Psychosoziale Aspekte körperlicher Veränderungen bei krebskranken Jugendlichen


Mémoire (de fin d'études), 2008

126 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

1 Vorwort

2 Einleitung

3 Allgemeine Grundlagen der Krebserkrankung
Begriffsbestimmung und Verlauf
Klassifizierung der Krebsarten
Statistik der Krebserkrankungen bei Jugendlichen
Krebstherapie
Chemotherapie
Strahlentherapie
Chirurgische Therapie
Weitere Therapieformen
Physische Beeinträchtigungen durch die Krebserkrankung und deren Behandlung

4 Krebs im Jugendalter

Definition Jugend als Lebensphase
Entwicklungsaufgaben im Jugendalter
Ablöseprozess von den Eltern
Zuwendung zur Gleichaltrigengruppe
Psychosexuelle Entwicklung
Aufbau eines eigenständigen Werte- und Einstellungssystems
Entwicklung einer Zukunftsperspektive
Neukonzeption der Identität
Verarbeitung körperlicher Veränderungen und deren Integration in ein neues Körperbild

5 Die psychosoziale Bedeutung von krankheitsbedingten körperlichen Veränderungen
Begriffsbestimmung
Bedeutung des Körpers im Jugendalter
Die Bedeutung von krankheitsbedingten körperlichen Veränderungen

6 Verarbeitung und Integration körperlicher Veränderungen
Definition und Begriffsbestimmung
Ziele der Krankheitsverarbeitung
Theorien der Krankheitsbewältigung
Die transaktionale Theorie der Krankheitsverarbeitung
Das Krankheits-Stress-Bewältigungs-Modell
Formen der Bewältigung
Coping und Abwehr

7 Beschreibung des Forschungsdesigns
Ziele der Untersuchung
Die Untersuchungsgruppen – Vorstellung, Auswahl, Zugang
Die Jugendlichen
Vorstellung
Die Experten
Die Datenerhebung
Das Erhebungsinstrument Problemzentriertes Interview
Besonderheiten des Chatinterviews
a) Das Chatinterview als Methode in der empirischen Sozialforschung
b) Merkmale des Chatinterviews
c) Chancen und Grenzen des Chatinterviews
Die Themenfelder der Problemzentrierten Interviews
Durchführung der Untersuchung
Datenaufbereitung
Datenauswertung

8 Auswertung
Darstellung der Ergebnisse
(A) Aspekte von Körper und Aussehen vor und nach der Erkrankung
I. Körperzufriedenheit vor und nach der Erkrankung
II. Stellenwert des äußeren Erscheinungsbildes vor und nach der Erkrankung
III. Veränderung des Bezugs zum eigenen Körper
(B) Psychosoziale Auswirkungen der körperlichen Veränderungen und Umgang damit
IV. Auswirkungen im psychischen Kontext
V. Auswirkungen im sozialen Kontext
VI. Copingverhalten
VII. Faktoren, die das Copingverhalten beeinflussen
(C) Psychosoziale Unterstützung
VIII. Bestehende Unterstützungsangebote
IX. Ziele und Aufgaben psychosozialer Unterstützung
X. Einstellung zu und Annahme von unterstützenden psychosozialen Angeboten
XI. Kritik und Verbesserung der psychosozialen Unterstützung
XII. Bewertung der allgemein und persönlich erlebten psychosozialen Unterstützung
Interpretation der Ergebnisse
Aspekte von Körper und Aussehen vor und nach der Erkrankung
Aspekte psychosozialer Belastung
Aspekte der Bewältigung
Aspekte psychosozialer Unterstützung
Forschungskritik

9 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Relative Häufigkeit der an das Deutsche Kinderkrebsregister gemeldeten Erkrankungsfälle (1992-2001) nach den häufigsten Diagnosegruppen für 10- bis 14-Jährigen

Abb. 2: Relative Häufigkeit der im amerikanischen SEER-Programm registrierten Erkrankungsfälle (1986-1995) nach den häufigsten Diagnosegruppen für die 15- bis 19-Jährigen.

Abb. 3 Die Beziehung zwischen Körperbild und Selbstkonzept

Abb. 4: Das Krankheits-Stress-Bewältigungs-Modell

Abb. 5: Körperzufriedenheit vor und nach der Erkrankung

Abb. 6: Stellenwert des äußeren Erscheinungsbildes vor und nach der Erkrankung

Abb. 7: Körperliche Veränderungen der befragten Jugendlichen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Krankheitsbezogene Reaktionsformen des FKV, FKV-LIS, BEFO & TSK

Tabelle 2: Alter und Art der Erkrankung

Tabelle 3: Stellenwert des äußeren Erscheinungsbildes und Körperzufriedenheit vor und nach der Erkrankung

Tabelle 4: Grad der körperlichen Veränderung durch die Krankheit

Tabelle 5: Zur allgemeinen und persönlich erlebten psychosozialen Unterstützung

1 Vorwort

An dieser Stelle möchte ich allen danken, die mich im Schreiben dieser Diplomarbeit, bei der Vorbereitung und Durchführung begleitet und unterstützt haben.

Mein erster Dank geht an die Korrektoren dieser Arbeit, Herrn Prof. DDr. W. Effelsberg und Frau G. Weiss. Ihnen danke ich für ihre beratende Unterstützung, Ermutigung und die Zeit, die sie immer wieder investiert haben.

Ein herzlicher Dank gilt außerdem Frau Wirth-Risch für die wohltuende Begleitung.

Herzlich danke ich auch den Mitarbeitern der Rehaklinik Katharinenhöhe, besonders SM und HR, für eure Bereitschaft mich zu unterstützen und den Zugang zu den Jugendlichen zu ermöglichen. Diesen, an den Interviews beteiligten Jugendlichen gilt mein besonderer Dank. Ohne euch wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.

Weiterhin möchte ich mich bei allen Freunden und Korrekturlesern bedanken: Katharina - nachdem du jetzt schon fertig bist, wars vielleicht nochmal ein kleines Andenken an die vergangen Studienjahre. Melanie und Timea – für die Verschnaufpause bei euch und das gleichzeitige Arbeiten. Andrea – für die schnelle Korrektur. Judith – fürs Mitdenken und deine Anregungen, die mich immer gleich zwei Schritte weiter gebracht haben. Reiner Knizia für eine einfach geniale Idee. Schön, dass ich auf euch zählen konnte.

Besonders erwähnen möchte ich außerdem meine tapferen Mitstreiterinnen in der KHG-Schreibwerkstatt, Chrissa und Anna. War ermutigend und einfach gut euch da zu haben und über alle Höhen und Tiefen zu klagen, zu jammern und uns am Ende gemeinsam zu freuen. Diesbezüglich auch einen ganz herzlichen Dank an die KHG Verantwortlichen an der KFH, fürs Überlassen des Cafés und euer selbstverständliches Vertrauen.

Besonders danke ich außerdem meinem Freund Andis für deine Ermutigung und den Rückhalt den du gibst, im Großen und Kleinen.

Danke meinem Gott, für die nötige Hilfe von Oben und Kraftquellen auf meinem Weg.

Ich bin froh und dankbar diese Arbeit geschrieben zu haben und hoffe sie kann ihren Beitrag zu einem besseren Verständnis und einer optimalen Unterstützung krebskranker Jugendlicher und ihrer körperlichen wie psychischen Beeinträchtigungen leisten.

2 Einleitung

Wie im oben stehenden Zitat von Florence Nightingale deutlich wird, wurde schon vor 150 Jahren betont, wie bedeutend der Einfluss des Körpers auf die Seele sein kann. Häufig, auch im Bereich der Sozialen Arbeit, wird eher der Einfluss der Seele auf den Körper betont. Mit der Psychosomatik gibt es sogar eine spezifische medizinische Fachrichtung, die sich mit diesem Phänomen beschäftigt.

Die vorliegende Arbeit handelt von den psychosozialen Aspekten körperlicher Veränderungen bei krebskranken Jugendlichen. Krebs ist, in seinen unterschiedlichen Formen, eine der häufigsten und schwersten körperlichen Erkrankungen unserer Zeit. Dabei steht der Körper eines Krebskranken in der Akutphase und Nachsorge im Mittelpunkt des Geschehens. Gilt der Körper als geheilt, wird der Patient zurück ins Leben entlassen und sieht sich hier mit zahlreichen An- und Überforderungen konfrontiert. Er muss lernen mit einem zwar geheilten, aber dennoch veränderten, fremden, oftmals entstellten und eingeschränkten Körper zu leben.

Wie die Krebserkrankung selbst soll die Thematik der vorliegenden Arbeit vom Körper ausgehend erschlossen werden und sich der psychosozialen Bedeutung krankheitsbedingter Körperveränderungen annähern, die vielfältige Auswirkungen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen zur Folge haben.

