Fallbesprechung aus der Perspektive eines Jugendamtes. Projektarbeit zur Sozialen Arbeit


Projektarbeit, 2019

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhalt

1. Zur Einführung

2. Was?

3. Warum?

4. Woraufhin?

5. Wer?

6. Womit?

7. Wie?

8. Wirksamkeit?

9. Fazit

10. Literaturverzeichnis

1. Zur Einführung

In dieser Projektarbeit beschäftige ich mich mit dem Fall Maurice P., den ich zum Teil aus der eigenen beruflichen Praxis als Facherzieher für Integration an einer Grundschule mitbringe. Da ich jedoch ab dem kommenden Jahr im Jugendamt tätig sein werde, beleuchte ich den Fall aus dieser Perspektive und kann diese Bearbeitung ebenfalls als Vorbereitung auf die neue Praxis sehen.

Das Grundkonstrukt dieser Arbeit folgt den Wissensformen der normativen Handlungswissenschaft nach Staub-Bernasconi. Diese besteht aus acht Phasen, die ich zu sieben zusammengefasst habe. Hier ein kurzer Überblick:

1. Was?
2. Warum?
3. Woraufhin?
4. Wer?
5. Womit?
6. Wie? und
7. Wirksamkeit?1

Zur professionell-theoretischen Fundierung greife ich im Folgenden auf verschiedene Instrumente wie das Genogramm oder die Ressourcenkarte zurück und folge im gesamten Ablauf der Theorie der Lebensbewältigung nach Lothar Böhnisch.

Zum Abschluss ziehe ich ein Fazit, beginne aber zunächst mit einer Analyse der Situation um Maurice P.

2. Was?

Maurice ist ein elfjähriger Junge und besucht die fünfte Klasse im sechsten Schulbesuchsjahr einer Grundschule. Genau wie die Kindesmutter hat Maurice die Krankheitsdiagnose Diabetes mellitus Typ I mit dem Risiko schwerer Unterzuckerung und auf dieser Grundlage den Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen H (Hilflosigkeit) sowie B (Begleitperson). Des Öfteren musste Maurice den Notruf wählen, da die Kindesmutter aufgrund ihrer Diabetes schwer unterzuckert und nicht mehr ansprechbar war.

Im Genogramm lässt sich die familiale Situation gut erörtern:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Maurice lebt mit seinem, inzwischen sechsjährigen Bruder, sowie der Mutter in einer Vierraumwohnung. Trotz eines bestehenden gerichtlich festgelegten Kontaktverbotes des Vaters, Viktor R., ist dieser in wiederkehrenden Perioden im Haushalt ansässig und unterhält eine On-/Off-Beziehung sowohl mit der Kindesmutter sowie mit Frau L., mit der er hauptamtlich mit einem gemeinsamen Kind und einem Kind von Frau L. zusammenwohnt. Das Kontaktverbot wurde aufgrund von Alkoholismus mit einhergehenden verbalen sowie körperlichen Aggressionen gegenüber der Kindesmutter und den Kindern ausgesprochen. Die Beziehung sei laut Aussagen von Frau P. ebenfalls geprägt von einer generellen Abwertung gegenüber Frauen, welche auch Maurice, besonders, wenn der Kindesvater präsent ist, übernehme. Zu seiner Halbschwester, Amy L., hat Maurice unregelmäßigen Kontakt. Die Verwandten des Kindesvaters sind für Maurice unbekannt bzw. besteht kein Kontakt zu ihnen. Maurice Tante mütterlicherseits Diana P. sowie Oma Christina P. leben in Eisenhüttenstadt, sind jedoch regelmäßig präsent und unterstützen die Familie. Die Kindesmutter hatte vor der Geburt von Maurice eine Fehlgeburt.

Frau P. hat keine berufliche Ausbildung und immer wieder wechselnde Arbeitgeber in Aushilfsjobs.

