaltensorientierten Ansatz, der individuelle Möglichkeiten der Stressbewältigung fokussiert, und einem verhältnisorientierten Stressmanagement – also dem, was die jeweiligen Entscheidungsträger tun können – unterschieden werden. „Letzteres zielt auf eine Veränderung von überindividuellen belastenden Strukturen, die außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs des Einzelnen liegen“ (Kaluza, 2005).
Weiter beschreibt er, dass sich die auf den ersten Blick eingängige Unterscheidung zwischen dem verhaltens- und dem verhältnisorientierten Ansatz bei näherer Betrachtung als weitaus weniger trennscharf herausstellt. So können Maßnahmen, die sich an einzelne Personen richten, über ein verändertes Verhalten dieser Personen durchaus auch strukturelle Veränderungen bewirken. Umgekehrt ermöglichen strukturelle Änderungen – wie beispielsweise Arbeitszeiten oder -abläufe – oft erst Änderungen des Verhaltens von einzelnen Personen, die sich innerhalb dieser Strukturen bewegen. Dennoch werden im Folgenden – nach der eben beschriebenen Unterscheidung – zunächst mögliche Wege der individuellen Belastungsbewältigung und im Anschluss daran auch Möglichkeiten des strukturellen Stressmanagements erörtert.
Innerhalb der individuellen Belastungsbewältigung lassen sich entsprechend dem Ansatzpunkt der jeweiligen Bewältigungsbemühung und der damit verbundenen Bewältigungsfunktion drei Hauptformen differenzieren (siehe Abbildung 6).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Formen der individuellen Belastungsbewältigung – Eigene Darstellung in Anlehnung an Kaluza, 2018
Instrumentelles Stressmanagement
Das instrumentelle Stressmanagement setzt an den Stressoren an und hat zum Ziel, diese beispielsweise durch die Umorganisation des Arbeitsplatzes oder durch die Veränderung von Arbeitsabläufen zu reduzieren oder ganz auszuschalten. Dabei können entweder aktuelle Belastungssituationen aktiv angegangen oder zukünftige Belastungen präventiv beeinflusst werden. Im Allgemeinen ist dieser Ansatz auf eine möglichst stressfreie Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen des Betroffenen ausgerichtet (Kaluza, 2005). Um das instrumentelle Stressmanagement erfolgreich umsetzen zu können, erfordert es neben der Sachkompetenz der betroffenen Person auch sozial-kommunikative- sowie Selbstmanagement-Kompetenzen. Weitere Beispiele für instrumentelles Stressmanagement können Abbildung 6 auf Seite 19 entnommen werden.
Mentales Stressmanagement
Im Gegensatz zum instrumentellen Stressmanagement setzt das mentale Stressmanagement nicht bei den Stressoren, sondern bei den persönlichen Stressverstärkern an. Gemeinsam ist den beiden Theorien der Bezug sowohl auf aktuelle Belastungssituationen als auch auf situationsübergreifende Bewertungsmuster. Das Ziel des mentalen Stressmanagements ist nach Schelp, Maluck und Gravemeier (1997) die bewertungsfreie Wahrnehmung und das kritische Reflektieren von Belastungssituationen, wodurch sich schlussendlich stressvermindernde, förderliche Denkmuster etablieren lassen. So können etwa perfektionistische Leistungsansprüche, Gefühle der Hilflosigkeit oder übermäßige Kontrollambitionen in gesundheitsförderliche Denkmuster umgewandelt werden.
Regeneratives Stressmanagement
Beim regenerativen Stressmanagement stehen Regulierung und Kontrolle der physiologischen und psychischen Stressreaktion im Vordergrund. Dabei versucht die reaktionsorientierte Bewältigung, Stressemotionen wie Angst, Ärger, Schuld oder Kränkung und die damit einhergehenden physiologischen Spannungszustände positiv zu beeinflussen. Gleichzeitig werden positive Gefühle wie beispielsweise Stolz, Freude oder Begeisterung angestrebt und gefördert. In diesem Zusammenhang kann zwischen solchen Bewältigungsversuchen, die auf die kurzfristige Entspannung (Palliation) abzielen und eher längerfristigen Bemühungen, die der regelmäßigen Erholung (Regeneration) dienen, unterschieden werden (Kaluza, 2005).
