Die Entwicklung des True Crime Genres in den USA. Warum ist das Genre so populär?


Masterarbeit, 2022

78 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. True Crime – Mehr als nur ein Genre?
2.1 Genrebegriff und -Problematik
2.2 True Crime
2.2.1 Definition und Genese
2.2.2 Charakteristika und Merkmale im True Crime Film
2.2.3 True Crime im Fernsehen
2.2.4 Serielle und aktuelle Tendenzen im True Crime
2.3 Einflüsse aus dem Krimi
2.4 Genrehybridisierung und Genremixing im Krimi?

3. Transgressive Television

4. Vorstellung der Analyseexemplare
4.1 The Assassination of Gianni Versace: American Crime Story
4.2 When They See Us
4.3 Unbelievable

5. Kontextanalyse nach Lothar Mikos
5.1 Genreeinordnung und Einflüsse
5.1.1 The Assassination of Gianni Versace
5.1.2 When They See Us
5.1.3 Unbelievable
5.1.4 Zwischenfazit
5.2 Soziokulturelle Themen und verknüpfte Diskurse
5.3 Emotionale Anbindung und Authentizität durch reale Lebenswelten
5.4 Einordnung auf dem Serienmarkt und Transgressive TV

6. Fazit

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Film- und Serienverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass es grauenvoll ist, wenn Menschen ermordet werden. Sind wir uns aber auch einig, dass man real geschehene Morde und andere Gewalttaten nicht zur Belustigung, zur Befriedigung der Sensationsgier und für Profite nutzen sollte?1

Mit diesem Statement äußert sich die Autorin Margarete Stokowski kritisch zum aktuell boomenden True Crime Genre. Mit ihrer Meinung ist Stokowski allerdings nicht allein. Allgemein wird das Genre für seine Darstellungen kritisiert, in denen reale Schicksale von Menschen detailgetreu reflektiert und wiedergegeben werden. Letztlich wird mit den teils grauenvollen Erlebnissen und Schicksalen von Menschen innerhalb der Unterhaltungsindustrie gewirtschaftet. Die Problematik dahinter ist nachvollziehbar.

Dennoch lässt sich beobachten, dass True Crime Formate trotz kritischer Äußerungen innerhalb der aktuellen Fernsehlandschaft sowie auf sämtlichen Streaming-Plattformen omnipräsent sind. Insbesondere auf dem US-amerikanischen Film- und Fernsehmarkt erfährt das Genre ein reges Produktionsaufkommen, wie die Fülle und Bandbreite an verfügbarem True Crime Material beweist. Von non-fiktionalen Dokumentarfilmen und -serien wie beispielsweise Amanda Knox (USA 2016), Making a Murderer (USA 2015, 2018), The Keepers (USA 2017) oder Tiger King: Großkatzen und ihre Raubtiere (USA 2020) über fiktionale Spielfilme wie Extremely Wicked, shockingly Evil and Vile (USA 2019) über den Serienmörder Ted Bundy oder Zodiac (USA 2007) von David Fincher. Hinzu kommen fiktionale (Mini-)Serien des Genres wie beispielsweise Inventing Anna (USA 2022), die sich mit der wahren Geschichte der Betrügerin Anna Sorokin beschäftigt.2

Es lässt sich demnach feststellen, dass sich das Genre gattungsübergreifend bewegt und nicht mehr vorrangig mit der dokumentarischen Gattung assoziiert werden kann. Neben Inventing Anna ließ sich für die vorliegende Masterarbeit im Rahmen einer näheren Auseinandersetzung mit aktuellen True Crime Produktionen die Beobachtung machen, dass unter der ‚True Crime Brand‘ in den letzten sechs Jahren vor allem in den USA immer mehr fiktionale Serien produziert werden. Beispiele sind American Crime Story (USA seit 2016), Chernobyl (USA, UK 2019), Dirty John (USA seit 2018), Escape at Dannemora (USA 2018), Manhunt (USA seit 2017), Mindhunter (USA 2017-2019), Narcos (USA 2015-2017), The Act (USA 2019), Unbelievable (USA 2019) oder When They See Us (USA 2019).

Dass die US-amerikanische Film- und Fernsehindustrie im Zuge der Globalisierung erheblichen Einfluss auf die weltweite Unterhaltungsbranche besitzt, muss an dieser Stelle nicht tiefergehend diskutiert werden. US-amerikanische Filme und Serien werden weltweit vermarktet und adaptiert.3 Damit können Entwicklungen auf dem US-amerikanischen Markt als Gradmesser und Vorreiter für weltweite Trends angesehen werden. Auch auf dem deutschen Markt populäre True Crime Formate sind fast ausschließlich US-Produktionen. Diese zentrale Rolle ist mitunter ein Grund, warum für die vorliegende Arbeit der Fokus auf US-amerikanischen Werken liegen soll.

Grundsätzlich werden mit dem True Crime Genre häufig Mord und Verbrechen assoziiert, was Stokowski bereits kritisierte. Unabhängig davon muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass Mord und Verbrechen stellvertretend auch als Merkmale des Krimigenres verstanden werden können, das sich in Anbetracht seines immensen Produktionsvolumens ebenfalls sehr großer Beliebtheit erfreut.4 Der kritische Unterschied liegt hier im Wesentlichen im Aufgreifen und Darstellen von realen Fällen, was Auslöser für die beispielhaft oben zitierte, kritische Ansicht war. Für einige der eben aufgezählten fiktionalen True Crime Serien ist jedoch auffällig, dass inhaltlich mehr als nur krimitypische Themen im Vordergrund stehen. Beispielsweise konnte beim Sichten der Serien American Crime Story: The Assassination of Gianni Versace, When They See Us und Unbelievable festgestellt werden, dass die Darstellung von Verbrechen eher nebensächlich erscheint. In den drei Serien wird über den speziellen Kriminalfall hinaus ein gesellschaftlicher Gesamtkontext hergestellt, da soziokulturell relevante Themen wie Rassismus, Homophobie und Sexismus offen angesprochen und kritisch dargestellt werden. Es werden demnach gesellschaftliche und soziale Strukturen sowie Probleme beleuchtet, die als Auslöser für die behandelten Verbrechen gedeutet werden können.

