Auch der Protagonist in Alejo Carpentiers Roman Los pasos perdidos unternimmt eine Reise, die ihn in die Vergangenheit führen wird. Wie Marlow, den Binnenerzähler in Conrads Heart of Darkness, fühlt er sich auf seiner Reise durch Südamerika in prähistorische Zeiten, in die „noche da las edades“ , versetzt.
In einer westlichen Großstadt, die, wie er selbst, namenlos bleibt, auch wenn es eindeutige Hinweise darauf gibt, dass es sich um New York handelt , verdient er, ursprünglich Musikwissenschaftler, sein Geld damit für die musikalische Untermalung von Werbespots zu sorgen. Frustriert von der Eintönigkeit seines Berufs und von der Ehe mit der Theaterschauspielerin Ruth flüchtet er sich nachts in Alkoholexzesse in den Bars der Stadt oder in die Boheme-Kreise in denen seine Geliebte Mouche verkehrt. Sein Leben erfährt eine plötzliche Veränderung, als er auf der Straße zufällig auf einen alten Bekannten trifft, der Kurator ist und ihn damit beauftragt für die Sammlung der Universität in den abgelegenen Dschungelregionen eines lateinamerikanischen Landes nach seltenen archaischen Musikinstrumenten zu suchen. Zunächst widerwillig, tritt er gemeinsam mit Mouche die Reise an. Aus der Landeshauptstadt , wo er sich ins neunzehnte Jahrhundert versetzt fühlt, kommt er zunächst in das Städtchen Los Altos. Unterwegs zu dem Flusshafen Santiago de los Aguinaldos, lesen sie auf einem Bergpass eine fast erfrorene Frau auf, die Rosario heißt. Von einem Mann, der der Pionier (el adelantado) genannt wird, erfährt der Erzähler, dass er die gesuchten Instrumente in einem indianischen Dorf finden kann, das drei Tagesreisen auf dem Fluss entfernt liegt und nur durch einen geheimen, nur ihm bekannten Zugang zu erreichen ist. Weitere Begleiter auf der Schifffahrt in den Urwald sind der griechische Diamantensucher Yannes und der Kapuzinermönch Fray Pedro de Henostra. Mouche, die den Strapazen der beschwerlichen Reise immer weniger gewachsen ist und dem Protagonisten zunehmend zur Last fällt, wird eines Tages von Rosario, weil sie ihr bei einem gemeinsamen Bad an einem Wildbach lesbische Avancen macht, verprügelt. Der Erzähler beginnt nun eine Beziehung mit Rosario und die beiden schicken Mouche, die inzwischen an Malaria erkrankt ist mit einem Botaniker den sie im Urwald kennen gelernt haben, zurück in die Stadt...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Zeit Lateinamerikas
- Die Gleichzeitigkeit verschiedener Epochen in Lateinamerika bei Carpentier und Paz
- Psychoanalytischer Exkurs: Das Paradies als (verlorene) Ureinheit, bei Paz, Rank und Platon
- Umkehrung der Zeit? Die Erzählung Viaje a la semilla
- Vergangenheit? Gegenwart? Zukunft?
- Zeit der Enttäuschung - Das Europa-Bild im Neunte(n) Symphonie-Kapitel
- Gefangene der Zeit - Das Leben in New York
- Ausbruch aus der Zeit – Das Leben im Urwald
- Schluss: Versuch einer Synthese der Zeiten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Alejo Carpentiers Roman "Los pasos perdidos" im Hinblick auf seine Darstellung von Zeit und Paradiessehnsucht. Der Fokus liegt auf der Analyse der spezifischen lateinamerikanischen Zeitlichkeit, wie sie Carpentier beschreibt und literarisch umsetzt. Dabei wird auch die Umkehrung der Zeit in Carpentiers Erzählung "Viaje a la semilla" betrachtet.
- Die spezifische Zeitlichkeit Lateinamerikas und ihr Einfluss auf die Erzählstruktur
- Das Motiv der Paradiessehnsucht und seine psychoanalytische Interpretation
- Die Reise des Protagonisten als Metapher für die Konfrontation mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
- Der Kontrast zwischen dem Leben in der westlichen Großstadt und dem Leben im Urwald
- Die literarische Umsetzung des Konzepts der Gleichzeitigkeit verschiedener Epochen
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik des Romans "Los pasos perdidos" ein und stellt die Reise des Protagonisten als zentrale Metapher für die Konfrontation mit der Vergangenheit dar. Sie vergleicht die Reiseerfahrung des Protagonisten mit der von Marlow in Joseph Conrads "Heart of Darkness" und deutet auf die Bedeutung der "noche de las edades" hin. Die Einleitung dient als Ausgangspunkt für die anschließende detaillierte Analyse der zeitlichen Strukturen und der Paradiessehnsucht im Roman.
Die Zeit Lateinamerikas: Dieses Kapitel befasst sich mit Carpentiers Konzept der spezifischen lateinamerikanischen Zeitlichkeit, die durch das gleichzeitige Nebeneinander verschiedener Epochen gekennzeichnet ist. Es analysiert dieses Phänomen im Kontext von Carpentiers Werk und vergleicht es mit den Ideen von Octavio Paz in "El laberinto de la soledad". Ein psychoanalytischer Exkurs beleuchtet die Paradiessehnsucht als Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Ureinheit. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Epochen wird als genuin lateinamerikanisches Phänomen vorgestellt und dessen literarische Umsetzung in "Los pasos perdidos" wird analysiert.
