Während sich der Großteil der literaturwissenschaftlichen Forschung auf die Themen Liebe-Ästhetik-Gesellschaftskritik beschränkt, gibt es nur wenige Interpretationen zum Listmotiv, obwohl in Gottfrieds Tristanepos über 40 Listen geschildert werden und dieser Text damit eine Ausnahmestellung in der mittelalterlichen bzw. mittelhochdeutschen Literatur einnimmt.
So möchte ich in dieser Arbeit die verschiedenen Listen und List-Motive in Gottfrieds „Tristan“-Text analysieren und mich dabei wegen der Vielzahl der Listen insbesondere mit den drei Listen und Gegenlisten am Hofe Markes auseinandersetzen.
Zuvor ist allerdings eine Klärung des „List“-Begriffes notwendig, da dieser vom mittelhochdeutschen hin zum neuhochdeutschen einem Bedeutungswandel unterzogen war und auch im heutigen (zumindest dem abendländischen) Sprachgebrauch nicht eindeutig konnotiert ist.
Dazu werde ich das Modell von Harro von Senger mit zur Hilfe heranziehen, in dem die List mit dem – im deutschen Sprachraum „neutral“ konnotierten – „Strategem“ verglichen wird.
Abschließendes Ziel meiner Arbeit soll dann der Versuch sein, anhand der exemplarisch ausgesuchten Listen aus dem „Tristan“-Text eine Intention bzw. Beurteilung der angewendeten Listen durch den Autor Gottfried von Straßburg herauszuarbeiten und (so) das Werk (literaturgeschichtlich und ethisch) in die Literatur der mittelhochdeutschen Epik bzw. in seine Zeit um 1200 einzuordnen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Bedeutung der „List“ im Wandel der Zeit
1.1 Listhandeln vs. Wahrhandeln
1.2 Listhandeln aus „philosophischer“ Sicht
1.3 List als Strategem
2. „List“ in der mittelhochdeutschen Literatur um 1200
2.1 Gottfrieds „Tristan“ vs. Theologisches „ordo“
3. List und Gegenlist am Hofe Markes
3.1 Markes Listen und Isoldes Gegenlisten
3.2 Die Baumgartenszene
4. Der „Tristan“-Text als Lügengeschichte ?!
4.1 Mit der Wahrheit lügen
Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Während sich der Großteil der literaturwissenschaftlichen Forschung auf die Themen Liebe-Ästhetik-Gesellschaftskritik beschränkt, gibt es nur wenige Interpretationen zum Listmotiv, obwohl in Gottfrieds Tristanepos über 40 Listen geschildert werden und dieser Text damit eine Ausnahmestellung in der mittelalterlichen bzw. mittelhochdeutschen Literatur einnimmt.
So möchte ich in dieser Arbeit die verschiedenen Listen und List-Motive in Gottfrieds „Tristan“-Text analysieren und mich dabei wegen der Vielzahl der Listen insbesondere mit den drei Listen und Gegenlisten am Hofe Markes auseinandersetzen.
Zuvor ist allerdings eine Klärung des „List“-Begriffes notwendig, da dieser vom mittelhochdeutschen hin zum neuhochdeutschen einem Bedeutungswandel unterzogen war und auch im heutigen (zumindest dem abendländischen) Sprachgebrauch nicht eindeutig konnotiert ist.
Dazu werde ich das Modell von Harro von Senger mit zur Hilfe heranziehen, in dem die List mit dem – im deutschen Sprachraum „neutral“ konnotierten – „Strategem“ verglichen wird.
Abschließendes Ziel meiner Arbeit soll dann der Versuch sein, anhand der exemplarisch ausgesuchten Listen aus dem „Tristan“-Text eine Intention bzw. Beurteilung der angewendeten Listen durch den Autor Gottfried von Straßburg herauszuarbeiten und (so) das Werk (literaturgeschichtlich und ethisch) in die Literatur der mittelhochdeutschen Epik bzw. in seine Zeit um 1200 einzuordnen.
1. Die Bedeutung der „List“ im Wandel der Zeit
In der mittelhochdeutschen Zeit tauchte der „List“-Begriff noch in verschiedenen Bedeutungen und Formen auf. So umfaste er ursprünglich die Technik des Krieges (Kriegslist), das Schmiedehandwerk als auch den kultisch-magischen Bereich. Da dieser Bereich vom Christentum verboten und als Zauber bezeichnet wurde, ging die Bezeichnung List vielfach in bösen Sinn über, während die neu einströmende Gedankenwelt zu Begriffen wie Kunst, Weisheit oder Wissenschaft griff.[1]
In Gottfrieds Tristan-Text taucht „List“ u.a. noch unter folgenden Bedeutungen auf:
aberlist: 1. wiederholte List, 2. Unklugheit;
arzetlist: Kunst des Arztes (V 7776);
bastlist: die Kunst einen Hirsch weidmännisch zu „zerwürken“ (V 2894)
jagelist: Kunst des Weidmanns (V 3422);
schuollist: Wissenschaft oder Kunst die man in der Schule oder aus Büchern lernt (V 7967);
zouberlist: Zauberkunst (V 1003).
