Die Muqaddima - Ibn Khalduns ökonomische Theorien im Vergleich


Thèse de Bachelor, 2008

44 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Einleitung
1.2 Aufbau der Arbeit

2 Das Leben Ibn Khalduns
2.1 Khalduns Werke
2.2 Thesen und Aussagen über die Ökonomie
2.3 Khaldun und der Staat

3 Ökonomie aus islamischer Sicht
3.1 Spekulation und Hortung
3.2 Handel, Zinsen
3.3 Zakat (Armensteuer)

4 Khaldun und ökonomisch theoretische Ansätze - ein Vergleich
4.1 Die tableau économique von Francois Quesnay
4.2 Die Arbeitsteilung von Adam Smith
4.3 Staatsintervention nach Adam Smith und David Ricardo
4.4 Arbeitswerttheorien

5 Khaldun´ s Thesen in der heutigen Zeit

6 Schlusswort

Quellennachweis

Literaturquellen

Internetquellen

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Südeuropa und Nordafrika um das Jahr 1400

Abb. 2 Laffer- Kurve…

Abb. 3 Bedürfnispyramide nach Maslow

1. Einleitung

1.1. Einleitung

Ibn Khaldun war Historiker, Philosoph, Soziologe, Kulturwissenschaftler, Ökonom, Lehrer und Richter.[1] In manchen arabischen Ländern wurde Ibn Khaldun als Feind der arabischen Nation gesehen. Die Feindschaft reicht so weit das man im Irak seine Bücher verbrennen und sein Grab schänden wollte[2]. Ein Grund für diese Haltung war die Beschuldigung seitens Khalduns gegen die Araber. Er beschuldigte die Araber, soweit ihr Macht dazu ausreicht, überall Zerstörung und Ruin zu verursachen[3] und dass Araber nicht viel von Politik, handwerklichen Aktivitäten und der Industrie[4] verstanden.

In der westlichen Welt - vor allem in Deutschland- war er wie viele islamischer Denker und Wissenschaftler nicht bzw. kaum bekannt. Der Grund hierfür hat viele Ursachen, die in dieser Arbeit keine Rolle spielen und daher auch nicht beachtet werden.

Die vorliegende Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht Ibn Khaldun vorzustellen, seine Thesen zu erläutern und mit der Theorie anderer Ökonomen zu vergleichen. Hierbei werden seine ökonomischen Thesen aus der Muqaddima in den Vordergrund gestellt, die den Hauptteil der Arbeit darstellen. Die in der Vergangenheit verfassten Ausarbeitungen wurden zumeist in türkischer, arabischer und französischer Sprache verfasst, was die Aufarbeitung der Theorien erschwerte und den Informationsumfang einschränkt, hierbei handelt es sich meist um ausgewählte Auszüge aus der Muqaddima. Eine komplette Übersetzung seines Hauptwerks fehlt, zudem gibt es keine genaue Untersuchung zu den ökonomischen Thesen Ibn Khalduns. Ein Versuch über die tunesische und ägyptische Botschaften in Berlin an Informationen über Ibn Khalduns Theorien zu gelangen ist aus verschiedenen Gründen ohne Erfolg verlaufen, auf die nicht weiter eingegangen wird. Weiterhin fehlgeschlagen ist ein Versuch zur Erstellung eines Fragebogens, die der anfangs in Betracht bezogen wurde. Der Fragebogen sollte von Lehrkörpern in der Türkei beantwortet werden; dies scheiterte sowohl an der zeitlichen Begrenzung, als auch an der geographischen Entfernung.

1.2. Aufbau der Arbeit

In Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit wird der Ökonom selbst vorgestellt sowie sein Leben, seine Werke und seine Thesen. Am Schluss des Kapitels werden seine Gedanken über den idealen Aufbau des Staates erläutert. In dem darauf folgenden Kapitel 3 werden die islamischen Grundsätze über die Ausgestaltung der Ökonomie unter Bezugnahme auf einige Suren aus dem Quran dargestellt und untersucht.