Besonders hinsichtlich jugendlicher Krebspatienten muss eine Fokussierung auf den Umgang mit körperlichen Veränderungen erfolgen, da der Körper, das eigene Aussehen und äußere Erscheinungsbild im Jugendalter eine herausragende Stellung einnehmen.

Die unterstützenden psychosozialen Angebote für jugendliche Krebspatienten sind normalerweise an medizinische Maßnahmen, also Klinikaufenthalte und Rehabilitationsmaßnahmen angegliedert. Mit dem Abschluss dieser läuft in der Regel auch die psychosoziale Begleitung krebskranker Jugendlicher aus. Zur weiteren Entwicklung der Jugendlichen und ihrem Zurechtkommen im sozialen Umfeld wird in der Literatur wenig beschrieben. Besonders zum Umgang mit den eigenen körperlichen Veränderungen gibt es nur wenige Hinweise.

Daher will die vorliegende Arbeit sich mit diesen körperlichen Veränderungen beschäftigen, sie unter verschiedenen Aspekten beleuchten und deren Bedeutung für die Soziale Arbeit mit betroffenen Jugendlichen näher bestimmen. Gerade weil Krebs keine Krankheit ist, die vor Milieuzugehörigkeiten Halt macht, ist die Thematik krebskranker Jugendlicher auch für die Soziale Arbeit von Bedeutung. In allen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit kann man von Krebs betroffenen Menschen und unter ihnen auch krebskranken Jugendlichen begegnen. Es ist wichtig, dass Sozialarbeiter und andere im psychosozialen Bereich Tätige einen Einblick in die Lebenswelt kranker Jugendlicher bekommen und die Belastungen, denen die Betroffenen ausgesetzt sind, hinreichend einzuschätzen und damit umzugehen wissen. Dies gilt nicht nur für krebskranke Jugendliche, sondern betrifft auch anders chronisch oder akut Erkrankte. Die vorliegende Arbeit möchte neben einem besseren Verständnis krebskranker Jugendlicher, zur Optimierung der psychosozialen Unterstützungsangebote beitragen und mögliche neue Handlungsfelder der Sozialen Arbeit erschließen.

An dieser Stelle soll eine kurze Einführung in den Aufbau der vorliegenden Arbeit gegeben werden, die sich in den Theorieteil und den Forschungsteil unterteilen lässt. Im Theorieteil (Kap. 1-4) wird ein Überblick über die bestehenden Erkenntnisse in Bezug auf krebskranke Jugendliche und ihrer Körperveränderungen gegeben. Dabei werden in einem ersten Kapitel einige Grundlagen zum Krankheitsbild Krebs zusammengestellt, hierbei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf den physischen Beeinträchtigungen, welche die Erkrankung mit sich bringen kann.

In Kapitel 2 wird die Bedeutung einer Krebserkrankung im Jugendalter näher beschrieben. Dabei wird vor allem auf die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters allgemein und in ihrer spezifischen Bedeutung für krebskranke Jugendlichen eingegangen. In einem dritten Kapitel werden schließlich die besonderen Aspekte körperlicher Veränderungen herausgearbeitet. Dabei kommt es sowohl zur allgemeinen Beschreibung der Bedeutung von Körper und Aussehen im Jugendalter, als auch zu einer eingehenden Darstellung der psychosozialen Auswirkungen krankheitsbedingter Körperveränderungen. Im vierten Kapitel wird als Abschluss des Theorieteils ein Überblick bezüglich der Verarbeitung und Integration körperlicher Veränderungen und der damit verbundenen Prozesse und Formen gegeben. Es folgt der Forschungsteil, welcher in Kapitel 5 zunächst das Untersuchungsvorgehen beschreibt. Anschließend werden die Ergebnisse der Untersuchung in Kapitel 6 ausgewertet. Diese Auswertung gliedert sich in zwei Teile: Die ausführliche Darstellung der Untersuchungsergebnisse und die Interpretation derselben. Am Ende der Arbeit steht schließlich eine kurze Zusammenfassung, in der die zentralen Ergebnisse der Diplomarbeit komprimiert formuliert werden.

3 Allgemeine Grundlagen der Krebserkrankung

Begriffsbestimmung und Verlauf

Die Bezeichnung „Krebs“ leitet sich von einer Erscheinungsform des Mammakarzinoms ab und wurde von griechischen Ärzten geprägt. Oberflächlich gestaute Venen erinnerten dabei an die Form eines Krebses, dessen griechische Bezeichnung „karkinos“ wiederum die Wurzel des Fachbegriffs Karzinom darstellt (vgl. Hiddemann, Huber, Bartram, 2004, 6).

Heute dient der Begriff Krebs als Oberbegriff für eine Vielzahl von Erkrankungen, die unbehandelt zum Tod führen. Ihnen gemeinsam ist das „Wachstum neuen Gewebes infolge fortschreitender Wucherung abnormer Zellen, welche die Fähigkeit besitzen, in anderes Gewebe einzudringen und es zu zerstören“ (Microsoft Corporation, 2004). Während gutartige (benigne) Tumoren nicht in das umliegende Gewebe einwachsen, sondern innerhalb der Organgrenzen bleiben, sind bösartige (maligne) Tumoren ein „Gewebe mit ungehemmter und unkontrollierter Zellteilung sowie infiltrativem, destruierendem und metastasierendem Wachstumscharakter“ (Erbar, 2002, 1). Die Zellen bösartiger Tumore durchsetzen das Nachbargewebe, verdrängen es und zerstören gesundes Gewebe. Zellen, die sich von diesem Zellverband lösen, können auf Blut- oder Lymphbahnen in den ganzen Körper verschleppt werden, an anderen Stellen wieder anwachsen und sich vermehren. Die dabei entstehenden, so genannten Metastasen sind typisch für alle malignen Krebserkrankungen. Wird der Tumor nicht oder erfolglos therapiert führt die Erkrankung zum zunehmenden, allgemeinen Verfall des Körpers, der schließlich mit dem Tod endet (vgl. Klingebiel, 1995a, 16-17).

Die Krebserkrankung wird zu den chronischen Krankheiten gezählt, die zum einen durch Chronizität und zum anderen durch einen bedrohlichen Verlauf gekennzeichnet sind. Chronizität bedeutet hier eine Erkrankungsdauer von mehreren Jahren, mindestens aber einem Vierteljahr, bis hin zu lebenslang. Der bedrohliche Verlauf chronischer Krankheiten meint nicht, dass diese „bedrohliche Ausmaße annehmen muß, vielmehr soll zum Ausdruck gebracht werden, daß zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung die Möglichkeit dazu besteht“ (Seiffge-Krenke, et al., 1996, 13). Des Weiteren beeinflusst die chronische Krankheit das Planen, Handeln und Empfinden des Betroffenen (vgl. ebd., 12-13).

Klassifizierung der Krebsarten

Zur Differenzierung der verschiedenen Krebsarten wird eine Klassifizierung nach bestimmten Merkmalen vorgenommen. Diese basiert auf der Gewebe- und Zellart, in der die Erkrankung ihren Ursprung hat, auf dem Grad ihrer Ausdehnung sowie dem Malignitätsgrad (vgl. Erbar, 2002, 48). Die Krebserkrankungen werden in Diagnosegruppen aufgeteilt, welche im Folgenden kurz dargestellt werden.

Karzinome haben ihren Ursprung in Epithelgeweben wie der Haut und der Auskleidung von Körperhöhlen und Organen sowie dem Drüsengewebe von Brust und Prostata (vgl. Mircosoft Corporation, 2004).. Sie stellen die größte Gruppe der Krebserkrankungen dar, kommen im jüngeren Lebensalter allerdings noch eher selten vor.

Sarkome entstehen in Binde-, Stütz- und Nervengeweben, dazu gehören Knochen, Knorpel, Nerven, Blutgefäße, Muskeln und Fett. Sie werden je nach Ursprungsgewebe unterschieden in beispielsweise Osteo-(Knochen), Lipo-(Fett), Myo-(Muskel) oder Chondro-(Knorpel)sarkome (vgl. Erbar, 2002, 66-67). Zu den verbreitetsten Sarkomen bei Jugendlichen gehört, im Weichteilbereich, das Rhabdomyosarkom. Unter den Knochentumoren treten das Osteosarkom und das Ewing-Sarkom am häufigsten auf (vgl. Rudolph, 2004, 26).