Aus verschiedenen schulischen Dokumenten gehen folgende Aspekte hervor: Maurice Verhalten ist sehr ambivalent und von der jeweils aktuellen Situation im häuslichen Umfeld sowie von der Vertrautheit zu der Kontaktperson abhängig. Mitschülern sowie auch fremden Erwachsenen gegenüber ist er teilweise verbal und körperlich aggressiv. Maurice versucht über aggressives Verhalten Respekt und Anerkennung zu erlangen. Er hat bisher keine Strategien entwickelt, Konflikte und Frustrationen mit produktiven Herangehensweisen zu begegnen. Auch die Mutter ist im Erziehungsverhalten sehr ambivalent und berichtet von stetigen Überforderungssituationen, die sie immer wieder an den Kindesvater binden. Laut den Unterlagen hat Frau P. ein ungenügendes Verständnis darüber, welchen Einfluss sie auf das Verhalten und die Emotionen von Maurice hat. Die Beziehung ist einerseits gekennzeichnet durch eine liebevolle Zuwendung und andererseits durch eine Ablehnung der kindlichen Bedürfnisse und Interessen. Ebenso geht aus einem psychologischen Bericht aus dem Jahr 2019 hervor, dass Maurice bei allen Terminen müde und angestrengt wirkte und sich im Verlauf durch wachsende motorische Unruhe selbst abgelenkt hat. Er verfügt über einen unterdurchschnittlichen Gesamt-IQ von 82 Punkten und es gibt Hinweise auf eine ADHS und eine Störung des Sozialverhaltens.

Maurice und seine Familie werden bereits von einem Einzelfallhelfer nach § 30 SGB VIII für zwei Mal zwei Stunden wöchentlich unterstützt. Zusätzlich wurde ihm der § 35a SGB VIII (seelische Behinderung) zugesprochen.

In einer Stellungnahme des Kindes- und Jugendgesundheitsdienstes aus dem Jahr 2019 bestehen bei Maurice sowohl eine körperliche, eine geistige sowie auch eine seelische Behinderung.2

Bis zum Ende des Schuljahres 2018/2019 wurde Maurice durch einen Facherzieher für Integration im Schul- sowie Hortalltag begleitet und unterstützt. Diese Hilfe ist jedoch zum neuen Schuljahr ausgelaufen. Auch bei der Besetzung der Klassenlehrerin erfolgte ein Wechsel. Zuletzt kam es immer wieder zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen zwischen Lehrern, anderen Personen und Maurice. Er wird nun im Einzelunterricht für zwei Stunden täglich beschult.

Folgend schaue ich mir die vorhandenen Ressourcen mithilfe der Ressourcenkarte an:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die wesentlichsten Ressourcen der Kindesmutter sind die Problemeinsicht und die Bereitschaft diese Probleme mit Hilfe anzugehen. Die immer neuen Arbeitsverhältnisse geben der Familie ein Stück finanzieller Sicherheit und sie können beispielsweise ihre Mobilität durch ein Auto sowie geeigneten Wohnraum absichern. Die Mutter sowie die Schwester können zeitweise Sicherheit und Unterstützung bieten, genau wie verschiedene Freundschaften im Sozialraum.

Maurice hat immer große Freude und Motivation bei sportlichen Aktivitäten. So ist er in einem Fußballverein. Diese Ressource kann genutzt werden, um eine stabile Beziehung zu ihm aufzubauen. Ist diese entstanden zeigt er große Loyalität und die Bereitschaft den Anforderungen zu entsprechen. Auch ein gewisser Humor und Ironie lassen den Kontakt vereinfachen, da Maurice ein sehr feines Gespür dafür hat. Frau P. sowie Maurice haben einen festen Ansprechpartner im Jugendamt und erhalten die Einzelhilfeleistung. Er geht regelmäßig zur Ergotherapie und in der Schule stehen ihm eine Schulhelferin, das Familienklassenzimmer sowie der ambulante Pflegedienst zur Verfügung.

In Bezug auf die Arbeit im Jugendamt steht ein weiteres Instrument zur Verfügung: die Risikoabschätzung bei Kindeswohlgefährdung. Es besteht keine akute Kindeswohlgefährdung, jedoch bewegen wir uns im Graubereich, da einige Aspekte eine Gefährdung begünstigen könnten. Diese sind im Hilfeverlauf zu bearbeiten.

Doch wie kann man die Entwicklung all dieser Aspekte erklären?