In Kapitel 4 erfolgt auf den ersten Blick insofern eine Zäsur, als dass Ibn Khaldun mit klassischen Wirtschaftstheoretikern wie etwa Adam Smith oder David Ricardo verglichen wird. Hierbei werden sowohl Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten von Ibn Khaldun und einigen wichtigen westlichen Ökonomen aus dem 18. und 19 Jahrhundert festgestellt werden. Einige Unterschiede sind dem recht großen Zeitabstand in der Entwicklung der Theorien der verschiedenen Ökonomen geschuldet, andere dem islamischen Hintergrund Ibn Khalduns und dem christlichen Hintergrund der anderen Theoretiker. Auffällig ist hierbei, das bei der Betrachtung ihrer Gemeinsamkeiten, Ibn Khaldun in mancher Hinsicht geradezu als Vorgänger für die westlichen Wirtschafts- und Staatstheoretiker gesehen werden kann, was den Anstoß zu dieser Arbeit gab. Hierin kommt ein zentrales Anliegen dieser Arbeit zum Ausdruck: Diese Arbeit ist bestrebt, den Blick auf den zentralen klassischen Wirtschafts- und Staatstheoretiker aus einem anderen Kulturkreis zu lenken. So wird einerseits gezeigt, dass zentrale moderne Vorstellungen viel älter sind als gemeinhin angenommen und sich trotz aller kultureller Differenzen der westlichen und östlichen Welt eine Übereinstimmung in der Beurteilung und Erklärung der Grundprinzipien von Wirtschaft und Staat ergeben hat. Damit soll nicht behauptet werden, dass Ibn Khaldun weltweit der Erste war, der Thesen über die Ökonomie aufstellte, sondern es soll vor allem der eurozentristische Blick um eine Komponente bereichert werden. Dabei muss aufgrund der Quellenlage leider die Frage außen vor gelassen werden, ob und wenn ja, inwieweit die klassischen westlichen Theoretiker Ibn Khaldun kannten und in welchem Maße er sie beeinflusste.

In Kapitel 5 wird anschließend die Relevanz von Khalduns Thesen für die heutige Zeit untersucht. Die Arbeit schließt mit einem zusammenfassenden Schlusswort.

2. Das Leben Ibn Khalduns

Ibn Khaldun wurde am 27. Mai 1332 in Tunis (Tunesien) geboren. Sein vollständiger Name lautet Abu Zaid ´Abd ar- Rhaman Ibn Mohammed Ibn Khaldun Wali ad- Din at- Tunisi al- Hadrami al- Isbili al- Maliki,[5] wobei es keine eindeutige Schreibweise des Namens gibt. Bei den Recherchen stößt man auf die verschiedensten Schreibweisen, so etwa Ibn Haldun, Ibn Chaldun, Ibn Kaldun und Ibn Khaldoun. In der vorliegenden Arbeit wird die Schreibweise Ibn Khaldun verwendet.

Sein Leben ist für die damalige Zeit sehr gut dokumentiert, da er eine Autobiographie (al-ta`rIf bi-ibn Haldun wa-rihlatuhu garban wa-^sarqan hrsg. von Muhammad ibn Tâwît al-Tanjî Kairo 1951) hinterlassen hat, in der er zahlreiche Dokumente, sein Leben als Angehöriger verschiedener Institutionen betreffend, wörtlich zitiert. Aussagen, die sein Privatleben betreffen, liegen dagegen kaum vor, so dass man nur sehr wenig über seine familiären Verhältnisse erfährt.

Ibn Khaldun stammte aus einer Familie, die im 8. Jahrhundert aus dem Jemen nach Spanien emigrierte, von wo sie im Zuge der Reconquista nach Nordafrika flohen[6]. In seiner Autobiografie führt Ibn Khaldun seine Abstammung bis in die Zeit des Propheten Mohammed auf einen arabisch-jemenitischen Stamm aus Hadramut zurück[7].

