Das Problem des Zwischenmenschlichen bei Martin Buber und Emmanuel Levinas


Intermediate Examination Paper, 2007

25 Pages, Grade: 2,0


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Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung: Philosophie des Dialogs

II. Das dialogische Prinzip bei Martin Buber
II.I Die Rolle des Subjekts
II.II. Zwei Grundworte
II.III. Ontologie des Zwischen
II.IV. Das echte Gespräch

III. Der Ausbruch aus der Totalität bei Emmanuel Levinas
III.I. Jenseits des Seins
III.II. Einer für den Anderen
III.III. Das Problem des Dritten

IV. Probleme der Philosophie des Dialogs
IV.I. Sprachphilosophie bei Martin Buber
IV.II. Sprachphilosophie bei Emmanuel Levinas

V. Dialog und Differenz
V.I. Mystizismus vs. Intellektualität
V.II. Reziprozität vs. Asymmetrie

VI. Schlussbemerkung

VII. Bibliografie

I. Einleitung: Philosophie des Dialogs

Es besteht weitgehender Konsens darüber, dass es die Sprachphilosophie war, die im 20. Jahrhundert das neuzeitliche mentalistische Paradigma ad acta legte. Die Subjekt- und Bewusstseinsphilosophie, die sich von Descartes und seiner res cogitans über Kants Transzendentalphilosophie, den Deutschen Idealismus bis zu Husserls Phänomenologie erstreckte, wurde durch ein neues, auf die Sprache fokussiertes Paradigma ersetzt. Von den zahlreichen sprachphilosophischen Strömungen ist es wohl die Dialogik, die den Bruch mit der Subjektphilosophie am deutlichsten vollzieht. Denn gerade in der Dialogphilosophie verliert die Subjekt-Objekt-Beziehung zugunsten der Subjekt-Subjekt-Beziehung ihre Vorrangstellung in einer Weise, die fundamentale Konsequenzen nach sich zieht. Wegen der Abkehr vom neuzeitlichen Erbe wird die Philosophie des Dialogs auch als Neues Denken bezeichnet.

Die Grundthese der Philosophie des Dialogs lautet, dass die Beziehung zwischen sprachkompetenten Subjekten unmittelbar und grundlegend ist. Sie kann nicht auf Verstehen reduziert werden, sie ist keine Begrifflichkeit und kein Vorwissen. Der Mensch wird zum Menschen dadurch, dass es einen anderen Menschen gibt, mit dem er in Beziehung tritt. Das Ich wird nicht als Voraussetzung der Interaktion, sondern als deren Produkt aufgefasst. Es wird sowohl der Idealismus, als auch der Realismus abgelehnt.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich die Theorien der prominentesten Vertreter der Dialogphilosophie Martin Buber und Emmanuel Levinas präsentieren. Die beiden Denker stellen, wenn auch auf durchaus verschiedene Weise, das Problem des Zwischenmenschlichen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Beide vertreten einen in der authentischen Begegnung zwischen Menschen verankerten Humanismus und kritisieren die philosophische Tradition der Neuzeit, die sich auf die Erkundung der Möglichkeiten und Grenzen des autonomen Subjekts konzentrierte und dabei dessen Beziehung zu dem Anderen vergaß.[1] Die beiden Philosophen plädieren für eine Ethik, die nicht systematisch ist: Die Beziehung selbst wird als ethisch gesehen und lässt sich in keiner Formel wie Kants kategorischem Imperativ festlegen. Die meisten theoretischen Probleme werden als praktische Probleme aufgefasst und es wird postuliert, dass Philosophie stets an das Soziale gebunden bleibe.

Zu Beginn der Arbeit werden die Ansichten der beiden Denker explizit dargestellt. Anschließend sollen die wichtigsten Probleme kommentiert werden, die sich aus der Dialogphilosophie ergeben. Ausführlicher möchte ich auf den sprachphilosophischen Aspekt eingehen, der in der Sekundärliteratur kaum behandelt wird, der meines Erachtens dennoch als ein wesentliches Element der Dialogik mehr Beachtung verdient. Im Schlussteil werden die Konzepte des Zwischenmenschlichen von Buber und Levinas miteinander verglichen und dabei auch meine eigenen Präferenzen bezüglich ihrer Ansichten dargelegt.

