Zur Verschlossenheit des scheinbar Offenen

Anmerkungen zur Metapher im Werk Franz Kafkas unter besonderer Berücksichtung poststrukturalistischer Theorien


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2008

24 Pages, Note: sehr gut


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. Die Verschlossenheit des scheinbar Offenen – Eine Einleitung

II. Sinnfiguren im Werk Franz Kafkas

III. „Vor dem Gesetz“

IV. Poststrukturalistische Perspektiven auf Kafka: Jacques Derridas „Préjugés devant la loi“
1. Theoretische Grundlagen der Dekonstruktion
2. Die Form als Praxis poststrukturalistischer Theorie
3. Das Verhältnis von Gesetz und Literatur
4. Die Verschlossenheit des scheinbar Offenen

V. Resümee

VI. Literaturverzeichnis
1. Primärliteratur
2. Sekundärliteratur

I. Die Offenheit des scheinbar Verschlossenen – Eine Einleitung

Die Offenheit des literarischen Werkes Franz Kafkas kann aus der Fülle der ihm gewidmeten literaturwissenschaftlichen Publikationen, die für die Vielzahl der Interpretationsmöglichkeiten der Texte steht, bereits erahnt werden. Nichtsdestotrotz steht diese Offenheit der Texte zugleich für ihre Verschlossenheit: Eindeutige Interpretationen erweisen sich als äußerst schwierig.

Die vorliegende Arbeit setzt sich daher das Ziel, dieser Ambiguität Franz Kafkas nachzugehen. Sie soll sich dabei in zwei größere Abschnitte gliedern. Im ersten Teil der Analyse sollen zwei kurze Texte von Franz Kafka – „Vor dem Gesetz“ und „Von den Gleichnissen“ – herangezogen werden und in Zusammenhang mit der Frage der Metaphorik untersucht werden.

Im ersten Kapitel sollen zunächst zentrale Figuren und Charakteristika aus Kafkas Werk mit dem Ziel der ersten Orientierung thematisiert werden. Das folgende Kapitel soll diese zuvor postulierten Charakteristika dann exemplarisch auf die Erzählung „Vor dem Gesetz“ anwenden.

Im zweiten größeren Abschnitt der Arbeit soll dann eine poststrukturalistische Interpretation der Erzählung „Vor dem Gesetz“, nämlich Jacques Derridas „Préjugés devant la loi“ näher beleuchtet werden. Der poststrukturalistische Zugang erscheint für eine Auseinandersetzung mit der Erzählung besonders geeignet, da die poststrukturalistische Theorie der textuellen Qualität der Offenheit in besonderem Maße Rechnung trägt, indem sie die Möglichkeit eindeutiger und abgeschlossener Interpretationen grundsätzlich in Frage stellt – und sich damit in einem spannenden Geflecht von Wechselbeziehungen mit Kafkas Texten befindet.

Eingangs soll der Versuch unternommen werden, so knapp wie möglich die Grundlagen poststrukturalistischer Theorie bzw. der Dekonstruktion vorzustellen. Danach soll das Augenmerk auf Derridas Essay gerichtet werden, wobei der Text insbesondere in seiner Form der Darstellung betrachtet werden soll, da es nicht zuletzt diese ist, welche die theoretischen Positionen Derridas widerspiegelt, illustriert und so verständlich machen kann.

In einem weiteren Schritt soll der Verbindung von Gesetz und Literatur nachgegangen werden, die Derrida in seinem Essay immer wieder herstellt. Dann soll schließlich die Frage der Verschlossenheit des scheinbar Offenen, um die Derridas Essay wiederholt kreist, nachgegangen werden, um so die im ersten Teil der Arbeit verfolgte Fragestellung an das Werk Franz Kafkas wieder aufzunehmen und durch die Lektüre Derridas in einem neuen Licht erscheinen zu lassen.

Das abschließende Resümee wird dann die Ergebnisse der Untersuchung nochmals so prägnant wie möglich versuchen zusammenfassen, um diese Arbeit abzurunden und einen Ausblick auf mögliche weiterführende Fragestellungen zu geben.

II. Sinnfiguren im Werk Franz Kafkas

Franz Kafkas Leben war von einer zentralen Paradoxie geprägt: Schreiben schloss Leben aus, das Leben wiederum das Schreiben. Diese Aporie manifestierte sich vor allem in seinem Verhältnis zur Frau, im Besonderen zu seiner Verlobten Felice Bauer. Zum ersten Mal verlobte sich Kafka mit ihr 1914, kurze Zeit später lösten die beiden das Verlöbnis in einem Berliner Hotel wieder. Kafka erlebte das Ende der Verlobung als „Gerichtshof im Hotel“ und fühlte sich gerichtet. Anschließend – und hierin zeigt sich die enge Verflechtung von Leben und Werk des Autors - begann er die Arbeit am Roman „Der Prozeß“.[1]

Zum zweiten Mal verlobte sich Kafka mit Felice Bauer im Jahr 1917. Neuerlich wurde die Verlobung im Zuge eines Blutsturzes als Symptom der Tuberkulose gelöst. Kafka nannte die Krankheit „Rettung vor der Heirat“, aber auch „endgültige Niederlage“. Er wusste, dass sein Schreiben das Alleinsein erfordert. Zugleich erkannte er die Aporie und korrelierte Ehe und Märtyrertod einerseits, Zölibat und Selbstmord andererseits.[2]

