Arbeitslosigkeit als Stigma. Auswirkungen auf die soziale Identität


Dossier / Travail, 2009

17 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Aktualität der Problemstellung

2. Erwerbstätigkeit
2.1. Historischer Hintergrund der Erwerbstätigkeit
2.2. Erwerbstätigkeit und Soziale Identität

3. Erwerbslosigkeit
3.1.Erwerbslosigkeit und Soziale Identität

4. Arbeitslosigkeit als Stigma
4.1. Stigma
4.2.Soziale Identität und Stigma
4.3 Die Stigmatisierung Arbeitsloser

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Aktualität der Problemstellung

„Wer arbeitslos ist, ist nur zu faul zu arbeiten“, „Wer arbeiten will, der findet Arbeit“ - solche und andere Phrasen sind allgemein bekannt. Trotz der derzeitig schlechten Wirtschaftsituation, in der von Arbeitslosigkeit nicht nur niedrig qualifiziert Beschäftigte bedroht bzw. betroffen sind, bleiben gesellschaftliche Vorurteile über Arbeitslose bestehen. Diese werden durch die Medien genährt, teilweise werden ganze TV-Formate in Form von Realitysendungen auf die gesellschaftlichen Klischees ausgerichtet. Die darin vorkommenden Arbeitslosen werden als faul und ungebildet dargestellt, welche die soziale „Hängematte“ nutzen und mit ihrer Situation zufrieden scheinen.

Diese stereotypen Darstellungen von Erwerbslosen zeigen, welchen Wert die Arbeit in den sozialen Gesellschaftsstrukturen und im Leben des Einzelnen einnimmt. Neben der materiellen Existenzsicherung bedeutet Erwerbsarbeit gesellschaftliche Teilhabe, soziale Integration und befähigt zur individuellen Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenz. Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbindet sich neben dem materiellen Druck durch die Reduzierung finanzieller Mittel auf Sozialleistungen, auch die mit Dauer der Erwerbslosigkeit immer größer werdende seelische Belastung. Die Folgen von Arbeitslosigkeit bilden die Grundlage zahlreicher Studien, welche sich u.a. mit den Folgen auf die bestehenden sozialen Beziehungen, Auswirkungen auf die Gesundheit und Veränderungen der Lebensführung bzw. Lebensplanung der Betroffenen beschäftigen.

Schwerpunkt dieser Arbeit wird es sein, der Frage nachzugehen, inwiefern Erwerbslosigkeit die soziale Identität einer Person beschädigt. Dabei werde ich die Bedeutung der Arbeit für die soziale Identität darlegen und anhand eines von mir durchgeführten Interviews mit einer langjährig Erwerbslosen untersuchen, inwieweit Erwerbslosigkeit ein gesellschaftliches Stigma darstellt. Das Interview werde ich dazu mit der Abhandlung Erving Goffmans: „Stigma - Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität“ in Beziehung setzen.

2. Erwerbstätigkeit

Um von vornherein Missverständnisse bezüglich der Begrifflichkeiten zu vermeiden, werde ich mich auf eine Definition vom Statistischen Bundesamt Deutschland berufen, deren Grundlage die Normen der Internationalen Arbeiterorganisation (IAO) bilden. Zu den Erwerbstätigen Personen zählen demnach alle, die als Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte, Beamte, geringfügig Beschäftigte, Soldaten) oder als Selbstständige beziehungsweise als mithelfende Familienangehörige eine auf wirtschaftlichen Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben, unabhängig vom Umfang dieser Tätigkeit.[1]