II. Das dialogische Prinzip bei Martin Buber

Das Problem des Zwischenmenschlichen darf laut Buber auf keinen Fall mit soziologischen Methoden angegangen werden, denn der Begriff des Zwischenmenschlichen hat einen anderen Umfang als der des Sozialen. Soziale Phänomene sind „das Miteinandersein einer Vielheit von Menschen, ihre Verbundenheit miteinander“[2], wo die Individuen in einer Gruppe zusammengeschlossen sind und die Relationen zwischen ihnen keinen personalen Charakter haben. Das Zwischenmenschliche hingegen bezeichnet eine „Wesensrelation“, d.h. eine Ich-Du-Beziehung, in der die beiden Partner ein Gespräch führen und in einen unmittelbaren authentischen Kontakt miteinander treten. Nicht die Frage nach gesellschaftlichem Zusammenleben von Menschen, sondern eben die Frage nach der lebendigen zwischenmenschlichen Beziehung, interessiert Buber am meisten.

Die Ich-Du-Beziehung ist fundamental in dem Sinne, dass sie jeder Erfahrung vorausgeht. Das Apriori der Beziehung bezeichnet Buber als „eingeborenes Du“ und als eine „Urchance des Seins“. Das bedeutet, dass der Mensch erst am Du zum Ich wird.[3] In seinem Hauptwerk „Ich und Du“ bringt dies Buber auf radikale Weise zum Ausdruck, in dem er behauptet: „Im Anfang ist die Beziehung“.[4] Aufgrund des Problems der zwischenmenschlichen Begegnung und der Hervorhebung der Subjekt-Subjekt-Beziehung hat das Bubersche dialogische Prinzip einen vorwiegend ethischen und ontologischen Charakter. Dementsprechend werden im Folgenden die ontologischen und ferner die ethischen Aspekte dieser Philosophie erörtert.

II.I Die Rolle des Subjekts

Laut Buber wird das menschliche Subjekt erst in Folge einer Beziehung möglich. Das bedeutet, dass es kein Ich an sich gibt, sondern dass das Ich nur in einer Relation zu etwas existiert. Dieses Etwas kann ein Ding oder eine Person sein. Im ersten Fall handelt es sich um einen Ich-Es-Distanzierungsvorgang, im zweiten Fall um einen Ich-Du-Beziehungsvorgang. Wohlgemerkt ist das Subjekt bei Buber stets „gesichert“, weil es sich immer in der einen oder anderen Beziehung befinden muss.

II.II. Zwei Grundworte

„Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung“[5], schreibt Martin Buber am Anfang seines Werkes. Die zwiefältige Natur des Menschen besteht darin, dass er eines der Grundworte sprechen kann: Entweder das Grundwort Ich-Es oder das Grundwort Ich-Du. Die beiden Grundworte sind konstruktiv, sie „stiften einen Bestand“[6] und erschaffen somit die Wirklichkeit. Sie stellen ein ontologisches Prinzip dar.

Wenn der Mensch sich für das Grundwort Ich-Es entscheidet, ist er keine Person, sondern ein „Eigenwesen“, d.h. ein Subjekt des Erfahrens und Gebrauchens. In diesem Seinsmodus erfährt er die Objekte der Welt, ohne in eine zwischenmenschliche Beziehung einzutreten. Das Grundwort Ich-Es macht empirische Erkenntnis und wissenschaftliches Denken möglich; das Grundwort Ich-Du hingegen bietet die Gelegenheit einer Begegnung. In einer Ich-Es-Beziehung herrschen Kausalitätsgesetze, in einer Ich-Du-Beziehung dagegen gilt das Prinzip der Wechselwirkung zwischen den Subjekten, die sich frei gegenüber stehen.

Buber sieht in der „fortschreitenden Zunahme der Es-Welt“, die sowohl in der Geschichte des Einzelnen, als auch der Menschengattung zu beobachten ist, eine Bedrohung für den Menschen. Die technische Entwicklung bewirkt, dass der Mensch vorwiegend an die Objekte der Welt gebunden ist und dazu tendiert, seine Mitmenschen als Dinge bzw. als Mittel zum Zweck zu betrachten. Für Buber ist die so genannte instrumentelle Vernunft auf die Zunahme der Es-Welt zurückzuführen. Die Es-Welt ist gleichsam für die Entfremdung des Menschen (im Sinne Marx) verantwortlich: Das durch den Dialog gekennzeichnete Miteinander der Menschen wird zu einem Nebeneinander, bei dem die Individuen anonym bleiben.

