„Germinal, Germinal“ skandierten am 5. Oktober 1902 anlässlich der Beerdigung des Schriftstellers Émile Zola einige Minenarbeiter, für die „ce diable de roman“ nicht nur ein Experimentalroman, ein literarisches Projekt, das mit exakter Wissenschaftlichkeit die Welt der Industriearbeiter auf dem Land in Nordfrankreich erschließt, darstellte, sondern vielmehr zu einem „cri de justice“ geworden war. Noch heute zählt der 1884/85 entstandene Roman zu den bekanntesten und am meisten verbreiteten von Zolas Werken. Germinal stellt innerhalb des Rougon-Macquart-Zyklus den 13. Roman und nach L’Assommoir den zweiten Roman über die Welt des Volkes dar und weitet damit den politisch-sozialen Raum der Rougon–Macquart–Reihe auf die Industriearbeiter aus. Die Ausweitung des sozialen Raums in Germinal und die Vergegenständlichung der Arbeiter in der Literatur ist die notwendige Konsequenz des programmatischen Naturalismus Zolas. Damit liefert er die radikalste Antwort auf die Frage, mit der sich französische Romanautoren im 19. Jahrhundert wie Balzac und Stendhal auseinander setzten: Auf die Frage der Mimesis, der Nachahmung von Realität und der Aneignung des gesellschaftlichen Raums in der Literatur.Die vorliegende Arbeit wird sich dieser Frage anhand einer Raumanalyse des Romans Germinal nähern, wobei unter Raum der gesamte Handlungsraum, sowohl die Topographie als auch die Innenräume, subsumiert wird. Zunächst soll der zentrale Konflikt des Romans zwischen Kapital und Arbeit näher betrachtet werden. Denn jener bildet den Ausgangspunkt für die Untersuchung, inwiefern sich dieser Konflikt in einer semantischen Raumstruktur widerspiegelt, die zwei sich antithetisch gegenüberstehende Räume, die Welt der Arbeiter und die der Bourgeoisie, konstituiert. Dies soll anhand der Analyse und Interpretation exemplarischer Textausschnitte erfolgen, wobei stets zu fragen ist, wodurch sich der jeweilige Raum auszeichnet, wie er charakterisiert wird und aus welcher Perspektive er dem Leser präsentiert bzw. durch wen beobachtet wird und welche Funktion die Beschreibung einnimmt. Es wird sich zeigen, dass Zola in seinem Roman eine Topographie des Klassenantagonismus entwirft, in welcher der Streik und die Bewusstwerdung der Arbeiter eine Grenzüberschreitung darstellen und die Mine zum mythischen Ort des Kampfes stilisiert wird.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Konflikt von Kapital und Arbeit als Leitkontrast
- Die Handlungsstruktur
- Die Figurenkonstellation
- Die Topographie des Klassenantagonismus
- Die Konstituierung des semantischen Raums
- Die Konstituierung des geographischen Raums
- Der Raum der Arbeit
- Die Landschaft des Voreux
- Die Arbeitersiedlung und das Haus der Maheu
- Der Raum des Kapitals
- Die Landschaft der Piolaine
- Das Haus der bourgeoisen Familie Grégoire
- Das Voreux als mythischer Ort und der Streik als Grenzüberschreitung
- Fazit
- Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert Émile Zolas Roman „Germinal“ im Kontext der sozialen Frage im 19. Jahrhundert. Sie untersucht den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit als zentralen Aspekt des Romans und beleuchtet, wie dieser Konflikt in der Raumstruktur des Romans zum Ausdruck kommt. Die Arbeit konzentriert sich auf die Darstellung der Welt der Arbeiter und der Bourgeoisie und analysiert die semantischen und geographischen Räume, die diese beiden Klassen voneinander trennen.
- Der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit als zentrales Thema des Romans
- Die Darstellung der Welt der Arbeiter und der Bourgeoisie
- Die Analyse der semantischen und geographischen Räume, die diese beiden Klassen voneinander trennen
- Die Rolle des Streiks als Grenzüberschreitung und die Bedeutung des Voreux als mythischen Ort
- Die Anwendung der naturalistischen Methode Zolas auf die Darstellung des Klassenkampfes
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des Romans „Germinal“ ein und beleuchtet die Bedeutung des Werkes im Kontext der sozialen Frage im 19. Jahrhundert. Sie stellt Zolas naturalistische Methode und seine Absicht, die Welt der Industriearbeiter in all ihren Ausprägungen darzustellen, vor. Die Einleitung führt außerdem die Raumanalyse als Methode der Untersuchung ein und erläutert die Bedeutung des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit für die Analyse der Raumstruktur des Romans.
Das zweite Kapitel analysiert den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit als Leitkontrast des Romans. Es beleuchtet die Handlungsstruktur des Romans, die durch den Streik der Arbeiter und den Kampf gegen die Bergbaukompanie geprägt ist. Das Kapitel untersucht auch die Figurenkonstellation des Romans und die Rolle der verschiedenen Charaktere im Konflikt zwischen Kapital und Arbeit.
Das dritte Kapitel widmet sich der Topographie des Klassenantagonismus im Roman. Es analysiert die Konstituierung des semantischen Raums, der die Welt der Arbeiter und die der Bourgeoisie voneinander trennt. Das Kapitel untersucht auch die Konstituierung des geographischen Raums und die Bedeutung der verschiedenen Orte im Roman, wie die Landschaft des Voreux, die Arbeitersiedlung und das Haus der Maheu sowie die Landschaft der Piolaine und das Haus der bourgeoisen Familie Grégoire.
Das vierte Kapitel analysiert das Voreux als mythischen Ort des Kampfes und den Streik als Grenzüberschreitung. Es untersucht die Bedeutung der Mine als Ort des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit und die Rolle des Streiks als Ausdruck der Bewusstwerdung der Arbeiter.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Klassenantagonismus, den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, die soziale Frage im 19. Jahrhundert, den Naturalismus, die Raumanalyse, die Topographie, die semantische Raumstruktur, der Streik, die Mine, das Voreux, die Arbeitersiedlung, die Bourgeoisie, die Arbeiter, Émile Zola, „Germinal“.
- Quote paper
- Janin Taubert (Author), 2004, Emile Zolas Roman "Germinal" – Im Lichte einer Topographie des Klassenantagonismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127869