Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Gender und Supervision
2.1 Definition von Supervision
2.2 Wie kommt Gender in die Supervision
2.2.1 Supervision als Interaktionsprozess
2.2.2 Gender und Organisationen
2.2.3 Gender und Inhalte der Supervision
2.2.4 Gender und SupervisorInnen
2.2.5 Supervisionstheorie bzw. Supervisionsforschung
2.3 Zusammenfassung
3 Von der Theorie zur Praxis
3.1 Fallbeispiele
3.1.1 Supervision in einem Architekturbüro
3.1.1.1 Motivation für Erstkontakt
3.1.1.2 Arbeitsvereinbarung und Inhalt/Vertrag
3.1.1.3 Verlauf der Supervision
3.1.1.4 Meine Erkenntnisse aus dem Supervisionsprozess
3.1.1.5 Relevante Interventionen
3.1.2 Supervision in einer Beratungsstelle
3.1.2.1 Motivation für Erstkontakt
3.1.2.2 Arbeitsvereinbarung und Inhalt/Vertrag
3.1.2.3 Verlauf der Supervision
3.1.2.4 Abschluss
3.1.2.5 Meine Erkenntnisse aus dem Supervisionsprozess
3.1.2.6 Relevante Interventionen
3.2 Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für die Genderkompetenz von
SupervisorInnen
4 Ein Gendersensibler Supervisionsansatz und Genderkompetenzen von
SupervisorInnen
4.1 Supervision als Interaktionsprozess
4.2 Gender und Organisation
4.3 Gender und Inhalte der Supervision
4.4 Gender und SupervisorInnen
4.5 Supervisionstheorie bzw. Supervisionsforschung
4.6 Zusammenfassung
4.6.1 Gendersensibler Supervisionsansatz
4.6.2 Genderkompetenzen von SupervisorInnen
5 Resümee
6 Literaturliste
Der Versuch eines gendersensiblen Supervisionsansatzes oder
Wie Gender in die Supervision kommt
1 Einleitung
Ich bin Organisationsberater, Supervisor und Trainer. Um genau zu sein, ich bin ein männlicher Organisationsberater, Supervisor und Trainer. Um noch genauer zu sein, ich bin ein 33 jähriger männlicher Organisationsberater, Supervisor und Trainer. Ich könnte noch weiterdifferenzieren - aber macht die Ergänzung des „männlich“ und des „33jährigen“ einen relevanten Unterschied. Ich meine ja. Diese Differenzierungen zeigen, dass ich möglicherweise anders sozialisiert wurde, möglicherweise eine andere Lebensrealität habe, möglicherweise an mich andere Erwartungen gestellt werden, etc., wie (an) eine weibliche Organisationsberaterin, Supervisorin, Trainerin.
Eine der grundlegenden und scheinbar auch wichtigsten Strukturkategorien in unserer Gesellschaft ist das Geschlecht[1]. In jeder Begegnung mit einer anderen Person begegnen wir der oder dem anderen als Mann oder Frau. Wir leben in einer zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft und hinter dieser Struktur verbergen sich Vorstellungen und Erwartungen an Geschlechterrollen, aber auch Bewertungen und Machtverhältnisse - Machtverhältnisse meisten zu ungunsten von Frauen. Indem wir in alltäglichen Interaktionen diese Differenzierungen machen (und auch im Umgang mit uns selbst), konstruieren wir ständig Geschlecht (doing gender). Jede Begegnung, auch die Supervision ist ein Ort, wo dieses „Genderdoing“ stattfindet.
Mir geht es nicht darum eine Diskussion um Gender und Sex zu führen, oder verschiedene Gendertheorien zu vergleichen, sondern ich nehme es als gegeben an, dass Geschlecht bzw. Zweigeschlechtlichkeit eine sozial konstruierte Wirklichkeit (mit Bewertungen, Erwartungen, Machtverhätlnissen, etc.) ist, die es zu hinterfragen gilt. Es ist daher mehr als angebracht, auch Supervison in den Fokus des Interesses zu stellen, und zu schauen wie Geschlechterdifferenzen in der Supervision hergestellt werden, diese zu hinterfragen und nützlich für den Supervisionsprozess zu machen.
Ausgehend von einer allgemeinen Definition von Supervision möchte ich ableiten, warum Gender für den Supervisionsprozess bzw. für SupervisorInnen von relevanter Bedeutung ist. In einem Wechselspiel aus theoretischer Auseinandersetzung und praktischer Erfahrung soll ein gendersensibler bzw. Supervisionsansatz bzw. (Gender-) Kompetenzen, die jede/r Supervisor/in mitbringen sollte, entwickelt bzw. abgeleitet werden.