Eine Ich-Du-Beziehung entsteht primär zwischen Menschen. Buber lässt jedoch auch andere Möglichkeiten zu: Eine unmittelbare Ich-Du-Beziehung ist seiner Meinung nach ebenfalls mit der Natur und mit geistigen Wesenheiten denkbar. Unter geistigen Wesenheiten versteht Buber Hervorbringungen des menschlichen Geistes, wie z.B. Kunstwerke. Eine Ich-Du-Beziehung ist sowohl im Schaffensprozess zwischen dem Künstler und dem entstehenden Werk, als auch zwischen dem Betrachter und dem gefertigten Werk möglich. Bei der Natur spricht Buber von der Vorschwelle und der Schwelle der Mutualität. Die Vorschwelle stellt zum Beispiel eine Ich-Du-Beziehung mit einem Baum dar, den der Mensch in seiner Ganzheit, d.h. als ein Seiendes erfasst. Eine Reziprozität ist dabei möglich – das, was dem Menschen antwortet, ist dann das „Sein des Baumes“. Als Schwelle der Mutualität wird eine Ich-Du-Beziehung mit Tieren bezeichnet, die schon aufgrund der Tatsache möglich ist, dass Tieren und Menschen die Spontaneität gemeinsam ist. Einen Spezialfall der Ich-Du-Beziehung bildet die Beziehung zu Gott, dem der Name „ewiges Du“ gegeben wird. Laut Buber, der ein gläubiger Jude war, kann der Mensch sich in ein Verhältnis zu Gott setzen, indem er in eine authentische Beziehung mit seinem Mitmenschen eintritt. Es ist ein Seinsprinzip: Das Zwischenmenschliche entsteht durch eine Begegnung von Ich und Du und durch dasselbe wird erst die Präsenz Gottes möglich.[7]

Der Hauptgedanke des Grundwortes Ich-Du ist, dass der andere Mensch nicht mehr als „Ding unter Dingen“ betrachtet wird. Er ist kein Objekt, das erfahren wird, sondern eine Person, deren Gegenwart eine unmittelbare Beziehung veranlasst. Zwischen den Interaktionspartnern entfaltet sich eine ontologische Sphäre eigenen Rechts, die von Buber einfach „das Zwischen“ genannt wird. In der Sphäre des Zwischen kommt das Intersubjektive zustande. Die Personen sind nur dann an einem authentischen Dialog beteiligt, wenn eine Gegenseitigkeit zwischen ihnen besteht. Eine Ich-Du-Beziehung zwischen Menschen vollzieht sich dabei immer in der Gegenwärtigkeit, die sich einer linearen Zeitauffassung entzieht und als Zeitlosigkeit begriffen werden kann.[8] Von der Welt der Erfahrung im Grundwort Ich-Es kann man dagegen nur in der Vergangenheit sprechen, da das Erfahrene immer schon da ist, wenn man darauf Bezug nimmt. Obgleich das Grundwort Ich-Es privilegiert ist, da das Du immer nach Ablauf eines Beziehungsvorgangs zu einem Es werden muss, ist es die Ich-Du-Beziehung, die essentiell für den Menschen ist. Buber schreibt: „Ohne Es kann der Mensch nicht leben; aber wer mit ihm allein lebt, ist nicht der Mensch“.[9] An einer anderen Stelle heißt es: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“.[10] Daraus ergibt sich, dass die Begegnung mit dem anderen Menschen für den Menschen unabdingbar ist. Es ist das Hauptanliegen Bubers, die Unerlässlichkeit des zwischenmenschlichen Kontakts zu betonen und dem Anderen eine ihm gebührende Stellung sowohl in der Philosophie, als auch im Leben einzuräumen.

II.III. Ontologie des Zwischen

Wie bereits angedeutet, geschieht die Begegnung zwischen Menschen in einer Sphäre, die Buber „das Zwischen“ nennt. Es ist wichtig zu unterstreichen, dass diese Kategorie einen ontologischen Charakter hat. Eine Ich-Du-Beziehung erfolgt nicht im Bewusstsein der Subjekte und auch nicht „in einer sie umfassenden und bestimmenden Allgemeinwelt“[11], sondern tatsächlich zwischen ihnen. Buber schreibt eindeutig: „[Das Zwischen] ist die zwischen den miteinander kommunizierenden Personen bestehende Seinsart, die wir weder Psyche noch der Physis zuzuordnen vermögen“.[12] Wohlgemerkt ist die Ontologie des Zwischen eine „schwache“ Ontologie, denn das Zwischen hat nur dann einen Seinscharakter, wenn eine Begegnung vorliegt. Sie wäre ohne den Relationismus nicht denkbar.

