Wilhelm Lehmann - Lyrische Einheit der Natur


Term Paper, 2009

23 Pages


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Gliederung

I. Einleitung

II. Naturlyrik

III. Biographische Grundzüge Wilhelm Lehmanns

IV. Interpretationen
1. „An meinen ältesten Sohn“
2. „Altjahrsabend“
3. „Signale“
4. „Abgeblühter Löwenzahn“

V. Fazit und Ausblick

I. Einleitung

Über Wilhelm Lehmann schreiben heißt: Über einen nahezu Unbekannten, wenn nicht in weiten Kreisen bereits Vergessenen schreiben. Der Name Wilhelm Lehmann ruft nicht nur bei sogenannten Laien, sondern auch bei Germanistikstudenten oder gar Lehrern der jüngeren Generation Unkenntnis und Ratlosigkeit hervor. Die wenig vorhandene Forschungsliteratur spiegelt diesen Befund in deutlicher Weise wider.[1] Dabei wird Lehmann in einschlägigen Lexika und Überblicksdarstellungen in Reihung mit Oskar Loerke, Karl Krolow und Peter Huchel gestellt.[2] Man könnte also konstatieren, dass seine Bedeutung für die deutsche Literaturgeschichte unumstritten ist, eine Beschäftigung mit Lehmann aber wohl zu wenig ergiebig und lohnenswert scheint. Zu Lehmanns Lebzeiten wurden seine literarischen Ambitionen durchaus honoriert, was sich u.a. an der Verleihung des Heinrich-von-Kleist-Preises im Jahre 1923 durch Alfred Döberlin an Lehmann und Robert Musil zeigt.[3] Außerdem nahm Lehmann an literarischen Gesellschaften mit z.B. Loerke, Buber, Hauptmann und Rathenau teil; auch dies zeigt die allgemeine Wertschätzung, welche Lehmann erfahren hat.[4] Doch auch im öffentlichen literarischen Bewusstsein wurde Lehmann geachtet und in Rezensionen seiner Werke hoch geschätzt und positiv besprochen.

Kritik an Lehmann als Person wurde jedoch besonders in der Bundesrepublik zur Zeit der Studentenbewegungen geäußert, welche ihm Opportunismus und seine Mitgliedschaft in der NSDAP vorwarf. Als Folge dessen geriet v.a. in dieser „politischen Zeit“ Lehmann und seine als apolitisch angesehene Lyrik in Vergessenheit.[5]

Lange Zeit wurde Lehmanns Schaffen als strikt der Naturlyrik immanentes Dichten und Schreiben gesehen.[6] Naturlyrik galt in der Zeit der politischen Unruhen als nicht mehr dem Zeitgeist adäquat. Sofern man Natur nicht als Vegetation, sondern als „Möglichkeit wahren menschlichen Daseins“[7] definiert, gewinnt der Begriff Naturlyrik eine Schwingungsbreite, welche auch der Lyrik Lehmanns immanent ist.

Diese Arbeit hat zum Ziel, unter Zuhilfenahme einzelner Auszüge seiner Lyrik an Wilhelm Lehmann heranzuführen sowie vereinzelte Charakteristika und Grundzüge des Dichters darzustellen und somit den Zugang zu Lehmann und seinem Werk zu erleichtern.

Um dieses Ziel zu verwirklichen, ist es zuvorderst unerlässlich, das Phänomen der Naturlyrik in Grundzügen zu skizzieren und damit verbunden einzelne Tendenzen der Lyrikproduktion in der Zeit des Dritten Reiches und im Nachkriegsdeutschland aufzuzeigen.

Anschließend ist es folgerichtig, das Leben Wilhelm Lehmanns und seine Naturstudien im Hinblick auf seine Gedichte hin darzustellen und zu befragen.

Im Hauptteil dieser Arbeit werden einzelne Gedichte Lehmanns aus den Gedichtsammlungen „Antwort des Schweigens“, „Der grüne Gott“ und „Entzückter Staub“ herangezogen werden, um daran zu erörtern, ob Lehmann wirklich „nur“ ein apolitischer, detailverliebter Natur- und deshalb auch ein zu Recht meist unbeachteter Lyriker war und ist.

Im Anschluss daran werden die Ergebnisse gebündelt und Lehmanns Verdienste um eine deutsche Lyrik und Literatur dargestellt werden.

Die Lehmann-Forschung ist keineswegs imposant oder gar umfangreich zu nennen. Die bis heute maßgebliche Monographie über Lehmann stammt von Hans-Dieter Schäfer aus dem Jahre 1969. Diese Arbeit entstand zum Großteil noch zu Lebzeiten Lehmanns und wurde in engem Kontakt mit diesem geschrieben. Dass hierbei die Nähe zu Lehmann und das „Zurückhalten“ einzelner Dokumente durch Lehmann selbst problematisch sein können, ist selbstverständlich.[8]

Gesondertes Interesse gilt Lehmanns „Bukolischen Tagebüchern“, seinen Mythenrezeptionen in Roman und Dichtung und seiner Naturauffassung. Lehmanns Lyrik ist zwar jener Teil seines Schaffens, welcher ihm einen Platz in der Literaturgeschichte sichert, eine ganzheitlich angelegte Bearbeitung und Erforschung seiner Lyrik ist aber dennoch bis heute nicht geschehen.