2.1. Historischer Hintergrund der Erwerbstätigkeit

In der Antike sowie bei den Germanen wurde körperliche Arbeit verachtet und den Sklaven übertragen, die Freiheit, keiner Arbeit nachzugehen, war den Adligen, den Reichen und den Vollbürgern vorbehalten. Die Christliche Ideologie entwarf ein anderes Bild von Arbeit: Arbeit als sinnstiftende Determinante im Leben des Einzelnen, die zur Selbsterziehung und Gabe an die Gemeinschaft verrichtet werden sollte. Dabei stand der moralische Wert der Arbeit im Vordergrund, während der Nutzen von Arbeit, bzw. der kapitalistische Wert, nicht thematisiert wurde. Das christliche Verständnis von Arbeit hatte jedoch keine Auswirkungen auf die bestehenden sozialen Strukturen. Der Stellenwert von Arbeit veränderte sich erst mit der Umstrukturierung mittelalterlicher ständischer Ordnung, die zwischen dem Spätmittelalter und der Neuzeit einsetzte. Durch die Verarmung der ländlichen Bevölkerung, der Verstädterung und der steigenden Zahl von Bettlern und Vagabunden traten Probleme der sozialen Integration auf. Die gesellschaftliche Wahrnehmung sowie der Bezug zur Arbeit veränderten sich in Anbetracht der Armut, es entwickelte sich eine neue Arbeitsmoral. Das aufstrebende Bürgertum stellte die Forderung nach einer allgemeinen Arbeitspflicht, die unabhängig von sozialer Herkunft und Vermögen gelten sollte. Arbeit wurde nun als Teil des selbstbestimmten Lebens gesehen, und löste sich aus der Assoziation des Zwanges und der Qual. Am stärksten durch diese Forderung betroffen waren die sozialen Gruppen, die zur Lohnarbeit gezwungen wurden. Die traditionelle Lebensweise der verarmten Masse widersprach den neuen Anforderungen der industriellen Disziplin. Ihr gewohnter Arbeitsrhythmus war agrarischer Produktionsweise angepasst, die sich nach der Natur und den Bedürfnissen der lokalen Gemeinschaft richtete. Die Forderung der allgemeinen Arbeitspflicht zwang ihnen einen fremdbestimmten Zeitrhythmus und einen gleichbleibenden Arbeitseinsatz auf. Da der Lohn dem Existenzminimum angepasst und die Arbeitszeit ausgedehnt wurde, trat durch die Unterwerfung in Lohnarbeitsverhältnisse keine materielle Verbesserung der Lebensbedingungen ein. Die Menschen wurden ihren gewohnten Lebensbedingungen entrissen und konnten sich den neuen Arbeitsnormen nicht anpassen, sodass aus dem Zwang der Umstände massenhaft Bettler, Räuber und Vagabunden resultierten. Da in der bürgerlichen Welt die Armut als selbstverschuldet galt, entschloss man sich, die betroffene nichtbürgerliche Masse zur Arbeit zu erziehen. Im Übergang zur kapitalistischen Produktionsweise entstanden deshalb sogenannte Internierungsstätten, die sich aus Strafanstalten, Produktionsstätten und moralischen Anstalten zusammensetzten. In diese wurden alle Personen zwangsverwiesen, die aus der Ordnung der bürgerlichen Welt herausfielen oder sich deren Normen entzogen. Dort sollten sie an regelmäßige Arbeit und Arbeitsdisziplin gewöhnt werden und lernen, die sozialen Konventionen zu achten.

Da sich die Arbeitslosigkeit durch die Internierungsstätten im Laufe wirtschaftlicher Krisen nicht eindämmen ließ, und die Ausmaße an Arbeitslosigkeit nicht mehr persönlicher Faulheit zugeschrieben werden konnten, stieß die Internierungspraxis zwangsläufig an ihre Grenzen. Im Verlauf der sich ausbreitenden liberalen Ökonomie sah sich der Staat als Repräsentant der bürgerlichen Ordnung, der allein dafür sorgen soll, Selbstbestimmung und Freiheit zu gewährleisten.[2] Damit wurde das Problem der Arbeitslosigkeit Individualisiert.

2.2. Erwerbstätigkeit und Soziale Identität

In unserer heutigen Gesellschaft nimmt Erwerbsarbeit einen hohen Stellenwert ein. Einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachzugehen beinhaltet soziale Integration und wirkt identitätsstiftend. Die soziale Identität ist im Gegensatz zu der persönlichen Identität stark gesellschaftlich bestimmt und bezieht „persönliche Charaktereigenschaften ebenso ein wie strukturelle Merkmale von der Art des Berufs“ (Goffman 1967, S.10). Die Arbeit gilt neben der Familie als Sinn- und Identitätsanker. Wenn wir mit einem fremden Menschen in Kontakt treten um ihn näher kennenzulernen, wird eine der ersten Fragen, die wir an Ihn richten, die nach der Tätigkeit der er nachgeht sein. Je nachdem, was er uns antwortet, ordnen wir Ihn einer sozialen Gruppe zu, und setzen Ihn oftmals mit seinem Beruf gleich. Wir entnehmen dem Beruf das soziale Ansehen bzw. den Lebensstil eines Menschen und ziehen Rückschlüsse auf seine Bildung. Im Regelfall richtet sich die gesamte Biografie einer Person um die Erwerbstätigkeit aus. Unser Alltag wird geprägt durch die Aufteilung des Tages in Arbeits- und Freizeit. Der gesamte Lebenslauf kann durch Arbeitsphasen definiert werden: Ausbildungszeit, Erwerbstätigkeit und Ruhestand.[3] Die Arbeit verleiht dem Leben einen zeitlichen sowie kulturellen Rahmen und damit Kontinuität. Des Weiteren ermöglicht sie soziale Integration, finanzielle Unabhängigkeit und damit Selbstachtung. Der Einzelne gewinnt durch den Arbeitsprozess das Gefühl, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein. Arbeit im Allgemeinen, sowie das Ansehen des individuellen Berufes einer Person in der Gesellschaft, trägt damit einen großen Teil zu unserer sozialen Identität bei.