Die Tumore des Zentralnervensystems bilden sich innerhalb des Gehirns oder des Rückenmarks, dabei ist vor allem die genaue Lage des Tumors ausschlaggebend für den Erfolg der Behandlung. Je nach Lokalisation sind diese Tumore nur sehr schwer zugänglich und die Therapiemöglichkeiten eingeschränkt. Bei Kindern und Jugendlichen kommen Astrozytome, Gliome und Medulloblastome gehäuft vor (vgl. Hiddemann et al., 2004, 32).

Zu den Keimzelltumoren gehören die Tumoren, die von den Keimdrüsen ausgehen, beispielsweise die Hoden- und Eierstocktumoren (vgl. Erbar, 2002, 68).

Leukämien sind bösartige Systemerkrankungen des Knochenmarks und gehen mit der massiven Vermehrung von unreifen, atypischen Leukozyten einher. Diese verdrängen die normalen blutbildenden Zellen in den Körpergeweben. Leukämien werden unterschieden in akute und chronische Leukämien. Während die chronischen bei Jugendlichen sehr selten sind, machen die akuten Leukämien ein Drittel der Krebserkrankungen im Kindesalter und ein Viertel bei den Jugendlichen aus. Weiterhin werden akuten Leukämien in akute lymphoblastische (ALL) sowie akute myeloische Leukämie (AML) unterschieden (vgl. Rudolph, 2004, 18-21).

Maligne Tumoren des lymphatischen Systems werden als Lymphome bezeichnet. Sie befallen Gewebe der Lymphknoten, Mandeln, Milz und anderer Organe. Lymphome lassen sich in Morbus Hodgkin, Non-Hodgkin- und Burkitt-Lymphome unterteilen und machen jeweils ein Viertel der malignen Erkrankungen bei Jugendlichen zwischen 10 und 14 sowie zwischen 15 und 19 Jahren aus (vgl. Abb. 1 und 2) (vgl. Rudolph, 2004, 21-23).

Statistik der Krebserkrankungen bei Jugendlichen

Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf Krebs bei Jugendlichen. Da einige der im empirischen Teil befragten Jugendlichen zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung unter 15 Jahren waren, sollen an dieser Stelle sowohl Statistiken von Jugendlichen unter 15 Jahren, als auch Zahlen zu älteren Jugendlichen dargestellt werden.

In Deutschland ist das Deutsche Kinderkrebsregister für die Erfassung der bösartigen Erkrankungen im Kindesalter zuständig. Von 100.000 Kindern unter 15 Jahren erkranken jedes Jahr 14 Kinder an Krebs. Bei einer Bevölkerungszahl von 13 Millionen unter 15-Jährigen, entspricht dies einer Zahl von 1800 neu erkrankten Kindern jährlich (vgl. RKI, 2008, 102). Damit stellen maligne Erkrankungen die zweit häufigste Todesursache bei Kindern über 5 Jahren dar (vgl. Blütters-Sawatzki, 2006, 185).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Relative Häufigkeit der an das Deutsche Kinderkrebs-register gemeldeten Erkrankungsfälle(1992-2001) nach den häufigsten Diagnosegruppen für 10- bis 14-Jährigen

(vgl. Kaatsch, Spix und Schüz, 2006, 423)

Bei Jugendlichen zwischen 10 und 14 Jahren steht die Erkrankung an Leukämien (24,9%) und Lymphomen (24,8%) im Vordergrund. Es folgen die Tumore des Zentralen Nervensystems mit 21,7% (vgl. Abb. 1).

Zur Häufigkeit verschiedener Krebserkrankungen bei Jugendlichen über 15 Jahren gibt es in Deutschland keine repräsentativen Zahlen. Kaatsch, Spix und Schüz (vgl. 2006, 423) führen hierzu jedoch aussagekräftige Daten aus den USA an. Diese beziehen sich auf die Jahre 1986-1995 und geben die häufigsten Diagnosegruppen bei den 15- bis 19-Jährigen wieder (vgl. Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2: Relative Häufigkeit der im amerikanischen SEER
- Programm registrierten Erkrankungsfälle (1986-1995)
- nach den häufigsten Diagnosegruppen für die 15- bis
- 19-Jährigen.

(vgl. Kaatsch, Spix und Schüz, 2006, 423)

Die häufigste Krebserkrankung im Alter zwischen 15 und 19 Jahren sind demnach Lymphome (23,7%), deren Zahl sich im Vergleich mit der jüngeren Altergruppe nur unwesentlich verringert. Keimzelltumore und Karzinome nehmen dagegen um etwa 10% zu. Die Leukämien und ZNS-Tumoren treten seltener auf.

Krebstherapie

In der Behandlung krebskranker Jugendlicher gibt es in der Regel keine wesentliche Unterschiede zur Therapie krebskranker Erwachsener. Denn Ziel einer jeden Krebstherapie ist die Vernichtung des Tumors bzw. der malignen Zellen und damit die Heilung. Zu den wichtigsten und gebräuchlichsten Therapieformen zählen die Chemotherapie, die Strahlentherapie sowie die chirurgischen Therapien. Diese können einzeln eingesetzt oder miteinander kombiniert werden. Eine spezielle Therapieform ist die Knochenmarktransplantation, welche bei Leukämien zu Anwendung kommen kann. Supportive Therapien dienen dazu, therapiebedingten Komplikationen vorzubeugen oder diese zu behandeln. Bei Patienten, für deren Erkrankung keine Heilungschancen mehr bestehen wird die palliative Therapie zur Linderung der besonders belastenden Symptome eingesetzt. Alle Therapien werden nach Protokollen durchgeführt, deren Wirksamkeit empirisch belegt ist. Nur wenn keine anderen Möglichkeiten mehr bestehen, wird nach neuen Protokollen behandelt. Diese werden dann ebenfalls wissenschaftlich begleitet (vgl. Rudolph, 2004, 14).

Als geheilt gilt eine Krebserkrankung dann, wenn die Zeit überschritten ist, in der, nach den medizinischen Erfahrungen, ein Rückfall (Rezidiv) eintreten kann. Dieser Zeitraum ist je nach Krebsart unterschiedlich (vgl. Klingebiel, 1995a, 51). Von einer kompletten Remission spricht man allerdings schon dann, „wenn nach einer entsprechenden Therapie alle tumorbedingten Veränderungen im Organismus über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen nicht mehr nachweisbar sind“ (Erbar, 2002, 116). Eine partielle Remission ist bei einer Verkleinerung des Tumors um 50 % gegeben. Von einer Progression hingegen wird bei einer Zunahme des Tumors um mindestens 25 % oder beim Auftreten neuer Metastasen gesprochen.

Chemotherapie

Die Chemotherapie kommt bei Systemerkrankungen und bei Metastasenbildung zum Einsatz. Bei soliden Tumoren dient sie zur Verkleinerung des malignen Gewebes, das anschließend operativ entfernt wird (vgl. Rudolph, 2004, 14-15).

Erbar (2002, 114) definiert die Chemotherapie als die Verabreichung von „Substanzen, die durch Eingriff in den Stoffwechsel maligner Zellen und deren Zellteilungsvorgänge entweder zytostatisch oder zytotoxisch-zytolytisch wirken.“ Diese Substanzen, die so genannten Zytostatika, können grundsätzlich auf alle Zellen des Körpers wirken. Aufgrund ihres geänderten Stoffwechsels zeigen Tumorzellen jedoch eine größere Empfindlichkeit gegenüber den Chemotherapeutika, als gesunde Zellen. Dies wird dadurch erklärt, dass die meisten Zytostatika phasenspezifisch wirken und nur Zellen im Wachstumsstadium, der Proliferation, angreifen. Deshalb sprechen gerade schnell wachsende Tumore mit sehr vielen proliferierenden Zellen gut auf die Chemotherapie an (vgl. ebd.).

Strahlentherapie

Die Strahlentherapie wird zur Tumor- und Schmerzbehandlung eingesetzt. Durch chemische und physikalische Einwirkung führt die verwendete ionisierende Strahlung zur Schädigung des Zellkerns, des in ihm enthaltenen genetischen Codes der DNA und der Membranstrukturen. Dadurch kommt es zu Funktionsstörungen der Zelle, die schließlich zum Zelltod führen können. Normalerweise wird die Strahlentherapie zur lokalen Schädigung oder vollständigen Zerstörung eines Tumors eingesetzt (vgl. Willich, 2000, 234-235). Im Rahmen einer Stammzelltransplantation kann es zu einer Ganzkörperbestrahlung kommen (vgl. Pötter, Dieckmann, 2006, 587). Die Dosis der Strahlen wird in Form der auf das Gewebe übertragenen Energie in Gray (Gy) gemessen. Ein Gray entspricht dabei der Energie von einem Joule pro Kilogramm (vgl. Willich, 2000, 236).

