Goethes Faust in der Oper

Am Beispiel von Charles Gounods Faust


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

20 Pages, Note: 1,3


Extrait


Gliederung

1. Einleitung

2. Goethe, Faust und die Musik
2.1. Musik im Faust
2.2. Goethe und Faust-Vertonungen

3. Charles Gounod: Faust
3.1. Historischer Ab riß
3.2. Michel Carrés Faust et Marguerite
3.3. Vergleich von Gounods und Goethes Faust
3.3.1. Erster Akt
3.3.2. Zweiter Akt
3.3.3. Dritter Akt
3.3.4. Vierter Akt
3.3.5. Fünfter Akt

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Tragödie Faust I von Johann Wolfgang von Goethe regte wie kaum ein anderer Stoff die Komponisten zu Vertonungen in verschiedensten Gattungen an. Als besonders beliebt erwiesen sich hier die Gattung des Liedes und der Oper. In den Liedern wird der Text meist originalgetreu übernommen, lediglich die Ausführung variiert. Sie reicht – der historischen Entwicklung entsprechend – von der (von Goethe bevorzugten) strophischen bis zur durchkomponierten Form. Die Opernkomponisten bzw. ihre Librettisten gingen wesentlich freier mit Goethes Vorlage um. Offiziell orientieren sich die meisten an Goethes Tragödie – nur wenige folgen wie Ferruccio Busoni dem Puppenspiel oder wie Albert Lortzing Grabbes Text – doch wurde der Schwerpunkt des jeweiligen Werkes meist neu festgelegt und Goethes Faust dazu passend gekürzt, ummodelliert und neu gedeutet. Es läßt sich in den Faust-Opern die Tendenz beobachten, daß nur eine der der drei Figuren – Faust, Mephistopheles oder Gretchen – als Hauptfigur betrachtet wird. Verständlicherweise wird oft die Titelfigur Faust, sein Wissensdrang, seine faustische Suche als zentrales Motiv gedeutet. „Ich, Faust, ein ewiger Wille“[1] wie es so passend bei Busoni heißt. So geschehen zum Beispiel bei Ludwig Spohr und Hector Berlioz. Andere wie z.B. Arrigo Boito und Carlo Conit sahen in Mephistopheles die treibende Kraft und somit die Hauptfigur. Charles Gounod hingegen entschied sich für Gretchen als Zentralfigur.

Diese Arbeit befaßt sich mit Charles Gounods Oper Faust, die sich als die erfolgreichste Faust-Vertonung auf der Bühne behauptet hat. Im ersten Teil werde ich darstellen, welche musikalischen Vorraussetzungen bereits in Goethes Faust I angelegt sind, welche Vorstellungen Goethe von einer dem Faust angemessenen Musik hatte und wie seine Reaktion auf entstehende Faust-Musiken war. Der zweite Teil der Arbeit wird der Frage nachgehen, welche Änderungen Gounod und seine Librettisten Jules Barbier und Michel Carré an Faust vornahmen, um ihn opernbühnentauglich zu machen und welche Auswirkungen dies auf die Charakterdarstellungen hat.

2. Goethe, Faust und die Musik

2.1. Musik im Faust

Von je her zeigten die Komponisten ein großes Interesse an der Figur des Doktor Faust. Über 60 Faust-Opern zählt man inzwischen. Die älteste stammt aus dem Jahre 1797, die jüngste aus dem Jahre 1995. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche Faust-Lieder, -Singspiele, -Kantaten, -Symphonien, -Ballette und sogar Faust-Oratorien. Die meisten dieser Werke folgen dabei mehr oder weniger Goethes Faust-Tragödie. Dies mag daran liegen, daß in der Tragödie ein gewisser Drang zur Musik und zum Musiktheater zu spüren ist. Musikbezüge und -einlagen in Schauspielen sind an sich nichts Ungewöhnliches, doch allein die dichte Aufeinanderfolge der geforderten Musik im Faust I muß erstaunen: „Glockenklang und Chorgesang“[2] der Osternachtsfeier, „Tanz und Gesang“[3] des Volkes in der Szene Vor dem Tor, Gesang der Geister in der Studierzimmerszene, Solo- und Chorgesang der Studenten sowie Mephistopheles’ Flohlied in Auerbachs Keller, Gretchens Lied „Es war ein König in Thule“[4], Mephistopheles’ Ständchen in der Szene Nacht · Straße vor Gretchens Tür, die Domszene mit „Orgel und Gesang[5], verschiedene musikalische Einlagen in der Walpurgisnacht, sowie Gretchens Gesang im Kerker.