3. Warum?

„Immer dort, wo Menschen die soziale Orientierung verloren haben, sich wertlos fühlen und keine soziale Anerkennung bekommen, wo sie wenig Möglichkeiten haben, etwas zu bewirken, auf sich aufmerksam zu machen und – vor allem – ihre innere Hilflosigkeit nicht aussprechen können, setzt ein somatisch angetriebener psychosozialer Bewältigungsmechanismus der Abspaltung ein, der antisoziale oder selbstdestruktive Züge annehmen kann und die Betroffenen zur Klientel werden lässt.“3

Das Streben nach Handlungsfähigkeit ist ein zentraler Punkt in der Theorie der Lebensbewältigung nach Lothar Böhnisch. Der psychosoziale Ausgleich der Sektoren Selbstwert, soziale Anerkennung und Selbstwirksamkeit wird in diesem Zusammenhang subjektiv bewertet und als Handlungsfähigkeit beschrieben. Ein kritisches Erlebnis folgt, wenn die Personen mit den eigenen Ressourcen Ereignisse nicht mehr selbst bewältigen können. Sie suchen nach sozialer Integration, um die Situation zu normalisieren. Die Betroffenen suchen nach einem sozialen Anschluss und Anerkennung durch andere Personen. In der Theorie der Lebensbewältigung kann es dadurch auch zu abweichenden sozialen Verhaltensweisen kommen, sollten sie im Sinne des Ausgleichs erfolgsversprechend sein.4 Es geht also nicht um die Frage warum jemand das tut, was er tut, sondern darum zu fragen, warum dieses Verhalten gebraucht wird.5

Mit dem Blick auf die kindliche Entwicklung und die Sozialisation werden den Heranwachsenden von außen, institutionell (z.B. in der Schule), aber auch lebensweltlich (z.B. Anforderungen oder Erwartungen der Eltern, der Freunde etc.), Aufgaben gestellt, welche sie bewältigen sollen. Stehen die verschiedenen Erwartungen an das Kind im Gegensatz oder ist die Aufgabe nicht einfach zu bewältigen, wird es versuchen die subjektive Handlungsfähigkeit zurückzuerlangen. Die Strategien können auch vom Modell-Lernen beeinflusst sein. Durch immer neue zu bewältigende Aufgaben, entstehen bei den Kindern innere Modelle – Strategien zur Bewältigung verfestigen sich – auch sozial abweichende.6 Antisoziale Verhaltensweisen sollten so nicht als negativ oder gar als Angriff gewertet, sondern als Hilferuf verstanden werden.7 Die innere Hilflosigkeit führt zu einer unbewussten Dynamik, welche Kompensations- sowie Projektionsprozesse hervorruft und in denen die Selbstkontrolle verloren geht. Es kommt in krisenhaften Momenten zu einer Abspaltung, in der den Menschen nicht mehr bewusst ist, was sie tun. Die Handlungsfähigkeit ist so lebensnotwendig, dass sie um jeden Preis gefunden werden muss, auch mit sozial abweichenden Verhaltensweisen.8

[...]


1 Vgl. Staub-Bernasconi (S. 290-291)

2 Schulische Unterlagen (Aufgrund des Datenschutzes kann ich keine genauen Quellen angeben.)

3 Böhnisch, 2016 (S. 18)

4 Vgl. Böhnisch, 2017 (S. 26-27)

5 Vgl. Böhnisch, 2016 (S. 14)

6 Vgl. Böhnisch, 2017 (S. 40)

7 Vgl. Böhnisch, 2016 (S. 30)

8 Vgl. ebd. (S. 20)

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Fallbesprechung aus der Perspektive eines Jugendamtes. Projektarbeit zur Sozialen Arbeit
Hochschule
Diploma Fachhochschule Nordhessen Berlin-Treptow
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
18
Katalognummer
V1268110
ISBN (Buch)
9783346712165
Sprache
Deutsch
Schlagworte
fallbesprechung, perspektive, jugendamtes, projektarbeit, sozialen, arbeit
Arbeit zitieren
Paul Friedrich (Autor:in), 2019, Fallbesprechung aus der Perspektive eines Jugendamtes. Projektarbeit zur Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1268110

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