Über 60 Jahre nach Parsons Beschreibung, lässt sich heute die Frage stellen, inwieweit es noch zielführend und angemessen ist, dass Ärzte als medizinische Experten allein entscheiden oder Patienten einen Teil der Entscheidungen selbst treffen können und sollen.
Der amerikanische Soziologe Talcott Parsons (1902–1979) beschrieb aus einer strukturfunktionalistischen Perspektive eine idealtypische und komplementäre Arzt-Patienten-Rollenbeziehung, die das Primärziel der Medizin, Rolleninhabern im sozialen System schnell wieder ihre soziale Rollenerfüllung zu ermöglichen, bestmöglich unterstützt. In Parsons Beschreibung übernimmt der Arzt aufgrund seiner umfangreichen Ausbildung und Expertise eine anweisende, anordnende Haltung ein, dieser trifft Entscheidungen, zum Beispiel über die umzusetzende Behandlung und Medikation, denen sich der Patient, in Ermangelung von Fachkenntnissen im medizinischen Feld, als Laie unterordnet und fügt. Eine Beteiligung an Entscheidungen ist dabei weder notwendig noch erwünscht.
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient wandelt sich. Herrschte früher noch stark dominierend das paternalistische Bild eines Arztes als "Halbgott in Weiß", der in Fragen von Diagnose und Behandlung stets wusste, was das Beste für seine Patienten ist und dieses unter dieser Prämisse auch unverzüglich umsetzt, lassen sich seit den 1960er Jahren gesamtgesellschaftliche Verschiebungen hin zu stärkeren Bürgerrechten beobachten, die sich unter anderem auch in eine Bewegung zu mehr Patientenbeteiligung und ausgedehnteren Patientenrechten ausdrücken.
Ein Wandel des Arzt-Patienten-Verhältnisses kann in mehreren Bereichen beobachtet werden. Einerseits hat sich über das Internet und andere Medien die Informationslage grundlegend verbessert, andererseits führt mehr Fortschritt auch zu mehr Unwissenheit, immer mehr muss berücksichtigt werden in Diagnose und Behandlung. Die Medizin hat an Vertrauen in der Bevölkerung und Politik verloren und wird teilweise als anmaßend, eigennützig und unkritisch der eigenen Disziplin gegenüber empfunden. Eine größer werdende Anzahl von Patienten möchte umfassendere Informationen und eine aktivere Rolle im Behandlungsprozess einnehmen sowie angemessen an Entscheidungen beteiligt werden. So wird auch als Folge dessen über die letzten 20 Jahre zunehmend wissenschaftlich geforscht und diskutiert zu Erwartungen und Bedürfnissen von Patienten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Arzt-Patienten-Verhältnis bei Parsons
- Universalismus
- Funktionale Spezifität
- Affektive Neutralität
- Kollektivorientierung
- Asymmetrie in der Arzt-Patienten-Beziehung bei Parsons
- Verändernde Faktoren auf das Arzt-Patienten-Verhältnis
- Patientenaktivierung und Patientenzentrierung
- Neuere Modelle des Arzt-Patienten-Verhältnisses
- Auswirkungen auf die Theorie von Parsons
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht den Wandel des Arzt-Patienten-Verhältnisses und beleuchtet die Relevanz von Talcott Parsons' Theorie in der heutigen Zeit. Die Arbeit analysiert, inwiefern Parsons' Theorie, die auf einer asymmetrischen Arzt-Patienten-Beziehung beruht, im Lichte aktueller Entwicklungen wie Patientenaktivierung und Patientenzentrierung noch zeitgemäß ist.
- Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Wandel
- Parsons' strukturfunktionalistische Sicht auf die Arzt-Patienten-Beziehung
- Verändernde Faktoren, wie Patientenaktivierung und Patientenzentrierung
- Auswirkungen des Wandels auf Parsons' Theorie
- Bewertung des Wandels im Kontext der Theorie von Parsons
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Wandel des Arzt-Patienten-Verhältnisses dar und erläutert den historischen Kontext und die aktuelle Situation. Anschließend wird Parsons' Theorie des Arzt-Patienten-Verhältnisses aus strukturfunktionalistischer Perspektive vorgestellt. Dabei werden die vier zentralen Muster der Arztrolle - Universalismus, funktionale Spezifität, affektive Neutralität und Kollektivorientierung - erläutert.
In den darauf folgenden Kapiteln werden Faktoren analysiert, die das Arzt-Patienten-Verhältnis verändern, wie Patientenaktivierung und Patientenzentrierung. Außerdem werden neuere Modelle des Arzt-Patienten-Verhältnisses vorgestellt und die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf Parsons' Theorie diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit dem Arzt-Patienten-Verhältnis, Talcott Parsons, Strukturfunktionalismus, Patientenaktivierung, Patientenzentrierung, asymmetrische Arzt-Patienten-Beziehung, Wandel des Arzt-Patienten-Verhältnisses, Medizinethik.
- Arbeit zitieren
- Marina Dogan (Autor:in), 2021, Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Wandel. Ist die Theorie von Talcott Parsons noch zeitgemäß?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1270161