Es liegen mehrere Analysen vor, die die Faust-Tragödie mit musikalischen Parametern untersuchen und etliche musik-analoge Passagen aufzeigen[6]. Dieter Borchmeyer kommt zu dem Schluß:

Ob es sich um reine Inzidenzmusiken oder um die erwähnten analogischen und metaphorischen Gesangs- Melodramenszenen handelt, Faust I ist deutlich geprägt von einer Kontrapunktik quasi musikalischer und gesprochener Versdramatik.[7]

In Faust II verstärkt sich die Opernhaftigkeit gar noch. Goethe war sich dessen durchaus bewußt. In den Gesprächen mit Eckermann heißt es, Faust beginne im ersten Teil als Tragödie und ende im zweiten als Oper.[8]

2.2. Goethe und Faust-Vertonungen

Schon kurz nach dem Erscheinen des Faust I wurden einzelne Teile daraus vertont, besonders die Gretchenlieder reizten Komponisten wie Reichardt, Zelter, Kreutzer, Schubert und viele andere zu Vertonungen.

Goethe selbst beschäftigte sich sehr mit der Frage nach der passenden Musik zu Faust. Seine Äußerungen diesbezüglich scheinen jedoch widersprüchlich. Einerseits sei es „ganz unmöglich“[9], daß es zum Faust die passende Musik geben werde, andererseits betonte er hin und wieder, er habe keinen Zweifel, „das wird sich schon finden“.[10] Doch es herrscht keine Ungewißheit darüber, daß er sich eine Musik zum Faust wünschte.

Wiederholt bat er Zelter, Musik zum Faust zu komponieren, schon 1807 schrieb er ihm: „Ich freue mich zum Voraus auf den Spaß, den Ihnen der fortgesetzte Faust machen wird. Es sind Dinge darin, die ihnen auch von musikalischer Seite interessant sein werden.“[11] Doch obwohl Zelter Verlangen hatte, ein größeres Werk Goethes zu vertonen[12], lehnte er die Faustkomposition ab. Andere Komponisten versuchten sich daran. Fürst Radziwill schuf eine Schauspielmusik zum Faust, Karl Eberwein versuchte sich an einer Oper, zu der Goethe sich folgendermaßen äußerte: „Was ich mit Faust vorhatte, sollte er nicht begreifen, aber er sollte mir folgen und meinen Willen tun, dann hätte er gesehen was es heiße.“[13]

Auch mit den Huit Scènes de Faust, die ihm Hector Berlioz 1829 übersandte, war Goethe nicht zufrieden. In diesem Falle verließ er sich wie so oft auf das Urteil seines Freundes Zelter, der ihn „über die, im Anschauen so wunderlichen Noten-Figuren“[14], nach seiner Weise beruhigen sollte – was Zelter auch tat. Sein Urteil fällt überaus harsch aus:

Gewisse Leute können ihre Geistesgegenwart und ihren Anteil nur durch lautes Husten, Schnauben, Krächzen und Ausspeien zu verstehn geben; von diesen Einer scheint Herr Hector Berlioz zu sein. Der Schwefelgeruch des Mephisto zieht ihn an, nun muß er niesen und prusten daß sich alle Instrumente im Orchester regen und spuken – nur am Faust rührt sich kein Haar. Übrigens habe Dank für die Sendung; es findet sich wohl Gelegenheit bei einem Vortrage Gebrauch zu machen von einem Abseß, einer Abgeburt welche aus greulichem Inzeste besteht.[15]

So erhielt Berlioz nie eine Antwort auf seine Sendung der schön gestochenen Partitur und eines verehrungsvollen Briefes.