Aus diesen Beobachtungen und aus dem bisherigen Forschungsstand zum True Crime Genre in den USA geht hervor, dass dieses eine besonders eminente Evolution durchlaufen hat. Das Genre hat sich in seiner aktuellen Form von der bloßen Darstellung von realen Mord- und Gewaltfällen und seiner unterhaltsamen Komponente entfernt und versucht darüber hinaus eine soziale oder sogar aufklärerische Funktion einzunehmen. Dem Genre kommt damit aktuell eine deutlich bedeutendere Funktion als die bloße Darstellung von Mord und Gewalt und zu.5

Innerhalb der vorliegenden Arbeit soll sich auf Basis des gerade dargelegten Sachverhalts damit beschäftigt werden, wie sich das True Crime Genre insbesondere in den USA verändert hat und inwiefern kritische Äußerungen in Anbetracht seiner durchlaufenen Evolution noch gerechtfertigt sind, wenn gesellschaftlich relevante Probleme thematisiert und innerhalb aktueller Serien dargestellt werden. Tanya Horeck betont in diesem Kontext unter anderem, dass beispielsweise die anhaltende Popularität von True Crime Dokumentationen für die Film- und Medienforschung eine wichtige Gelegenheit bietet, um über die aktuellen politischen und affektiven Kräfte des Genres zu reflektieren.6 Im Laufe der Arbeit soll herausgearbeitet werden, ob auch fiktionale Formate diese Kräfte entfalten können.

Die wesentlichen Leitfragen, die den Rahmen der Arbeit bilden sollen, sind dabei folgende: Welche Faktoren haben den Wandel des True Crime Genres in den USA beeinflusst und inwiefern tragen diese zu seiner heutigen Popularität bei? Wie wird die eben angesprochene Genreevolution im True Crime sichtbar und wie hat sich dieser Prozess gestaltet? Wieso wird das Genre zunehmend seriell bzw. fiktional produziert? Diese Fragen sollen mithilfe einer Analyse der ersten Staffel von American Crime Story: The Assassination of Gianni Versace, When They See Us sowie Unbelievable geklärt und exemplarisch beantwortet werden. Die Gründe für die Auswahl speziell dieser drei Serien wurden durch die oben dargestellten Beobachtungen bereits erwähnt und werden später in der Arbeit ausführlicher dargelegt. Um die Faktoren herauszuarbeiten, die für die aktuelle Popularität und einen Wandel des True Crime Genres sprechen, soll wie folgt vorgegangen werden:

Grundsätzlich wird sich an der Kontextanalyse nach Lothar Mikos orientiert, der Kontexte als eine von insgesamt fünf Ebenen der Film- und Fernsehanalyse nennt.7 Die Kontextanalyse eignet sich gut für die vorliegende Arbeit, da mithilfe dieser Methode kontextuelle Auswirkungen und Einflüsse auf andere Analyseebenen wie den Inhalt, die Narration und Figuren direkt miterfasst werden können. Nach Mikos leitet sich die Bedeutung von Film- und Fernsehtexten „erst in der Interaktion mit ihren Zuschauern“8 ab. Diese Interaktion findet in verschiedenen von der Gesellschaft beeinflussten Kontexten statt, die Auswirkungen auf die Rezeption durch die Zuschauenden haben. Film- und Fernsehtexte können nur im Kontext ihrer Gattung oder ihres Genres (1.), ihrer Beziehung zu anderen Texten (2. (Intertextualität)), gesellschaftlicher Diskurse (3. (Diskurs)), sozialer Lebenswelten (4.) und im Zusammenhang mit den Strukturen von Produktion und Markt (5.) verstanden werden.9 Da die übrigen Analyseebenen ohnehin nicht ohne den jeweiligen Kontext betrachtet werden können, wird in der vorliegenden Arbeit direkt eine kontextuelle Perspektive angewendet um die eingangs aufgeworfenen Fragestellungen umfassend beantworten zu können.

Die Grundlage für die kontextuelle Analyse bildet daher zunächst ein genretheoretischer Teil, in dem sich intensiver mit dem filmwissenschaftlichen Genrebegriff beschäftigt und der aktuelle Forschungsstand dargelegt wird. Dabei werden insbesondere Genrefunktionen, die Bedeutung von Genres sowie momentane Entwicklungen wie Genrehybridisierung und Genremixing im filmwissenschaftlichen Kontext dargestellt, um das True Crime Genre einordnen und dessen Wandel besser nachvollziehen zu können. Gleichzeitig soll dadurch gezeigt werden, wie sich das True Crime Genre in Anbetracht der aktuellen filmwissenschaftlichen Genreforschung entwickelt hat und ob sich bereits Faktoren erschließen lassen, die zur momentanen Umsetzung des Genres beitragen.

Anschließend wird das True Crime Genre zunächst aus einer historischen Perspektive betrachtet werden. Aus diesem Blickwinkel soll herausgearbeitet werden, wie sich das Genre hinsichtlich seines Fokuswechsels sowie in Form und Inhalt (weiter-)entwickelt hat und ob sich weiterhin an bekannten Genrekonventionen bedient wird oder sich durch sein serielles Auftreten zusätzlich eine neue Form gebildet hat. Im Anschluss werden einige der wichtigsten Charakteristika und Merkmale des True Crime Genres im Film aufgezeigt, bevor auf aktuelle und serielle Tendenzen im True Crime auf dem Fernsehmarkt eingegangen und der Bezug zur Kriminalserie erläutert wird.

Da das True Crime Genre in unmittelbarer Nähe zum Krimigenre existiert, können sowohl Parallelen im Sinne von Handlungsmodellen und typischen Erzählmustern als auch Einflüsse herausgearbeitet werden, die eine Intertextualität verdeutlichen. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf dem mit dem Krimi vergleichbaren Figurenensemble. Mit diesem Vorgehen soll unter anderem überlegt werden, in welchem Verhältnis die beiden Genres stehen und ob sich das True Crime Genre schlicht innerhalb des populären Krimigenres einordnen lässt oder ob sich dieses, durch seine inhaltliche Distanzierung vom eigentlichen Verbrechen, eigenständig entwickelt hat. Dabei sollen außerdem die aktuellen Tendenzen hin zu seriellem Erzählen im Krimi berücksichtigt und damit der Vergleich und die parallele Entwicklung zu weiteren US-amerikanischen Serien des 21. Jahrhunderts ersichtlich werden. In diesem Kontext wird der Begriff des Transgressive Television eingeworfen, welcher für die Betrachtung aktueller US-amerikanischer Serien als sinnvoll erachtet wird und für eine weitere Einordnung auf dem Fernsehmarkt von Nutzen ist. Auf Basis dieser theoretischen Überlegungen werden die Inhalte dreier fiktionaler True Crime Serien mit Blick auf die verschiedenen genannten Kontexte (Genre, Intertextualität, Diskurs, Lebenswelt, Markt) näher untersucht, um auf die eingangs gestellten Forschungsfragen hinzuarbeiten und den Wandel des Genres hinsichtlich seiner aktuellen Erscheinungsform verständlich zu machen. Nachdem die drei True Crime Serien vergleichend analysiert wurden, werden im Fazit der vorliegenden Masterarbeit die bisherigen Erkenntnisse zusammengefasst, mit denen die Beantwortung der Fragen erfolgt.