Chirurgische Therapie

Grundsätzlich werden fast alle Krebspatienten mit operativen Eingriffen in Form von Punktionen oder Biopsien konfrontiert. Diese dienen allerdings diagnostischen Zwecken (vgl. Rudolph, 2004, 15). Die Entscheidung zu einem chirurgischen Eingriff mit (Teil-)Resektion des Tumors ist von den operativen Möglichkeiten, aber auch von der Tumorart, dem Ausbreitungsstadium und dem Lebensalter des Patienten abhängig (vgl. Mau, 2006, 595). Häufig erfolgt vor oder nach einer Operation die kombinierte Behandlung des Patienten durch Bestrahlung oder Chemotherapie.

Weitere Therapieformen

Neben den oben ausgeführten Krebstherapien gibt es noch einige andere Therapieformen, die hier kurz genannt werden sollen. Einige Krebserkrankungen entstehen in hormonabhängigen Geweben wie Brust, Prostata, Schilddrüse etc., die Hormontherapie versucht durch Gabe oder Entzug verschiedener Hormone auf diese Tumore einzuwirken (vgl. Microsoft Corporation, 2004). Die Immuntherapie will das körpereigene Immunsystem durch Gabe verschiedener Substanzen (Zytokine) so aktivieren, dass es die Tumorzellen zerstört. Aufgrund von zu geringen Erfolgsquoten und einigen noch unzureichend steuerbaren Wechsel- und Nebenwirkungen wird die Immuntherapie vor allem bei Patienten mit chemo- und strahlentherapieresistenten Tumoren angewandt (vgl. Erbar, 2002, 177). Auf dem Gebiet der Gentherapie wird intensiv geforscht. Die Mehrzahl der Studien zu dieser Therapieform befindet sich allerdings noch in einer frühen Phase der klinischen Prüfung. Daher wird es vermutlich noch einige Jahre dauern, bis ausgereifte Gentherapieverfahren in der Krebsbehandlung zur Anwendung kommen (vgl. Hiddemann et al., 2004, 580).

Die Knochenmarktransplantation (KMT) gehört ebenfalls zu den gängigen Therapieverfahren und kommt vor allem bei den verschiedenen Leukämieformen zum Einsatz. Dabei werden so genannte hämatopetische Stammzellen (HST), die für den Wiederaufbau der Blutbildung und des Abwehrsystems verantwortlich sind, übertragen. Es werden zwei Formen der KMT unterschieden. Bei der allogenen Knochenmark- oder Stammzelltransplantation werden einem anderen Menschen Knochenmark oder die im Blut enthaltenen Stammzellen entnommen und auf den kranken Empfänger übertragen. Dabei ist entscheidend, dass sich die wesentlichen Gewebemerkmale des Spenders und Empfängers gleichen. Bei der autologen Transplantation werden sie Stammzellen vom Empfänger selbst zu einem früheren Zeitpunkt entnommen, aufbereitet und konserviert und nach einer Hochdosischemotherapie wieder zugeführt. Die wichtigsten Bedingungen zur Durchführung einer allogenen Transplantation sind zum einen die Unterdrückung der körpereigenen Abwehr, da sonst das transplantierte Knochenmark oder die Stammzellen wieder abstoßen würden. Zum anderen müssen alle Reste der Krebskrankheit im Körper durch hochdosierte Chemo- oder Strahlentherapie vernichtet werden (vgl. Klingebiel, 1995b, 67-71). Nach der erfolgten Transplantation kann es zu verschiedenen akuten und chronischen Komplikationen kommen. Diese Nebenwirkungen und Spätfolgen der verschiedenen Krebstherapien werden im folgenden Kapitel beschrieben.

Physische Beeinträchtigungen durch die Krebserkrankung und deren Behandlung

Bei den folgenden Ausführungen zu den Nebenwirkungen und Spätfolgen von Krebserkrankungen ist zu beachten, dass diese nur eine Auswahl der häufigsten Erscheinungen darstellen und auftreten können, aber nicht müssen. Je nach Art und Stadium der Erkrankung und nach Therapieform sind diese Beeinträchtigungen sehr unterschiedlich. Sie lassen sich in akute kurzfristig anhaltende, reversible Nebenwirkungen und chronische, teils irreversible Spätfolgen einteilen.

Beim Einsatz von Zytostatika ist es unvermeidbar, dass diese auch gesunde Zellen angreifen. Daher stellt die Chemotherapie einen ständigen Balanceakt zwischen Antitumorwirkung und Nebenwirkungen dar. Die Nebenwirkungen kommen vor allem in schnell prolieferierendem Gewebe vor und sind abhängig von Art, Dosis und Dauer der verabreichten Substanzen sowie vom jeweiligen Organismus des Patienten (vgl. Hiddemann et al., 2004, 418).

Zu den akuten Nebenwirkungen gehören:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Erbar, 2002, 143-144 und Krischke, 1996, 26)

Zu den zum Teil irreversiblen Spätfolgen gehören:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Erbar, 2002, 143-144)

Auch die Bestrahlung wirkt nicht nur auf das maligne, sondern auch auf gesundes Gewebe schädigend ein. Daher muss die Wahl der Gesamtdosis auch die Nebenwirkungen und Spätfolgen der Bestrahlung für das gesunde Gewebe berücksichtigen (vgl. Erbar, 2002, 230). Dabei sind die Nebenwirkungen abhängig von Dosis und Dauer der Bestrahlung sowie vom bestrahlten Volumen. Bei Kindern und Jugendlichen spielt außerdem das Alter, Wachstumstyp und -potenzial eine große Rolle für die Ausprägung von Spätfolgen (vgl. Pötter, Dieckmann, 2006, 588-589). Es gibt eine Vielzahl von Nebenwirkungen und Spätfolgen durch Bestrahlung. Hier sollen nur einige beispielhaft angeführt werden.

Nebenwirkungen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Rudolph, 2004, 15 und Krischke, 1996, 23-25)

Spätfolgen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Pötter, Dieckmann, 2006, 588-592 und Krischke, 1996, 23-25)

Chirurgische Eingriffe haben, neben den Beeinträchtigungen während des Heilungsprozesses, meist irreversible Veränderungen am Körper des Patienten zur Folge. Außerdem können durch die Krebserkrankung selbst irreparable Schädigungen hervorgerufen werden. Eine Auswahl dieser Veränderungen wird im Folgenden genannt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Gutjahr, 1999, 577)

Die Knochenmarktransplantation birgt verschiedene Risiken. Zunächst sind die Patienten durch die Vorbereitung auch die KMT extrem infektionsanfällig und werden fast immer in speziell geschützten Räumen untergebracht. Des Weiteren kann zu so genannten akuten GVH-Reaktionen kommen. Trotz passender Gewebemerkmale, durch die eine Transplantation überhaupt möglich war, unterscheidet sich das Immunsystem des Knochenmarks in einigen Details vom Körper des Patienten. Das Immunsystem erkennt also bestimmte Gewebemerkmale als fremde Antigene und wehrt sie ab. Dies kann zur Erkrankung des Patienten in den verschiedensten Ausprägungen führen. Je nachdem welches Körpermerkmal durch das eigene, neue Immunsystem angegriffen wird. Diese Reaktion Knochenmarks gegen den Empfänger wird auch als Graft-versus-Host-Reaktion (GVH-Reaktion) bezeichnet. Falls der immunologische Lernprozess des Spenderknochenmarks nicht gelingt kann es zu einer Chronifizierung der GVH-Reaktion kommen. Diese GVH-Krankheit, auch Graft-versus-Host-Disease (GVHD) genannt, kann sich in Form einer Immunschwächekrankheit oder in so genannten Autoaggressionskrankheiten, bei denen das Immnunsystem den eigenen Körper bekämpft, äußern. Bei ungünstigem Verlauf können diese Komplikationen lebensbedrohliche Ausmaße annehmen (vgl. Klingebiel, 1995b, 72-73).

Krebs zählt heute noch immer zu den gefährlichsten Krankheiten. Zwar sind vergleichsweise wenig Kinder und Jugendliche von Krebserkrankungen betroffen. Diejenigen, die jedoch an Krebs erkranken, sehen sich mit einer Krankheit konfrontiert, die oftmals eine lange medizinische Therapie und Rehabilitation erfordert und deren Behandlung zahlreiche, zum Teil schwerwiegende körperliche Nebenwirkungen und Spätfolgen mit sich bringt.

Vor allem für Jugendliche, die sich in einer sensiblen und kritischen Entwicklungsphase befinden, kann eine solche Erkrankung sehr einschneidend sein und sich auf zahlreiche Lebensbereiche auswirken. Darauf wird im folgenden Kapitel eingegangen.