Die meiste Zeit lebte seine Familie in Tunis. Ibn Khaldun kam aus einer sehr einflussreichen arabisch-andalusischen Familie. Sein Vater genoss in Tunis hohes Ansehen als Kenner des Korans, des islamischen Rechts, der Grammatik und der Poesie. Er legte sehr viel Wert auf eine gründliche Ausbildung seiner Kinder. Durch die Kontakte seines Vaters zur Hafasidendynastie lernte Khaldun bereits in seiner Kindheit auf Kombination von Bildung und staatsmännischer Ansicht näher kennen.

Ibn Khaldun genoss eine traditionelle Ausbildung in der arabischen Philologie und studierte Theologie, Philosophie, Logik, Mathematik, Geometrik, Metaphysik, Astronomie und Musik[8] zusätzlich führte ihn sein Vater in die Rechtswissenschaft und in die Poesie ein.

Seine Karriere begann als Unterschriftsberechtigter und Kalligraph am Hofe Tunis. In dieser beratenden Funktion wurde er in alle Regierungsgeschäfte eingeweiht. Obwohl er sehr gute Aussichten auf eine politische Karriere am Hofe Tunis hatte, wechselt er im Jahre 1354, dank der Beziehungen seiner Familie zu den merinidischen Herrschern, nach Fez[9]. Einer der Gründe hierfür lag darin, dass er infolge einer verheerenden Seuche sowohl seine Eltern als auch einen Großteil seiner Lehrer und Freunde verloren hatte[10]. Ein anderer Grund war, dass der merindinische Herrscher Abu Inan in dieser Zeit die Wissenschaft sehr förderte und viele Gelehrte um sich versammelte. Durch den entstehenden Kontakt zu den Gelehrten konnte Khaldun seine Ausbildung optimieren. Neun Jahre lebte Ibn Khaldun in Fez[11]. In dieser Zeit war er kurzfristig als Sekretär in der Verwaltung tätig.

Das bewahrte ihn aber im Jahre 1357 nicht davor, aufgrund seiner Freundschaft zu Abu Abdallah, einem Widersacher Abu Inans, für 21 Monate inhaftiert zu werden. Ein Grund hierfür wird nirgends aufgeführt. Erst nach dem Tode des Herrschers endete seine Haft[12]. Da Khaldun ständig den Bruder Abu Inans, Abu Salim, der der nächste Herrscher Marokkos wurde, unterstützt hatte, dankte dieser es Khaldun, indem er ihm die Position des Staatssekretärs zusprach und ihn mit der Regelung des Teils der Rechtsprechung betraute, der nicht von islamischen Vorschriften erfasst war.

Nach dem Tode Abu Salims fühlte sich Khaldun in Fez nicht mehr sicher und wanderte nach Granada aus. Khaldun, der mittlerweile ein hohes Ansehen in der arabischen Welt hatte, wurde durch Mohammed V., dem Herrscher Granadas, mit der Ratifizierung eines Friedensvertrages zwischen Kastilien und den Muslimen beauftragt. Bei dem Treffen mit Khaldun, schlug ihm der christliche Herrscher, Pedro der Grausame, bei dieser Gelegenheit vor, an seinem Hofe tätig zu werden. Als Anerkennung würde Khaldun die Besitzeigentümer seiner Familie in Sevilla zurückbekommen. Ibn Khaldun lehnt jedoch ab[13].

Um die Rivalität zwischen ihm und seinem Freund, dem Wesir Ibn al- Hatib, nicht weiter anzufachen, lässt sich Khaldun im Jahre 1365 in Bougie[14] nieder. Dort übernimmt er den Posten eines Kämmerers und hält nebenher juristische Vorlesungen. Als eine militärische Auseinandersetzung zwischen dem Herrscher von Bougie und seinem Vetter entsteht, flieht Ibn Khaldun und lässt sich im Jahre 1366 in Biskra[15] nieder. Als Ibn Khaldun aufgrund gespannter Verhältnisse beschließt zu den Meriniden, nach Spanien zu gehen, wird er vom Herrscher Abd al-Aziz daran gehindert und zum Kontaktmann zwischen ihm und den arabischen Stämmen gemacht. Als er nach zweijähriger Tätigkeit den Auftrag von Abd al- Aziz erhielt mit seiner Familie von Biskra nach Fez zu wechseln, erreicht ihn die Nachricht vom Tod al-Azizs. Er setzt seine Reise dennoch fort, beschließt aber nach seiner Ankunft in Fez, wegen den dortigen politischen Unruhen nach Spanien auszuweichen. Die Regierung in Granada bittet, nach Fez zurückzukehren[16].