Diese kurzen Einblicke in Kafkas Welterfahrung verweisen bereits auf die für sein literarisches Werk essentiellen Begriffe des Paradoxon und der Aporie, die an dieser Stelle terminologisch festgemacht werden sollten. Der Begriff des Paradoxon („Unerwartetes“) steht für scheinbar widersinnige, zunächst nicht einleuchtende, da der allgemeinen Meinung, Erfahrung und Logik widersprechende, Behauptungen, die sich jedoch bei näherer Betrachtung als richtig erweisen.[3]

Unter Aporie („Weglosigkeit“) ist eine rhetorische Sinnfigur zu verstehen, in der der Redner eine Lösung fiktiv oder real ausweglos erscheinender praktischer Probleme bzw. von Darstellungsproblemen sucht. Ein bekanntes Beispiel einer Aporie in der Literatur wäre etwa der Schluss von Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, in dem der Vorhand fällt, aber alle Fragen offen gelassen werden. Das Publikum erhält so den Auftrag, selbst Lösungen zu finden.[4]

In Kafkas Schreiben kehren die Charakteristika der Kafkaschen Welterfahrungen wieder, die sich, folgt man Hiebels Darstellung, in drei Richtungen zusammenfassen lassen. Die Welt erscheint, erstens, zutiefst unerklärlich und paradox. Zweitens gewinnt diese Welt ausschließlich als Metapher Gestalt – Kafka dachte, sprach und schrieb in Bildern. Zum dritten vermischen sich in Kafkas Weltdarstellung Außenwelt und Innenwelt.[5]

Mit dieser Form des Schreibens radikalisierte Kafka die Grundbestimmung der Poesie, die als ichzentrierte, personale, subjektive Weltwahrnehmung oder als „Mimesis der Welt, wie sie sich dem wahrnehmenden Ich präsentiert“[6] definiert werden kann. Die generelle Subjektivität poetischer Weltwahrnehmung steigert Kafka zu einer Verschachtelung und Ineinanderverschränkung von Außen- und Innenwelt.[7]

In seinem kurzen Text „Von den Gleichnissen“[8] thematisiert Franz Kafka die für das Thema der Metaphorik interessante Frage des Gleichnisses. Er macht dabei seine kritische Haltung gegenüber jenen Formen der Sprachverwendung deutlich, die sich bewusst verschiedener Stilmittel bedienen: „Alle diese Gleichnisse wollen eigentlich nur sagen, daß das Unfaßbare unfaßbar ist, und das haben wir gewußt. Aber das, womit wir uns jeden Tag abmühen, sind andere Dinge.“[9]

Zusammenfassend kann nichtsdestotrotz festgehalten werden, dass die wesentlichsten Charakteristika Kafkas in der sich verästelnden Paradoxie, der vielbezüglichen, gleitenden Metaphorik und dem Zirkel von Innen und Außen gesehen werden kann.[10] Mit Hiebel könnte man die Essenz des Kafkaesken wie folgt zusammenfassen:

Kafkas epochales Charakteristikum ist der Schnitt zwischen Signifikant und Signifikat, zwischen Zeichenkörper und Bedeutung, zwischen Vergleich und Verglichenem, zwischen Erzählbewegung und Sinn.[11]

Das Resultat dieser Denkbewegung ist die berühmte kafkaeske Rätselhaftigkeit. Sie konstituiert sich, so Hiebel, im Wesentlichen über die drei oben erläuterten Charakteristika von Kafkas Schreiben.[12] – Die folgende Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundüberlegungen des Poststrukturalismus wird nachhaltige Überschneidungen mit dem Werk Franz Kafkas sichtbar machen.

[...]


[1] Vgl. Hiebel, Hans H.: Franz Kafka: Form und Bedeutung. Formanalysen und Interpretationen von Vor dem Gesetz, Das Urteil, Bericht für eine Akademie, Ein Landarzt, Der Bau, Der Steuermann, Prometheus, Der Verschollene, Der Prozeß und ausgewählten Aphorismen. Würzburg: 1999, S. 13.

[2] Vgl. ebd., S. 13.

[3] Vgl. Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. 8., erweiterte und verbesserte Auflage. Stuttgart: 2001, S. 588.

[4] Vgl. ebd., S. 40.

[5] Vgl. Hiebel (1999), S. 13.

[6] Ebd., S. 13.

[7] Vgl. ebd., S. 13-14.

[8] Vgl. Kafka, Franz: Von den Gleichnissen. In: ders.: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, herausgegeben von J. Schillemeit. Frankfurt a. M.: 1992, S. 531-532.

[9] Ebd., S. 532.

[10] Vgl. Hiebel (1999), S. 14.

[11] Ebd., S. 14.

[12] Vgl. ebd., S. 14.

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Zur Verschlossenheit des scheinbar Offenen
Sous-titre
Anmerkungen zur Metapher im Werk Franz Kafkas unter besonderer Berücksichtung poststrukturalistischer Theorien
Université
University of Vienna  (Vergleichende Literaturwissenschaft)
Cours
PS Literaturtheorie: Der Begriff der Metapher zwischen Philosophie und Literatur
Note
sehr gut
Auteur
Année
2008
Pages
24
N° de catalogue
V126550
ISBN (ebook)
9783640324507
Taille d'un fichier
444 KB
Langue
allemand
Mots clés
Verschlossenheit, Offenen, Anmerkungen, Metapher, Werk, Franz, Kafkas, Berücksichtung, Theorien
Citation du texte
Bernd Csitkovics (Auteur), 2008, Zur Verschlossenheit des scheinbar Offenen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126550

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