Die Funktion der Treue in Heinrichs des Glîchezâres "Reinhart Fuchs"


Seminararbeit, 2020

15 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Analyse
2.1. Die Bedeutung der Treue im Mittelalter
2.2. Textanalyse

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Treue gilt als einer der wichtigsten und grundlegendsten gesellschaftlichen Werte des Mittelalters. Ein Werk, welchem in diesem Hinblick eine besondere Be- deutung zukommt, ist das Tierepos „Reinhart Fuchs“, welches vermutlich gegen Ende des 12. Jahrhunderts von Heinrich dem Glîchezâren geschrieben wurde. Hein- richs Beiname, „der Glîchezâre“, welcher sich als „der Gleißner“ übersetzen lässt, wurde Wallner zufolge fälschlicherweise vom Fuchs auf den Autor übertragen.1

Bei diesem Werk handelt es sich um das erste Tierepos, welches in der deutschen Sprache verfasst wurde. Es wird davon ausgegangen, dass das Tierepos an den alt- französischen „Roman de Renart“ angelehnt wurde, da es viele inhaltliche Über- schneidungen gibt.2 Das Werk selbst ist nur in Fragmenten übertragen, welche u.a. in Kassel und Heidelberg aufbewahrt werden.3 Es ist davon auszugehen, dass Hein- rich aus dem Elsass stammte und das Tierepos dementsprechend für ein elsässisches Publikum ausgelegt war, worauf positive Erwähnungen des Walthers von Horburg in Vers 1024 oder des Klosters Erstein in Vers 2123 schließen lassen.4

Die epische Dichtung handelt von dem intriganten Fuchs Reinhart, der durch Listen alle Tiere in seinem Umfeld in Bedrängnis bringt und daraus eigene Vorteile für sich zu erlangen. Besonders ein augenscheinlich enger Vertrauter des Fuchses, der Wolf Isengrin, hat unter Reinharts Boshaftigkeit zu leiden. Max Wehrli bezeichnet

„Reinhart Fuchs“ als „erste europäische Form des Schelmromans“ 5, was in gewis- ser Hinsicht als ironisch interpretiert werden kann, da der Duden den Begriff „Schelm“ als „jemand, der gern anderen Streiche spielt“ oder als „Spaßvogel“ de- finiert.6 Setzt man sich jedoch näher mit der Geschichte um Reinhart Fuchs ausei- nander, so fällt auf, dass er alles andere als ein „Spaßvogel“ ist, sondern die Figuren in seinem Umfeld schamlos zu seinem Vorteil ausnutzt, was im weiteren Verlauf dieser Hausarbeit aufgezeigt werden wird.

Da sich der heutige Treuebegriff stark von dem des Mittelalters unterscheidet, ist dies bei der Analyse des Textes zu beachten. Joachim Bumke bemängelt, dass eine zusammenfassende Analyse der hofkritischen Motive in der mittelhochdeutschen Literatur fehle. Die Ergebnisse dieser Hausarbeit könnten diesen Prozess jedoch unterstützen, indem herausgestellt wird, inwiefern das Prinzip der Treue in „Rein- hart Fuchs“ umgesetzt wird.7

Dazu wird zuerst der Treuebegriff im Mittelalter näher beschrieben, um ein Ver- ständnis für den gesellschaftlich-historischen Kontext des Werkes zu schaffen. Da- ran anschließend werden ausgewählte Textstellen des Tierepos herangezogen, um daran zu verdeutlichen, inwiefern Reinhart die mittelalterlichen Regeln bezüglich der Treue in verschiedenen Episoden des Werkes umsetzt. Dadurch soll verdeut- licht werden, welche Bedeutung der Treue in „Reinhart Fuchs“ zukommt und wie der Fuchs diese zu seinem Vorteil nutzt, um andere Tiere heimtückisch zu hinter- gehen.

2. Analyse

Das folgende Kapitel wird sich mit dem mittelalterlichen Verständnis der Treue beschäftigen. Dazu wird zunächst die höfische Kultur des Mittelalters genauer er- läutert, da die Treue einen zentralen Bestandteil dieses Wertesystems darstellt. An- schließend wird anhand des Originaltextes genauer erklärt, inwiefern Reinhart das Ideal der Treue erfüllt beziehungsweise wie er den Treuebegriff der damaligen Zeit zu seinem Vorteil ausnutzt. Dabei kann aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Ausarbeitung nicht auf jegliche Textstellen, in welcher auf die Thematik der Treue eingegangen wird, verwiesen werden. Stattdessen werden exemplarische Beispiele aus verschiedenen Episoden des Tierepos zur Veranschaulichung herangezogen.