Nach seinen Reisen zwischen Fez und Granada zieht er sich aus dem öffentlichen Leben zurueck und lässt sich mit seiner Familie in der Provinz Oran[17] in der einsamen Burg Qalaat Ibn Salama für drei Jahre nieder. Dort beginnt er, sein Hauptwerk kitab al-`ibAr zu schreiben. Im Jahre 1378 verlässt Khaldun die Burg, weil ihm dort keine Bibliothek zur Verfügung steht und reist nach Tunis. Dort angekommen, erlaubt ihm der dortige Herrscher, juristische Vorlesungen zu halten. Aufgrund seines enormen Wissensumfanges und weltläufigen Auftretens zog er dort den Neid der anderen Gelehrten auf sich. Um dieser Situation zu entfliehen, bittet er den Herrscher um Erlaubnis, die Pilgerfahrt nach Mekka machen zu dürfen[18]. Unter diesem Vorwand zieht er sich aus dem öffentlichen Leben in Tunis zurück und erreicht auf dem Seeweg im Jahre 1382 Alexandria, um von dort nach Kairo weiterzureisen[19]. In Ägypten lässt er sich bis zum Ende seines Lebens nieder, abgesehen von einigen Reisen in den Osten.

Seine Familie, die er auf dem Seeweg von Tunis nach Kairo nachreisen lässt, kommt bei einem Unwetter ums Leben[20].

In den darauf folgenden Jahren besitzt Ibn Khaldun in Ägypten Lehrbefugnisse an verschiedenen Universitäten und Lehranstalten[21]. Im Jahre 1400 begleitet er den Herrscher Ägyptens auf eine Expedition nach Damaskus, das von Timur Lenk belagert wird[22]. Dort trifft er sich als Unterhändler im Jahre 1401 mehrmals mit Timur, der ihm anbietet, in seine Dienste zu treten, was Khaldun aber ablehnt[23]. Als Eroberer interessiert sich Timur für Khalduns Kenntnisse über den Westen[24] und dessen Geographie. Umgekehrt nutzt Ibn Kahldun die Gelegenheit, um aus erster Hand Informationen über die östlichen Völker und ihren Herrscher Timur zu erhalten um diese für eigene Zwecke bzw. die seines Herrschers zu gebrauchen. Ibn Khaldun, der am 17.03.1406 starb, wurde insgesamt sechsmal als oberster Richter ein- und abgesetzt[25].

(Siehe Abb.1)

Ibn Khaldun wurde in der modernen Literatur vorgeworfen, ein Opportunist gewesen zu sein, der die Parteien ständig wechselte. Dieser Vorwurf ist für Severs völlig ungerechtfertigt, da Ibn Khaldun in einer Gesellschaft lebte, in der ein Parteiwechsel nicht ungewöhnlich war. In dieser Zeit waren die Gesellschaften Nordafrikas in Stämme und ihre Gefolgsleute gegliedert, in denen die Gefolgsleute zum Dienst bei wechselnden Herrschern verpflichtet waren und die Herrscher für die Sicherheit ihrer Gefolgsleute verantwortlich waren[26]. Hierzu führt Assaf auf, dass Khaldun sehr bemüht war, in seiner Autobiographie seine Parteiwechsel zu rechtfertigen, und dass er so lange loyal war, bis seine Sicherheit durch Arglist oder Tod des jeweiligen Herrschers nicht mehr gewährleistet war[27].

2.1. Khalduns Werke

"Ibn Khaldun ist der einzige Lichtpunkt in seinem Bereich des Firmaments ... Er hat eine Philosophie der Geschichte entwickelt und zu Papier gebracht, die zweifelsohne die größte Leistung ihrer Art ist, die jemals durch einen Kopf zu irgendeiner Zeit und an einem Ort erbracht worden ist" (Toynbee)[28].