2. True Crime – Mehr als nur ein Genre?

Innerhalb der aktuellen Genreforschung wird deutlich, dass sich der allgemeine Genrebegriff aufgrund seiner aktuellen Entwicklungen in einem Diskurs befindet. Marcus Stiglegger erläutert, dass momentan stattfindende Genretransformationen und Hybridformen eine theoretische und neu ausgerichtete sowie historische Auseinandersetzung mit dem Genrebegriff notwendig machen, um diese Entwicklungen verständlich darzulegen.10 Auch das True Crime Genre scheint aktuell auf den ersten Blick in seiner filmischen Form hybrid zu sein, wie die in der späteren Analyse herausgearbeiteten, unterschiedlichen Einflüsse aus dem Krimigenre deutlich machen. Das Vorkommen von True Crime in mehreren Gattungen bedarf zusätzlich einer Differenzierung. Aus diesem Grund soll zu Beginn eine genauere Einführung in die Genrethematik allgemein vorgenommen werden, um fachliche Begriffe sowie aktuelle Entwicklungen zu definieren und auszudifferenzieren, die sich entsprechend auch auf das True Crime Genre auswirken, bzw. ausgewirkt haben. Zudem sollen Faktoren ermittelt werden, die den Wandel und die Funktionen von Genres bedingen. Da zum True Crime Genre in der Forschung verschiedene Versuche einer spezifischen Einordnung, bzw. keine eindeutigen Theorien11 vorliegen, ist es anschließend wichtig, zunächst eine Zusammenführung des vorhandenen Bestands vorzunehmen, um mehr Klarheit zu schaffen und historische Veränderungen festzuhalten. Es finden sich grundlegende historische Auseinandersetzungen zu den Ursprüngen und der Entwicklung des True Crime Genres in den USA, sowohl in literarischer als auch filmischer Form.12 Auf dieser Basis soll herausgearbeitet werden, welche Einflüsse das moderne True Crime Genre sowohl inhaltlich als auch formal – oder formatbedingt – prägen und ob etwaige neue Genrekonventionen, Charakteristika und Merkmale herausgearbeitet werden können. Hierbei wird der Fokus entsprechend auf die Genreentwicklung im Medium Film gelegt, bevor auch die Entwicklungen auf dem Fernsehmarkt und aktuelle und serielle Tendenzen beleuchtet werden. Mit dem Rückgriff auf die Einflüsse weiterer Genres, insbesondere des Krimis, können im Anschluss laufende Genrehybridisierungen und -transformationen festgestellt werden.

2.1 Genrebegriff und -Problematik

Wie im vorherigen Abschnitt erläutert wurde, ist eine Auseinandersetzung mit aktueller Genretheorie sowie Begrifflichkeiten und Funktionen notwendig, um das True Crime Genre in seiner gegebenen Form besser einordnen zu können. Vorab muss dazu deutlich gemacht werden, dass der allgemeine Genrebegriff unterschiedlich ausgelegt werden kann und in den Film- sowie Litertaturwissenschaften ein diskutierter Terminus und nicht festgeschrieben ist.13 Es bestehen allerdings keine Zweifel daran, dass Genres nicht „an ein Medium gebunden [sind], sondern medienübergreifend“14 auftreten. Krimis, Thriller und Co. existieren demnach nicht nur in Film und Fernsehen, sondern auch in literarischer oder theatraler Form.15 In diesem Zusammenhang kann beispielsweise ein gewisser Einfluss der Kriminalliteratur auf dessen filmische Umsetzung nicht abgestritten werden.16

Um das Genre allgemein für den filmwissenschaftlichen Kontext zu komprimieren, eignen sich hierzu mehrere Ansätze, die für die vorliegende Arbeit entscheidend sind.17 [LH1]Innerhalb der Filmgeschichte haben sich „ästhetische, inhaltliche und narrative Standardisierungen durchgesetzt“18, die neben einer Produktionsstrukturierung vor allem aber auch mit den „Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen“19 des Publikums zusammenhängen. Knut Hickethier verweist in diesem Kontext auf Siegfried Kracauer, der den Genrebegriff nutzt, „um im Film Stoffgruppen und Motivkomplexe gegeneinander abzusetzen.“20 Genres dienen demnach der Kategorisierung und Einteilung von Filmen, die unter spezifischen Inhalten und bestimmten Strukturen und Standardisierungen produziert wurden. Grundlegend lassen sich Filme (und auch Serien) vorab in die beiden Kategorien fiktional und non-fiktional aufteilen.21 Für die Bildung und Entwicklung von Genres waren dabei besonders beim Publikum beliebte und erfolgreiche Filme maßgeblich.22 [LH2]

Neben "strukturellen Zwängen"23, die nach Mikos in "technische, ökonomische, politische [sowie] juristische"24 Zwänge zu kategorisieren sind, sind für die Genreeinteilung auch "dramaturgische, narrative und gestalterische Mittel des Films"25 relevant. Durch diese Bedingungen und die sich daraus entwickelten Standardisierungen haben sich Konventionen herausgebildet, die sowohl Mikos als auch Kuhn mit den Begriffen ‚[LH3]Genre und Gattung‘26 in Verbindung bringen. Gattungen bezeichnen in diesem Zusammenhang die „Verwendungs- und Darstellungsformen“27, die sich beispielsweise in Spielfilmen, Dokumentar- und/oder Animationsfilmen unterscheiden lassen – um nur einige zu nennen.28 Genres finden sich wiederum innerhalb der sogenannten Gattungen wieder.29 Das True Crime Genre tritt zum Beispiel sowohl als Dokumentation als auch als Spielfilm auf. Hierzu unterteilen sich viele Genres in weitere Subgenres:

In der Gattung Spielfilm kann z. B. zwischen den Genres Melodram, Western, Komödie, Kriminalfilm, Horrorfilm, Science-Fiction-Film usw. unterschieden werden, die wiederum Subgenres ausbilden können. So kann ein Kriminalfilm durch die Zuordnung zu einem Subgenre beispielsweise als Polizeifilm, Detektivfilm, Thriller oder Gangsterfilm spezifiziert werden.30

Durch das Aufkommen verschiedener Subgenres wird deutlich, in welcher Bandbreite das Genre des Kriminalfilms aufgestellt ist, das in Bezug auf True Crime von besonderem Interesse ist. Oftmals als eigenständig aufgefasste Genres wie der Detektivfilm und der Thriller stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kriminalfilm. Dieser Punkt präzisiert, dass das True Crime Genre prinzipiell ebenfalls als ein Subgenre des Krimis verstanden werden kann, da es sich inhaltlich stark mit diesem überschneidet. Zudem bezeichnet der Begriff ‚crime‘ im Englischen sowohl das Verbrechen als auch das Genre des Krimis. Neben der Einordnung von Genres auf der Grundlage bestimmter Standardisierungen und Konventionen verweist Mikos außerdem auf das Verhältnis zwischen Film und Zuschauer*in, indem er von Genres „als Formen kultureller Praxis“31 spricht. Dieses Verhältnis kann für die Bildung von Genres als maßgebender Faktor angesehen werden. Die Produktion eines Genrefilms wird in gewisser Weise von der Erwartungshaltung des Publikums gesteuert, weshalb innerhalb der Genres vielfach auf bewährte Muster zurückgegriffen wird. Dieser Aspekt legt die Vermutung nahe, dass sich bewährte Muster wenig bis gar nicht verändern und zeichnen ein wesentlich statischeres Bild der Entwicklung von Genres, als dies eigentlich der Fall ist.

In diesem Zusammenhang macht Mikos allerdings auf die Veränderungen historischer und gesellschaftlicher Begebenheiten aufmerksam, die sich unweigerlich auf die Dynamik von Genres auswirken und deren stetigen Wandel beeinflussen.32 Deshalb werden Genres nach Rick Altman auch als Prozess verstanden und deren Stabilität von ihm angezweifelt.33 Auch muss an dieser Stelle betont werden, „dass die Entfaltung eines einzelnen Genres niemals unabhängig von anderen Genres verläuft [und deren] Übergänge [fließend sind].“34 Insofern beeinflussen sich einzelne Genres mittels ihrer narrativen und ästhetischen Strukturen immer wieder gegenseitig, was eine einheitliche Klassifizierung dieser wiederum erschwert: „Filme [enthalten] nicht nur die dominanten Merkmale eines Genres, dem sie zugerechnet werden, sondern auch Elemente, die eigentlich für andere Genres typisch sind.“35 Die Strukturen und Merkmale von Genres sind dabei allerdings von Medium zu Medium unterschiedlich. Die narrativen Strukturen eines Kriminalfilms weichen beispielsweise stark von denen einer Kriminalserie ab.36 [LH4]

Wie bereits hervorgehoben wurde, ist das Publikum aus kommerzieller Sicht vermehrt in die Bildung und Entwicklung von Genres integriert. Abgesehen davon ist die Gesellschaft auch noch tiefer in deren Entwicklung miteingebunden. Altman erklärt, dass diese im übertragenen Sinne als erzählerische Vorlage diene und kulturelle sowie soziale Praktiken innerhalb zahlreicher Genres adaptiert und thematisiert werden würden.37 Der Film fungiere somit allgemein als gesellschaftliches Abbild.38 Francesco Casetti erläutert im Zusammenhang mit Genrefilmen, dass diese durch den gesellschaftlichen Einfluss wiederum auch gesellschaftliche Funktionen erfüllen.39 Rainer Winter ergänzt, dass uns vor allem populäre Filmgenres […] einen Einblick in kulturelle Vorstellungen, Machtverhältnisse, soziale Auseinandersetzungen, in das Streben nach Ordnung [sowie] Veränderung in einem spezifischen kulturellen und sozialen Kontext [geben].40

Filme, die einem bestimmten Genre zugeordnet sind, erfüllen neben der Abbildung alltäglicher Situationen und/oder Realitäten, eine sogenannte „Modellierungsfunktion.“41 Gemeint ist, dass „Genrefilme mit ihren Geschichten Situationen [veranschaulichen oder verarbeiten], die wir im Alltagsleben antreffen“42 und für die mögliche Lösungen von Problemen aufgezeigt werden können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich innerhalb bestimmter Genrefilme spezifische Funktionen herauskristallisieren, die im gesellschaftlichen Kontext besonders bedeutsam werden. Casetti greift das Beispiel des Kriegsfilmes auf, der bei der Trauerbewältigung vieler Betroffenen des Ersten Weltkriegs [LH5]hilfreich war. Das Genre erfüllt damit die sogenannte „Barde-Funktion“.43 Diese Funktion bedeutet, dass mithilfe von stetiger Konfrontation „Genrefilme dazu [beitragen], dass eine Gesellschaft mit bestimmten Themen fertig werden kann.“44 Für die vorliegende Arbeit ist demnach der Aspekt, dass spezifische Genres als gesellschaftliche Konstruktion45 verstanden werden können, relevant. Es wird in diesem Kontext der Raum für aktuelle Diskurse eröffnet, womit Genres eine soziale Funktion erfüllen[LH6]. Hinzu kommt die Beeinflussung der Ausbildung von Genres und Subgenres durch die Gesellschaft, da Genre und Gesellschaft in einer Art Wechselwirkung zueinanderstehen.

