Intertextuelle Bezüge zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm in dem Roman "Dazwischen: Ich"


Hausarbeit, 2020

17 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Märchen
2.1 Kinder- und Hausmärchen
2.2 Merkmale von Volksmärchen
2.3 Die Bedeutung von Märchen in der Kinder- und Jugendliteratur

3 Intertextualität

4 Märchen der Brüder Grimm in Dazwischen: Ich

5 Fazit

6 Reflexion

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Wenn Julya Rabinowich in ihrem Jugendroman Dazwischen: Ich Anspielungen auf bekannte Märchen macht, dann tut sie dies bewusst: Sie stellt intertextuelle Bezüge her. Intertextualität in der Kinder- und Jugendliteratur ist kein seltenes Phänomen, vielmehr kann man erkennen, dass ihre Bedeutung zwischen dem späten 20. Jahrhundert und dem frühen 21. Jahrhundert gestiegen ist (vgl. Wicke 2016., o.S.). Dennoch wird im Bereich der Didaktik nicht nur auf den intertextuellen Literaturunterricht als sinnvolle Herausforderung verwiesen, sondern auch auf die Schwierigkeit der Umsetzung. Zusätzlich beschäftigt die Frage, welches literarische Wissen man bei Kindern und Jugendlichen voraussetzen kann viele Pädagogen und Literaturkritiker. Elisabeth Paefgen schreibt im Lexikon der Deutschdidaktik: „Das Konzept der Intertextualität konnte tatsächlich keine große didaktische Bedeutung gewinnen, weil es den kundigen Leser voraussetzt bzw. den erfahrenen und kontinuierlich praktizierenden: das können Lernende im Jugendalter nicht sein“ (2006, S. 279).

So kann man annehmen, dass Julya Rabinowich aufgrund dieser Problematik und ihrer Vorliebe zu Märchen, gerne auf genau diese in ihrem Roman verweist. In einem Interview mit dem On­line-Journal LESEPUNKTE erzählt sie von ihrem Lieblingsmärchen ,Die kleine Meerjungfrau4 von Hans Christan Anderson und welche Bedeutung diese im Kindesalter für sie hatte (vgl. Wagner 2018, o.S.). Nach ihrer Geburt 1970 in St. Petersburg ist sie mit ihrer Familie 1977 nach Wien ausgewandert, wonach sich die Bedeutsamkeit des Märchens für sie vertieft hat, denn auch sie ist stumm in einem fremden Land angekommen.

Die Identifizierung Rabinowichs mit der Meerjungfrau, also einer Figur aus einem Märchen, kann man ebenfalls bei der Protagonistin des Romans Dazwischen: Ich erkennen. Die 15-jäh­rige Madina ist gemeinsam mit ihrer Familie aus einem Kriegsgebiet geflohen und erzählt nun in ihren Tagebucheinträgen von ihrem neuen Leben in der westlichen Welt. Dabei tauchen oft­mals Märchen, insbesondere die der Brüder Grimm, auf, welche in Madinas Leben eine wich­tige Rolle spielen. Das Ziel dieser Ausarbeitung liegt darin zu zeigen, auf welche Art und Weise Julya Rabinowich intertextuelle Bezüge zu bekannten Märchen der Brüder Grimm herstellt. Welche Funktion haben Märchen allgemein und in Bezug auf die Intertextualität in der Kinder- und Jugendliteratur? Diese Fragestellung gilt es dann noch anhand geeigneter Beispiele aus dem Roman zu analysieren. Zum Ende der Ausarbeitung werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und ein Ausblick auf die daraus resultierenden Fragestellungen gegeben.