Im Zentrum des Werkes Ibn Khalduns stehen, anders als bei den meisten arabischen Wissenschaftlern, zahlenmäßig nur wenige Arbeiten. Ohne Zweifel ragt aus seinem Opus die Universalgeschichte kitab al-`ibAr heraus. Auffällig ist, dass Ibn Khalid in seiner Autobiographie keine weiteren Werke erwähnt, was den Schluss nahe legt, dass er sich einzig als Historiker begriff, wodurch die Autorschaft an der Universalgeschichte für ihn natürlich einen besonderen Stellenwert besaß. Dennoch berichten ergänzende Quellen über weitere Werke, die er vornehmlich während der Zeit in Nordafrika und Spanien verfasst hat bzw. die dort ihren Ursprung haben. Sein wissenschaftliches Renommee gründet sich, wie auch Emam Assaf betont, aber vor allem auf das universalen Geschichtswerk „ Kitab al´Ibar“, das insgesamt sieben Bände umfasst[29]. Dabei stellt der erste Band Muqaddima, ein in sich eigenständiges Werk dar. Es besteht aus einer Erläuterung des Untersuchungsgegenstandes und des, wie man heute sagen würde, Untersuchungsdesigns. Diese methodologischen Vorreden untergliedern sich in sechs Teile, wobei der erste wie auch der fünfte Abschnitt weitere Vorreden enthalten[30].

Teilweise hat die Muqaddima Lehrbuchcharakter. Eingangs beschreibt Ibn Khaldun streng methodisch, was unter Geschichte zu verstehen ist und welche Methoden zu ihrer Erforschung geeignet sind[31]. Er beschreibt das Wesen der Geschichte bzw. Geschichtswissenschaft so: „Äußerlich mag sie im Nacherzählen von ungewissen Nachrichten bestehen, in ihrem Inneren aber liegt Beachtung, Untersuchung, genaue Erforschung der Ursachen der geschaffenen Dinge und ihrer Ausgangspunkte, tiefe Kenntnis der Wesensarten der Ereignisse und ihrer Gründe“[32].

Die Bände zwei bis fünf beschreiben die Historie der Menschheit bis zur Epoche Ibn Khalduns, die Bände sechs und sieben widmen sich der Geschichte des Maghreb und der Berbervölker. Diese beiden Letztgenannten sind in den Augen der Historiker der eigentliche Kern des Kitab al- Ibar, da Ibn Khaldun hier auf Basis seines Aufenthalts und seiner Dienste in der Verwaltung dieser Gegend besonders genaue Schilderungen bietet[33].

Die Muqaddima ist also als das Werk Ibn Khalduns anzusehen, das seinen Ruhm über seinen Tod hinaus sicherstellte und als weit bedeutender als die Universalgeschichte selbst galt, an der Ibn Khaldun lebenslang arbeitete. Diese Arbeit stellt eine Untersuchung der islamischen Geschichte dar, die in ihrer Form in der islamischen Kultur neu war, da sie eine Geschichtsschreibung darstellt, die zum ersten Mal wissenschaftlichen Grundsätzen genügte. Inhaltlich konzentrierte sich Ibn Khaldun dabei auf die Analyse der Ursachen für den Auf- und den Abstieg der arabischen Dynastien. Dabei verband er sozialwissenschaftlichen mit kulturwissenschaftlichen Betrachtungen und stellte vor allem auf die Legitimität von Staatsmacht allgemein ab. Diese sei dabei vor allem auf den von ihm umgedeuteten Begriff der Asabiya, die er als “ Blutsbande“, “Gruppengefühl“ oder “Solidarität“ begreift, begründete. Die in diesem Begriff zutage tretende soziale Bindung ist nach Ibn Khaldun die Grundlage aller weltlichen Macht[34].