4 Krebs im Jugendalter

Definition Jugend als Lebensphase

Die Begriffe Jugend und Adoleszenz kennzeichnen die Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Das Jugendalter wird häufig als Übergangsphase bezeichnet, in welcher der Jugendliche sich vom Kind zum Jugendlichen und schließlich zum Erwachsenen entwickelt. Der Beginn des Jugendalters ist durch das Eintreten der Geschlechtsreife, durch die Pubertät bestimmt. Aus soziologischer Sicht endet die Jugendzeit, wenn der Jugendliche in die neuen Rollen in Beruf, Partnerschaft und Familie, sowie als politischer Bürger und Konsument hineingewachsen ist. Aus psychologischer Sicht ist die Jugendphase dann beendet, wenn die Entwicklungsaufgaben (vgl. Kapitel 2.2) erfolgreich bewältigt wurden (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 17-18). Zur zeitlichen Abgrenzung der Jugendphase gegenüber dem Erwachsenenalter gibt es verschiedenste Auffassungen, auf die hier nicht umfassend eingegangen werden kann. Oerter und Dreher (2008, 272) nennen zur zeitlichen Strukturierung des Jugendalters drei Phasen: Die frühe Adoleszenz zwischen 10 und 13 Jahren, die mittlere Adoleszenz zwischen 14 und 17 Jahren und die späte Adoleszenz zwischen 18 und 22 Jahren. Für die Abgrenzung zwischen Jugend und frühem Erwachsenenalter in der Phase der späten Adoleszenz können keine Altersmarken gelten. Vielmehr besteht ein fließender Übergang, der anhand von Rollenübergängen und Kriterien der sozialen Reife vollzogen wird (vgl. ebd., 273).

Entwicklungsaufgaben im Jugendalter

Jeder Jugendliche sieht sich vor die Herausforderung gestellt die tiefgreifenden körperlichen und psychischen Veränderungen im Jugendalter erfolgreich zu meistern. Diese zunächst physiologischen Veränderungen gehen mit psychischen Veränderungen einher. Dazu gehören ein „verändertes Körperempfinden, Selbstzweifel, Unabhängigkeitsgefühle, Schamgefühle, Abgrenzung von der Familie, Verletzlichkeit auf der psychischen Ebene und Rückzug“ (Grob, Jaschinski, 2003, 18). Zu dieser Thematik hat Robert Havighurst gegen Ende der 1940er Jahre das Konzept der Entwicklungsaufgaben entwickelt. Eine Entwicklungsaufgabe ist demnach „a task which arises at or about a certain period in the life of the individual, successful achievement of which leads to his happiness and to success with later tasks, while failure leads to unhappiness in the individual, disapproval by the society, and difficulty with later tasks“ (Havighurst, 1953, 2). Die verschiedenen Entwicklungsaufgaben wurden immer wieder neu formuliert und an veränderte gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen angepasst. Die wichtigsten Entwicklungsaufgaben sollen an dieser Stelle im Überblick dargestellt werden. Dabei wird zunächst auf ihre Bedeutung für gesunde Jugendliche eingegangen, um anschließend die zusätzlichen Schwierigkeiten krebskranker Jugendlicher bei der Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben zu anzuführen. Dies ist vor allem deshalb angezeigt, weil empirischen Studien zufolge die „Realisierung wichtiger Entwicklungsaufgaben durch den Beginn einer chronischen Erkrankung im Jugendalter hinausgezögert oder verhindert“ (Seiffge-Krenke, 1989b, zit. n. Seiffge-Krenke, 1996, 218-219) werden kann.

In der vorliegenden Arbeit erfolgt die Formulierung der einzelnen Entwicklungsaufgaben in Anlehnung an Dreher und Dreher (1996, zit. n. Oerter, Dreher, 2008, 279) sowie Seiffge-Krenke und Olbrich (1982, zit. n. Kollmann, Kruse, 1990, 59-70).

Ablöseprozess von den Eltern

Der Prozess der Ablösung und des unabhängig Werdens von den Eltern beginnt nicht erst im Jugendalter, sondern verläuft seit der Kindheit kontinuierlich und beschleunigt sich in der Jugend zunehmend. Dieser Ablöseprozess beinhaltet verschiedene Aspekte. Jugendliche identifizieren sich immer weniger mit ihren Eltern und hinterfragen Vorstellungen und Werte, die in der Kindheit übernommen wurden. Gleichzeitig verstärken Jugendliche ihre Kontakte außerhalb der Familie und suchen dort Anschluss und emotionale Sicherheit (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 55-56). Als gelungen gilt die Ablösung von den Eltern dann, wenn Jugendliche „die Werte und Normen der Eltern kritisch hinterfragt haben, ein selbstständiges Leben führen können und sich ihren Eltern dennoch verbunden fühlen“ (ebd., 56). Es muss also sowohl für den Jugendlichen, als auch für die Eltern ein neues Gleichgewicht zwischen Autonomie und Verwurzelung entstehen (vgl. ebd.).

Jugendliche mit einer Krebserkrankung sind der Gradwanderung zwischen dem Streben nach Autonomie und Unabhängigkeit und der krankheitsbedingten Abhängigkeit von den Eltern unterworfen. Sie sind länger von ihren Eltern abhängig und nach Cluroe (1999, 96) „deswegen nicht in der Lage, die wichtige Entwicklungsaufgabe Unabhängigkeit zu gewinnen in Angriff zu nehmen.“ Schon die, bei allen erkrankten Jugendlichen auftretende, verminderte körperliche Leistungsfähigkeit, die mit der ein Gefühl der Schwäche und Abhängigkeit einher geht, steht im Kontrast zu dem jugendlichen Bedürfnis nach Autonomie und Unabhängigkeit (vgl. Susmann et al. 1981, zit. n. Kollmann, Kruse, 1990, 78). Es kommt zu einer Verschiebung der Rollenerwartungen und -zuschreibungen, der kranke Jugendliche steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, die Ängste der Familie konzentrieren sich auf ihn und führen dazu, dass er wieder in die Rolle des zu umsorgenden Kindes gelangt (vgl. Seiffge-Krenke, 1996, 219). Dies zeigt sich darin, dass es nach der Diagnosestellung oft zur Liberalisierung familiärer Regeln, zu Verwöhnung und Überfürsorge kommt. Eben diese Überbehütung durch die Eltern kann allerdings auch zu einer zu starken Einengung des Jugendlichen führen, die der altersgerechten Autonomieentwicklung entgegensteht. Mit diesem Ambivalenzkonflikt gegenüber den Eltern müssen sich sehr viele krebskranke Jugendliche auseinandersetzen (vgl. Voll, 1996, 39).

Zuwendung zur Gleichaltrigengruppe

Der Ablöseprozess von den Eltern hängt eng mit der zunehmenden Orientierung des Jugendlichen an Gleichaltrigen zusammen. Die Beziehungen zu den Mitgliedern der so genannten Peer-Group, der Gruppe der Gleichaltrigen, werden immer wichtiger und intimer. Diese Gleichaltrigen sind nicht mehr überwiegend Spielkameraden, sie entwickeln sich zu Bezugspersonen, die neue Identifikationsmöglichkeiten und Orientierung bieten und mit denen alltägliche Probleme und wichtige Ereignisse besprochen werden. Die Peer-Group hat somit die wichtige Funktion, den Jugendlichen im Übergang von der Herkunftsfamilie zur eigenen Partnerschaft und Intimität zu begleiten. Sie trägt dazu bei, dass zentrale Regeln zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung späterer Beziehungen, sowie soziale Kompetenz erlernt werden. Die Beziehungen unter den Jugendlichen sind von Gleichheit und Souveränität geprägt. Gleichheit meint hier die Betonung von Ähnlichkeit bei gleichzeitiger Akzeptanz von Unterschieden. Von Souveränität wird deshalb gesprochen, weil Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und zur Verwirklichung von eigenen Zielen geboten werden (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 66-68). Jugendliche können ihre Peer-Group zur Erprobung neuer Verhaltensweisen nutzen und erfahren stabilisierend wirkende Anerkennung. Der zum Teil geforderte Uniformismus, was beispielsweise Kleidung oder bestimmte Rituale betrifft, gibt Sicherheit und bietet Schutz vor Ängsten. Mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe geht normalerweise auch eine gewisse Abhängigkeit von deren Urteil einher. Gutes Aussehen, Sportlichkeit und körperliche Reife sind dabei, nach verschiedenen empirischen Untersuchungen, für einen hohen Status ausschlaggebend (vgl. Kollmann, Kruse, 1990, 62).