2 Märchen

2.1 Kinder- und Hausmärchen

Jakob und Wilhelm Grimm waren es, die zwischen 1812 und 1858 eine Sammlung volkstüm­licher Erzählungen, die Kinder- und Hausmärchen, veröffentlichten (Lüthi 1990, S. 5). Diese Volksmärchensammlung wurde zu dem beliebtesten und meist übersetzten Buch des Deut­schen. Diese Popularität verdanken die Brüder Grimm nicht nur den Kinder, sondern auch den Erwachsenen, denn die Märchen werden von allen geliebt, weil in diesen Träume wahr werden und am Ende immer die Gerechtigkeit siegt (vgl. Paslwaska 2014, o.S.). Nach Stork steckt hinter der Beliebtheit der Märchen „vor allem ein genialer Spürsinn und eine unschätzbare Fä­higkeit der Einfühlung in das Wesen des Märchens, in seine wesentlichen Aussagen, die die Märchensammlung weltweit im Mittelpunkt stehen lässt und sie zur tragfähigsten Grundlage derMärchenforschung macht“ (Stork 1987, S.9).

Betrachtet man den Begriff des Volksmärchens, ist dieser dadurch geprägt, dass die Märchen einen längeren Zeitraum über weitergegeben wurden und somit auch mitgeformt worden sind (vgl. Märchenatlas o.J., o.S.). Sie sind deutlich abzugrenzen von den Kunstmärchen, bei wel­chen der Autor deutlich zu erkennen ist. Volksmärchen zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass diesen kein eindeutiger Verfasser zugeordnet werden kann, weil sie über mehrere Genera­tionen hauptsächlich in mündlicher Form überliefert wurden. Dass die mündliche Tradierung heute nicht mehr haltbar ist, betont vor allem Hans-Jörg Uther: „Wir wissen heute, dass diese von den Brüdern Grimm immer wieder betonte Haltung zur Volksüberlieferung eine Fiktion ist.“ (Uther 1990, S. 181). Daher wird der Begriff des Volksmärchens meist in der Literatur durch den Begriff des Buchmärchens ersetzt, da nach dieser Definition Märchen, welche in Buchform gebracht wurden, streng genommen keine Volksmärchen mehr sind.

Mit ihrer Märchensammlung wollten die Brüder Grimm auch ein Erziehungsbuch schaffen, mit welchem sie die Menschen zu belehren versuchten (vgl. Brüder Grimm-Gesellschaft o.J., o.S.). Somit vermitteln die Märchen nicht nur Werte und Normen, sondern auch Haltungsweisen und klare Regeln, an welche sich die Gesellschaft zu halten hat. Dies betonte auch Wilhelm Grimm zu seinen Lebzeiten. Nach ihm wird die Sammlung von Märchen nicht nur Kindermärchen, sondern auch Hausmärchen genannt, „weil einenjeden ihre einfache Poesie erfreuen und ihre Wahrheit belehren kann, und weil sie beim Haus bleiben und forterben“ (Wilhelm Grimm zit. nachUther2013, S. 490).

Somit können sich alle Generationen bestimmte Weisheiten aus den Märchen ziehen, welches eines der vielen Merkmale der Kinder- und Hausmärchen sind. Anhand der textinternen Merk­male, welche es im nächsten Kapitel zu analysieren gilt, lassen sich Grimms Märchen am ein­fachsten bestimmen.

2.2 Merkmale von Volksmärchen

Sage, Legende, Mythos, Fabel und Schwank - das Märchen wird heutzutage in der Forschung deutlich von diesen Genres getrennt (vgl. Lüthi 2004, S. 1). Abstammend von dem mittelhoch­deutschen Wort „maere“ bezeichnen Märchen, auch „Märlein“ genannt, also eine kleine Märe, kurze Erzählungen.

