Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses


Internship Report, 2009

34 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Ordnung des Diskurses
2.1 Diskurs und Macht
2.2 Äußere Diskurskontrolle
2.2.1. Das Verbot
2.2.2. Der Ausschluss des Wahnsinnigen
2.2.3. Der Wille zur Wahrheit
2.3 Innere Diskurskontrolle
2.3.1. Der Kommentar
2.3.2. Der Autor
2.3.3. Die Disziplin
2.4 Verknappung der sprechenden Subjekte
2.4.1. Das Ritual
2.4.2. Die Diskursgesellschaften
2.4.3. Die Doktrin
2.4.4. Die Erziehungssysteme
2.5 Methodische Grundsätze und Forschungsrichtungen

3. Die Schwierigkeiten des Anfangens

4. Die Frage des Subjekts

5. Diskurse des Lernens

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Wenn Foucault die Arena betritt, rasch, draufgängerisch, wie jemand, der ins Wasser springt, steigt er über Gliedmaßen und Körper von Hörern, um sein Pult zu erreichen, schiebt er Tonbandgeräte beiseite, um sein Manuskript ablegen zu können – er öffnet seine Jacke, schaltet seine Lampe an und beginnt, auf die Minute pünktlich. […] Keinerlei rednerischer Effekt. Das Ganze ist vollkommen klar und schrecklich durchschlagend. Nicht die geringfügigste Konzession an die Improvisation. Foucault hat zwölf Stunden pro Jahr zur Verfügung, um den Sinn und die Richtung seiner Arbeit im eben angebrochenen Jahr in öffentlicher Vorlesung zu erläutern. Also drängt er seinen Stoff so weit wie möglich zusammen und füllt auch die Ränder aus – wie jene Briefpartner, die noch so vieles zu sagen haben, wenn sie am unteren Rand des Blattes angekommen sind.“ (Eribon 1991: 315 f.).

Vom Januar 1971 bis zu seinem Tode im Juni 1984 hat Michel Foucault einen Lehrstuhl am Collège de France in Paris inne, an dem bereits im 19. Jahrhundert berühmte Persönlichkeiten wie etwa der bedeutende Historiker Jules Michelet oder der Schriftsteller, Archäologe und Religionswissenschaftler Ernest Renan lehrten. Am

2. Dezember 1970 hält Foucault seine später unter dem Titel ‚Die Ordnung des Diskurses’ (L’ordre du discours, 1971) veröffentlichte Antrittsvorlesung in dem großen, altehrwürdigen Hörsaal dieses traditionsreichen Instituts.

Fast 40 Jahre später, in Zeiten einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, die – gleich einem Phantom – als solche nicht greifbar ist, deren Wirkungen aber doch umso realer sind, erscheint mir eine Beschäftigung mit Foucault lohnender denn je, wenn er verspricht, im Rahmen seiner Arbeit gerade die Materialität eines Diskurses in den Blick bekommen zu wollen.

Ziel des hier vorliegenden Berichts soll es daher zunächst sein, eine Definition des Diskursbegriffs – so wie Foucault ihn in seiner Rede verwendet – zu geben (Kapitel 2.1), sowie die von ihm ausgemachten Prozeduren der inneren (Kapitel 2.2) und äußeren Diskurskontrolle (Kapitel 2.3) als auch die Prinzipien zur Verknappung der sprechenden Subjekte (Kapitel 2.4) vorzustellen. Auch die von Foucault im Rahmen seiner Inauguralvorlesung präsentierten methodischen Grundsätze sowie die von ihm geplanten Forschungsrichtungen (Kapitel 2.5) gilt es darzulegen.