Aus der Analyse der Geschichte des Islams sowie des islamischen Reiches leitete Ibn Khaldun schließlich allgemeine Regeln ab, die weit über historische Betrachtungen hinausgehen und die man heutzutage zum Teil auch dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre bzw. der Staatslehre zurechnen kann. Darüber hinaus betätigte er sich auf dem Gebiet, das man heute unter Wissenschaftstheorie subsumiert, indem er einerseits feste Regeln aufstellte, nach denen Kritik zu üben ist und er andererseits Kriterien identifizierte, die grundlegend für die Aufstellung einer wissenschaftlichen Theorie sind. Dabei müssen diese zunächst mit der beobachtbaren Realität übereinstimmen, da das, was zu beobachten ist, Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt einer Überlieferung zulässt. Die Dinge, die empirisch nicht zu fassen sind, fallen dagegen aus der Betrachtung heraus. Ein weiteres Feld, auf dem Ibn Khaldun im Rahmen der Muqaddima forschte, waren die allgemeinen Umweltbedingungen. Er machte Aufzeichnungen über das Klima sowie die daraus resultierende Anpassungen der Lebensgewohnheiten an die Umwelt, die letztlich mitprägend für die Herausbildung von verschiedenen Menschentypen waren, wie Khaldun es nennt. Ebenso sind in der Muqaddima Schilderungen bezüglich der ländlichen nomadischen Zivilisationen, allgemeine Überlegungen über den Aufbau und Erhalt von Herrschaft und Regierung, Berichte über fortschrittliche Zivilisationen der Städte, über das Wesen von Wirtschaft und Handwerk und über Wissenschaft und Literatur zu finden. Damit folgt das Hauptwerk Ibn Khalduns einem interdisziplinären Ansatz[35].

Diese Ausführungen machen deutlich, warum die “Al- Muqaddima“ als das klassische Werk der arabisch-islamischen Literatur gilt. und ihren Autor aus heutiger Sicht als Universalgelehrten, sowohl als Historiker als auch als Fachmann für Staatslehre, Wirtschaft und als ersten Sozialwissenschaftler dieser Zeit und dieses Kulturkreises erscheinen. Der die Funktionen und Bedingungen der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlicher Ordnung, ökonomischen Verhaltensweisen und Entwicklung der Zivilisation grundlegend analysierte[36].

Ibn Khaldun verfasste sein erstes Buch im Alter von 19 Jahren. Diesen „Lubab al- muhassal“ genannten Kommentar zur Theologie ar- Razis schrieb er noch unter Aufsicht seines Lehrers al- Abili. Die nächsten Werke, die „Sifa al- sa´il“ genannte Untersuchung über den Sufismus und die Untersuchungen zur Logik, „allqa li´L Sultan“, verfasste er bereits selbstständig während seines Granada-Aufenthaltes. Pätzold erklärt zu den Werken Khalduns, dass es nur vier, von Khaldun persönlich geschriebenen Exemplare, existieren, die in der Türkei vorzufinden seien[37]. Darunter eins mit dem Verfasservermerk, der diese Handschrift als das best erhaltene ausweist. Außerdem seien weitere Handschriften und Kopien in Tunis und Fez von Ibn Khaldun zu finden, jedoch soll nach den Recherchen Pätzolds bislang keine moderne wissenschaftlich-kritische Ausgabe, die alle Textvarianten verzeichnet, existieren[38].

Die erste, nahezu vollständige Übersetzung des Muqaddima soll laut Pätzold ein Türke namens Pirizade Efendi im Jahre 1730 verfasst haben, die im Jahre 1859 in Kairo im Druck erschienen sein soll[39]. Die erste europäische Übersetzung der Muqaddima wurde von dem Franzosen MacGuckin de Slane in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts verfasst. Neue Übersetzungen soll es nach Pätzold in Urdu (1924), Türkisch (1954), Portugiesisch (1958), Englisch (1958), Hindi (1961), Persisch (1966), Hebräisch (1966) und Französisch (1967) geben[40].