Neben den positiven Funktionen der Peer-Group, gibt es auch einige Schattenseiten, wenn beispielsweise ein Jugendlicher von anderen ausgenutzt, durch deviante Peers negativ beeinflusst wird oder durch fehlende Kontakte Nachteile erfährt und unter sozialer Isolation leidet (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 75).

Krebskranke Jugendliche leiden häufig unter der Isolation von Gleichaltrigen. Durch ihre lange Abwesenheit von der Schule und ihren gewohnten Freizeitaktivitäten kommt es zu einer verzögerten Auseinandersetzung mit wichtigen Entwicklungsaufgaben (vgl. Cluroe, 1999, 95) und zur Diskontinuität in ihren freundschaftlichen Beziehungen (vgl. Voll, 1996, 40). Die Belastungen, denen erkrankte Jugendliche ausgesetzt sind, erzwingen die Auseinandersetzung mit altersuntypischen Themen. Dies lässt sie erwachsener erscheinen und kann zu einer Entfremdung von der Gleichaltrigengruppe (vgl. Rudolph, 2004, 40) und zum Verlust früherer Freundschaften führen. Nicht selten geben von Krebs betroffene Jugendliche ihren früheren Freundeskreis von sich aus auf und brechen Kontakte ab. Dies geschieht aus Angst vor Ablehnung und übertriebenem Mitleid oder als Selbstschutz, wenn Enttäuschungen befürchtet werden. Auch die Neuaufnahme von Kontakten fällt vielen schwer (vgl. Voll, 1996, 40). Diese Isolation führt zum weiteren Absinken des Selbstwertgefühls, das oft schon durch die Krankheit und dem damit verbundenen Gefühl des anders- oder nutzlosseins gering ist (vgl. Cluroe, 1999, 95).

Psychosexuelle Entwicklung

Eine weiter wichtige Entwicklungsaufgabe ist die Ausbildung des Sexualverhaltens im Jugendalter und der Umgang damit. Mit der Entwicklung der biologischen Geschlechtsreife werden Jugendliche zugleich sexuell empfindsamer und sexuell attraktiver. Sie dringen in eine neue Sphäre bisher unbekannter Empfindungen, Erregungen und Faszinationen vor und nehmen das jeweils andere Geschlecht unter neuen Gesichtspunkten war (vgl. Göppel, 2005, 107). Dabei bildet sich die biologische Sexualreife in der Regel mehr oder weniger zeitlich verschoben zu der psychosozialen Übernahme der Geschlechtsrolle heraus (vgl. Kollman, Kruse, 1990, 61). Sowohl die zunehmende Akzeptanz dieser Rolle als Mann oder als Frau, als auch der Aufbau intimer oder sexueller Beziehungen ist als entwicklungspsychologische Aufgabe des Jugendalter zu sehen (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 76). Dreher&Dreher (1996, zit. n. Oerter, Dreher, 2008, 279) nennen hier als eine weitere Entwicklungsaufgabe, die Beschäftigung mit Partnerschaft und Familie. Hier sollen Jugendliche Vorstellungen zur Gestaltung der eigenen zukünftigen Familie und Partnerschaft entwickeln.

Petermann (vgl. 1994, 14) spricht in Bezug auf chronisch kranke Jugendliche von einer Verzögerung der körperlichen und sexuellen Reifung. Verstärkt wird dies durch die Einschränkung der sexuellen Aktivität durch Krankenhausaufenthalte (vgl. Kollmann, Kruse, 1990, 75) und die verringerten Kontaktmöglichkeiten auch zu gegengeschlechtlichen Gleichaltrigen. Sexualität chronisch kranker Jugendlicher wird oft tabuisiert. Dabei spielen vor allem Vorurteile zur Unvereinbarkeit von Krankheit oder Behinderung mit einer lebendigen Sexualität eine große Rolle (vgl. Voll, 1996, 44).

Durch verschiedene Krebstherapien kann es außerdem zu sexuellen Funktionsstörungen kommen. Diese reichen von Erektionsstörungen, Libidoverlust, Brustbildung bei Männern und Scheidenatrophie bis hin zur dauerhaften Unfruchtbarkeit (vgl. Woodcock, 1999, 129). Es ist nicht verwunderlich, dass besonders Jugendliche, deren Sexualität sich gerade erst ausbildet von solchen Krankheitsfolgen schwer irritiert sein können. Sie erleben sich als unvollständig, ungenügend und weniger attraktiv, was wiederum eine starke Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls mit sich bringt (vgl. Csorba, 1998, 835-836).

Aufbau eines eigenständigen Werte- und Einstellungssystems

Diese Entwicklungsaufgabe beinhaltet die Herausbildung einer eigenen Weltanschauung. Der Jugendliche soll sich darüber klar werden welche Werte er vertritt und nach welchen Prinzipien er handeln will (vgl. Dreher&Dreher, 1996 zit. n. Oerter, Dreher, 2008, 279). Dazu gehört sowohl die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage, als auch die Entwicklung eines Standpunktes in moralischen, politischen und religiösen Fragen (vgl. Göppel, 2005, 198). Zu Beginn des Jugendalters übernehmen Jugendliche häufig unkritisch die Werte und Einstellungen der Peer-Group, der sie angehören. Gerade in der Phase, in der der Jugendliche den Rückhalt durch die Peer-Group am meisten braucht, also im Alter zwischen 12 und 13 Jahren, steigt diese Konformitätstendenz. Je älter der Jugendliche wird, desto unabhängiger wird er in der Regel von den vorherrschenden Einstellungen in der Peer-Group. Allerdings orientieren sich Jugendliche, vor allem bei zukunftbezogenen Fragen, auch an den Werten der Eltern (vgl. Kollmann, Kruse, 1990, 68-69). Durch das zunehmende kritische Hinterfragen, durch Reflexion und Interaktion mit Gleichaltrigen, Eltern und anderen Bezugspersonen gelangt der Jugendliche schließlich zu einem „differenzierten, begründeten Einstellungssystem als Richtschnur für sein Handeln“ (ebd., 69).

Im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung müssen sich betroffene Jugendliche gezwungenermaßen mit existenziellen Lebens- und Sinnfragen auseinandersetzen. Die unmittelbare Lebensbedrohung führt zur Beschäftigung mit der Begrenztheit des Lebens, mit dem Leben nach dem Tod und dem Versuch das eigene Schicksal anhand weltschaulicher oder religiöser Interpretationen zu erklären. Diese für Jugendliche untypische ernsthafte Auseinandersetzung mit solch existenziellen Fragen kann das Wertesystem der Betroffenen grundlegend verändern und auch zu einer Entfremdung von Gleichaltrigen führen, die sich solchen Fragen bisher nicht stellen mussten (vgl. Rudolph, 2004, 40-41).

Entwicklung einer Zukunftsperspektive

Eine weitere Entwicklungsaufgabe stellt der Aufbau einer realistischen Zukunftsperspektive dar. Es geht darum das eigene Leben zu planen und sich erreichbare Ziele zu setzen (vgl. Dreher&Dreher, 1996, zit. n. Oerter, Dreher, 2008, 279). Der Übergang zwischen Schule und Beruf oder Studium bringt eine Auseinandersetzung mit den eigenen Fähigkeiten mit sich, die Ängste in Bezug auf die eigene Zukunft hervorrufen kann. Die heutigen Probleme im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit erschweren diese Entwicklungsaufgabe zweifellos (vgl. Kollmann, Kruse, 1990, 70-71). Die Jugendphase ist unter anderem durch den Aufbau eines sozialen Status gekennzeichnet. Durch Schulbildung, Berufswahl, Partnerschaft und Familiengründung und durch die Übernahme gesellschaftlicher und kultureller Aufgaben festigt sich dieser Status.

Für krebskranke Jugendliche ist dies nur in eingeschränkter Weise möglich. Ihr soziales Leben konzentriert sich auf Bezugspersonen, enge Freunde und zum Teil noch die Schule(vgl. Neder-von der Goltz, 2001, 187). Oft kommt es zu einer krankheitsbedingten Unterbrechung mitten im Stadium der Berufsorientierung. Gegebenenfalls kann der erträumte Berufswunsch aufgrund körperlicher Einschränkungen oder Konzentrationsschwächen und psychomotorischer Verlangsamung nicht mehr ausgeführt werden (vgl. Petermann, 1987, 83-84).

Die Bedrohung des eigenen Lebens und die Ängste vor einer Verschlechterung des Zustandes lassen der Auseinandersetzung mit der eigenen Zukunft wenig Platz. Für krebskranke Jugendliche geht es in erster Linie darum zu überleben. Somit treten Zukunftsfragen zunächst in den Hintergrund. Stattdessen stehen oft quälende Sorgen um den eigenen Heilungsprozess, mögliche Rückfälle oder unvorhersehbare Spätfolgen im Mittelpunkt (vgl. Rudolph, 2004, 40).