II. Die Naturlyrik

Oft wird Naturlyrik als Mittel und Ausdruck der „Inneren Emigration“ angesehen. Lehmann gehört, trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft, in die Reihe der „Unerwünschten Autoren“ im Dritten Reich und publizierte in einem Widerstands-Verlag. Dennoch konnte Lehmann sich und seinem lyrischen Konzept auch unter der Nazi-Diktatur treu bleiben; seine Lyrik ist gerade nicht Folge der politischen Verhältnisse, sondern Ausdruck seines Kunstverständnisses.[9] Dennoch wird er im Allgemeinen der Bewegung der „Inneren Emigration“ zugerechnet.[10] Besonders von den Exilautoren (vgl. die heftige Debatte zwischen Thomas Mann und Walter von Molo) wurden den „inneren Emigranten“ der Anspruch auf ein literarisches Gewissen abgesprochen. Den Naturlyrikern wurde neben „dem Verbrechen, über Bäume zu schreiben“ (Brecht) auch vorgeworfen, dass sie durch ihre (unkritischen) Gedichte dem Nazi-Regime erlauben, „den Schein einer dichterischen Vielfalt und einer lebendigen literarischen Öffentlichkeit aufrecht zu erhalten“[11].

Im Gegenzug konnte die Bevölkerung in den Naturgedichten einen letzten Rest von Freiheit empfinden und hatte eine Rückzugsmöglichkeit vor den Grausamkeiten des Alltags.

Auch zu Zeiten des „Kahlschlags“ (Weyrauch) und der „Trümmerliteratur“ blieb Lehmann seiner Dichtersprache treu. Er ließ seine Poetologie nicht von politischen und gesellschaftlichen Interessen vereinnahmen.[12] Lehmann teilte nicht die Überzeugung einzelner Autoren, dass die Sprache an diktatorischer Propaganda und Emphase überladen sei und deshalb „nackt“ (Schnurre) werden müsse. Allein in seiner Tätigkeit als Dichter zeigt er sich in deutlicher Opposition zu Brecht („Verbrechen des Dichtens über Bäume“) und Adorno („Barbarei nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben“). In seinen Gedichten wird weder seine Sprache „geschoren“, noch spiegelt sich in ihr die Welt der Trümmer wider. In der Alltagsflucht lässt sich bei manchen Autoren die Neigung erkennen, statt der Wirklichkeit eine Idylle zu versprachlichen, welche sich durch gleich bleibende Rhythmik, Gelassenheit und Ausgewogenheit des Gedichtes charakterisiert. Lehmann steht m.E. zwischen diesen Positionen.

Mit dem Aufkommen der „politischen Naturlyrik“ wird der Begriff Naturlyrik an sich bereits in Frage gestellt. Die Natur wird darin als kranke Natur gezeichnet, welche als pars pro toto leidet. Lehmann blendet im Gegensatz dazu die politische Wirklichkeit weitestgehend aus, was aber nicht heißen soll, dass er sich seiner Lebensumstände nicht bewusst war.[13]

Lehmann in diese kurz skizzierten Strömungen einzuordnen, kann nicht zur vollkommenen Zufriedenheit erfolgen. Ihn außerhalb der (politischen) Welt zu sehen, die ihn umgab, würde ebenso wenig greifen wie ihn auf einen Naturlyriker politischer Prägung oder gar eines Trümmerliteraten festlegen zu wollen.

III. Biographische Grundzüge Wilhelm Lehmanns

„Wilhelm Lehmann wurde am 4. Mai 1882 in der Hafenstadt Puerto Cabello (Venezuela) geboren“[14] ; verstorben ist er am 17. November 1968 in Eckernförde. Er studierte u.a. in Tübingen und Berlin Lehramt, welches er mit dem Staatsexamen abschloss. Anschließend war er als Lehrer und Erzieher tätig. Trotz dieser „normalen“ äußeren Lebensumstände musste Lehmann am Ende seines Lebens auf eine sorgenvolle Kindheit, Jahre des eifrigen Lernens und der Existenzängste während des Studiums sowie auf einen Lehrberuf, welchen er wohl nicht als adäquat bezeichnen würde, zurückblicken.[15] Die schweren Jahre, in welchen er um seine Veröffentlichungen kämpfte, taten ihr übriges.