Nach Mikos unterliegen Fernsehgenres im Vergleich zum Film einem schnelleren Wandel und sind „flexibler“.46 Diese These bestärkt im Kontext postmoderner Filme die Diskussion, dass sowohl Filme als auch Fernsehsendungen seit Anbeginn des 21. Jahrhunderts zunehmend keinem einzelnen Genre mehr zugeordnet werden können. Dadurch hat sich der Begriff des Hybridgenres47 gebildet. In der Forschung wird seither von Genre-Hybridität48 und Genre-Mixing gesprochen.49 Genre-Hybridität wurde zu Beginn überwiegend im Sinne einer Vermarktungsstrategie von Blockbustern angewendet, um durch das Kombinieren mehrerer Genres ein möglichst großes Publikum anzusprechen und dadurch Gewinne zu maximieren.50 Diese Hybridität trifft allerdings nicht nur bei Filmen, sondern „vor allem bei neueren Fernsehformaten“51 zu. Dies gilt tendenziell auch für die aktuellen True Crime Serien, in denen sich Merkmale verschiedener Genres wiederfinden, wie später noch herausgestellt wird.

Wie bereits angedeutet wurde, wird sich trotz einer gewissen Tendenz zum Wandel und zur Hybridität innerhalb jeglicher Unterhaltungsformate – so auch im Krimi – weiterhin an erfolgreichen, wiederkehrenden und bewährten Motiven und Figuren orientiert.52 Dieser Aspekt würde hauptsächlich durch die ökonomische Perspektive der Produzentenseite bestärkt werden53, während gleichzeitig „wie in allen Genres […] das Grundprinzip von Schema und Variation“54 gelte. Diesem Prinzip wird entgegengewirkt, indem innerhalb des Angebots mehr „Abwechslung geboten [werde]“55, was die Auffassung einer Entwicklung sogenannter ‚Hybridgenres‘ hingegen unterstützt. Brandstätter verweist im Kontext des Krimigenres auf Jella Hoffmann, die von einer ‚Genre-Inkongruenz‘ spricht: „[Wird] von den Gesetzen des Genres abgewichen, indem z.B. am Ende alle Fragen offen bleiben, so schafft Genre-Inkongruenz Variation und Neuheit.“56 [LH7]

Im Allgemeinen gelten für das Serienformat ähnliche Grundstrukturen für Genres, wie sie für den Film bisher dargelegt wurden. Dadurch können typische inhaltliche Merkmale und erzählerische Konventionen des Kriminalfilms auch auf dessen serielle Umsetzung übertragen werden. Zusammengefasst sind verschiedene Faktoren zu beachten, die bei einer Definition von Genres von hoher Notwendigkeit sind. Neben narrativen sowie ästhetischen Eigenschaften, die für die Einordnung von Genres von Nutzen sind, ist vor allem eine historische Betrachtungsweise nötig, um deren stetigen Wandel festzuhalten. Zusätzlich spielt die Gesellschaft bei der Entfaltung von Genres schon immer eine tragende und funktionale Rolle, während Genres im Gegenzug eine gesellschaftliche Funktion erfüllen. Wie bereits festgestellt wurde bedürfen Genres aufgrund des aktuellen Diskurses nach Stiglegger57 primär keiner standardisierten Einordnung mehr, da Tendenzen zu so genannten Genrehybriden bestehen. Diese Ansicht wird durch die Abhängigkeit einzelner Genres von jeweils anderen Genres bestärkt. Deshalb geht aus dieser dargelegten Prämisse hervor, dass sich der Anspruch auf eine präzise Definition und Klassifizierung des True Crime Genres als nicht erfüllbar darstellt. Es kann weiterhin angenommen werden, dass eine Bezeichnung des True Crime Genres als Subgenre des Krimis möglich ist. Dieser Punkt wird in bisherigen Theorien aber nicht eindeutig kenntlich gemacht und aufgrund der genannten gegenseitigen Einflussnahme von Genres sowie ‚Hybridgenres‘ ebenfalls diskutabel gestaltet. Markus Kuhn betont in diesem Zusammenhang ebenso, dass aufgrund einer weitreichenden Definition und Einordnung des Genrebegriffs, eine Verwendung dessen nicht rein intuitiv erfolgen sollte, was den hier vorliegenden kurzen theoretischen Ansatz begründet und zu einer ersten Orientierung dient.58 [LH8]

2.2 True Crime

Da sich die Analyse exemplarisch mit US-amerikanischen True Crime Serien beschäftigt, wird nachfolgend herausgearbeitet, wie sich das Genre speziell in den USA inhaltlich sowie allgemein verändert hat und wo es aktuell innerhalb gesellschaftlicher Kontexte positioniert werden kann. Dafür bedarf es zunächst einer historischen Annäherung. Mittels dieses Vorgehens soll verständlich werden, wie sich die Ausgangssituation auf dem Fernsehmarkt für die zunehmend fiktionale Umsetzung von True Crime Serien verändert hat. Des Weiteren soll das Genre in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Krimi gebracht werden, um in Anbetracht des dargestellten Genrediskurses aktuelle Veränderungen festzuhalten. Nach Jason Mittell ist eine historische Auseinandersetzung mit Fernsehgenres produktiv, um sie innerhalb ihrer kulturellen Praxis zu verstehen.59

Gleichzeitig soll das True Crime Genre in seiner Komplexität zwischen Inhalten, Industrie und seinem historischen Kontext begriffen werden60, um das Genre bzw. Subgenre für die anschließende Kontextanalyse zu verdeutlichen und einzugrenzen.61