Neukonzeption der Identität

Die Suche nach der eigenen Identität ist eines der zentralsten Themen des Jugendalters. Hier ist grundsätzlich zu beachten, dass die Neukonzeption der Identität in engem Zusammenhang mit der Bewältigung anderer Entwicklungsaufgaben steht. Die Identifikation mit Gleichaltrigen, die Ablösung von den Eltern, das Annehmen des eigenen Körpers etc. beeinflussen die Entwicklung der Identität stark (vgl. Kollmann, Kruse, 1990, 67). Identität im psychologischen Sinn meint die einzigartige Persönlichkeitsstruktur eines jeden Menschen. Diese basiert auf zwei Aspekten, der Selbstwahrnehmung und der Einschätzung von außen, also was die Person denkt, wie andere sie wahrnehmen (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 42).

Die Identitätsentwicklung im Verlauf des Jugendalters verändert sich hinsichtlich der Themen, die im Vordergrund stehen, der Aufgaben, die zu bewältigen sind und der Faktoren, welche die Identitätsbildung beeinflussen.

Im frühen Jugendalter (11-14 Jahre) stehen die körperlichen Veränderungen und das Bangen darum, ob diese normal verlaufen im Mittelpunkt. Außerdem spielt der soziale Status in Peer-Groups eine große Rolle. Die Aufgaben in diesem Alter beziehen sich vor allem auf die Integration der gravierenden körperlichen Veränderungen, sowie der jeweiligen Geschlechtsrolle in die eigene Identität. Diese Aufgaben werden durch die gesellschaftlichen Reaktionen auf die körperlichen Veränderungen beeinflusst. Auch Kontakte zu Gleichaltrigen und die kritische Auseinandersetzung mit familiären Werten prägen die Identitätsbildung.

Im mittleren Jugendalter (15-17 Jahre) geht es vorwiegend um Themen rund um die eigene Popularität und die Wirkung auf bzw. die Attraktivität für das andere Geschlecht. Außerdem verstärkt sich die Beschäftigung mit Werten und gesellschaftlichen Fragen. Auch die berufliche Zukunft wird thematisiert. In diesem Alter entstehen erste romantische Beziehungen, in denen Intimität erfahren wird. Gerade in diese engen Beziehungen kann die eigene Person aus der Sicht eines anderen erlebt werden, wodurch ein wichtiger Beitrag zur Identitätsentwicklung geleistet wird. Besonders wichtig ist, dass Jugendliche darin gefördert werden sich mit ihrer Zukunft auseinander zu setzen, Ziele zu entwickeln und Orientierung gebende Erfahrungen zu sammeln. Die Schule nimmt hier einen größeren Stellenwert ein.

Im späten Jugendalter (18-22 Jahre) beschäftigen sich Jugendliche mit ihrer Fähigkeit die Rolle der eigenen Eltern zu übernehmen, sie machen sich Gedanken über Intimität und die Bedeutung einer langfristigen Beziehung und setzen sich mit Werten, Idealen und Moralvorstellungen auseinander. Hier besteht die wesentliche Aufgabe darin einen angemessenen Ausdruck für die eigene Sexualität zu finden. Außerdem müssen Jugendliche lernen Verantwortung in Bereichen zu übernehmen, für die bisher die Eltern zuständig waren. Mit der Zugehörigkeit der Jugendlichen zu größeren Gemeinschaften wie Studierenden oder Arbeitnehmern, steigt der Einfluss der Gesellschaft auf die Identitätsbildung (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 48-50).

Leyendecker (1986, 313) beschreibt die Identität körperbehinderter Menschen als fremdbestimmt, „weil nicht seine Person gesehen wird, sondern er zuvorderst von außen über seine Körperschädigung definiert wird.“ Krebskranke Jugendliche sind nun nicht immer im eigentlichen Sinne körperbehindert, das heißt vielen sieht man ihre Erkrankung nicht oder zumindest einige Zeit nach der Behandlung nicht mehr an. Dennoch werden krebskranke Jugendliche, zumindest während der Akutphase, vom medizinisch-pflegerischen Personal einer Klinik und auch von ihrem sozialen Umfeld häufig als „die Krebskranken“ gesehen. Die Definition des Jugendlichen als „krank“ kann zufolge haben, dass er sich immer mehr mit dieser zugeschriebenen Identität und den zugehörigen Verhaltensweisen verbindet. Deutlich wird dies zum Beispiel in dem folgenden Zitat eines Jugendlichen, in dem er die Fixierung anderer auf seine Krankheit beschreibt: „Man wird halt andauernd gefragt wie es einem denn geht und ich kann das inzwischen auch schon nicht mehr hören. [...] Mir wird dann immer bewusst, dass ich ja das arme kranke Schwein bin und kein normales Mitglied der Gesellschaft mehr.“ (JGm, Juni 2006)

Verarbeitung körperlicher Veränderungen und deren Integration in ein neues Körperbild

Havighurst (vgl. 1953, 120) spricht davon, dass jeder Jugendliche lernen muss seinen eigenen Körper zu akzeptieren und effektiv zu nutzen. Das Ziel, welches es zu erreichen gilt, beschreibt er folgendermaßen: „To become proud, or at least tolerant, of one´s body, to use and protect one´s body effectively and with personal satisfaction“ (ebd.). Diese Entwicklungsaufgabe besteht demnach darin das eigene körperliche Erscheinungsbild in verschiedenen Kontexten, wie Sport, Freizeit und dem Kontakt mit Gleichaltrigen und Erwachsenen, kennen zu lernen und zu akzeptieren.

Mit dem Einsetzen der Menstruation bei Mädchen und dem ersten Samenerguss bei Jungen beginnt die so genannte Pubertät, die alle körperlichen Veränderungen in der Entwicklung vom Mädchen zur Frau und vom Jungen zum Mann umfasst (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 17).

Zu den bedeutsamsten körperlichen Veränderungen in dieser Zeit gehören:

- Die Veränderung der Statur, welche sich insbesondere durch das geänderte Verhältnis zwischen Körperfett und Muskelmasse zeigt,
- ein Wachstumsschub, der mit der Zunahme von Gewicht und Größe einhergeht,
- Veränderungen im Herz-Kreislauf- und Atmungssystem, durch die die körperliche Leistungsfähigkeit gesteigert wird,
- die Entwicklung der primären Geschlechtsorgane (Hoden und Eierstöcke),
- die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale (Brust, Schambehaarung, Gesichts- und Körperbehaarung, Veränderung der Genitalien)

(vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 33-34).

Diese biologischen Veränderungen wirken dabei nicht unmittelbar auf das Verhalten, die sozialen Beziehungen und das Körperbild der Jugendlichen ein. Vielmehr ist die Verarbeitung und Integration der körperlichen Veränderungen von verschiedenen Faktoren abhängig. Dazu gehören „veränderte psychische Verarbeitungsmechanismen und Wahrnehmungsformen, veränderte Stimmungsregulation, neuartige psychosexuelle Konflikte, Kommunikation über und Bewertungen von körperlichen Veränderungen und […] gesellschaftliche Normen und Idealvorstellungen“ (Kollmann, Kruse, 1990, 59).

Die Verarbeitung der körperlichen Veränderungen führt dazu, dass Jugendliche sich selbst und die Vorgänge am eigenen Körper neu und anders beobachten, dass sie sich zunehmend mit anderen vergleichen und sensibel werden für die sozialen Reaktionen auf ihr verändertes Erscheinungsbild (vgl. ebd.).

Krebskranke Jugendliche haben sich nicht nur mit den normalen entwicklungsbedingten körperlichen Veränderungen in der Adoleszenz auseinanderzusetzen, sondern werden im Verlauf ihrer Krankheit mit einschneidenden Eingriffen in den Körper und den damit verbundenen Folgen konfrontiert. Häufig kommt es durch die medizinisch notwendige Überschreitung von Schamgrenzen zur Verletzung der körperlichen Integrität. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Unzuverlässigkeit des Körpers wiederum kann zur zunehmenden Entfremdung vom eigenen Körper führen. Gerade das Jugendalter stellt eine sensible Phase für die Entwicklung eines positiven Körperbildes dar. Irritationen, in Form von krankheitsbedingten körperlichen Veränderungen (vgl. Kapitel 1.5) können hier besonders gravierende psychische und soziale Folgen haben (vgl. Boeger et al. 2002, 166-167).

Im folgenden Kapitel wird daher ausführlich auf die Bedeutung von Körper und Aussehen im Jugendalter allgemein und speziell für krebskranke Jugendliche mit ihren körperlichen Einschränkungen eingegangen.