2.1. Die Bedeutung der Treue im Mittelalter

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hat sich in Deutschland eine neue Ge- sellschaftskultur etabliert. Diese neue Form des Hofes ist in Deutschland im Zuge der Territorialisierung durch Einflüsse des Fürstenhofs aus Frankreich und den Nie- derlanden entstanden und vollzog sich bis ins 13. Jahrhundert hinein.8

Der Hof ist zudem der hauptsächliche soziale Ort der Ausübung der ritterlich-höfi- schen Kultur.9 Auch stellte die ritterlich-höfische Kultur etwas komplett Neues dar, da sich diese von der Oberschichtenkultur des vorherigen als auch von der des kom- menden Zeitalters drastisch unterschied.10 Die „triuwe“ war eine grundlegende Vo- raussetzung, um als ethisch definierter Mensch angesehen zu werden, da sie ver- schiedene Aspekte umfasste. Zudem war die „triuwe“ (Loyalität und Treue) neben „zuht“ (höfische Erziehung), „mâze“ (Maßhaltung), „êre“ (gesellschaftliches An- sehen), „staete“ (Beständigkeit), „milte“ (das Prinzip der Freigebigkeit), „schoener site“ (Anstand), „fröude“ (Freudigkeit) und „hohem muot“ (Hochherzigkeit) ein essenzieller Bestandteil des mittelalterlichen ritterlichen Tugendsystems.11 Dieses System wird auch als „Curialitas“ bezeichnet und beinhaltet die Gruppe von inneren und äußeren Haltungs- und Verhaltensvorschriften, welche die Tugend mit sich bringt.12 Dabei ist zu beachten, dass nicht alle Personen, welche diese Bedingungen erfüllen, als „höfisch“ gelten, sondern lediglich diese, welche ihre Tugend durch immer wiederkehrende Proben unter Beweis stellen, wodurch die damalige „Hö- fischkeit“ als dynamisches Gebilde betrachtet werden kann.13

Das neuhochdeutsche Wort „Treue“ stammt vom mittelhochdeutschen Wort „triuwe“ beziehungsweise dem althochdeutschen Wort „triuwa“ ab und zählte im Mittelalter zu den wichtigsten Tugenden.14 Dabei geht man davon aus, dass ein Zu- sammenhang mit dem indogermanischen Wort für „Baum“ beziehungsweise „Holz“ bestehen könnte, sodass als seine Grundbedeutung „fest wie Holz“ in Be- tracht gezogen werden könnte.15 Das mittelhochdeutsche Wörterbuch nach Matthias Lexer definiert „triuwe“ als „Wohlmeinenheit, Aufrichtigkeit, Zuverläs- sigkeit, Treue (überh. Das sittliche Pflichtverhältnis zwischen allerhand einander Zugehörigen)“.16 Dadurch wird deutlich, dass der Eingang der „triuwe“ mit einer gewissen Verantwortung einhergeht, da sozusagen ein Bund zwischen den Parteien geschlossen wird. Katja Gvozdeva und Hans Rudolf Velten resümieren Jan-Dirk Müllers Aussagen zur Treue und festigen den bisher präsentierten Treuebegriff, in- dem sie feststellen:

[ T ] riuwe schließt alle positiven zwischenmenschlichen Beziehungen zusammen, vom Ver- sprechen, nicht feindlich zu handeln und Zusagen einzuhalten, über politische Bündnisse, Verpflichtungen innerhalb des Verwandtschaftsverbandes oder zwischen gesellen bis hin zur affektiven Zuwendung zu anderen, zur Frau, selbst zu Gott.17

Zudem kann Otfrid Ehrismann zufolge zwischen vier verschiedenen Bereichen des Treuebegriffs differenziert werden, nämlich der verwandtschaftlichen, religiösen, juristischen sowie der ethischen Treue.18 Arno Borst macht darüber hinaus deutlich, dass die Treue sich nicht ausschließlich auf den engsten Verwandtenkreis beschränkt, indem er sagt: „Treue gedeiht in einem Kreis, der zwar aus weitläufig Verwandten besteht, aber keine Familie ist, sondern ein Bund.“19 Dadurch wird deutlich, dass Treue sich nicht ausschließlich auf die Familie bezieht, sondern auch durch andere Allianzen wie beispielsweise Freundschaft oder Patenschaft geschlos sen werden kann.

Im Mittelalter galt man außerdem erst durch seine Verwandten und deren organi- satorische Prinzipien als Rechtsperson.20 Der Vorwurf mangelnder Treue sprach einer Person zu Zeiten des Mittelalters jegliche Soziabilität ab, wodurch ein Treuebruch einen Ausschluss von gemeinschaftlichen Aktivitäten und somit enorme Konsequenzen mit sich bringen konnte.21 Dies hebt nochmals die Bedeu- tung eines bestehendes Treueverhältnisses zu damaligen Zeiten hervor, da aufgrund der rechtlichen Grundlagen eine gewisse Abhängigkeit von den Verwandten bestand und eine Schädigung dieses Verhältnisses deswegen strengstens zu vermei den war.