Die Volksmärchen, worunter auch die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm fallen, sind nicht nur kurze, sondern auch fantastische Erzählungen, welche nicht an Ort und Zeit ge­bunden sind (vgl. Märchenatlas o.J., o.S.). Somit sind diese Märchen so allgemein gehalten, dass man als Leser keine Vermutungen darüber aufstellen kann, wo und wann sich die Hand­lung abspielt. Es gibt einfache Gegensatzpaare wie das Gute und das Böse, wobei die Figuren nur ein Merkmal besitzen (vgl. Neuhaus 2017, S. 7). Eine Figur im Volksmärchen ist entweder gut oder böse, klug oder dumm, wenn zwei Merkmalspaare vorkommen klug und gut oder dumm und böse. Weitere Merkmale sind die fehlende Psychologisierung der Figuren und ein formelhafter Anfang und Schluss. Weiterhin ist es dadurch gekennzeichnet, dass es eine „meist einsträngig geführte Handlung, eine Vorliebe für alles klar Ausgeprägte, für Extreme und Kon­traste“ (Lüthi 2004, S. 29) hat. Ausgangslage eines Volksmärchens ist somit auch immer eine Situation in Not, die es am Ende zu lösen gilt. Dies geschieht mithilfe von Requisiten, welche wunderhafte Gegenstände oder Zauberdinge sind (vgl. Lüthi 2004, S. 25 f.). Neben der Heldin oder dem Helden kommen in diesen Märchen auch Helferfiguren, Kontrastgestalten und Anta­gonisten vor, welche ebenfalls als sprechende Tiere auftauchen und sich somit mit den anderen Figuren unterhalten können. In einigen der Volksmärchen können sogar Pflanzen und Ge­brauchsgegenstände sprechen.

Märchen sprechen ihre eigene Sprache, eine eher einfache und unkomplizierte (vgl. Neuhaus 2017, S. 7). Dies geschieht dadurch, dass überwiegend Hauptsätze ohne schwieriges Vokabular, dafür mit immer wiederkehrenden Formeln auftauchen. Auch bedienen sich Märchen vieler Symbole, die ebenfalls einfach und einprägsam sind, wie die Symbolzahlen. Die Drei taucht in Form von drei unterschiedlichen Grundmustern auf, welche die drei Brüder, die drei Wünsche und die drei Prüfungen sind (vgl. Märchenatlas o.J., o.S.). Hierfür sind die bekanntesten Mär­chen der Brüder Grimm Rumpelstilzchen und Frau Holle. Neben der Drei sind die Sieben und die Zwölf besonders wichtige Zahlen in den Kinder- und Hausmärchen. Die Sieben steht als Summe aus der Drei, welche das Symbol für das Göttliche ist, und der Vier, dem Symbol für die Ordnung und das Rationale, für die Vollkommenheit, wofür auch die Zwölf als Produkt aus den beiden Zahlen steht. Die wohl berühmtesten Märchen als Beispiel für die Nutzung von Symbolzahlen aus der Märchensammlung sind Schneewittchen, worin die sieben Zwerge auftauchen, und Rapunzel., welche im Alter von zwölf Jahren von der Hexe in den Turm ge­sperrt wird.

Heute gehören die Märchen der Brüder Grimm selbstverständlich zu der Kinderliteratur. Bei näherer Betrachtung der Bedeutung von Märchen in der Kinder- und Jugendliteratur lässt sich sagen, dass dies nicht immer so war.

2.3 Die Bedeutung von Märchen in der Kinder- und Jugendliteratur

Unumstritten lässt sich in der Märchenforschung feststellen, dass der Weg von Märchen zu­nächst der Unterhaltung von Erwachsenen dienend begann und heute als Kinderlektüre endet (vgl. Zamolksa 2012, o.S.). Die Brüder Grimm haben anfangs, als sie ihre erste Märchensamm­lung veröffentlichten, nicht an Kinder als Adressaten gedacht, weshalb sie ab der zweiten Auf­lage die Märchen kindgerechter gestalteten, indem sie sie mit einem Werte- und Tugendkatalog versehen haben.