Kapitel 3 dient der Plausibilisierung der These, dass Foucault in Form der von ihm gehaltenen Rede offenbart bzw. geradezu in actu vorführt, was das Wesen des Diskurses eigentlich ausmacht. Es soll veranschaulicht werden, dass sich Foucaults Diskursverständnis sozusagen in seinem eigenen Diskurs zeigt. Gleichzeitig sucht er auf diesem Wege die Ordnung des Diskurses gewissermaßen zu überwinden. Es stellt sich also die Frage, ob – und falls ja, auf welche Art und Weise – ihm dies gelingt.

Foucault verweigert in seiner Rede, in die Rolle eines sprechenden Subjekts zu treten. In Kapitel 4 möchte ich daher den Begriff des Subjekts unter Rückgriff auf Ausführungen des Philosophen, Kulturwissenschaftlers und Foucault-Kenners Peter Sloterdijk (‚Michel Foucaults strukturale Theorie der Geschichte’, 1972) näher betrachten. Wie sich zeigen wird, lässt sich anhand des modernen Subjektverständnisses begründen, weshalb (vor allem) im öffentlichen Diskurs gegenwärtig eine derart große Nachfrage etwa nach neurowissenschaftlichen Erziehungsratgebern besteht.

In Kapitel 5 geht es abschließend um den derzeit maßgeblich von Erkenntnissen der Hirnforschung bestimmten Diskurs zum Thema Lernen. Mithilfe des begrifflichen Instrumentariums Foucaults soll untersucht werden, welche Ausschließungsmechanismen hier gegebenenfalls wirksam sind, und welche Folgen diese für die Disziplin der Erziehungswissenschaft nach sich ziehen.

2. Die Ordnung des Diskurses

Nach zwei ereignisreichen Jahren an der Reform- bzw. Modelluniversität Paris VIII im Vorort Vincennes[1] sowie dem großen Erfolg des 1966 veröffentlichten Buches ‚Die Ordnung der Dinge’ (L’ordre des choses) ist es insbesondere Jean Hyppolite, Philosophiehistoriker und Lehrer Foucaults, der sich für eine Berufung seines Schülers an das renommierte Collège de France in Paris – das „Allerheiligste des französischen Universitätswesens“ (Kammler/Parr/Schneider 2008: 62) – einsetzt. Hyppolite stirbt im Jahre 1968, woraufhin seine Unterstützung Foucaults nun durch den Religionswissenschaftler Georges Dumézil sowie den Philosophen Jules Vuillemin fortgeführt wird. Entsprechend dem traditionellen Ablauf schlägt Vuillemin zunächst die Schaffung eines Lehrstuhls mit dem an Georg Wilhelm Friedrich Hegel angelehnten Titel der ‚Geschichte der Systeme des Denkens’ vor, welcher sich in einem zweiten Wahlgang durchsetzt (vgl. Bürger 1991: 95, Schneider 2004: 101 sowie Kammler/Parr/Schneider 2008: 62). Um einen besseren Einblick darin zu bekommen, welche Voraussetzungen und welche inhaltlichen Schwerpunkte mit einem derartigen Lehrstuhl für Foucault verbunden sind, erscheint es sinnvoll, das Hegel’sche Denken zumindest in seinen Grundzügen kurz zu umschreiben.

Hegels Philosophie zielt tendenziell auf eine Totalität des Wissens.[2] Damit ist nicht die Addition des Wissens der Einzelwissenschaften gemeint, im Sinne einer Absorbierung, sondern vielmehr soll das von ihnen produzierte Wissen in die Philosophie eingehen. Das Rekurrieren auf das Wissen der Einzelwissenschaften – als Aufnahme und Reflektion dieses Materials – gilt somit als der grundlegende Ansatz Hegels (vgl. Jaeschke 2003: 110-115). Ein solcher angestrebter Vergleich konnte zu Hegels Zeit noch von einer Einzelperson unternommen werden. Dies ist heutzutage so nicht mehr möglich, was sicherlich auch eine defizitäre Seite hat. Man weiß heute zwar mehr über das Einzelne als früher, das Wissen ist dadurch aber nicht unbedingt reicher geworden, da die Addition des Wissens kein ‚Gesamtwissen’ ermöglicht, sondern oftmals lediglich fragmentiert und partikularisiert erscheint.