2.2.1 Definition und Genese

Wortwörtlich übersetzt bedeutet True Crime ‚Wahres Verbrechen‘ oder ‚Wahrer Krimi‘. True Crime Geschichten beruhen in der Regel auf wahren Begebenheiten und tatsächlich stattgefunden Kriminalfällen, die am häufigsten mit dem Thema ‚Mord‘ assoziiert werden.62 Wie bereits angeführt wurde, lassen sich Genres nicht allein auf ein Medium reduzieren. Aktuell finden sich True Crime Geschichten häufig in Form von Podcasts wieder,63 was zum Beispiel die Popularität des seit 2014 erscheinenden Podcasts Serial bestätig, der mit als einer der erfolgreichsten Podcasts in den USA gilt.64 Punnett definiert hierzu treffend, dass es sich bei True Crime um ein „multi-platform genre“ handelt.65 „While conventional journalistic crime coverage and true crime texts may appear to be compatible, consumer and editorial confusion exists because there is no overarching theory that determines what is and what is not true crime.”66 Diese Aussage unterstützt die Annahme, dass sich True Crime aufgrund seiner unterschiedlichen Einflüsse sowie seiner Format- bzw. Gattungsvielfalt zu einem schwer greifbaren Genre entwickelt hat.67 Murley versteht True Crime insofern als „more than a single popular literary genre or […] a set of technical narrative conventions.”68 Es sei zu einer “multi-faceted, multi-genre aesthetic formulation, a poetics of murder narration”69 geworden. Die Parallelen zum Journalismus und der Kriminalberichterstattung stechen besonders hervor, während True Crime von anderen Autor*innen durch seinen Bezug zur Realität auch als dokumentarisches Genre bezeichnet,70 bzw. in die Gattung Dokumentarfilm eingeordnet wird. Seltzer betont an dieser Stelle die Schwierigkeit des Genres, zwischen Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden, da es im Großen und Ganzen nach ‚crime fiction‘ aussähe, es sich innerhalb der True Crime Geschichten aber eigentlich um tatsächliche Fakten handle.71 Auch Browder ordnet das True Crime Genre den Dokumentationen zu, bezeichnet es dabei aber als eine ‚dystopische Version‘: „Whereas the traditional documentary is generally designed to raise people’s consciousness about terrible conditions in order to effect change, true crime presents a picture of problems that are insoluble.”72 Dieser Aspekt bestätigt die Vielfalt von Genres innerhalb unterschiedlicher Gattungen. Dies führt zu der Herausforderung, eine einheitliche Definition bzw. Theorie für das True Crime Genre zu finden, gestaltet eine intensivere Auseinandersetzung mit seiner fiktionalen Umsetzung jedoch so interessant.

Worin sich jedoch der Großteil der True Crime Forscher*innen einig sind, ist die anhaltende Beliebtheit des Genres aufgrund der Thematisierung und (impliziten) Verarbeitung soziokultureller Probleme.73 Murley betont dabei, dass True Crime wichtige kulturelle Arbeit leiste, die oft aber wahr genommen bzw. ignoriert werden würde.74 Insbesondere diesem Aspekt soll sich innerhalb der kontextuellen Analyse gewidmet werden, da viele neue True Crime Formate aus diesem Blickwinkel betrachtet werden können.

Die Ursprünge und Anfänge des True Crime Genres außerhalb seiner filmischen Form lassen sich indirekt bis weit zurück in das frühe 18. Jahrhundert verorten.75 Schon damals herrschte in den USA eine rege Begeisterung für Sachbücher, in denen blutige Gewaltverbrechen dargestellt wurden.76 In Form von Flugblättern, auf denen Verbrechen geschildert wurden, hatte das True Crime Genre seine ersten Ursprünge in Großbritannien inmitten der Elisabethanischen Ära.77 Browder beschreibt, dass die Begeisterung und das Interesse für das Thema Mord und Kriminalität innerhalb der Bevölkerung stetig wuchs.78 In diesem Zusammenhang lässt sich der berühmt-berüchtigte Serienmörder Jack the Ripper nennen, für den sich sowohl in Großbritannien als auch in den USA eine gewisse Faszination etablierte.79 Für die USA nennt Browder beispielsweise das Buch Celebrated Criminal Cases of America des Polizisten Thomas Duke aus dem Jahr 1910, das dem True Crime Genre, wie wir es heute kennen, am nächsten kommt.80 Laut ihr habe sich das Genre seit Duke in seiner Form nahezu nicht verändert und behandle vorrangig Geschichten berühmter Verbrechen, wie beispielsweise das Attentat auf Abraham Lincoln.81 Ab den 1920er Jahren erschienen die ersten True Crime Magazine in den USA, die dank ihrer Popularität über 80 Jahre lang veröffentlicht wurden.82 Das erste und wichtigste in diesem Zusammenhang war das True Detective Magazine.83 [LH9]

Während die frühen True Crime Geschichten schonungslos und ungeschönt über Gewaltverbrechen berichteten und die Täter als Monster, Bestien, Sadisten und Co. bezeichnet wurden, entwickelte sich nach Murley innerhalb der True Detective Magazines der 1950er Jahre eine neue Narrationsstrategie.84 Diese bestand vor allem darin, tiefer und sensibler an die Hintergründe der Verbrechen bzw. Gewalttaten heranzugehen, während die Geschichten vor allem psychologisch darauf ausgerichtet waren, ein Verständnis für die Motivationen der Täter*innen zu erlangen.85 Im Jahr 1941 veröffentlichte der Psychiater Hervey M. Cleckley im Kontext der Psychopathie sein Buch The Mask of Sanity zur Diagnostizierung von Psychopath*innen, mit welchem ebenfalls eine Art Entstigmatisierung einherging, da sich vermehrt auf medizinischer Ebene mit den Betroffenen beschäftigt wurde.86 Die Wechselwirkung zwischen Genres und gesellschaftlicher Zustände wird an dieser Stelle sichtbar, da sich das sensiblere Narrativ im True Crime vermutlich aus den wachsenden medizinischen Fortschritten und den damit verbundenen Veränderungen der gesellschaftlichen Wahrnehmung herausgebildet hat.

Innerhalb der Magazine entstand eine Art ‚Standardgerüst‘ für True Crime Erzählungen, die noch immer häufig Anwendung findet und auf einer vierteiligen Struktur basiert:

[A] readily identifiable four-part narrative structure of murder-pursuit-trial-execution [87] (Hervorhebung durch Lucia Heymann), a preoccupation with similar types of killers, killings, and victims, the desire to portray murder in a social context, and an overriding sense of the inevitability of evil.88

Interessant ist an dieser Stelle, dass schon damals der Fokus auf den Wunsch gerichtet wurde, den Mord in einem sozialen Kontext darzustellen, was in der Historie von True Crime eine zunehmend größere Rolle eingenommen hat und in aktuellen Serien weitergedacht wird. Gleichzeitig werden hier Parallelen zu Erzählkonventionen deutlich, wie wir sie aus zeitgenössischen Medien kennen89 und die grundsätzlich auch im klassischen Krimigenre wiedergefunden werden können. Inwieweit sich das aktuelle True Crime Genre an diesen Erzählkonventionen orientiert bzw. sich von ihnen loslöst, wird später in der Analyse untersucht.

