Der Ursprung der Kanzlerdemokratie liegt in der Kanzlerschaft Adenauers. So wurde
der Begriff im Hinblick auf einen besonders „starken“ Kanzler, wie ihn Adenauer
verkörperte, geprägt, obwohl er in sachlicher Hinsicht zunächst dazu diente, die
Unterschiede zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik zu
verdeutlichen: die „Kanzlerdemokratie“ wurde dabei als stabileres Gegenstück zur
„Präsidialdemokratie“ aufgefasst.1
Heute ist in der Politikwissenschaft umstritten, inwiefern diese Bezeichnung in
Bezug auf die heutigen Rahmenbedingungen politischer Führung noch relevant ist.
Denn auch wenn die Bestimmungen des Grundgesetzes die Grundlage für eine
dominante Stellung des Kanzlers im deutschen Regierungssystem bilden, scheint die
Bezeichnung „Kanzlerdemokratie“ nur bedingt auf das gegenwärtige deutsche
Regierungssystem anwendbar: zwar kann einerseits davon ausgegangen werden, dass
der Begriff als Bezeichnung für einen „Regierungstyp“2 noch Gültigkeit hat. Auf der
anderen Seite steht jedoch die Auffassung, dass er ausschließlich die Bedingungen
der Adenauer-Ära und den darauf basierenden starken Führungsstil des Kanzlers
widerspiegelt.
Solche gegensätzlichen Auffassungen beruhen nicht zuletzt auf unterschiedlichen
Begriffsbestimmungen, denen es an begrifflicher Klarheit fehlt, so dass von einem
„unscharfen Begriff“3 gesprochen wird. So wird als Folge eines reduzierten
Begriffsverständnisses die „Kanzlerdemokratie“ häufig vor allem mit dem
persönlichen Ansehen des Kanzlers in Verbindung gebracht. Wird allerdings über
den „personellen Faktors“ hinaus differenziert, so zeigt sich, dass es einer genaueren
Begriffsbestimmung bedarf, um festzustellen, welche Merkmale diese „suggestive
Wortprägung“4 beinhaltet. Auf diese Weise wird ersichtlich, welche Auffassung dazu
führt, die Bezeichnung „Kanzlerdemokratie“ für nicht mehr zeitgemäß zu halten
(z.B. Anselm Doering-Manteuffel) und aufgrund welcher Interpretation sie
andrerseits als Bezeichnung für ein Regierungsmodell für noch aussagekräftig erklärt
wird.
1 Vgl. Doering-Manteuffel, Strukturmerkmale der Kanzlerdemokratie, 1991,S.1
2 Vgl. Niclauß, Kanzlerdemokratie, 1990, S. 134
3 Doering-Manteuffel, Strukturmerkmale der Kanzlerdemokratie, 1991, S.1
4 Niclauß, Kanzlerdemokratie, 1990, S. 133
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- 1. Grundlagen
- 1.1. Verfassungsrechtliche Begründung
- 1.2. Historische Begründung
- 2. Merkmale der „Kanzlerdemokratie“ vor ihrem Entstehungshintergrund
- 3. Die Bedeutung der Person des Kanzlers für die Regierungstätigkeit
- 4. Rahmenbedingungen politischer Führung
- 4.1. Institutionelle Bedingungen
- 4.2. Der Einfluss „moderner“ Entwicklungen
- 5. Die „modernen Regeln der Kanzlerdemokratie“
- SCHLUSS
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der „Kanzlerdemokratie“ im deutschen Regierungssystem und analysiert die Relevanz des Begriffs im Kontext der heutigen politischen Rahmenbedingungen. Sie untersucht die verfassungsrechtlichen und historischen Grundlagen des Konzepts sowie die Bedeutung der Person des Kanzlers für die Regierungstätigkeit. Außerdem werden die institutionellen Bedingungen und der Einfluss moderner Entwicklungen auf die „Kanzlerdemokratie“ beleuchtet.
- Verfassungsrechtliche Grundlagen der „Kanzlerdemokratie“
- Historische Entwicklung und Entstehung des Begriffs
- Einfluss der Person des Kanzlers auf die Regierungstätigkeit
- Institutionelle Rahmenbedingungen politischer Führung
- Entwicklungen und Herausforderungen für die „Kanzlerdemokratie“
Zusammenfassung der Kapitel
EINLEITUNG
Die Einleitung führt den Begriff der „Kanzlerdemokratie“ ein und beleuchtet die Kontroversen um seine Relevanz im heutigen politischen Kontext. Sie stellt die unterschiedlichen Auffassungen über den Begriff dar und zeigt die Notwendigkeit einer präzisen Begriffsbestimmung.
1. Grundlagen
1.1. Verfassungsrechtliche Begründung
Dieser Abschnitt untersucht die verfassungsrechtlichen Grundlagen der „Kanzlerdemokratie“, die der Parlamentarische Rat vor dem Hintergrund der Weimarer Erfahrungen geschaffen hat. Die Stärkung der Position des Bundeskanzlers im Vergleich zum Reichskanzler der Weimarer Republik wird analysiert, und es werden die zentralen verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wie das alleinige Ernennungsrecht der Minister, die Richtlinienkompetenz und das konstruktive Misstrauensvotum, beleuchtet.
1.2. Historische Begründung
Hier wird die Bedeutung der Regierungszeit Adenauers für die Entstehung des Begriffs „Kanzlerdemokratie“ diskutiert. Die besonderen historischen Rahmenbedingungen dieser Ära, die charakteristische Regierungstechnik Adenauers und die Prägung des Amtsverständnisses werden analysiert.
2. Merkmale der „Kanzlerdemokratie“ vor ihrem Entstehungshintergrund
Dieser Abschnitt beleuchtet die Merkmale der „Kanzlerdemokratie“ und untersucht, inwieweit sie auf die Regierungszeit Adenauers beschränkt sind oder ob sie als grundsätzliche Charakteristika des Regierungssystems gelten können.
Schlüsselwörter
Schlüsselwörter, die die Arbeit kennzeichnen, sind: Kanzlerdemokratie, Regierungssystem, Bundeskanzler, Verfassungsrecht, historische Entwicklung, politische Führung, institutionelle Rahmenbedingungen, moderne Entwicklungen, Regierungstechnik, Regierungsstil, Adenauer-Ära.
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- Anja Rössner (Autor), 2002, Der Begriff der Kanzlerdemokratie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12701