Philosophie gilt für Hegel als ein Erkennen dessen , was ist. Philosophie ist für ihn demnach kein wildes Spekulieren, sondern sie muss sich stets an der Realität orientieren. Sie ist sozusagen nicht voraussetzungslos, sondern auf einen Gegenstand bezogen, nämlich das, was ist, also zum einen auf die Gestaltungen der Natur und des Geistes (Recht, Kunst, Religion, Sprache usw.), zum anderen aber vor allem auch auf das Denken selbst (‚Wissenschaft der Logik’, 1812-1816). Diese Trias aus Logik, Natur und Geist begründet letztlich das Hegel’sche System. Das, was ist, das sind allerdings nicht nur die einzelnen Dinge (in einem positivistischen Sinne), sondern es handelt es sich um einen emphatischen Begriff. Es geht also nicht um eine Deskription, sondern um ein Erkennen der inneren Logik dieser ‚Welten’, welches auf den inneren Kern von Wirklichkeit zielt. So lautet etwa eine typische Frage in Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: Was macht Geschichte überhaupt zu Geschichte? Letztlich fragt Hegel somit nach dem, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Bezüglich seiner Methode greift er dabei vor allem auf die Dialektik Baruch Spinozas zurück, deren Schlüsselbegriff die Negation (Verneinung) ist. Diese Negationen sind nicht auf der Ebene äußerer Absprechungen zu finden. Vielmehr müssen sie den Denkbestimmungen[3] immanent sein, d. h. die Negationen sind in den Denkbestimmungen enthalten. Möglich wird dies dadurch, dass Bestimmtheit selbst bereits Negation ist. Die Denkbestimmungen sind etwas Bestimmtes, sie erhalten ihre Bestimmtheit gewissermaßen erst durch die Negation (vgl. Jaeschke 2003: 97 ff.). Foucault wendet sich in vielen Punkten gegen Hegel, vor allem gegen seine dialektische Methodik. Dennoch muss er feststellen, wie schwierig es ist, sich dem „großen und etwas gespenstischen Schatten Hegels“ (Foucault 2003: 45) zu entziehen (vgl. ebd.: 45 ff.).

Schließlich fällt also die Entscheidung zugunsten Michel Foucault als zweitem Lehrstuhlinhaber für Philosophie am Collège de France und Nachfolger seines Lehrers Hyppolite, und damit gleichzeitig gegen Paul Ricœur, für den ein Lehrstuhl für ‚Philosophie des Handelns’ vorgeschlagen war, ebenso wie gegen Yvon Belaval (‚Geschichte des rationalen Denkens’). Foucault wird auf diese Weise

„inthronisiert, erklingt seine Stimme an prominenter Stelle in einem Collegium, wo die eigene Forschung im Vordergrund steht und die Lehre sich auf die Mitteilung dieser Forschung beschränken soll. Es gibt eine offizielle Institutionalisierung des Foucault’schen Denkens: Es hat nun einen Ort und einen ständigen Bezugspunkt.“ (Schneider 2004: 101).

Die erfolgreiche Berufung Foucaults kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese quer durch alle beteiligten Gremien durchaus umstritten war. So setzt sich Foucault erst in einem zweiten Wahlgang durch, nachdem die erforderliche Stimmenmehrheit beim ersten Mal nicht erreicht wurde. Auch bei der am 12.04.1970 abgehaltenen Wahl der Vollversammlung, bei der Foucault offiziell als Lehrstuhlinhaber berufen werden soll, zeigt sich die „unerbittliche Feindschaft einer starken Minderheit von Professoren.“ (Eribon 1991: 310).

Wenn Foucault nun in ‚Die Ordnung des Diskurses’ von Prozeduren der Ausschließung sowie dem Verhältnis von Institution und sprechendem Subjekt redet, so kann dies durchaus auf seine persönlichen Erfahrungen in dieser Zeit bezogen werden.