3. Erwerbslosigkeit

Nach Definition der Internationalen Arbeitsorganisation gilt jede Person zwischen 15 und 64 Jahren als erwerbslos, der weniger als eine Stunde in der Woche arbeitet, aber mehr arbeiten möchte, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und Arbeit sucht. Dabei fallen geringfügig Beschäftigte aus der Statistik heraus. Eingerechnet in die Statistik werden auch Erwerbslose, die nicht bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind.[4] Um die Zahlen des Statistischen Bundesamts Deutschland von denen der Bundesagentur für Arbeit zu unterscheiden, spricht man von erwerbslos bzw. arbeitslos. Ich werde beide Begrifflichkeiten im Sinne der Definition des Statistischen Bundesamts Deutschland benutzen.

3.1.Erwerbslosigkeit und Soziale Identität

Die Erwerbstätigkeit spielt im Leben jedes Menschen eine zentrale Rolle, sodass der Verlust des Arbeitsplatzes einen „Bruch in der sozialen Biografie“ (Wacker S.15) bedeutet, dennoch ist Arbeitslosigkeit immer eine individuelle Erfahrung. Die Auswirkungen auf die psychische Verfassung des Einzelnen lassen sich nicht verallgemeinern, denn die Umstände der Arbeitslosigkeit und damit auch die Reaktionen der Betroffenen auf ihre Situation sind different. Dabei spielen verschiedene Determinanten wie z.B. die Bedeutung der Arbeit für den Einzelnen, Alter, Geschlecht, Dauer der Arbeitslosigkeit, individuelle Persönlichkeitsmerkmale, die lokale Arbeitslosenrate oder materielle Rücklagen, sowie die Konstellation dieser Variablen eine Rolle. So scheint es ganz natürlich, dass Personen die sich stark mit Ihrem Beruf identifizieren, die Erwerbslosigkeit negativer empfinden als jene, die weniger berufsorientiert sind und allein die finanziellen Einschränkungen betrauern. Trotzdem bedeutet die unfreiwillige Arbeitslosigkeit für die Betroffenen weiter reichende Folgen als finanzielle und damit materielle Einbußen, da die Erwerbstätigkeit auch einen großen Teil zur individuellen Selbsteinschätzung beiträgt. Arbeitslosigkeit ist in unserer Gesellschaft mit Vorurteilen behaftet. Die Betroffenen erleiden ein Gefühl des Versagens, fühlen sich nutzlos. Erfolglose Bemühungen um einen Arbeitsplatz können Resignation und Handlungsohnmacht hervorrufen. Je nach Dauer der Arbeitslosigkeit schränken sich durch die finanziellen Einbußen sowie durch Schamgefühl soziale Aktivitäten und damit der Lebensraum ein, was zur vollkommenen sozialen Isolation führen kann. Wacker beschreibt die Situation als „Blockierung des individuellen Handlungsfeldes“ (Wacker 1983, S.109). Die Ansprüche an das Leben werden kleiner. Durch den Verlust des Arbeitsplatzes kann die Struktur des Tagesablaufs verloren und gehen die Zeiteinteilung sinnlos werden, was zu Problemen bei der Organisation des Alltags führen kann. Arbeitslosigkeit kann zudem die individuelle Entwicklung beeinträchtigen, da Anregungen durch das soziale Umfeld eingeschränkt werden, und die Interaktion mit Kollegen nicht mehr gegeben ist. Für viele Betroffene bedeutet Arbeitslosigkeit den Verlust der Lebensperspektive und den sozialen Abstieg.[5]

[...]


[1] Statistisches Bundesamt Deutschland

[2] Vgl. Wacker, (1983), S. 21-30

[3] Vgl. Eickelpasch / Rademacher, (2004), S. 30ff.

[4] Statistisches Bundesamt Deutschland

[5] Vgl. Kirchler, (1993), S. 41

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Arbeitslosigkeit als Stigma. Auswirkungen auf die soziale Identität
Université
Otto-von-Guericke-University Magdeburg  (Erziehungswissenschaft)
Cours
Allgemeine Pädagogik
Note
2,0
Auteur
Année
2009
Pages
17
N° de catalogue
V127816
ISBN (ebook)
9783640353903
ISBN (Livre)
9783640353569
Taille d'un fichier
438 KB
Langue
allemand
Mots clés
Arbeitslosigkeit, Goffman, Stigmatisierung, soziale Identität
Citation du texte
Tanja Wille (Auteur), 2009, Arbeitslosigkeit als Stigma. Auswirkungen auf die soziale Identität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127816

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