5 Die psychosoziale Bedeutung von krankheitsbedingten körperlichen Veränderungen

„Eine chronische Krankheit oder eine bleibende körperliche Behinderung, die zu diesem Zeitpunkt im Leben eines Jugendlichen auftritt, hat langfristige Auswirkungen. Alles, was einen Jugendlichen von Gleichaltrigen unterscheidet, sei es die Unfähigkeit, gewisse Aufgaben zu bewältigen oder von der Teilnahme an bestimmten Aktivitäten ausgeschlossen zu sein, wird als großes Problem empfunden und wirkt sich folglich auf das gesamte Erwachsenenleben aus“ (Cluroe, 2003, 9).

Im vorangegangen Zitat wird deutlich, dass krankheitsbedingte körperliche Veränderungen für Jugendliche weitreichende Auswirkungen haben, sowohl in innerpsychischen als auch in sozialen Kontexten. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass psychische und soziale Auswirkungen körperlicher Veränderungen in einem engen Zusammenhang stehen und sich wechselseitig beeinflussen. Je größer die psychische Belastung einer körperlichen Veränderung, desto größer sind auch die Schwierigkeiten, die diese im sozialen Kontext mit sich bringt. Dasselbe gilt für den Einfluss von sozialen Faktoren auf das psychische Wohlbefinden.

Die psychosozialen Auswirkungen von Körperveränderungen sind von verschiedenen Faktoren abhängig. Es kann unterschieden werden in verdeckte und sichtbare Veränderungen, sowie in temporäre und dauerhafte Beeinträchtigungen. Des Weiteren ist das Ausmaß der Belastung vom Zeitpunkt des Beginns, der Krisenhaftigkeit des Verlaufs, dem durchschnittlichen Schweregrad, der Wahrscheinlichkeit von Spätfolgen, der Lebenserwartung, sowie dem Risiko der Entwicklung körperlicher Stigmata abhängig (vgl. Kammerer, 1996, 73).

Um die Bandbreite der Auswirkungen körperlicher Veränderungen einschätzen zu können, ist zunächst die allgemeine Bedeutung von Körper, Aussehen und Schönheitsidealen im Jugendalter zu erörtern.

Begriffsbestimmung

Das so genannte Körperkonzept macht einen Hauptteil des Selbstkonzeptes aus, welches wiederum eng mit dem Konzept der Identität verbunden ist. Das Selbst beschreibt das Wesentliche eines Menschen, das von außen durch seine Handlungen sichtbar wird und der Person selbst durch Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis zugänglich ist. Diese Selbstwahrnehmung wird auch als Selbstkonzept bezeichnet, welches ein kognitive und eine affektive Komponente hat. Die kognitive Komponente beinhaltet das Wissen, das eine Person über sich selbst hat. Dazu gehört das so genannte Fähigkeitsselbstkonzept, also die Einschätzung der eigenen Kompetenzen in verschiedenen Bereichen. Die affektive Komponente des Selbstkonzeptes beinhaltet die Bewertung der eigenen Person, welche sich im Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen ausdrückt (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 42).

Das Körperkonzept wird definiert als „Gesamtheit aller erworbenen kognitiven, affektiven, bewußten und unbewußten Erfahrungen mit dem eigenen Körper, welche sich untergliedern lassen in Körperbild, Körpererfahrung, Körperorientierung, Körperschema und Körperzufriedenheit“ (Bielefeld, 1991, 21). Für die vorliegende Arbeit sind vor allem das Körperbild und die Körperzufriedenheit von Bedeutung. Unter dem Körperbild versteht man die Art und Weise, wie jemand seinen Körper selbst sieht und wie er glaubt, dass andere ihn sehen (vgl. Salter, 1999, 2). Das Körperbild wird auch als die emotional-affektive und bewertende Komponente der Körpererfahrung bezeichnet (vgl. Roth, 2002, 151). Es beinhaltet neben den Körperwahrnehmungen also auch Werte und Gefühle gegenüber dem eigenen Körper. Im Körperbild sind aktuelle Vorstellungen vom eigenen Körper und auch vergangene, gespeicherte Erfahrungen enthalten. Wie ein Mensch sich und seinen Körper wahrnimmt und empfindet beeinflusst ihn in seinem Verhalten und den zwischenmenschlichen Interaktionen (vgl. Csorba, 1998, 834). Die Körperzufriedenheit betrifft nach Roth (2003, 91) sowohl das Aussehen, als auch die Funktionalität des Körpers. Dies ist besonders im Hinblick auf funktionelle körperliche Einschränkungen bei krebskranken Jugendlichen von Bedeutung. Nach Grob und Jaschinski (2003, 35) setzt sich die Körperzufriedenheit aus drei Aspekten zusammen. Dazu gehören die „generelle Zufriedenheit mit dem Aussehen, [die] Zufriedenheit mit dem Gewicht und [die] Einschätzung, wie andere das Aussehen beurteilen.“

Bedeutung des Körpers im Jugendalter

Der eigene Körper erfährt im Verlauf des Jugendalter eine enorme Bedeutungsaufwertung. Besonders Mädchen achten stärker darauf den Attributen der Attraktivität und den vorherrschenden Schönheitsidealen zu entsprechen. Damit geht zwangsläufig eine differenziertere und kritischere Wahrnehmung des eigenen Körpers und speziell seiner Abweichungen vom erstrebten Ideal einher. Diese verschärfte Fixierung auf die eigenen körperlichen Unzulänglichkeiten und die Nichtperfektheit des Körpers hat logischerweise Frustrationen und Unzufriedenheit zufolge (vgl. Göppel, 2005, 97). Auffallend ist auch, dass der eigene Körper nicht als ein Persönlichkeitsfaktor unter anderen betrachtet wird, sondern eine herausragende Stellung einnimmt. Dementsprechend ist es wenig verwunderlich, dass ein enger Zusammenhang zwischen subjektiver Körperzufriedenheit und dem allgemeinen Wohlbefinden, insbesondere dem Selbstwertgefühl beschrieben wird (vgl. ebd., 99). Wie Allport (1970, 111) sich ausdrückt bleibt „das körperliche Selbst [...]ein Leben lang der Ankergrund für unser Selbstbewußtsein.“

Unter anderem stellt Roth (vgl. 1998, 52-53) anhand verschiedener Studien fest, dass eine hohe Korrelation zwischen der Zufriedenheit mit dem eigenen körperlichen Erscheinungsbild und dem Selbstwertgefühl besteht. Dabei scheinen Mädchen ihren Selbstwert früher und stärker von ihrem Aussehen abhängig zu machen. (vgl. ebd., 53) Häufig leiden sie besonders unter der Gewichtszunahme und der vermehrten Bildung und Ablagerung von Körperfett, während Jungen die Zunahme von Körpergröße und Kraft positiv wahrnehmen (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 36). Die hormonell bedingte Gewichtszunahme und Figurveränderung bei weiblichen Jugendlichen widerspricht ihrem körperlichen Idealbild. Bei männlichen Jugendlichen entspricht dagegen die Zunahme an Muskelmasse und Körpergröße ihrem Ideal einer maskulinen, kräftigen Erscheinung (vgl. Roth, 2002, 152). Zwar besteht auch bei Jungen ein Zusammenhang zwischen der Körperzufriedenheit und dem Selbstwertgefühl, zusätzlich spielt aber auch „die wahrgenommene Effektivität und Aktivität des Körpers“ (Roth, 1998, 53) eine wichtige Rolle. Verstärkung erfährt die sowieso bereits bestehende Körperunzufriedenheit im Jugendalter durch die Verbreitung von Schönheitsidealen, in der Werbung, den Medien und der Öffentlichkeit. Insbesondere für pubertäre Mädchen und Jungen bleibt dieses Ideal unerreichbar. Schlimmstenfalls kann die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper zur Entstehung von Essstörungen unterschiedlichster Art beitragen (vgl. Grob, Jaschinski, 2003, 36).

[...]

Fin de l'extrait de 126 pages

Résumé des informations

Titre
Psychosoziale Aspekte körperlicher Veränderungen bei krebskranken Jugendlichen
Université
Catholic University of Applied Sciences Freiburg
Note
1,0
Auteur
Année
2008
Pages
126
N° de catalogue
V127088
ISBN (ebook)
9783668804883
ISBN (Livre)
9783668804890
Langue
allemand
Mots clés
psychosoziale, aspekte, veränderungen, jugendlichen
Citation du texte
Stefanie Sieber (Auteur), 2008, Psychosoziale Aspekte körperlicher Veränderungen bei krebskranken Jugendlichen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127088

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