2.1 Diskurs und Macht

Es ist vielfach darauf hingewiesen worden, dass Foucault den Begriff des Diskurses in seinem Werk mehrdeutig verwendet (vgl. dazu exemplarisch Bürger 1991: 99 sowie Lorey 1999: 87). Da der Diskursbegriff eng mit dem Machtverständnis Foucaults verbunden ist, so ändert sich der Begriff des Diskurses mit der Entwicklung seiner Machtkonzeption. Dabei lassen sich grundlegend zwei unterschiedliche Phasen unterscheiden: Während Foucault bis Anfang der 1970er Jahre mit einem juridisch-diskursiven Verständnis von Macht argumentiert, so wird dieses später – etwa ab Mitte der 1970er Jahre – von einer strategisch-produktiven Machtkonzeption abgegrenzt (vgl. Lorey 1999: 87). Damit fällt der Diskursbegriff in ‚Die Ordnung des Diskurses’ in die erstgenannte (juridisch-diskursive) Machtkonzeption, die im Folgenden kurz dargestellt werden soll.

In seiner Antrittsvorlesung verbindet Foucault erstmals explizit Diskurs und Macht. Definierte er den Diskurs in ‚Archäologie des Wissens’ (L’archéologie du savoir, 1969) in scharfer Abgrenzung zur Linguistik noch als „eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“ (Foucault 1981: 156), so bezieht er nun soziale Praktiken mit ein und konzentriert sich auf die Strategien, die den Diskurs begrenzen und beschränken, um dadurch eine Ordnung zu erzeugen (vgl. Lorey 1999: 89).

Foucault spricht von den Machtwirkungen und Gefahren des Diskurses, der etwas „Bedrohliches, ja vielleicht Verderbliches an sich hat“ (Foucault 2003: 9), sowie von der Unruhe, welche von seiner „materiellen Wirklichkeit“ (ebd.: 10) ausgeht. Dabei stellt sich die Frage, worin genau die Gefahren des Diskurses liegen, und vor allem – für wen?

Die Gefahren richten sich auf das Subjekt einer Rede, also den Sprechenden, der vom Diskurs bestimmt wird. Die Materialität besteht dabei weder im physischen Träger des Diskurses, noch in der Stimme oder dem Schriftzeichen. Der Diskurs ist weder „Ausdruck eines Subjekts, noch Appell an ein anderes Subjekt, noch Bezeichnung eines Sachverhalts“ (Bürger 1991: 98), weshalb es keine Materialität vor dem Diskurs gibt, welche von diesem lediglich richtig oder falsch repräsentiert wird:

„Es gibt keine prädiskursive Vorsehung, welche uns die Welt geneigt macht. Man muss den Diskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen antun; jedenfalls als eine Praxis, die wir ihr aufzwingen. In dieser Praxis finden die Ereignisse des Diskurses das Prinzip ihrer Regelhaftigkeit.“ (Foucault 2003: 34 f.).

Diskurse sind demnach nicht als Sprechen über Dinge, sondern als Praktiken, welche Dinge hervorbringen, zu verstehen, d. h. Diskurse sind durchaus produktiv. Die unbestimmte Bedrohung, die von den Diskursen ausgeht, liegt dabei in ihren potentiell grenzenlosen Aussagemöglichkeiten: „Der discours wäre dann jenes unendliche Gerede, in das das menschliche Handeln verwoben ist; Text, dessen Masse, Vielfalt und Unvorhersehbarkeit eben jene unbestimmte Bedrohung darstellen, von der Foucault spricht.“ (Bürger 1991: 98). Weil es also gefährlich ist, „dass die Leute sprechen und dass ihre Diskurse endlos weiterwuchern“ (Foucault 2003: 10), werden diese reglementiert und wirken auch selbst reglementierend:

„Es hat den Anschein, dass die Verbote, Schranken, Schwellen und Grenzen die Aufgabe haben, das große Wuchern des Diskurses zumindest teilweise zu bändigen, seinen Reichtum seiner größten Gefahren zu entkleiden und seine Unordnung so zu organisieren, dass das Unkontrollierbarste vermieden wird.“ (ebd.: 33).