2.2. Thesen und Aussagen über die Ökonomie

Assaf zählt Ibn Khaldun zu den ersten Forschern, die sich intensiv mit den Wirtschaftswissenschaften befassten und für dieses Fachgebiet eigene Gesetze und Regeln aufstellten.[41] Ibn Khaldun zufolge soll das Studium der ökonomischen Umstände objektiv und wissenschaftlich fundiert erfolgen, indem zunächst die Gründe für unterschiedliche Phänomene erkannt werden müssen, diese systematisch verglichen werden, um dann im Anschluss anhand der Ergebnisse allgemeingültige wirtschaftliche Gesetze ableiten zu können[42]. Ibn Khaldun erkannte nach Assaf die Zusammenhänge sowohl zwischen Geschichtswissenschaft und Soziologie als auch zwischen Ökonomie und Soziologie. Die Mittel zur Erhaltung der Existenz liefern nach Khaldun der Ackerbau, die Viehzucht, der Handwerk, der Handel und die Künste[43], dies sind die Elemente dessen was man Wirtschaft nennt[44].

Khaldun bezeichnet die Landwirtschaft, das Handwerk und den Handel als die schlichten Wege des Unterhaltsverdienstes. Dabei sieht er den Ackerbau als die älteste Form des Broterwerbs an, da er von jedem einfach zu betreiben sei und man dazu kaum dezidierte (wissenschaftliche) Kenntnisse benötigt, sondern lediglich Erfahrung. Die Landwirtschaft bezeichnet Khaldun deswegen auch als die Basis allen Lebens[45]. Die nächst höhere Stufe bilden die Handwerksberufe, die nicht nur Ausbildung und Talent verlangen, sondern auch vielfältige Anforderungen an das Denken und die Aufmerksamkeit stellen. Khaldun rechnet ihnen auch die Wissenschaft zu, die aus diesem Grund nur bei sesshaften Völkern zu finden ist[46]. Als die natürliche Form, Gewinn zu erzielen, sieht er dagegen den Handel an, der zwar auch eine Ausbildung verlangt, jedoch auch sehr stark von listigem und taktischem Verhalten geprägt ist[47].

Khalduns Ausgangspunkt seiner ökonomischen Betrachtungen ist die Arbeitsteilung. Sie ist die Grundlage des wirtschaftlichen Handelns, da kein Mensch allein seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann. Um diese These zu untermauern, führt er die Brotherstellung an, die, wenn sie produktiv erfolgen soll, die Zusammenarbeit mehrerer Personen erfordere, auf die im späteren Teil der Arbeit noch mal genauer eingegangen wird.[48].

Er unterteilt zudem auch die Güter des täglichen Lebens in die Kategorien „lebensnotwendig“, „nur erwünscht“ (ergänzende Güter) und „vollkommen“ (Luxus). Das erwünschte, ergänzende Gut kann dabei erst dann produziert werden, wenn die Versorgung mit lebensnotwendigen Produkten gewährleistet ist[49]. Hier spiegeln sich die Grundgedanken der Maslowsche Bedürfnis Pyramide auf die im später folgendem Teil der Arbeit eingegangen wird.

Aufgrund der Tatsache, dass in bevölkerungsreichen Gebieten eine große Überproduktion an notwendigen Gütern stattfindet, ist allein dort eine Verlagerung der menschlichen Arbeit auf Handel und Luxusproduktion möglich. Dabei steigen die Differenzierung und die Ausgestaltung von Handwerk und Luxusproduktion mit zunehmender Größe bzw. Bevölkerungszahl der Städte an. Khaldun unterteilt in natürliche und unnatürliche Arten des Lebensunterhalts. Als „natürlich“ bezeichnet er die Landwirtschaft, das Handwerk und den Handel[50]. Als „unnatürlich“ sieht er das Erlangen des Lebensunterhalts auf der Basis von Steuern und Tribute genauso an wie die Aufgabe, sich als Diener zu verdingen, was selbst für solche in hohen Stellungen gilt. Dennoch sei beides legitim[51]. Diese Einteilung ist Basis für Ibn Khalduns vorgenommenen Teilung derWirtschaft in die drei Sektoren Produktion, Handel und Staat. In ihnen wird entsprechend das Einkommen per Löhne, Profite und Steuern erzielt[52].