Umkehrung der Zeit? Die Erzählung Viaje a la semilla: Dieses Kapitel untersucht Carpentiers Erzählung "Viaje a la semilla" als Beispiel für eine Umkehrung der traditionellen Zeitlichkeit. Die umgekehrte Chronologie des Lebenslaufs eines kubanischen Adligen wird detailliert analysiert, wobei die Umkehrung aller zeitlichen Kausalitäten hervorgehoben wird. Beispiele wie das verkehrtherum laufende Uhren und die mit dem Erreichen der Minderjährigkeit verlorengehende Rechtskraft der Unterschrift verdeutlichen die literarische Umsetzung dieser Zeitumkehrung.
Vergangenheit? Gegenwart? Zukunft?: Dieses Kapitel analysiert die verschiedenen Phasen der Reise des Protagonisten und ihre Bedeutung für die Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es werden die Enttäuschung in Bezug auf Europa (im "Neunte Symphonie"-Kapitel), das frustrierende Leben in New York und den befreienden Ausbruch aus der Zeit im Urwald gegenübergestellt. Der Fokus liegt auf der Darstellung der zeitlichen Erfahrungen des Protagonisten und ihrer Auswirkungen auf seine Entwicklung.
Schlüsselwörter
Alejo Carpentier, Los pasos perdidos, lateinamerikanische Zeitlichkeit, Paradiessehnsucht, Zeitumkehrung, Viaje a la semilla, Psychoanalyse, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Urwald, Westliche Großstadt, Identitätssuche.
Häufig gestellte Fragen zu "Los pasos perdidos" von Alejo Carpentier
Was ist der Hauptfokus dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Alejo Carpentiers Roman "Los pasos perdidos" im Hinblick auf seine Darstellung von Zeit und Paradiessehnsucht. Der Schwerpunkt liegt auf der spezifischen lateinamerikanischen Zeitlichkeit, wie sie Carpentier beschreibt und literarisch umsetzt, sowie auf der Umkehrung der Zeit in seiner Erzählung "Viaje a la semilla".
Welche Themen werden im Roman untersucht?
Die Arbeit untersucht die spezifische Zeitlichkeit Lateinamerikas und ihren Einfluss auf die Erzählstruktur, das Motiv der Paradiessehnsucht (psychoanalytisch interpretiert), die Reise des Protagonisten als Metapher für die Konfrontation mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, den Kontrast zwischen dem Leben in der westlichen Großstadt und dem Leben im Urwald, und die literarische Umsetzung der Gleichzeitigkeit verschiedener Epochen.
Wie ist der Roman strukturiert?
Der Roman wird in mehreren Kapiteln analysiert: Einleitung, Die Zeit Lateinamerikas (inkl. psychoanalytischem Exkurs), Umkehrung der Zeit? Die Erzählung Viaje a la semilla, Vergangenheit? Gegenwart? Zukunft? und Schluss: Versuch einer Synthese der Zeiten. Jedes Kapitel bietet eine detaillierte Analyse spezifischer Aspekte der Zeitlichkeit und der Paradiessehnsucht im Werk Carpentiers.
Was ist die Bedeutung von "Viaje a la semilla"?
Carpentiers Erzählung "Viaje a la semilla" dient als Beispiel für eine Umkehrung der traditionellen Zeitlichkeit. Die umgekehrte Chronologie des Lebenslaufs eines kubanischen Adligen wird analysiert, wobei die Umkehrung aller zeitlichen Kausalitäten hervorgehoben wird (z.B. verkehrtherum laufende Uhren).
Wie wird die "Gleichzeitigkeit verschiedener Epochen" dargestellt?
Die "Gleichzeitigkeit verschiedener Epochen" wird als genuin lateinamerikanisches Phänomen vorgestellt und analysiert, wie Carpentier diese in "Los pasos perdidos" literarisch umsetzt. Der Vergleich mit Octavio Paz' "El laberinto de la soledad" liefert zusätzliche Kontextualisierung.
Welche Bedeutung haben die Schauplätze im Roman?
Der Roman kontrastiert das frustrierende Leben in New York mit der befreienden Erfahrung im Urwald. Dieser Kontrast verdeutlicht die Auseinandersetzung des Protagonisten mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und seine Identitätssuche.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Alejo Carpentier, Los pasos perdidos, lateinamerikanische Zeitlichkeit, Paradiessehnsucht, Zeitumkehrung, Viaje a la semilla, Psychoanalyse, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Urwald, Westliche Großstadt, Identitätssuche.
Wie wird die Paradiessehnsucht interpretiert?
Die Paradiessehnsucht wird psychoanalytisch interpretiert als Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Ureinheit, basierend auf den Theorien von Paz, Rank und Platon.
Wie wird die Reise des Protagonisten interpretiert?
Die Reise des Protagonisten wird als zentrale Metapher für die Konfrontation mit der Vergangenheit interpretiert und mit Marlow's Reise in Joseph Conrads "Heart of Darkness" verglichen.
- Arbeit zitieren
- Nicolai Bühnemann (Autor:in), 2007, Paradiessehnsucht und das Problem der Zeiten in Alejo Carpentiers "Los pasos perdidos", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128193