Dagegen gibt es heutzutage bezüglich der Denotation des Wortes „List“ im Deutschen im Wesentlichen zwei Definitionen[2]:
1. List als Täuschung: geschickte Täuschung, mit List und Tücke,[3] oder 2. List als ungewöhnliche Vorgehensweise: Mittel, mit dessen Hilfe man etwas zu erreichen sucht, was man auf normalem Wege nicht erreichen könnte.[4]
Bei der ersten Definition wird eine List als Täuschung(smanöver) gesehen, bei der Zweiten liegt die Betonung auf „List“ im Sinne von bewusst, mit Schläue eingesetzt.
Viele zeitgenössische lexikographischen Analysen verbinden mit der deutschen Wortbedeutung „List“ einseitig „Hinterlist“ und „Täuschung“[5] und übersehen so die eben aufgezeigte Mehrfachbedeutung des Wortes mit seinen unterschiedlichen Konnotationen, wie folgende Beispiele zeigen[6]:
- schlau, hinterlistig ausgeklügelter Plan[7] (Duden)
- Mittel, mit dessen Hilfe man (andere täuschend) etwas zu erreichen sucht, was man auf normalem Wege nicht erreichen könnte[8] („großer“ Duden)
- Geschickt ausgeklügelter Plan, mit dem durch Täuschung eines anderen ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll[9] (Brockhaus)
- Schlauheit, das hinterhaltige Rechnen zugunsten eines eigenen Vortheils[10] (Brüder Grimm)
- hinterhältige Schlauheit, die [...] den anderen schädigt[11] (Rechtswissenschaft)
- das geflissentliche und schlaue Verbergen der verfolgten Absicht[12] (juristisches Wörterbuch)
Bei der Analyse von „List“ sollte man jedoch beachten, dass Listen nicht primär sprachliche Phänomene sind, sondern Formen des Handelns. So kann die Bedeutung des Wortes „List“ als „zielstrebige, wohlüberlegte, vom Gegenüber nicht erwartete Vorgehensweise“[13] entweder eine positive oder eine negative Konnotation haben.
In der Epik des Mittelalters stand der Begriff der „List“ dagegen noch zwischen zwei Polen: listige Täuschungsmanöver wurden entweder als Triumph der Klugheit oder dem Blendwerk des Bösen beurteilt. So wurde in dem einen Extremfall die intellektuelle Leistung des Menschen beispielweise im Falle einer drohenden Gefahr hervorgehoben, während man in einem entgegengesetzten Falle vor der List als Teufelswerk[14] warnte. Welche der beiden Auffassungen zur Geltung kam, hing dabei von verschiedenen Gründen ab wie beispielsweise dem „Stand oder der gesellschaftlichen Funktion handelnder Personen, von bestimmten geistesgeschichtlichen Entwicklungen, die sich in der mittelhochdeutschen Epik widerspiegeln, als auch von Eigengesetzlichkeiten literarischer Traditionen, welche keine Rückschlüsse zulassen auf Probleme, wie sie für das 12. und 13. Jahrhundert eigentümlich waren.“[15]
Zu solch unterschiedlichen Beurteilungen von „List“ konnte es kommen, da neben die älteste Bedeutung, nämlich „überlegenes Wissen und Können“, in gemeingermanischer Zeit (Anfang des 1. Jahrtausends n. Chr.) eine zweite, auf geistige Überlegenheit gestützte Handlungsweise mit negativer Konnotation trat.[16]
In neuerer Zeit tritt dann im Deutschen [...] noch eine dritte (zunächst im Scherz entstandene) Bedeutung hinzu, bei der die Konnotation wiederum ins Positive umschlägt – vermutlich unter dem Einfluss von Goethes „Reineke Fuchs“[17]. Allerdings trug der Einfluss romantischer Vorstellungen von Aufrichtigkeit und Spontaneität mit zur Blindheit gegenüber rhetorischer Listen in der abendländischen Bildungstradition bei.[18]
1.1 Listhandeln vs. Wahrhandeln
Des weiteren auffällig ist die unsichere Abgrenzung von „List“ gegenüber benachbarten Phänomenen wie beispielsweise „Betrug“ oder „Heuchelei“. Dies ist für Steger ein Hinweis darauf, dass Listhandeln einen besonderen Kommunikationstyp darstellt: so tritt er neben einen Kommunikationstyp I, der gekennzeichnet ist durch eine unverschlüsselte und ausreichend vollständige Übermittlung einer Nachricht in einer dem Kommunikationspartner voll verständlichen Sprache oder in entsprechend deutbaren Zeichen („wahre Aussage“). Sie wird unter kulturellen und ethischen Gesichtspunkten zumindest der westlichen Welt hoch bewertet und gilt deshalb als „normal“. Dagegen stellt Kommunikationstyp II das bewusst irreführende, eventuell verschlüsselte oder unvollständige Nachrichtengeben an einen oder mehrere Partner dar („Unwahrheit“, „Lüge“).