Am 12. Februar 1829 äußerte Goethe gegenüber Eckermann:

Die Musik müßte im Charakter des Don Juan sein; Mozart hätte den Faust komponieren müssen. Meyer-Beer wäre vielleicht dazu fähig, allein der wird sich auf so was nicht einlassen (…).[16]

Es erstaunt, diese beiden Namen in einem Atemzug nennen zu hören. Meistens bricht die Forschungsliteratur auch nach der Nennung Mozarts ab. Jedoch muß man bedenken, daß Goethe kein Werk Meyerbeers gehört, höchstens durch die Vermittlung Dritter Berichte darüber erhalten hatte.[17] Und so liegt der Schluß nahe, daß er in Meyerbeers Werken keineswegs einen Idealtypus der Kompositionsweise gefunden hatte, sondern daß er glaubte, daß in der Person Meyerbeers die erforderlichen Vorraussetzungen gegeben seien. Denn schon 1827 sagte er über einen möglichen Faust-Komponisten: „Es müßte einer sein, […], der wie Meyerbeer lange in Italien gelebt hat, so daß er seine deutsche Natur mit der italienischen Art und Weise verbände.“[18]

In gewisser Weise erwartete er also eine Kreuzung aus den von ihm bewunderten Komponisten Rossini und Mozart. Meyerbeers real existierende Werke hätten Goethes Musikgeschmack und Musikverständnis aber wohl kaum entsprochen. Meyerbeer schrieb zwar wirklich eine Faustmusik, vernichtete diese jedoch kurz vor seinem Tod.

Goethe hörte also nie eine ihm zusagende Vertonung des Faust. So ist es nicht verwunderlich, daß er in den letzten Jahren seines Lebens die Hoffnung darauf völlig aufgab. Erstaunlich ist jedoch, daß Goethe offensichtlich nur geringes Interesse daran hatte, Ludwig van Beethoven den Faust komponieren zu lassen. Beethoven verehrte Goethe seit seiner Kindheit, 1811 schrieb er die Egmont-Ouvertüre, im Jahre 1812 traf er Goethe zufällig in Treplitz. Genaueres ist über dieses Treffen nicht bekannt, doch scheint Beethoven zu der Überzeugung gelangt zu sein, daß es zu einer Zusammenarbeit kommen solle:

Daß Goethe hier ist, schrieb ich Ihnen. Täglich bin ich mit ihm zusammen. Er verspricht mir etwas zu schreiben. Wenn’s mit ihm nur nicht geht, wie anderen mit mir!!! – Manches sagt einem nicht zu, und [man] verspricht’s mit bestem Willen, und ’s wird doch nichts.[19]

Ein Freund Goethes berichtet gar, daß Beethoven Goethe veranlaßt habe, den Faust für die Musik umzugestalten.[20] Leider kam dies nicht zustande. Zehn Jahre vergingen, bis sie wieder in Kontakt traten, allerdings wurde dieses Thema nicht erneut aufgenommen. Beethoven trug sich jedoch bis zu seinem Tode mit dem Gedanken an eine Faust-Vertonung, Goethe hingegen dachte offensichtlich gar nicht mehr an Beethoven, als Eckermann ihn 1829 auf Faust-Vertonungen ansprach. Der Grund hierfür mag darin liegen, daß Goethe Beethovens Musik sogar für den Faust als zu gewaltig und dämonisch empfand, obwohl er selbst festgestellt hatte, daß eine Faust-Musik Abstoßendes, Widerwärtiges und Furchtbares enthalten müßte.[21] Max Unger zeigt auf, daß Goethe Beethovens Musik einerseits zwar bewunderte, andererseits sie aber auch zu elementar und als Teufelszeug empfand.[22]

Goethe war sich bewußt, daß er in musikalischen Fragen einen Ratgeber brauchte. Sein Briefwechsel mit Zelter belegt dies. Traurigerweise fand er in Zelter einen musikalisch zwar versierten, aber auch seiner Zeit sehr verhafteten Berater. Zelter war Zeitgenosse vieler großer Komponisten, lehnte aber in weiten Teilen die Musikentwicklung Anfang des 19. Jahrhunderts ab, so daß er zu harten Beurteilungen wie z.B. im Falle Berlioz’ kommen mußte. Ob jemand anderes Goethe dazu bewegt hätte, sich der moderneren Musik zu öffnen und die Zusammenarbeit mit Komponisten wie Berlioz, Schubert oder Beethoven zu suchen, sei dahingestellt.