Eine weitere Passage besagt: „Das Zwischen ist wirklicher Ort und Träger zwischenmenschlichen Geschehens“.[13] Doch wie lässt sich dieser Ort näher bestimmen? Diese Frage geht bereits über das Ontologische hinaus, denn die Sphäre des Zwischen wird nur durch eine dialogische Situation möglich. Eine dialogische Situation ist aber ein Gespräch. Das bedeutet, dass ein Sich-einander-Zuwenden von Menschen der Sprache bedarf. Für die Präsenz des Zwischen ist also ein mittels der Sprache geführter Dialog zwischen zwei Personen notwendig.[14]

[...]


[1] Levinas bezeichnet an einer Stelle die gesamte abendländische Philosophie abwertend als „Egologie“.

[2] Buber, Martin: Elemente des Zwischenmenschlichen, In: Martin Buber Werke. Schriften zur Philosophie, 1. Band, München 1962, S. 269.

[3] Bubers Ansichten bezüglich der Anthropologie sind eindeutig: „Der Mensch ist nicht in seiner Isolierung, sondern in der Vollständigkeit der Beziehung zwischen dem einen und dem andern anthropologisch existent (...)“ aus: Buber, Martin: Elemente des Zwischenmenschlichen, In: Ders., S. 283. Es gibt Autoren, die der Meinung sind, dass Bubers gesamte Philosophie im Grunde eine Anthropologie ist (so z.B. Dilger, in: Dilger, Irene: Das Dialogische Prinzip bei Martin Buber, Frankfurt/Main 2000). Mir scheint eine solche Reduzierung des Buberschen Denkens unzulässig, da es eine breite Palette an Fragen aufwirft, die weit über das Anthropologische hinausgehen.

[4] Buber, Martin: Ich und Du, in: Ders., S. 90.

[5] Ebenda, S. 79.

[6] Ebenda, S. 79.

[7] Vgl. Werner: „[Das Zwischenmenschliche] verbindet die Geschöpfe untereinander und jedes einzelne mit Gott, [es] ist gleichsam die Form einer «metakosmischen ‹Doppelbewegung›», die die Schöpfung von ihrem Ursprung absetzt und gleichzeitig zu ihm hinwendet“ aus: Werner, Hans-Joachim: «Kein Prinzipienbuch in die Hand». Überlegungen zu Bubers ethischem Denken, In: Ich und Du – Mensch und Gott. Im Gespräch mit Martin Buber, hrsg. von Werner Zager, Göttingen 2006, S. 72-73.

[8] Buber spricht von einem „Augenblick“ als einer quasi zeitunabhängigen Dimension.

[9] Buber, Martin: Ich und Du, S. 101.

[10] Ebenda, S. 85.

[11] Buber, Martin: Das Problem des Menschen, S. 405.

[12] Buber, Martin: Dem Gemeinschaftlichen folgen, in: Martin Buber Werkausgabe. Sprachphilosophische Schriften, hrsg. v. Paul Mendes-Flohr u. Peter Schäfer, Gütersloh 2003, S. 122.

[13] Buber, Martin: Das Problem des Menschen, S. 405.

[14] Manche Kommentatoren von Buber setzen die Sphäre des Zwischen mit der Sprache gleich. Zwar spricht er selbst von Sprache im ontologischen Sinn, jedoch kann man nicht sagen, dass sie das „Zwischen“ist. Nach meinem Verständnis wird die Sprache bei Buber funktional begriffen: Sie dient dazu, die Sphäre des Zwischen zu konstruieren. (Vgl. u.a. die Lesart von Grimme in: Grimme, Hans-Werner: Ich – Du – Ewiges Du. Religionsphilosophische Aspekte der Dialogik Martin Bubers, Stuttgart 2002, S. 21).

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Details

Title
Das Problem des Zwischenmenschlichen bei Martin Buber und Emmanuel Levinas
College
University of Frankfurt (Main)  (Institut für Philosophie)
Grade
2,0
Author
Year
2007
Pages
25
Catalog Number
V127079
ISBN (eBook)
9783640334698
ISBN (Book)
9783640334339
File size
487 KB
Language
German
Notes
Philosophie des Dialogs
Keywords
Dialogik, Philosophie des Dialogs, Dialogphilosophie, Buber, Levinas, Martin Buber, Emmanuel Levinas, Ich und Du, Der Andere, Das Zwischenmenschliche, Dialog, Kommunikation, Das Ethische, Die Andersheit, Das echte Gespräch
Quote paper
Adam Galamaga (Author), 2007, Das Problem des Zwischenmenschlichen bei Martin Buber und Emmanuel Levinas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127079

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