2 Gender und Supervision
2.1 Definition von Supervision
Unter Supervision wird weitläufig wie aus Definitionen und Beschreibungen aus der Literatur, Berufsverbänden, etc. hervorgeht, eine
Beratungsmethode zur Reflexion der beruflichen Arbeit mit dem Ziel der Förderung der
- persönlichen Entwicklung (Erweiterung des Wissens über sich und die eigene Wirkung auf andere)
- Beziehungs- bzw. Arbeitsgestaltung mit relevanten Umwelten (Arbeitswelt versus Privatleben; Vorgesetzten, KollegInnen, KundInnen,…
- Strukturelle Entfaltung (Rollen, Positionen, Funktionen, Aufgabenbewältigung des Einzelnen im beruflichen System)
- Methodischen und instrumentellen Entfaltung (Verbesserung von Kenntnissen und Fertigkeiten hinsichtlich des beruflichen Feldes, der Diagnose und Bewältigung von Arbeitsproblemen, Krisenmanagement (siehe Belardi 2002, Seite 50) verstanden.
War traditionell Supervision auf die Arbeit mit Personen und Kleingruppen fokussiert, so scheint in den letzten Jahren die Erweiterung um den Fokus der Organisation, in denen die SupervisandInnen tätig sind, eine der relevantesten Veränderungen zu sein. „Denn die Dynamik der Organisationen und die Veränderung des beruflichen Handelns lassen es nicht mehr zu, Organisationen lediglich als Rahmenbedingung für die fachliche Arbeit zu sehen“(Scala, Grossmann 1997, Seite 9f). Dh. Menschen im Arbeitskontext müssen sich verstärkt auch mit der eigenen Organisation auseinandersetzen und das kann und muss auch Konsequenzen für die Supervision haben.
Aufbauend auf dieser Definition versuche ich meinen gendersensiblen Supervisionsansatz herauszuarbeiten.
2.2 Wie kommt Gender in die Supervision
2.2.1 Supervision als Interaktionsprozess
Supervision ist ein Interaktionsprozess, in dem SupervisorIn und SupervisandInnen im Kontext ihrer Arbeit aufeinander treffen und dies passiert nicht losgelöst von gesellschaftlichen und kulturellen Normen und Werten, bzw. auch nicht losgelöst von der Organisation, aus denen SupervisandInnen und SupervisorInnen kommen. Tatsache ist, dass wir in allen Situationen des Lebens einander nicht nur als Menschen in einer spezifischen Situation (z.B. Supervision) und Funktion gegenübertreten, sondern immer auch als Mann oder Frau. Und hier passieren bewusst und vor allem unbewusst Zuschreibungen, Erwartungen und Bewertungen.
„Männer interagieren mit Männern anders als mit Frauen. Frauen interagieren mit Frauen anders als mit Männern. Eine Kursleiterin tritt als Frau vor eine neue Lerngruppe, ein Kursleiter als Mann. Die Lerngruppe reagiert auf den Kursleiter auch als Mann, auf die Kursleiterin auch als Frau. Auch die Teilnehmenden nehmen sich gegenseitig als Frauen oder Männer wahr.“ (vgl. Baur & Marti, 2000, Seite 12).
„Durch empirische Untersuchungen konnte differenziert nachgewiesen werden, dass und wie in der alltäglichen Bildungsarbeit „Zweigeschlechtlichkeit immer wieder neu sozial konstruiert wird“ (vgl. Hovestadt, 1997, Derichs-Kunstmann et al., 1999). Des Weiteren belegen die Autorinnen, dass das „doing gender“ (das ständige Konstruieren von Zweigeschlechtlichkeit, Anmerkung von A.F.) in Seminaren mit unterschiedlichen Bewertungen von Männlichkeit und Weiblichkeit verbunden ist, die unterschiedliche (geschlechterdifferente) Partizipationschancen zur Folge haben (Karin Derichs-Kunstmann, 2001).
Diese Aussage können meines Erachtens ungefragt auch für die Supervision übernommen werden. Dh. auch Supervision ist ein Ort wo „Doing Gender“ passiert, wo Geschlechterrollen im Interaktionsprozess ausgehandelt werden und wo sich gesellschaftliche Phänomene spiegeln.
Dh aber auch, Supervision kann ein Ort sein, wo ein Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit geleistet werden kann, in dem auch der Fokus der Supervision auf das Phänomen Gender (als Querschnittsthema, immer - oder als Hauptthema, je nachdem) gerichtet ist. Das kann z.B. bedeuten, ohne das an dieser Stelle ausführlich zu diskutieren, dass wenn man sich als systemische SupervisorIn versteht, Gender als (relevanten) Unterschied, der einen Unterschied macht, anerkennt.