Einzelne konkrete Bewältigungsreaktionen sind dabei jedoch meistens nicht nur einer dieser Theorien zuzuordnen, sondern können in einem gewissen Maß auch immer Bezug zu mehreren Formen des individuellen Stressmanagements gleichzeitig aufweisen. Entscheidend ist dabei immer die Intention, mit der die jeweilige Bewältigungsreaktion von der betroffenen Person eingesetzt wird. Den eben beschriebenen Theorien der individuellen Belastungsbewältigung steht das strukturelle Stressmanagement gegenüber.
Strukturelles Stressmanagement
Das strukturelle Stressmanagement zielt auf eine Veränderung von überindividuellen belastenden Strukturen ab, die außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs des Einzelnen liegen (Kaluza, 2005). Gleichsam des individuellen Stressmanagements kann auch das strukturelle Stressmanagement an allen drei Ebenen des Stressgeschehens ansetzen (siehe Abbildung 7).
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Abbildung 7: Beispiele für strukturelles Stressmanagement – Eigene Darstellung in Anlehnung an Kaluza, 2018
Das Hauptziel des strukturzentrierten Stressmanagement-Ansatzes ist es, potenzielle Stressoren in der materiellen und sozialen Umwelt zu reduzieren oder ganz auszuschalten (Kaluza, 2005). Über die bloße Beseitigung von Belastungen hinaus wird zudem eine gesundheitsförderliche Gestaltung der betrachteten Umweltbedingungen angestrebt. Diese haben zum Ziel, das individuelle Bemühen um eine regenerative Stressbewältigung sinnvoll zu unterstützen oder überhaupt erst möglich zu machen.
Neben der Gestaltung der gegebenen Umweltbedingungen geht es im strukturellen Stressmanagement zudem auch um eine Reflexion und Transformation von überindividuellen Normen, durch die eine gesundheitsschädigende Belastungsbewältigung gefördert werden könnte.
Abschließend muss erwähnt werden, dass individuelle und strukturelle Bewältigungsprozesse auf den verschiedenen Interventionsebenen auch ständig ineinandergreifen und aufeinander bezogen sind. Dem Dialog von Verhalten und Verhältnissen wird daher am ehesten entsprochen, wenn Maßnahmen sowohl mit strukturorientiertem als auch mit individuumsorientiertem Bezug integriert werden (Kaluza, 2005). Auf dieser Schlussfolgerung beruht auch der sogenannte ‚Setting-Ansatz‘ der WHO (Lobnig & Pelikan, 1998). Diesem zur Folge soll eine Integration von individuumsorientierten Stressbewältigungstrainings mit strukturellen Interventionsmaßnahmen in umschriebenen Lebenswelten („Settings“ – also Schulen, Betrieben, Gemeinden, Krankenhäusern) immer dann angestrebt werden, wenn nachhaltige Gesundheitseffekte erzielt werden sollen. Dadurch können einseitige Schuldzuschreibungen vermieden werden und gleichzeitig wird der Komplexität des Stressgeschehens Rechnung getragen, indem sowohl objektive Belastungsfaktoren als auch subjektive Formen der Belastungsverarbeitung berücksichtigt werden.
Die dargestellten Theorien machen deutlich, wie breit die Palette der Möglichkeiten zur Stressbewältigung ist. Die Vielfältigkeit der Anforderungen, die eine mögliche Stressreaktion mit sich bringen, geht Hand in Hand mit einer ebenso großen Vielfalt an Bewältigungsbemühungen. Daher stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, was eine gute, effektive, gar gesundheitsförderliche Stressbewältigung eigentlich ausmacht. Darauf sollen die weiteren Kapitel dieser Master-Thesis eine Antwort finden. Vorab wird jedoch zunächst noch die Frage geklärt, wie sich das beschriebene biologische Stressgeschehen zu einem der größten Gesundheitsrisiken der modernen Zivilisation entwickeln konnte.
Darüber hinaus liefert Tabelle 4 einen zusammenfassenden Überblick über die in diesem Kapitel erläuterten Begriffe und deren Definitionen (siehe Seite 23). Basierend auf diesen Definitionen wird bei der Verwendung entsprechender Termini im weiteren Verlauf dieser Arbeit wiederholt Bezug genommen.
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