Nach seiner Geburt und den ersten Lebensjahren siedelte Lehmann mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Hamburg über.[16] Nachdem der Vater dem Alkoholismus und seinen geliebten Tropenwäldern verfallen war, verließ er die Familie, als Wilhelm Lehmann fünf Jahre alt war. Die folgenden Jahre versuchte die Mutter mit Energie und Diziplin die Familie zu ernähren und zu erziehen. In diese Jahre dürften auch die ersten Auseinandersetzungen Lehmanns mit seiner Mutter fallen, in welchen sich Phantasie und Pragmatismus gegenüberstanden. Das Verhältnis zwischen Lehmann und seiner Mutter blieb zeitlebens schwierig. Früh machte sich bemerkbar, dass Lehmann über keine große Affinität zu den humanistischen Sprachen verfügte, jedoch entwickelte er großes Interesse für moderne Fremdsprachen, wobei besonders das Englische – darin folgte er seiner Mutter – zu nennen ist. Lehmann nahm nach seinem Abitur das Studium des Englischen und Französischen in Tübingen auf. Vermutlich war Lehmann darin von seiner Mutter geprägt, welche in England als Erzieherin gearbeitet hatte.[17] Er selbst reiste des Öfteren nach England und promovierte auch über ein Thema aus der angelsächsischen Sprachgeschichte. Lehmann zeigte sich bereits in seiner Schulzeit als Bewunderer von Storm, Mörike, Hauptmann und Hofmannsthal; Letzterem schickte er auch seine Gedichte.

[...]


[1] Vgl.: Schäfer, Hans-Dieter: Wilhelm Lehmann. Studien zu seinem Leben und Werk. Bonn, 1969, Vorbemerkung. (=Abhandlungen zur Kunst,- Musik- und Literaturwissenschaft, Bd. 66). Im Folgenden: Schäfer, 1969.

[2] Vgl. z.B. Beutin, Wolfgang (Hrsg.), Klaus Ehlert, Wolfgang Emmerich, u.a.: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart, Weimar, 2001, S.445. Im Folgenden: Beutin, 2001.

[3] Vgl.: Grober, Ulrich: Der Sang an die große Natur – Ein neuer Blick auf Wilhelm Lehmanns „Bukolisches Tagebuch“. In: Wilhelm Lehmann zwischen Naturwissen und Poesie. Hrsg. v. Uwe Pörksen. Tübingen, 2008, S.26-33. Hier: S.30 (=Sichtbare Zeit. Journal der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft; 3). Im Folgenden: Grober, 2008. Und: Schäfer, 1969, S.44.

[4] Vgl. im Folgenden: Schäfer 1969, S.32f.

[5] Schäfer, 1969, S.76f.

[6] Vgl.: Schäfer, 1969, Vorbemerkung. Und: Kobel-Bänninger, Verena: Zeit in der Zeit: Ein neuer Weg zu Wilhelm Lehmanns lyrischem Werk. In: Journal of English and Germanic Philology, 90/1 (1991), S.79-105. Hier: S.79f. Im Folgenden: Kobel, 1991.

[7] Kobel, 1991, S.80.

[8] Schäfer, 1969, Vorbemerkung.

[9] Vgl.: Schäfer, 1969, S.57.

[10] Vgl. im Folgenden: Beutin, 2001, 444-446.

[11] Beutin, 2001, S.446.

[12] Vgl.: Schäfer, 1969, S.193.

[13] Vgl.: Beutin, 2001, S.496f.

[14] Schäfer, 1969, S.1. Sowie mit geringen Abweichungen: Jung, Jochen: Von Venezuela nach Venezuela. Kleines Gedankenrauschen über einen großen Dichter. In: Wilhelm Lehmann zwischen Naturwissen und Poesie. Hrsg. v. Uwe Pörksen. Tübingen, 2008, S.9-23. Hier: S.9 (=Sichtbare Zeit. Journal der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft; 3). Im Folgenden: Jung, 2008. Über die Bedeutung seines Geburtsortes für Lehmann vgl.: Jung, 2008.

[15] Jung, 2008, S.15.

[16] Vgl. im Folgenden: Schäfer 1969, 1-12.

[17] Vgl.:Goodbody, Axel: Lehmanns „Bukolische Tagebücher“: Der Dichter als „Nature Writer“. In: Wilhelm Lehmann zwischen Naturwissen und Poesie. Hrsg. v. Uwe Pörksen. Tübingen, 2008, S.51-67. Hier: 57.(=Sichtbare Zeit. Journal der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft; 3). Im Folgenden: Goodbody, 2008.

Excerpt out of 23 pages

Details

Title
Wilhelm Lehmann - Lyrische Einheit der Natur
College
University of Augsburg
Author
Year
2009
Pages
23
Catalog Number
V128118
ISBN (eBook)
9783640352234
ISBN (Book)
9783640352227
File size
476 KB
Language
German
Keywords
Wilhelm, Lehmann, Lyrische, Einheit, Natur
Quote paper
David Fabian Götz (Author), 2009, Wilhelm Lehmann - Lyrische Einheit der Natur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128118

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