Ibn Khaldun beobachtete das Treiben auf den islamischen Märkten lange Jahre, was ihn eine umfassende empirische Theorie von Angebot und Nachfrage formulieren ließ. Die se beschreibt folgenden Mechanismus: Nur das, was nachgefragt wird, wird auch dauerhaft angeboten. Hiernach richten sich nicht nur Werte und Preise aus, sondern auch die Produktion, der Konsum und letztlich auch die Gesellschaft (in Form des Arbeitsmarktes). Ist der Preis eines Gutes über eine lange Zeitspanne niedrig, so sinkt auch der Anreiz, dieses Gut in die Produktion aufzunehmen[53], was weitere wirtschaftliche Folgen nach sich zieht.

[...]


[1] Vgl. Exenberger 2001.

[2] Vgl. Assaf (1993), S. 72.

[3] Vgl. Pätzold (1992), S. 99ff.

[4] Vgl. Pätzold (1992), S. 221.

[5] Vgl. Daiber (2000), S. 34.

[6] Vgl. ebenda.

[7] http://www.eslam.de/begriffe/i/ibn_chaldun.htm .

[8] Vgl. Exenberger 2001.

[9] Vgl. Daiber (2000), S. 35.

[10] http://www.aurora-magazin.at/gesellschaft/patriarca_khaldun_frm.htm .

[11] Stadt im heutigen Marokko.

[12] Vgl. Daiber (2000), S. 35.

[13] Vgl. ebenda.

[14] Stadt im heutigen Algerien.

[15] Stadt im heutigen Algerien.

[16] Vgl. Daiber (2000), S. 36 .

[17] Liegt im heutigen Algerien.

[18] Vgl. ebenda.

[19] Vgl. Pätzold (1992), S. 11.

[20] Vgl. ebenda.

[21] Vgl. ebenda.

[22] Vgl. ebenda.

[23] Vgl. ebenda.

[24] Westen bezeichnet hier nicht Europa, sondern alles was geographisch westlich von Damaskus liegt.

[25] Vgl. Pätzold (1992), S. 11.

[26] Vgl. von Severs (1968), S. 19.

[27] Vgl. Assaf (2000). 128.

[28] Vgl. Bliss 2000.

[29] Vgl. Exenberger 2001.

[30] Vgl. ebenda.

[31] Vgl. ebenda.

[32] Schimmel (1951), S. 1.

[33] Vgl. Daiber (2000), S. 39.

[34] Vgl. ebenda.

[35] Vgl. Exenberger 2001.

[36] Vgl. Schefold (2000), S. 140ff.

[37] Vgl.Pätzold (1992), S. 24.

[38] Vgl. ebenda.

[39] Vgl. ebenda.

[40] Vgl. ebenda .

[41] Vgl. Assaf (2000), S. 78.

[42] Vgl. ebenda.

[43] Vgl. Rosenthal (1932), S. 72.

[44] Vgl. ebenda..

[45] Vgl. Essid (2000), S. 57.

[46] Vgl. Essid (2000), S. 67.

[47] Vgl. Exenberger 2001.

[48] Vgl. Assaf (2000), S. 79.

[49] Vgl. Rosenthal (1932), S. 6.

[50] Vgl. Pätzold (1992), S. 214.

[51] Vgl. Pätzold (1992), S. 215.

[52] Vgl. ebenda.

[53] Vgl. Assaf (1993), S. 81ff.

Fin de l'extrait de 44 pages

Résumé des informations

Titre
Die Muqaddima - Ibn Khalduns ökonomische Theorien im Vergleich
Université
University of Hamburg
Note
2,3
Auteur
Année
2008
Pages
44
N° de catalogue
V126351
ISBN (ebook)
9783640323166
ISBN (Livre)
9783640321209
Taille d'un fichier
664 KB
Langue
allemand
Mots clés
Muqaddima, Khalduns, Theorien, Vergleich
Citation du texte
B. A. Turhan Kurt (Auteur), 2008, Die Muqaddima - Ibn Khalduns ökonomische Theorien im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126351

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