Es sind nun diese Kontroll-, Einschränkungs- und Verknappungsmechanismen, die im Zentrum des Foucault’schen Interesses in ‚Die Ordnung des Diskurses’ stehen. Indem er vor allem die Möglichkeiten sprechender Subjekte in den Blick nimmt,

also ihre Konstitutionsbedingungen (Wer darf was sagen, und wer nicht?), bestimmt Foucault das Verhältnis von Diskurs und Macht so, dass Macht gewissermaßen von außen in ordnender Weise auf den Diskurs (repressiv) einwirkt (vgl. Lorey 1999: 90 f.). Foucaults Prämisse lautet dabei wie folgt:

„Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.“ (Foucault 2003: 10 f.).

Diese von Foucault ausgemachten Prozeduren und Mechanismen sollen in der Folge näher vorgestellt werden.

2.2 Äußere Diskurskontrolle

In ‚Die Ordnung des Diskurses’ setzt Foucault seine Arbeit an der Zusammenführung von Diskurstheorie und Wissensformen, welche er in der ‚Archäologie des Wissens’ begonnen hatte, fort. Ging es ihm in letztgenannter vor allem um die Mechanismen der internen Selbst-Kontrolle des Diskurses, so treten nun auch die extern auf ihn einwirkenden Techniken der Ausschließung hinzu, die allesamt gesellschaftliche Herrschaftsmechanismen darstellen (vgl. Kammler 2008: 64). Die Systeme der äußeren Diskurskontrolle „betreffen den Diskurs in seinem Zusammenspiel mit der Macht und dem Begehren“ (Foucault 2003: 17).

2.2.1. Das Verbot

Die offensichtlichste Prozedur der Ausschließung ist für Foucault das Verbot: „Man weiß, dass man nicht das Recht hat, alles zu sagen, dass man nicht bei jeder Gelegenheit von allem sprechen kann, dass schließlich nicht jeder beliebige über alles beliebige reden kann.“ (ebd.: 11). Dabei unterscheidet er drei Typen von Verboten: das Tabu des Gegenstandes, das Ritual der Umstände sowie das bevorzugte oder ausschließliche Recht des sprechenden Subjekts. Besonders verbreitet sieht Foucault das Verbot in den gesellschaftlichen Teilsystemen der Politik und der Sexualität.

2.2.2. Der Ausschluss des Wahnsinnigen

Nicht als ein Verbot, sondern als eine Grenzziehung und Verwerfung versteht Foucault die Entgegensetzung von Vernunft und Wahnsinn.[4] Der Diskurs des Wahnsinnigen ist seit dem Mittelalter eingeschränkt. Entweder werden seine Worte für bedeutungslos, oder aber zu einem übersinnlichen Wahrspruch – im Sinne von Voraussagen der Zukunft oder der Aussprache verborgener Wahrheiten – erklärt. In beiden Fällen aber hört man nie wirklich auf den Wahnsinnigen, man sucht keinen Sinn in seinen Aussagen; seine Worte ziehen ganz einfach die Grenze zwischen Vernunft und Wahnsinn. Nach Foucault besteht diese kontingente (und teils gewaltsam durchgesetzte) Art der Grenzziehung auch in der modernen Gesellschaft weiter fort, gestützt durch ein „Netz von Institutionen, das einem […] erlaubt, jenes Wort [das des Wahnsinnigen, R. K.] zu hören, und das gleichzeitig dem Patienten erlaubt, seine armseligen Wörter hervorzuholen oder verzweifelt zurückzuhalten.“ (ebd.: 13).