Über die Rolle von Märchen für Kinder und Jugendliche hat sich der Psychoanalytiker und Kinderpsychologe Bruno Bettelheim (1983) in seinem Buch Kinder brauchen Märchen Gedan­ken gemacht. Nach ihm gibt es viele positive Aspekte, welche auch eine nicht unwichtige Rolle in der Entwicklung von Kindern spielen. Ein Kind nimmt Märchen „nicht rein als phantastisch, als spannende Berichte von wunderbaren Gegebenheiten, die sich in fernen Vergangenheiten einmal zutrugen, es erlebt in den Schicksalen der Helden auch sich selbst; seine verborgenste Hoffnung wie seine eigenste Zukunft“ (Obenauer 1959, S. 39). Bettelheim betont, dass Mär­chen nicht nur Erzählungen sind, sondern viel mehr, denn sie richten sich nach den Schwierig­keiten des Lebens und bieten für solche Situationen Lösungswege an (vgl. Bettelheim 1988, S. 17 f.). Sie können somit ein Halt für Kinder auf der Suche nach der eigenen Identität und dem Sinn des Lebens sein. Die Themen und Inhalte der Märchen sind jene, mit denen sich Kinder und Jugendliche auch in Wirklichkeit beschäftigen und aufgrund der Tatsache, dass diese sich mit den Figuren aus den Märchen identifizieren, kann dies den Heranwachsenden dabei helfen, neue Sichtweisen auf bestimmte Dinge zu entwickeln (vgl. Bettelheim 1988, S. 50).

In der Kinderpsychologie wird die Meinung vertreten, dass Märchen für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen hilfreich ist (vgl. Lüthi 2004, S. 105 f.). Sie regen die Phantasie an und durch diese kann der Sinn für Gerechtigkeit erlernt werden. Kinder übertragen also die Handlungen der Märchenfiguren bewusst und unbewusst auf ihr eigenes Verhalten. Dazu sagt Jakob Streit: „In diesen Jahren geschieht das Entscheidende für eine innere Verwurzelung des Menschen, sie kann später kaum nachgeholt werden. Hier und jetzt werden die inneren Ideale verlangtund geprägt.“ (1985, S. 65).

Wenn man die Überarbeitungen der Brüder Grimm in die Diskussion zur Rolle von Märchen für Heranwachsende mit einbezieht, lässt sich sagen, dass dies nicht eine Frage der Gattung des Märchens ist, sondern die der Bearbeitung, da sie schließlich dadurch erst kindgerecht wurden (vgl. Liptay 2004, S. 12 ff.). Kommt die in diesem Kapitel erarbeitete wichtige Aufgabe von Märchen hinzu, kann nachvollzogen werden, warum Autoren, wie auch Julya Rabinowich, in- tertextuelle Bezüge zu den Kinder- und Hausmärchen herstellen.

3 Intertextualität

Im klassischen Sinne bezeichnet die Intertextualität die Bezugnahme eines Textes auf einen anderen Text (vgl. Nünning 2004, S. 299 f.). Hierbei unterscheidet man zwischen dem explizi­ten Verweis auf einen Text und dem breiter gefassten Begriff, worunter alle Relationen zwi­schen Texten zu verstehen sind.

Gérard Genette befasste sich genauer mit der Thematik der Intertextualität. In seinem Buch Palimpeste: Die Literatur auf zweiter Stufe definiert er neben dem Begriff Intertextualität auch vier weitere Formen, welche er als Transtextualität oder auch textuelle Transzendenzen be­zeichnet, was für ihn „alles das [...], was ihn [den Text] in eine manifeste oder geheime Bezie­hung zu anderen Texten bringt“ (Genette 1993, S. 3), ist. Er ersetzt somit den zuvor definierten Begriff der Intertextualität, wobei diese die erste Form ist, durch die Transtextualität. Es gibt drei verschiedene Arten, wie diese zu erkennen sind: als Zitat, als Plagiat oder als eine Anspie­lung, die weniger explizit ist und voraussetzt, dass der Leser die hergestellte Verknüpfung zu einem anderen Text versteht (vgl. Genette 1993, S. 10 ff.). Daneben gibt es noch die Paratex- tualität, wo der Autor neben dem Text auch Titel, Klappentext und Einleitung miteinbezieht, Metatextualität, was die Kritik an einem anderen Text durch das Kommentieren meint, die Hy- pertextualität, welches durch die Umformung des Ausgangtextes geschieht und die Architextu- alität, die die Zugehörigkeit eines Textes zu einer Gattung bezeichnet.