2.2.2 Gender und Organisationen
Habe ich weiter oben bereits erwähnt, dass sich Supervision immer mehr auch mit Fragen zur Organisation beschäftigen muss, so muss an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass Organisationen relevante Orte sind, wo Gender-Doing stattfindet. Organisationskulturen, die vertikale und die horizontale Arbeitsteilung, sowie die Strukturen sind geschlechtlich geprägt. Dh SupervisorInnen müssen nicht nur Bescheid wissen, wie Organisationen funktionieren, sondern auch, wie Organisationen immer wieder Zweigeschlechtlichkeit herstellen.
Mittlerweile laufen gerade in Sozialen Einrichtungen oft auch Prozesse zur Implementierung von Gendermainstreaming oder Diversity Management.. SupervisorInnen müssen daher einerseits prinzipiell über Gendermainstreaming und Diversity Management bescheid wissen, aber auch über die speziellen Implementierungsprozess in der Organisation, in der die Supervision stattfindet, um angemessen intervenieren zu können.
2.2.3 Gender und Inhalte der Supervision
Während ich weiter oben den Einfluss von Gender in der Supervision auf der Ebene des Interaktionsprozesses erläutert habe, möchte ich hier auf die Inhalte der Supervision abzielen.
Inhalte einer Supervision können laut Rappe-Giesecke Fallarbeit , Selbstthematisierung und Institutionsanalyse sein (Rappe-Giesecke, 2003).
In der Fallarbeit bringen SupervisandInnen einen Fall aus ihrem Arbeitsalltag ein, den sie reflektieren wollen. Arbeiten SupervisandInnen mit KlientInnen so wird in diesem Prozess ebenfalls ständig Zweigeschlechtlichkeit konstruiert, und das könnte in einer Fallsupervision beleuchtet werden. Viele Phänomene, mit denen SupervisandInnen in ihrer täglichen Arbeit zu tun haben, werden vom Geschlecht mitbeeinflusst. So gibt es Untersuchungen zu geschlechtsspezifischer Traumaverarbeitung, geschlechtsspezifisches Scham, Neid und Schuldverhalten, etc. Auch dies gilt es in einer Fallsupervision zu beachten.
In der Selbstthematisierung machen SupervisandInnen sich selbst als Einzelpersonen oder als Team zum Thema. Teamkulturen, Teamstrukturen (Arbeitsteilung, Funktionen, Rollen, Kommunikationsmuster, etc.) sind geschlechtlich geprägt. D.h auch bei diesem Inhalt ist das Geschlecht eine relevante Kategorie.
In der Institutionsanalyse thematisieren sich SupervisandInnen im Kontext der Organisation bzw. analysieren die Organisation (Aufgabe der Institution, Rahmenbedingungen, etc.). Auch hier spielt das Geschlecht, wie schon weiter oben, im Kapitel Gender und Organisation, angeführt eine Rolle und muss Beachtung finden.
2.2.4 Gender und SupervisorInnen
Aber nicht nur der Supervisionsprozess ist ein Ort wo Zweigeschlechtlichkeit ständig konstruiert wird, sondern dieses „doing Gender“ findet (auch für SupervisorInnen) außerhalb des Supervisionssettings statt.
Dass SupervisorInnen ebenfalls den gesellschaftlichen und geschlechtlichen Strukturen ausgesetzt sind und ihren Beitrag zur Erhaltung dieser Strukturen leisten, wird an folgender Studie deutlich:
Laut einer Studie, die vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie und von der Österreichischen Vereinigung für Supervision unterstützt wurde, gibt es signifikante Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen SupervisorInnen. Ich möchte hier einige Ergebnisse aus einer Diplomarbeit von Natascha Klinser wiedergeben, die aus dieser Studie die geschlechtsspezifischen Unterschiede herausgearbeitet hat (Klinser 2000).
- Weibliche Supervisorinnen haben Ausbildungen mit einem hohen Frauenanteil, wie Sozialakademie, Pädagogische Akademie, etc. mit mittlerem Bildungsabschluss absolviert, während ihre männlichen Kollegen häufig Universitätsausbildungen absolviert haben
- Weibliche Supervisorinnen verlangen geringere Honorare wie Ihre männlichen Kollegen
- Weibliche Supervisorinnen sind häufiger im Bereich Öffentliche Verwaltung bzw. Nonprofit und seltener im mehr gewinnbringendem und prestigeträchtigen Wirtschaftsbereich tätig als Männer
[...]
[1] Das englische unterscheidet zwischen Sex- dem biologischen Geschlecht und Gender, das soziale Geschlecht. Ich verwende die Worte Gender und Geschlecht synonym. Meine mit Geschlecht aber immer das soziale Geschlecht.