Mit Blick zurück auf die Historie des Genresist in diesem Fall, istaußerdem der soziale Kontextin diesem Fallwichtig zu erwähnen da sich der Der stetige Anstieg des True Crime Genres in den 1970er Jahren deckte sich zeitlich mit der damals hohen Kriminalitätsrate deckte.und b B ekannte Verbrecher*innen wie Charles Manson lieferten willkommenes Material für Bücher, Filme etc.lieferten.90 Der Fokus auf den psychologischen und persönlichen Geschichten der Mordenden wurde in den 1970er Jahren weiter fortgesetzt, wie man anhand der literarischen Verkaufsschlager In Cold Blood von Truman Capote oder Helter Skelter von Curt Gentry und Vincent Bugliosi erkennen kann.91 In Capotes In Cold Blood wurde sich erneut an der vierteiligen Struktur (Mord, Verfolgung des Verbrechers, Prozess, Hinrichtung/Nachspiel) orientiert. Durch seinen Roman wurden zudem weitere narrative Konventionen für das True Crime Genre etabliert, die im anschließenden Kapitel näher beleuchtet werden.92

Ab den 1980er und 1990er Jahren erlangte das Genre zusätzlich weitere Prominenz. Film und Fernsehen hatten mit der Zeit den Platz von Büchern und Magazinen eingenommen und stellten somit eine wichtige Erweiterung für den US-amerikanischen True Crime Markt dar.93 „Film has been an immensely important strand in the evolution of true crime in American popular culture […].”94 Der Film habe ebenfalls zur Popularität der filmischen Figur des Psychopathen*Psychopathin beigetragen, während zeitgleich die Fähigkeiten der Polizei in Frage gestellt und kritisiert wurden,95 was auch heute noch relevant ist. Wie in der Literatur haben sich auch hier Erzählkonventionen und andere typische Merkmale im True Crime Film (und Fernsehen) etabliert, die gleichermaßen in ihrer Qualität oder kulturellen Einflüssen variieren.96 Konsequenterweise trat der Film vor allem durch seine visuellen Komponenten hervor, die das True Crime Genre damals noch einmal erheblich veränderten und eine entsprechend andere Wirkungsweise und neuartige Rezeption herbeiführten.97 Murley spricht dem Film in diesem Zusammenhang im Vergleich zu den Printmedien eine tiefergreifende, sozialere Komponente zu, die vor allem auf einem parallel stattfindenden Erleben des Geschehens mit mehreren Sinnen fußt: “With film, the consumption and enjoyment of true-crime narratives becomes a multisensory experience, one with the potential for immediate social effects.”98

Um die historische Entwicklung des True Crime Genres abzuschließen, hat sich im 21. Jahrhundert mit der Abkehr von dem*der allseits beliebten Serienmörder*in als zentrale Figur eine noch kritischere und analytischere Form des True Crime Genres herausgebildet.99 Horeck fasst treffend zusammen, dass viele der heutigen True Crime Dokumentationen aufgrund ihres Fokus auf soziale und politische Themen eine Art ‚Gütesiegel‘ zugesprochen bekämen: „many of today’s true crime entertainments have an added cachet that comes from their increasing association with the social and political purchase of the documentary form.“100

Bevor das Genre in seinen inhaltlichen Details (überwiegend im Film) besprochen wird, ist abschließend wichtig festzuhalten, dass sich True Crime Erzählungen innerhalb ihrer historischen Umstände von Zeit zu Zeit verändert haben,101 was wiederum für den stetigen Wandel von Genres spricht. Es lässt sich zusammenfassen, dass die Entwicklung des True Crime Genres wie wir es heute kennen, von anderen Medien wie Magazinen, Büchern oder dem Journalismus in unterschiedlicher Art und Weise beeinflusst wurde und sich dabei spezifische Konventionen in Form, Narration oder Inhalt herausgebildet haben. Dabei steht fest, dass sich die Ursprünge und Grundlagen für dessen filmische Umsetzung wesentlich im Print wiederfinden lassen, während sich auch heute noch Parallelen zu Büchern und Magazinen zeigen. Ebenfalls haben sich Bedeutung und Funktion des Genres im Laufe der Zeit – vor allem mit dem Aufkommen des filmischen Mediums – verändert, was nachfolgend näher beschrieben wird, um wichtige Grundlagen für die Kontextanalyse zu schaffen.

2.2.2 Charakteristika und Merkmale im True Crime Film

Der Forschungsstand zum True Crime weist innerhalb der Filmwissenschaft bis dato wenig Publikationen auf, weshalb sich im Folgenden weiterhin an den Arbeiten von Murley102 und Horeck103 orientiert wird, die in ihren Werken auch auf die Entwicklung und Eigenschaften im Film eingehen. Murley unterscheidet dabei auch zwischen der Entwicklung im Film und der im Fernsehen.104

[...]


1 Stokowski (2021) (Internetquelle).

2 Darüber hinaus ließen sich allein auf Netflix insgesamt über 100 True Crime Formate eigenhändig zählen.

3 Siehe z.B. Mikos (2015), S. 286ff.

4 Vgl. Hickethier (2019), S. 13.

5 Vgl. Murley (2017).

6 Vgl. Horeck (2019), S. 17.

7 Vgl. Mikos (2015), S.55ff.

8 Ebd., S.60.

9 Vgl. ebd., S. 55ff.

10 Vgl. Stigglegger (2020).

11 Vgl. Punnett (2018), S. 2.

12 Siehe z.B. Murley (2008, 2017), Seltzer (2007).

13 Vgl. Brandstätter (2011), S.13. Siehe ebenfalls dazu Kapitel 1 Genretheorien und Genrekonzepte. In: Filmwissenschaftliche Genreanalyse: Eine Einführung von Markus Kuhn et al. (2013).

14 Hickethier (2012), S. 205.

15 Vgl. ebd.

16 Vgl. Tas (2005), S. 13.

17 Für die Filmwissenschaft wird sich entsprechend vor allem auf Knut Hickethier, Rick Altman, Markus Kuhn sowie Lothar Mikos berufen. Da zur Genretheorie jedoch die unterschiedlichsten Ansätze vorliegen, werden zusätzlich weitere Theorien herangezogen. Die genannten Autoren haben allerdings einige Basistheorien zur Genrethematik im Film verfasst, die sich für die vorliegende Arbeit besonders gut eignen.