2.2.3. Der Wille zur Wahrheit

Als drittes Ausschließungssystem nennt Foucault die Dichotomie zwischen dem Wahren und dem Falschen, welche er in Anschluss an Friedrich Nietzsche als den Willen zur Wahrheit bezeichnet. Nietzsche sucht zu zeigen, dass das Wissenschaftssystem nicht im Sinne einer ‚freischwebenden Intelligenz’ (Karl Mannheim) zu verstehen sei, sondern sich vielmehr tief verfangen in den „Maschen der Macht“ (Foucault 1999b: Titel) zeigt:

[...]


[1] So berichtet der Foucault-Biograph Didier Eribon von einer Anfangszeit im „totalsten Chaos“ (Eribon 1991: 290), in der sich die Studenten von Vincennes im Rahmen der 68er-Bewegung Straßenschlachten mit der Polizei liefern, an denen auch Michel Foucault beteiligt ist: „Aus Solidarität entschließen sich einige Hundert Studenten von Vincennes, darunter auch einige Professoren, ihre Fakultät zu besetzen, und verschanzen sich hinter Behelfsbarrikaden. […] Die Polizeieinheiten besetzen nach und nach die Räume und treiben die Studenten und Professoren im großen Hörsaal zusammen. Michel Foucault und Daniel Defert [Foucaults Lebenspartner, R. K.] sind unter den letzten, die verhört werden. Sie treffen mit vom Tränengas geröteten Augen ein.“ (Eribon 1991: 291).

[2] Dieses Bestreben Hegels, welches heute mitunter auf große Vorbehalte stößt, ist letztlich im Selbstverständnis seiner Zeit begründet, welches dermaßen beschaffen war, dass zum Begriff des Wissens stets die Totalität gehört. Anfang des 19. Jahrhunderts muss Wissen sozusagen aufs Ganze gehen, einzelne Teilbereiche des Wissens miteinander verbunden werden, so dass stets der Versuch unternommen werden soll, Wissen in vernetzter Form vorzutragen. Hegels System hat dabei nicht den Anspruch, alle möglichen Erkenntnisse zu vereinen, sondern einen Zusammenhang zu finden, im Sinne einer inneren Ordnung. Ein Wissen ist in diesem Zusammenhang erst dann sicher, wenn es sich auf das Ganze bezieht (vgl. Jaeschke 2003: 110-115).

[3] Der Begriff der Denkbestimmungen geht zurück bis in die griechische Antike zu Platon und Aristoteles. In der ‚Wissenschaft der Logik’ versucht Hegel das aufzustellen, was in unserer Vernunft vorhanden ist, d. h. es geht letztlich um die Frage ‚Worum handelt es sich bei der Vernunft?’, sowie um Begriffe, über die unsere Vernunft von sich aus verfügt, die in unserem Erkenntnisvermögen liegen und mit denen wir Wirklichkeit erkennen können. Aufgrund dessen muss für Hegel die Vollständigkeit der Vernunftbegriffe und deren geordnete Form gewährleistet werden, um sie in ihrer Totalität zu erfassen (vgl. Jaeschke 2003: 221).

[4] Hiermit befasst sich Foucault vor allem in ‚Wahnsinn und Gesellschaft’ (Folie et déraison, 1961), indem er „keine Geschichte des Wahnsinns, sondern eigentlich eine Geschichte der Trennung von Wahnsinn und Vernunft“ (Gehring 2004: 15) erzählt.

Excerpt out of 34 pages

Details

Title
Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses
College
Ruhr-University of Bochum
Grade
1,0
Author
Year
2009
Pages
34
Catalog Number
V127380
ISBN (eBook)
9783640347575
File size
658 KB
Language
German
Keywords
Michel Foucault, Diskurs, Macht, Wille zur Wahrheit, Peter Sloterdijk, Subjekt, Lernen, Neurowissenschaften, Hirnforschung
Quote paper
B.A. René Klug (Author), 2009, Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127380

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