Legt man den Fokus nun auf die Intertextualität in der Kinder- und Jugendliteratur, so werden verschiedene Meinungen deutlich. Es gibt eine Seite, welche die Position teilt, dass Intertextu­alität zu anspruchsvoll ist. Nach Clemens Kammler sind die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in Bezug auf das Lesen so schlecht, „dass die Forderung nach einer solchen [in- tertextuellen] Lektüre vermessen erscheint und - wenn überhaupt - allenfalls für die gymnasi­ale Oberstufe erhoben werden kann“ (2013, S. 307). Dieser Auffassung stehen Paul Maar und Kaspar H. Spinner entgegen. „Zum literaturhistorischen Bewusstsein gehört auch der Einblick in intertextuelle Zusammenhänge. Dies lässt sich schon in der Grundschule anbahnen, weil viele Kinderbücher auf frühere Texte, zum Beispiel auf Märchen, anspielen.“ (Spinner 2006, S. 13).

Maar schreibt weiter, dass Schülerinnen und Schüler Verweise auf andere Texte „immer dann, wenn in Kinderbüchern auf Gestalten und Themen aus dem Fundus der Kinderliteratur oder auf moderne Trivialmythen angespielt wird.“ (2007, S. 178), verstehen. Außerdem nenntPaul Maar drei weitere Gründe, mit welchen er seine Position für die Nutzung von intertextuellen Bezügen in der Kinder- und Jugendliteratur bekräftigen möchte: Er als Autor würde während des Schreibprozesses auch an eine erwachsene Person denken, die dem Kind etwas vorliest oder auch nur mitliest, welche er nicht langweilen möchte (vgl. Maar 2007, S. 107 f.). Auch ist er der Ansicht, dass es keine Änderungen am Gehalt oder Inhalt eines Buches gibt, wenn ein Kind oder Jugendlicher die Intertextualität als solches nicht wahmimmt. Letzteres besteht er darauf, dass auch Kinder- und Jugendliteratur Literatur ist, also ernst zu nehmen ist. Wenn solche Stil­mittel in der Literatur notwendig sind, dann sollten sie dies folglich auch für Literatur sein, die für Heranwachsende bestimmt sind.

In Maars Büchern lassen sich durchgehend intertextuelle Bezüge und Anspielungen auf be­kannte Werke finden, wodurch er im Kontext der Intertextualität in der Kinder- und Jugendli­teratur eine enorme Stellung hat und somit als geeignetes Beispiel dient (vgl. Wicke 2014, S. 6 f.). Dadurch, dass er nicht nur schreibt, sondern auch gerne liest, ist es für ihn selbstverständlich, „die von ihm verehrten Schriftsteller wenigstens zaghaft zu grüßen, sie zu zitieren, mit Motiven und Figuren aus ihren Werken zu spielen“ (Maar 2007, S. 171 f.). Dies ist kein seltenes Phäno­men, sondern etwas, was man schon in seinem ersten Buch Der tätowierte Hund aus dem Jahr 1968 wiederfinden kann. Hierbei lassen sich die intertextuellen Anspielungen zu dem Märchen Hänsel und Gretel der Brüder Grimm in der Geschichte von dem bösen Hänsel, der bösen Gre­tel und der Hexe deutlich erkennen. Diese intertextuellen Spuren durchziehen danach auch alle weiteren Werke von Paul Maar (vgl. Wicke 2016, o.S.).