3. Charles Gounod: Faust

3.1. Historischer Abriß

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreichte die französische Faust-Rezeption einen Höhepunkt; französische Faustadaptionen wurden ungemein populär. In den meisten dieser Adaptionen geht es jedoch nicht um den erkenntnissuchenden Faust, sondern um einen Faust, der aus mehr oder weniger trivialen Gründen einen Pakt mit dem Teufel schließt, was Anlaß zu den schönsten Bühnenspektakeln gibt. Wurde die Schaulust in den ersten Stücken noch durch das übernatürliche Erscheinen und Verschwinden von Mephisto, Geistern und diversen Monstern befriedigt, nutzte Adolphe d’Ennery in seinem Faust aus dem Jahre 1858 Mephistos übernatürliche Kraft, um Faust in das Pompeji 79 v. Chr. zu versetzen – da Vulkanausbrüche in den Vaudevilles zu dieser Zeit sehr populär waren. Faust erscheint weiter als indischer Maharadscha und reitet am Ende auf dem personifizierten Tod, einem riesigen schwarzen Vogel, in die Hölle. Daß Teufeleien jeder Art sehr beliebt waren, zeigt auch eine von Giacomo Meyerbeer und Eugène Scribe geschaffene Grand Opéra, Robert le Diable, die 1831 uraufgeführt wurde. An der Darstellung des Bertram wurde von da an jede musikalische Teufelsdarstellung gemessen, so auch Gounods Darstellung des Mephistopheles.

[...]


[1] Busoni, Ferruccio: Doktor Faust. Libretto von Ferruccio Busoni. Hrsg. von Erato Disques S.A. Paris 1999. S. 145.

[2] Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie erster Teil. Stuttgart 1999. S. 23.

[3] Ebd. S. 29.

[4] Ebd. S. 79.

[5] Ebd. S. 110.

[6] Vgl. hierzu: Borchmeyer, Dieter: Goethes Faust musikalisch betrachtet. In: Eine Art Symbolik fürs Ohr. Johann Wolfgang von Goethe. Lyrik und Musik. Hrsg. von Hermann Jung. Frankfurt a.M. 2002. S. 91 ff.;

Cotti, Jürg: Die Musik in Goethes ‚Faust’. Zürich 1957;

Fähnrich, Hermann: Goethes Musikanschauungen in seiner Faust-Tragödie – Die Erfüllung und Vollendung seiner Opernreform. In: Goethe-Jahrbuch Neue Fassung. Weimar 1964. S. 250-263.

[7] Borchmeyer S. 92.

[8] Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hrsg. von Heinz Schlaffer. München 1986. S. 202

[9] Ebd. S. 283.

[10] Ebd. S.202.

[11] Goethe, Johann Wolfgang von. Zit. nach: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1799 bis 1832. Hrsg. von Hans-Günter Ottenberg und Edith Zehm. Band 1. In: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Bd. 20.1. Hrsg. von Karl Richter. München 1991. S. 152

[12] Vgl. Zelters Brief vom 14. bis 20. März 1810. In: Ebd. S. 229 f.

[13] Goethe, Johann Wolfgang von. Zit. nach: Ebd. S. 435.

[14] Goethe, Johann Wolfgang von. Zit. nach: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1799 bis 1832. Hrsg. von Hans-Günter Ottenberg und Edith Zehm. Band 2. In: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Bd. 20.2. Hrsg. von Karl Richter. München 1998. S. 1238.

[15] Zelter, Karl Friedrich. Zit. nach: Ebd. S. 1244.

[16] Eckermann. S. 283 f.

[17] Vgl.: Kreutzer, Hans Joachim: Faust. Mythos und Musik. München 2003. S. 59 f.

[18] Eckermann. S. 202.

[19] Beethoven, Ludwig van. Zit. nach Max Unger: Ein Faustopernplan Beethovens und Goethes. Regensburg 1952. S. 21.

[20] Vgl.: Ebd. S. 22.

[21] Vgl.: Eckermann. S. 283.

[22] Vgl.: Unger, Max. S. 16.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Goethes Faust in der Oper
Sous-titre
Am Beispiel von Charles Gounods Faust
Université
Friedrich-Alexander University Erlangen-Nuremberg
Note
1,3
Auteur
Année
2005
Pages
20
N° de catalogue
V127841
ISBN (ebook)
9783640341054
Taille d'un fichier
399 KB
Langue
allemand
Mots clés
Goethes, Faust, Oper, Beispiel, Charles, Gounods, Faust
Citation du texte
M.A. Anne Oppermann (Auteur), 2005, Goethes Faust in der Oper , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127841

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