Im Kommunikationstyp III, dem Listhandeln, können sich Elemente der beiden anderen Typen vereinigen. Dabei soll ein Vorteil durch geschickte Täuschung und/oder überlegene Analysestärke, Geschicklichkeit und Reaktionsschnelligkeit bei der Ausnutzung von gegebenen Situationen ermöglicht werden.[19]
Aufgrund der abendländischen Norm- und Gemeinschaftsideale im sozialen Verhalten werde der KommunikationstypII (und teilweise auch III) als gesellschafts- und individuen feindlich bewertet und dem allein als positiv und gemeinschaftsfördernd betrachteten Typ I, also dem Wahrhandeln, gegenübergestellt.[20]
1.2 Listhandeln aus „philosophischer“ Sicht
Ute Guzzoni hat aus „philosophischer“ Sicht danach gefragt, weshalb die traditionelle abendländische Philosophie bezüglich der „List“ entweder gleichgültig oder teilweise geradezu „listenfeindlich“ eingestellt war, und sieht diese Einstellung zur List in den denkerischen Grundentscheidungen der griechischen Philosophie und der darauf folgenden Tradition begründet. So sei in der abendländischen Philosophie fast seit ihren Anfängen nach einer reinen Wahrheit bzw. einem wahren Sein gestrebt worden, für das Listen, die immer einen Umweg- und Vieldeutigkeitscharakter haben, prinzipiell nicht in Frage kämen. Des weiteren sei jene reine Wahrheit streng von der Praxis getrennt, die ihr gegenüber entschieden abgewertet werde[21]: „Listiges Verhalten ist [...] ein Verhalten der Praxis des Ausseins auf Ziele und des Handelns um des Erreichens von Zielen willen.“[22]
Solange also die reine und allgemeine Wahrheit das höchste Ziel des abendländischen Denkens war und solange im Hinblick auf dieses Ziel der theoretische und der praktische Verstand grundsätzlich voneinander unterschieden und das zweite gegenüber dem ersten abgewertet werden musste, so lange hätte die List nur als ein Ausweg, als ein Weg zweiter Güte, und letztlich als ein schlechter Weg angesehen werden können.[23]
[...]
[1] Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 433
[2] Harro von Senger: Die List, S. 9
[3] Aus: G. Wahrig: Deutsches Wörterbuch
[4] Aus: Duden: das große Wörterbuch der deutschen Sprache in acht Bänden, Band 5
[5] Bei der Frage, ob „List“ notwendigerweise Täuschung beinhaltet oder ob sie auch täuschungsfrei sein kann, gehen die Meinungen der Listforscher durchaus auseinander.
[6] Pilcher, S. 365
[7] Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 4, Mannheim 1978
[8] Duden, Großes Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 5, Mannheim 1994
[9] Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4, Wiesbaden 1982
[10] Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, bd. 6, Leipzig 1880
[11] Fritz Stier-Somlo und Alexander Elster, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft I, Berlin / Leipzig 1926
[12] Gerhard Köbler, Juristisches Wörterbuch, München 1995
[13] Pilch, S. 368
[14] Das scheinbar rational Unerklärliche und Undurchschaubare von Listen wurde im christlichen Abendland (teilweise unter Fortführung älterer Traditionen) mit dem Zauber des bösen Teufels und seiner irdischen „Angestellten“ verbunden: „Teufelslist, Zaubertricks, Blendwerk werden so dem Göttlichen und dessen guten Wundern gegenübergestellt. Gott braucht in Wundern keine tricks zu machen“; Hartmut Semmler: Listmotive in der mittelhochdeutschen Epik, S. 9
[15] Ebd.
[16] Pilch, Listige Rede, S. 375
[17] „Der „listige“ Fuchs, der auf gewagte Weise etwa den raffgierigen Fuhrmann überspielt, imponiert uns. Reineke ist [...] der sympathische Taugenichts des Tierepos [...] er ist geistreich, hat Humor, auch Galgenhumor und hat deshalb die Lacher und die Optimisten unter den Zuschauern auf seiner Seite.“; Pilch, S. 377
[18] Vgl. Pilch, S. 378; inzwischen ist die Rhetorik jedoch unter neuen Etiketten wie „public relations“ und „effective communication“ wieder auferstanden
[19] Vgl. Steger, S. 327
[20] Vgl. Ders,. ebd.
[21] Vgl. Ute Guzzoni, Das Philosophieren und die List (in Senger, Die List), S. 397
[22] ebd.
[23] Vgl. Guzzoni, S. 401
- Arbeit zitieren
- Christian Finger (Autor:in), 2007, List und Gegenlist in Gottfrieds von Straßburg 'Tristan', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127071
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