Auch Julya Rabinowich benutzt gerne die Intertextualität als Stilmittel in ihren Romanen. In einem Interview mit der österreichischen Zeitung Der Standard (19.11.2008) nimmt sie Bezug auf die Märchen von Hoffmann:

Ich habe ursprünglich nicht Deutsch in der Schule gelernt, sondern anhand von alten Büchern, die wir gehabt haben: Das war ,Der Goldne Topf' von E. T. A. Hoffmann. [...] Ich glaube, dass sich das durchaus in meiner Art zu schreiben widerspiegelt - auf eine ironische Art und Weise.

Ihre Werke sind geprägt durch Märchen aus aller Welt, wie auch in ihrem Roman Dazwischen: Ich. Eins dieser Märchen ist z.B. Die Froschprinzessin, welches ein russisches Volksmärchen ist, oder Seehundfell, Seelenhaut, ein Märchen der Inuit (vgl. Rabinowich 2019, S.169). Auch zu deutschsprachigen Geschichten, wie Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler (vgl. Rabino wich 2019, S. 272) und zu den Märchen der Brüder Grimm sind in dem Jugendroman intertex- tuelle Bezüge hergestellt worden. Letzteres wird im nachfolgenden Kapitel unter Angabe von geeigneten Textbeispielen näher betrachtet.

4 Märchen der Brüder Grimm in Dazwischen: Ich

Die Geschichte von Madina und ihrer Familie wird in Form von Tagebucheinträgen erzählt und beginnt wie folgt:

Wo ich herkomme? Das ist egal. Es könnte überall sein. Es gibt viele Menschen, die in vielen Ländern das erleben, was ich erlebt habe. Ich komme von Überall. Ich komme von Nirgendwo. Hinter den sieben Bergen. Und noch viel weiter. Dort, wo Ali Babas Räuber nicht hätten leben wollen. Jetzt nicht mehr. Zu gefährlich. (Rabi- nowich 2019, S. 7)

Abgesehen davon, dass Rabinowich hier einen Bezug zu der Geschichte aus der Geschichten­sammlung Tausendundeine Nacht herstellt, ist die Verbindung zu dem Märchen Schneewitt­chen aus der Kinder- und Hausmärchensammlung zu erkennen. Mit den Worten „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ gilt es als eines der bekanntesten Märchen der Brüder Grimm (vgl. Märchenatlas o.J., o.S.). Schneewittchen, welche zu diesem Zeitpunkt sieben Jahre alt war, sollte aufgrund des Neids der Königin getötet werden. Der Jäger aber konnte diesem Befehl nicht nachgehen und setzte das Mädchen lediglich im Wald aus, wo es bis zum Abend herumgeirrt ist. Schließlich fand sie das Haus der sieben Zwerge, mit welchen sie von da an hinter den sieben Bergen zu wohnen begann, denn die Zwerge nahmen sie fröhlich auf. Auch Madina musste wie Schneewittchen ihr Zuhause verlassen, wobei der Grund bei ihr die Flucht vor dem Krieg war (vgl. Rabinowich 2019, S. 2). Weitere Ähnlichkeiten zu dem Märchen der Brüder Grimm sind, dass Madina gemeinsam mit ihrer Familie einen langen Fluchtweg hinter sich gebracht hat, welcher mit viel Schlaflosigkeit und Schmerzen verbunden war, und, dass sie am Ende ihr Ziel, ein fremdes Land weit weg von ihrer eigentlichen Heimat, erreicht haben (vgl. Rabinowich 2019, S. 39 f.). Somit wird dieses Motiv aus Schneewittchen von Rabinowich eingesetzt, um den langen Weg von Madina zu einem neuen Zuhause, welchen auch Schneewittchen hinter sich gebracht hat, zu verdeutlichen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Intertextuelle Bezüge zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm in dem Roman "Dazwischen: Ich"
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,3
Jahr
2020
Seiten
17
Katalognummer
V1282431
ISBN (Buch)
9783346740861
Sprache
Deutsch
Schlagworte
intertextuelle, bezüge, kinder-, hausmärchen, brüder, grimm, roman, dazwischen
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Intertextuelle Bezüge zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm in dem Roman "Dazwischen: Ich", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1282431

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