18 Mikos (2018), S. 2.

19 Vgl. ebd.

20 Hickethier (2012), S. 205.

21 Vgl. Mikos (2018), S. 2.

22 Vgl. ebd., S. 3.

23 Ebd.

24 Ebd.

25 Ebd.

26 Vgl. Mikos (2018), S. 3, Kuhn et al. (2013).

27 Mikos (2018), S. 2.

28 Vgl. ebd.

29 Vgl. ebd.

30 Ebd., S. 2f.

31 Mikos (2015), S. 255.

32 Vgl. ebd.

33 Vgl. Altman (1999), S. 49, S. 54 ff.

34 Kuhn et. al. (2013), S. 8.

35 Mikos (2015), S. 258.

36 Vgl. ebd., S. 256.

37 Vgl. Altman (1999).

38 Vgl. Schroer (2018).

39 Vgl. Casetti (2001), S. 167. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass eine Nennung aller Funktionen im Detail in diesem Zusammenhang nicht notwendig ist und ausschließlich erwähnt werden soll, dass (manche) Genres eine wichtige Rolle innerhalb der Gesellschaft tragen.

40 Winter (2020), S. 113.

41 Vgl. ebd.

42 Ebd.

43 Vgl. Casetti (2001), S. 167f.

44 Ebd., S. 167.

45 Vgl. Winter (2020), S. 125.

46 Vgl. Mikos (2015), S. 260.

47 Vgl. ebd., S. 262.

48 Sowohl bei Genre-Hybridität als auch Genre-Mixing handelt es sich grundsätzlich um das Mischen verschiedener Genres in einem Film oder einer Sendung etc. Während im Modell des Genre-Mixings die Genres klar voneinander zu differenzieren sind, sind die Genres in Genre-Hybriden nur noch als Spuren zu sehen und es entsteht etwas Neues. Vgl. Scheinpflug (2014), S. 137ff., Mundhenke (2017), S. 32.

49 Vgl. Mundhenke (2020), S. 231ff. Was die Unterscheidung von Genre-Hybridität und Genre-Mixing belangt, herrschen innerhalb der Forschung teilweise abweichende Definitionen. Jason Mittell ((2004), S. 154.) z.B. bevorzugt den Ausdruck des ‚Genre Mixings‘, da er ‚Hybridität‘ in einem ausschließlich biologischen Kontext versieht.

50 Vgl. Scheinpflug (2014), S. 137.

51 Vgl. Mikos (2015), S. 263.

52 Vgl. Bosshart (1979), S. 191.

53 Vgl. ebd.

54 Buhl (2020), S. 468.

55 Hoffmann (2007), S. 15.

56 Ebd.

57 Vgl. Stiglegger (2020), S. 3ff.

58 Vgl. Kuhn et al. (2013), S. 5.

59 Vgl. Mittell (2004), S. 5f.

60 Vgl. ebd., S. 9f.

61 Zum besseren Textverständnis wird True Crime nachfolgend jedoch als Genre und nicht als Subgenre bezeichnet.

62 Punnett (2018), S. 2.

63 Vgl. hierzu bspw. Kaleyta (2018) (Internetquelle). Gemeint sind an dieser Stelle populäre Podcasts wie „Zeit - Verbrechen“, „Mordlust“, „Mord auf Ex“ oder „Serienkiller - Mörder und ihre Geschichten“ (abrufbar auf Spotify).

64 Vgl. Punnett (2018), S. 1.

65 Vgl. ebd., S. 3.

66 Ebd., S. 2.

67 Vgl. ebd.

68 Murley (2008), S. 2.

69 Ebd.

70 Vgl. Worden (2020), S. 20. Die Bezeichnung „dokumentarisches Genre“ ist in diesem Fall schwierig, da die Untersuchungsgegenstände fiktionale True Crime Serien sind und sich somit nicht eindeutig in die Gattung „Dokumentarfilm“ einordnen lassen.

71 Vgl. Seltzer (2007), S. 2.

72 Vgl. Browder (2010), S. 125.

73 Vgl. Horeck (2019), S.7.

74 Vgl. Murley (2008), S. 2.

75 Vgl. Browder (2010), S. 122.

76 Vgl. ebd.

77 Vgl. ebd.

78 Vgl. ebd., S. 123.

79 Vgl. ebd.

80 Vgl. ebd.

81 Vgl. ebd., S. 123f.

82 Vgl. Murley (2008), S. 15.

83 Neben diesem Exemplar gab es noch einige andere, die aber für die den Kontext der Arbeit nicht weiter relevant sind.

84 Vgl. Murley (2008), S. 2.

85 Vgl. ebd.

86 Vgl. Lilienfeld et al. (2018).

87 Mord - Verfolgung des Mordenden - Prozess - Hinrichtung/Nachspiel

88 Murley (2008), S. 4.

89 Vgl. Punett (2019), S. 7.

90 Vgl. Murley (2008), S. 3.

91 Sowohl In Cold Blood als auch Helter Skelter behandeln Geschichten von Mordenden bzw. Serienmordernden. In Helter Skelter wird die Geschichte und der Prozess gegen Charles Manson und Mitglieder der Manson Family thematisiert.

92 Vgl. Murley (2017), S. 289.

93 Vgl. Murley (2008), S.80f. und S. 111.

94 Ebd., S. 79.

95 Vgl. ebd.

96 Vgl. ebd., S. 80.

97 Vgl. ebd.

98 Ebd., S. 80.

99 Vgl. Murley (2017), S. 289.

100 Vgl. Horeck (2019), S. 18.

101 Vgl. Murley (2008), S. 6.

102 Murley (2008, 2017)

103 Horeck (2019)

104 Vgl. Murley (2008), S. 79-132.

Ende der Leseprobe aus 78 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklung des True Crime Genres in den USA. Warum ist das Genre so populär?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
1,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
78
Katalognummer
V1278680
ISBN (Buch)
9783346760296
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
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Schlagworte
True Crime, When They See Us, American Crime Story, Unbelievable, Netflix, Fiction, Doku, USA, Serien, Dramaturgie, Genreanalyse, Genremixing, Kritik, Making a Murderer, Kontextanalyse, The Assassination of Gianni Versace, TrueCrime, Wahre Verbrechen, Genre
Arbeit zitieren
Lucia Heymann (Autor:in), 2022, Die Entwicklung des True Crime Genres in den USA. Warum ist das Genre so populär?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1278680

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