Dieses Prinzip ist auch für das Werk „Reinhart Fuchs“ relevant, da dieses nur vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Verwandtschaftsverhältnisses verstanden werden kann.22 Treue und Recht waren damals insofern miteinander verbunden, dass die Verwandten einander bei Rechtsangelegenheiten, zum Beispiel in Form von Eidhilfe, unterstützten.23 Somit konnte vor Gericht keinesfalls auf die Unter- stützung der Verwandten verzichtet werden. Dies hatte zur Folge, dass ein Verbre- chen gegen Verwandte mit besonderer Härte sanktioniert wurden und das Rechts- verhältnis sowie jemandes Verpflichtungen gegenüber einer anderen Person von der Enge des Verwandtschaftsgrades abgeleitet wurden.24

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass während des Mittelalters ein enger Zusammenhand zwischen Treue und Verwandtschaft bestand, da man zur Einhal- tung der Treue einer/eines Verwandten verpflichtet war. Das folgende Kapitel wird sich auf diese Erkenntnis stützen und analysieren, inwiefern Reinhart Fuchs diesen Usus zu seinem Vorteil ausnutzt.

2.2. Textanalyse

Bereits in den anfänglichen Episoden des Werkes, in welchem Reinhart auf einen Hahn, eine Meise, einen Raben und einen Kater trifft, spielt die Treue eine entschei- dende Rolle für den Verlauf der Handlung. Um dies zu verdeutlichen, wird im Fol- genden zunächst genauer auf Reinharts Interaktion mit der Meise und anschließend auf seine Unterhaltung mit dem Raben eingegangen. Die Basis der folgenden Un- terhaltung ist, dass Reinhart auf der Suche nach etwas Essbarem ist und er plant, die Meise zu überlisten, um sie anschließend zu verspeisen.

[...]


1 Anton Wallner: Reinhartfragen. S. 214f.. Zit. Nach Wachinger u.a.: Verfasserlexikon – Die deut- sche Literatur des Mittelalters. S. 666.

2 Vgl. Karl-Heinz Göttert: Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch und Neu- hochdeutsch. V. 170-172.

3 Vgl. Wachinger u.a.: Verfasserlexikon – Die deutsche Literatur des Mittelalters. S. 667.

4 Vgl. ebd., S. 667.

5 Max Wehrli: Formen mittelalterlicher Erzählung. S. 123.

6 Dudenredaktion: „Schelm“ auf Duden online.

7 Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur: Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter [bis ca. 1300]. S. 838.

8 Vgl. Werner Paravicini: Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters. S. 6.

9 Vgl. ebd., S. 6.

10 Vgl. ebd., S. 1.

11 Vgl. Werner Paravicini: Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters. S. 7.

12 Vgl. ebd., S. 7.

13 Vgl. ebd., S. 7.

14 Vgl. Otfried Ehrismann: Ehre und Mut, Aventiure und Minne – Höfische Wortgeschichten aus dem Mittelalter. S. 211.

15 Vgl. ebd., S. 211.

16 Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. S. 231.

17 Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang: die Welt des Nibelungenliedes. S. 153-163.; vgl. Katja Gvozdeva und Hans Rudolf Velten: Scham und Schamlosigkeit: Grenzverletzungen in Literatur und Kultur. S. 79.

18 Vgl. Otfried Ehrismann: Ehre und Mut, Aventiure und Minne – Höfische Wortgeschichten aus dem Mittelalter. S. 211-215.

19 Arno Borst: Lebensformen im Mittelalter. S. 460.

20 Vgl. Sigrid Widmaier: Das Recht im „Reinhart Fuchs“. S. 23.

21 Katja Gvozdeva und Hans Rudolf Velten: Scham und Schamlosigkeit: Grenzverletzungen in Li- teratur und Kultur. S. 79.

22 Vgl. ebd., S. 23.

23 Vgl. ebd., S. 25.

24 Vgl. ebd., S. 26.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Funktion der Treue in Heinrichs des Glîchezâres "Reinhart Fuchs"
Hochschule
Universität Kassel
Note
1,3
Jahr
2020
Seiten
15
Katalognummer
V1266578
ISBN (Buch)
9783346706997
Sprache
Deutsch
Schlagworte
funktion, treue, heinrichs, glîchezâres, reinhart, fuchs
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Die Funktion der Treue in Heinrichs des Glîchezâres "Reinhart Fuchs", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1266578

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